BGE 121 II 81 | |||
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13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. März 1995 i.S. SRG gegen Radio Piz Corvatsch AG und EVED (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 108 Abs. 2 RTVV, Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession; Aufschaltung eines Lokalradios auf den Telefonrundspruch. |
Verhältnis von Art. 108 Abs. 2 RTVV zu Art. 20 Abs. 2 der SRG-Konzession vom 18. November 1992 (E. 4 u. 5). | |
Sachverhalt | |
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) besorgt seit 1931 den Programmdienst des (6 Kanäle umfassenden) Telefonrundspruchs. Sie strahlt über drei Kanäle die ersten Radioprogramme von Schweizer Radio DRS, Radio suisse romande und Radio della svizzera di lingua italiana aus, wobei es sich im wesentlichen um eine Parallelverbreitung der auch über die UKW-Frequenzen zu empfangenden Programme handelt. Originär sind die auf den drei restlichen Kanälen ausgestrahlten Programme "Light" (vorwiegend Unterhaltungsmusik), "Classic" (vorwiegend klassische Musik) und "Channel one" (leichte Musik und englischsprachige Wortbeiträge). Im Kanton Graubünden verbreitet die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft anstelle des Programms "Light" jenes von "Radio Rumantsch".
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Am 22. Dezember 1993 hiess das Bundesamt für Kommunikation ein Gesuch der Radio Piz Corvatsch AG "im Grundsatz" gut, ihr Programm im offiziellen Versorgungsgebiet über den Telefonrundspruch verbreiten zu lassen. Es lud die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft zu diesem Zweck ein, innert 30 Tagen mitzuteilen, welches der über den Telefonrundspruch im offiziellen Versorgungsgebiet von Radio Piz Corvatsch übertragenen Programme ersetzt werden könne.
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Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft erhob gegen diese Verfügung beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement Verwaltungsbeschwerde; gegen dessen abweisenden Entscheid hat sie am 30. Juni 1994 Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die das Bundesgericht abweist.
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Aus den Erwägungen: | |
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3. Zu prüfen ist zunächst die Frage, ob Art. 108 RTVV, wie die Beschwerdeführerin behauptet, sich als systemwidrig erweist und der im Radio- und Fernsehgesetz vorgesehenen Kompetenzordnung widerspricht.
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a) Wer Radio- und Fernsehprogramme veranstalten will, braucht hierfür eine Konzession (Art. 10 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen, RTVG; SR 784.40). Als Veranstalter gilt, wer Programme schafft oder zusammenstellt und sie verbreitet oder durch Dritte vollständig und unverändert verbreiten lässt (Art. 2 Abs. 1 RTVG). Eine Verbreitung liegt vor bei einer Ausstrahlung über terrestrische Sender, über Kabelnetze oder über Satelliten, wenn das Programm an die Allgemeinheit gerichtet ist (Art. 2 Abs. 2 RTVG); als Weiterverbreitung gilt das zeitgleiche, vollständige und unveränderte Übernehmen und Verbreiten von Programmen, die von in- und ausländischen Veranstaltern an die Allgemeinheit gerichtet sind und drahtlos ausgestrahlt werden (Art. 2 Abs. 3 RTVG). Konzessionsbehörde für die Veranstaltung von nationalen Programmen ist der Bundesrat (Art. 10 Abs. 3 RTVG), für lokale und regionale Ebene das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Art. 10 Abs. 3 RTVG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 RTVV) und für Veranstaltungen, deren Dauer innerhalb eines Jahres höchstens 30 Tage beträgt (Veranstaltungen von kurzer Dauer), das Bundesamt für Kommunikation (Art. 10 Abs. 3 RTVG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 RTVV). In seinem 3. Titel regelt das Radio- und Fernsehgesetz die Weiterverbreitung von Programmen unter anderem über Kabelnetze und statuiert auch hierfür eine Konzessionspflicht. Konzessionsbehörde ist der Bundesrat beziehungsweise eine "von ihm bezeichnete Behörde" (Art. 39 Abs. 1 RTVG); nach Art. 33 RTVV ist dies das Bundesamt für Kommunikation. Als Kabelnetz im Sinne des Gesetzes gilt jedes Leitungsnetz zur Versorgung der angeschlossenen Abonnenten mit Rundfunkprogrammen (Art. 2 Abs. 4 RTVG).
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b) Der Telefonrundspruch nutzt das Telefonnetz der PTT-Betriebe - gegen eine spezielle, vom Empfänger neben der Konzessionsabgabe zu entrichtende Gebühr (vgl. VICENTE TUASON/MEINRAD ROMANENS, Das Recht der Schweizerischen PTT-Betriebe, Bern 1980, S. 64 f.) -, um Radioprogramme zu verbreiten, und ist damit einem Kabelnetz im Sinne von Art. 2 Abs. 4 RTVG ähnlich. Die entsprechenden Bestimmungen können deshalb zur Auslegung der lückenhaften Regelung herangezogen werden, soweit dies sachgerecht erscheint: Art. 42 RTVG regelt das Mindestprogrammangebot eines Kabelnetzkonzessionärs; Art. 47 RTVG sieht vor, dass das Bundesamt den Betreiber eines Kabelnetzes unter gewissen Umständen verpflichten kann, ein Programm, das nicht drahtlos verbreitet wird, im Auftrag eines schweizerischen Veranstalters auf lokaler oder regionaler Ebene zu verbreiten (Art. 47 in Verbindung mit Art. 39 Abs. 3 lit. b RTVG, BBl 1987 III 744). Der Telefonrundspruch ist eine Dienstleistung der PTT-Betriebe, die hierfür als Anstalt des Bundes keiner Konzession bedürfen.
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Wenn Art. 108 RTVV vorsieht, dass das Bundesamt bestimmt, welche Programme unter welchen Bedingungen zu verbreiten sind, ist diese Kompetenzordnung somit nicht an sich system- und gesetzeswidrig. Wären die PTT-Betriebe ein Kabelnetzkonzessionär des Bundes, wäre das Bundesamt ebenfalls befugt, die Verbreitung eines bestimmten Programms anzuordnen. Warum es hierzu von Gesetzes wegen entgegen der Regelung in Art. 108 RTVV nicht berechtigt sein soll, soweit die PTT-Betriebe ähnlich einem Kabelnetzkonzessionär Programme über den Telefonrundspruch im Sinne von Art. 2 Abs. 3 RTVG weiterverbreiten, ist nicht ersichtlich. Zwar hielt der Bundesrat in seiner Botschaft zu Art. 47 RTVG fest, dass zur Nutzung des PTT-Netzes für Rundfunkzwecke die entsprechende "ins Privatrecht eingreifende Kontrahierungspflicht nicht nötig" sei (BBl 1987 III 744); diese Äusserung dürfte er indessen mit Blick darauf getan haben, dass der Bund mit dem Telefonrundspruch eben selber über ein nationales Weiterverbreitungsnetz verfügt, womit sich eine privatrechtliche Regelung zwischen Veranstalter und Weiterverbreiter insofern erübrigt.
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c) Eine System- und Gesetzwidrigkeit von Art. 108 Abs. 2 RTVV ergibt sich - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - auch nicht aus dem Gebot, dass die Programmkonzession jeweils "die Art der Verbreitung und die Verbreitungseinrichtungen" festzulegen hat (Art. 2 Abs. 1 lit. d RTVV). Die vom Departement der Radio Piz Corvatsch AG erteilte Bewilligung sieht eine Ausstrahlung ihres Programms über den Telefonrundspruch zwar nicht vor; die Radio Piz Corvatsch AG verfügt aber über eine Lokalradiokonzession, die ihr erlaubt, ihr Programm terrestrisch zu verbreiten. Die Ausstrahlung im konzessionierten Sendegebiet per Telefonrundspruch bildet deshalb keine Erstverbreitung, sondern eine Weiterverbreitung im Sinne von Art. 2 Abs. 3 RTVG, die als solche in der Veranstalterkonzession nicht vorgesehen werden muss, weshalb ein entsprechender Entscheid - wie die auf einer privatrechtlichen Absprache beruhende nachträgliche Einspeisung eines Lokalradioprogramms in eine Gemeinschaftsantennenanlage (vgl. zu dieser Problematik altrechtlich das unveröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 10. Juli 1986 i.S. Radio 24 AG c. GD PTT) - keiner Konzessionsänderung bedarf.
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a) Bei der Auslegung von Konzessionen ist - wie generell bei öffentlichrechtlichen Verträgen - neben der gesetzlichen Regelung das Vertrauensprinzip zu beachten (vgl. zur Rechtsnatur der Konzession im Radio- und Fernsehbereich: BBl 1987 III 720 f.); danach ist eine Willensäusserung so auszulegen, wie sie unter Berücksichtigung des früheren Verhaltens des Erklärenden und der im Zeitpunkt der Erklärung bekannten Umstände in guten Treuen vernünftigerweise verstanden und als wirklich gewollt betrachtet werden durfte und musste. In Zweifelsfällen ist zu vermuten, dass die Verwaltung nicht bereit ist, etwas anzuordnen oder zu vereinbaren, was mit den von ihr zu wahrenden öffentlichen Interessen und der einschlägigen Gesetzgebung im Widerspruch steht (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. Juli 1988 in: ZBl 90 1989 S. 83 ff., E. 3).
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b) Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft betrieb den Programmdienst des Telefonrundspruchs bis zum 1. Januar 1993 gestützt auf Art. 2 der Konzession vom 5. Oktober 1987 (BBl 1987 III 813; SRG-Konzession 1987), der in Absatz 2 vorsah, dass die SRG "den Programmdienst des Telefonrundspruchs" besorgt. Dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 SRG-Konzession 1987 kann nicht entnommen werden, inwieweit der Bundesrat die SRG im Zusammenhang mit dem Telefonrundspruch berechtigen wollte, hält die Bestimmung doch nur fest, dass die SRG den entsprechenden "Programmdienst" besorge. Aus den konzessionsrechtlichen Grundlagen wird aber deutlich, dass es dabei darum ging, die Benützung des Telefonnetzes zur Verbreitung von Radiosendungen im Sinne sowohl einer Regalkonzession wie einer Konzession des öffentlichen Dienstes der SRG zu übertragen (vgl. zur Abgrenzung: EVELINE WIDMER-SCHLUMPF, Voraussetzungen der Konzession bei Radio und Fernsehen, Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 30 ff.). Nach Art. 36 BV ist das Post- und Telegrafenwesen im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft Bundessache; unter das Telegrafenmonopol fällt auch das Telefonnetz (vgl. zur Entwicklung des Geltungsbereichs von Art. 36 BV: BGE 105 Ib 389 E. 2 S. 390 ff.). Soweit dieses zur Verbreitung von Radiosendungen dient, wurde der SRG mit der Konzession 1987 das Recht und die Pflicht übertragen, die inhaltliche Gestaltung des über das Telefonnetz verbreiteten und als Dienstleistung der PTT-Betriebe angebotenen Telefonrundspruchs im Interesse der Programmunabhängigkeit zu übernehmen; dies wird auch aus der Vereinbarung der SRG mit den PTT-Betrieben vom 6. Dezember 1977 deutlich (vgl. Ziffer 2 dieser Vereinbarung).
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c) Die SRG-Konzession vom 18. November 1992 knüpft grundsätzlich an diese Regelung an, wenn sie übergangsrechtlich vorsieht, dass der Programmdienst "bis auf weiteres" Sache der SRG bleibt; sie behält indessen ausdrücklich auch die neue Radio- und Fernsehgesetzgebung vor und ermächtigt die Beschwerdeführerin in Art. 1 dementsprechend bloss, "nach den Vorschriften des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG), der Radio- und Fernsehverordnung (RTVV) sowie dieser Konzession" Radio- und Fernsehprogramme zu veranstalten. Die Beschwerdeführerin hatte bei Gewährung der Konzession von Art. 108 RTVV Kenntnis; der Bundesrat übertrug ihr den Programmdienst für den Telefonrundspruch nach Treu und Glauben deshalb nur im Rahmen der von ihm in der Radio- und Fernsehverordnung beschlossenen Schranken und Zuständigkeitsordnungen, an die auch er im Einzelfall gebunden ist. Der Zusatz "bis auf weiteres" in Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession 1992 behält zudem eine zukünftige Aufhebung des Telefonrundspruchs vor. Der entsprechende Programmdienst steht der Beschwerdeführerin somit nur insoweit zu, als das Bundesamt für Kommunikation nicht die PTT-Betriebe als Verbreiterin anweist, anderen schweizerischen Veranstaltern ebenfalls einen Zugang zu ermöglichen. Eine andere Auslegung von Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession 1992 beraubte Art. 108 Abs. 2 RTVV jeglichen Inhalts und widerspräche Sinn und Zweck des Radio- und Fernsehgesetzes, das vorab auf lokaler und regionaler Ebene vom bisherigen SRG-Monopol abrückt und eine Mehrzahl von Veranstaltern zulässt (vgl. BBl 1987 III 690). Die Hinweise der Beschwerdeführerin auf ihre eigene Auffassung in den Konzessionsverhandlungen und in ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf vermögen dieses gestützt auf das Vertrauensprinzip gebotene Verständnis von Art. 20 Abs. 2 der SRG-Konzession 1992 nicht in Frage zu stellen. Die SRG-Konzession 1987 wurde vom Bund gerade gekündigt, um der neuen Radio- und Fernsehgesetzgebung Rechnung tragen zu können; die konzessionsrechtlichen Bestimmungen sind deshalb auch bezüglich des Telefonrundspruchs vor diesem Hintergrund zu sehen. Bei der Frage, auf welches Programm im Sendegebiet von Radio Piz Corvatsch allenfalls zu verzichten ist, was nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet, wird dem vom Gesetzgeber in Art. 28 Abs. 2 RTVG getroffenen Wertentscheid Rechnung zu tragen sein, wonach je ein deutsch-, französisch- und italienischsprachiges Radioprogramm in der ganzen Schweiz zu verbreiten ist (vgl. BBl 1987 III 737); das ist zurzeit wegen der beschränkten Frequenzzahlen weitgehend nur über den Telefonrundspruch möglich.
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5. Die Beschwerdeführerin beruft sich unter diesen Umständen - sowohl mit Blick auf die Eigentumsgarantie wie auf den Vertrauensgrundsatz - vergeblich auf wohlerworbene Rechte: Die SRG-Konzession vom 5. Oktober 1987 lief am 31. Dezember 1992 aus; in der neuen Konzession konnte der Bund ohne Beeinträchtigung allfälliger Rechte der Beschwerdeführerin den geänderten rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen. Art. 14 und 15 RTVG regeln Änderung, Einschränkung, Suspendierung, Widerruf sowie Entzug einer Konzession vor Ablauf ihrer Dauer; sie finden vorliegend keine Anwendung, da das der Beschwerdeführerin - unter Vorbehalt von Art. 108 RTVV - übertragene Recht, "bis auf weiteres" den Programmdienst des Telefonrundspruchs zu betreiben, nicht beeinträchtigt wird, solange das Bundesamt den Kernbereich der Konzession wahrt und Aufschaltanordnungen restriktiv und im Sinne des Radio- und Fernsehgesetzes verfügt. Bei der Entwicklung einer einheitlichen Praxis werden Bundesamt und Departement zu berücksichtigen haben, dass der Betreiber eines Kabelnetzes nach Art. 47 RTVG (in Verbindung mit Art. 39 Abs. 3 lit. b RTVG) nur verpflichtet werden kann, ein Programm im Auftrag eines schweizerischen Veranstalters auf lokaler oder regionaler Ebene zu verbreiten, wenn dieses nicht bereits drahtlos ausgestrahlt wird. Eine lokale Aufschaltung eines Programms auf den Telefonrundspruch im Rahmen einer Weiterverbreitung durch die PTT-Betriebe dürfte - mit Blick auf Art. 20 Abs. 2 SRG-Konzession 1992 - unter diesen Umständen deshalb wohl ebenfalls nur bei einer im konzessionierten Sendegebiet gestörten oder erschwerten UKW-Verbreitung eines Lokalradioprogramms zulässig sein. Da vorliegend eine solche festgestellt ist (vgl. Verfügung des Bundesamts für Kommunikation vom 22. Dezember 1993, Ziffer 2.1) und die Beschwerdeführerin diese grundsätzlich auch nicht bestreitet (vgl. Beschwerdeschrift S. 5, 1. Abschnitt), verletzt der Entscheid, der Radio Piz Corvatsch AG im Hinblick auf die teilweise erschwerte UKW-Verbreitung ihres Programms zu ermöglichen, dieses in ihrem konzessionierten Versorgungsgebiet auch über den Telefonrundspruch verbreiten zu lassen, weder bundes- noch konzessionsrechtliche Bestimmungen.
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