![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
52. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Dezember 1995 i.S. Adrian Gasser u. Mitb. gegen SRG und Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 103 lit. a OG, Art. 4 und Art. 63 RTVG; programmrechtliche Überprüfung verschiedener Beiträge über den Textilindustriellen Adrian Gasser. |
Umfang der bundesgerichtlichen Prüfung eines Entscheids der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (E. 2). |
Inhalt und Tragweite des Gebots der Objektivität und Sachgerechtigkeit (E. 3). |
Die beanstandeten Beiträge befriedigen nicht in allen Punkten; die Berichterstattung sowie der Einsatz der stilistischen Mittel sind bei einer Gesamtwürdigung aber nicht in dem Sinne manipulativ, dass sich der Zuschauer kein eigenes Bild hätte machen können (E. 4). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Gegenstand der Beiträge vom 30. März 1994 bildete die "Aussperrung" der Belegschaft bei der Kollbrunner Baumwollspinnerei: Da die Arbeitnehmer gegen Lohnkürzungen und Entlassungen streikten, habe Adrian Gasser einen Zaun um das Betriebsareal gezogen und die Streikenden "ausgesperrt". Der Bericht in der "Tagesschau" enthielt zudem den Hinweis, Adrian Gasser habe es mit dem Arbeitsgesetz "offenbar noch nie so genau genommen". Die "10 vor 10"-Redaktion ergänzte die Meldung über die "Aussperrung" mit einem Porträt, das sie unter anderem mit der Bemerkung einleitete, Adrian Gasser dürfe wohl als der "bestgehasste Unternehmer des Landes" bezeichnet werden.
| 2 |
Der Beitrag von "Schweiz aktuell" vom 4. Mai 1994 war einer Medienorientierung von Adrian Gasser und von verschiedenen seiner Angestellten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung gewidmet: Die Einigungsverhandlungen zwischen Adrian Gasser und den Gewerkschaften seien gescheitert, obwohl die Angestellten ihren Streik inzwischen abgebrochen hätten. In Kollbrunn hätten 49 Angestellte von sich aus fristlos gekündigt; Adrian Gasser habe darauf mit Vorwürfen an die Gewerkschaft Bau und Industrie reagiert.
| 3 |
Die "Tagesschau" vom 15. Juni 1994 enthielt eine kurze Mitteilung, wonach Adrian Gasser vor dem Handelsgericht Zürich einen Prozess gegen die "Weltwoche" verloren habe.
| 4 |
![]() | 5 |
Adrian Gasser und Regula Pfister sowie 23 Mitunterzeichner haben am 31. Mai 1995 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die das Bundesgericht abweist, soweit es darauf eintritt.
| 6 |
Aus den Erwägungen: | |
7 | |
![]() | 8 |
bb) Zweifelhaft erscheint die Beschwerdelegitimation von Regula Pfister. Als PR-Beauftragte von Adrian Gasser steht sie zum Streitgegenstand grundsätzlich nicht in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung im Sinne von Art. 103 lit. a OG. Einzig soweit sie im Beitrag der Sendung "Schweiz aktuell" vom 4. Mai 1995 namentlich als Leiterin der Medienorientierung und "Freundin Gassers" bezeichnet wurde, könnte eine hinreichende Sachnähe bestehen. Wie es sich damit verhält, braucht nicht geklärt zu werden, da auf die Beschwerde nach dem Gesagten auch in diesem Punkt so oder so einzutreten ist.
| 9 |
cc) Nicht legitimiert sind die weiteren Beschwerdeführer: Sie waren am vorinstanzlichen Verfahren bloss im Rahmen einer Popularbeschwerde (Art. 63 Abs. 1 lit. a RTVG) beteiligt und leiten ihre Beschwerdeberechtigung einzig hieraus ab (vgl. SCHÜRMANN/NOBEL, a.a.O., S. 207). Sie legen nicht dar, und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid stärker betroffen sind als irgendein Zuschauer und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Angelegenheit stehen (vgl. BGE 115 Ib 387 E. 2b S. 390). Soweit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in ihrem Namen eingereicht wurde, ist darauf nicht einzutreten.
| 10 |
2. a) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann eine Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden (Art. 104 lit. a OG). Dem Bundesgericht stellen sich bei der Prüfung von Fernsehsendungen die gleichen Rechtsfragen wie der Unabhängigen Beschwerdeinstanz, nämlich ob Programmbestimmungen des Radio- und ![]() | 11 |
b) Seit Inkrafttreten des Radio- und Fernsehgesetzes gilt die Unabhängige Beschwerdeinstanz als richterliche Behörde im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG. Das Bundesgericht ist deshalb an ihre Sachverhaltsfeststellung gebunden, es sei denn, diese sei offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen erfolgt (BGE 119 Ib 166 E. 2b S. 169 f.).
| 12 |
3. Nach Art. 4 RTVG sind (in Konkretisierung von Art. 55bis Abs. 2 BV; vgl. BBl 1987 III 729) Ereignisse "sachgerecht" darzustellen; die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten muss angemessen zum Ausdruck kommen (Abs. 1). Ansichten und Kommentare haben als solche erkennbar zu sein (Abs. 2). Das aus diesen Programmanforderungen abgeleitete Gebot der Objektivität verlangt, dass sich der Hörer oder Zuschauer durch die vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über den Sachverhalt machen kann und in die Lage versetzt wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Prinzip der Wahrhaftigkeit verpflichtet den Veranstalter, Fakten objektiv wiederzugeben; bei umstrittenen Sachaussagen ist der Zuschauer so zu informieren, dass er sich selber ein Bild machen kann (BGE 119 Ib 166 E. 3a S. 170, BGE 116 Ib 37 E. 5a S. 44). Die gesetzlichen Programmbestimmungen schliessen weder Stellungnahmen und Kritiken von Programmschaffenden noch den "anwaltschaftlichen" Journalismus aus, wenn in diesem Sinne Transparenz gewahrt bleibt (BGE 121 II 29 E. 3b S. 34). Wann dies der Fall ist, beurteilt sich in erster Linie danach, ob der Beitrag insgesamt manipulativ wirkt bzw. ob die bei der Vorbereitung und Darstellung des Gegenstands ![]() | 13 |
14 | |
a) Wenn in den Beiträgen vom 30. März 1994 von einer "Aussperrung" die Rede war, so mag dieser Ausdruck juristisch unkorrekt gewesen sein. Der Bericht war indessen als Tagesaktualität zeitgebunden (vgl. dagegen BGE 121 II 29 E. 3b S. 34), vertiefte juristische Abklärungen waren deshalb kaum möglich und rundfunkrechtlich nicht geboten (vgl. BGE 114 Ib 204 E. 3e S. 208 f.): Adrian Gasser liess während eines Streiks symbolträchtig um die Kollbrunner Baumwollspinnerei einen Zaun errichten, der - wie in der Sendung "Schweiz aktuell" und der "Tagesschau" berichtet - zumindest auch dazu dienen sollte, die Streikenden vom Fabrikgelände fernzuhalten. Soweit dabei gesagt wurde, es handle sich um die erste "Aussperrung" streikender Arbeiter seit dem Zweiten Weltkrieg, wurde im Bericht von "Schweiz aktuell" darauf hingewiesen, dass dies die Gewerkschaft Bau und Industrie so sieht. Dieser Hinweis fehlte zwar im Beitrag der "Tagesschau", die Hauptaussage in Ton und Bild war aber auch hier, dass Adrian Gasser bzw. die Kollbrunner Baumwollspinnerei die "streikenden" Arbeitnehmer - wenn vielleicht auch nicht rechtlich, so doch symbolisch - "ausgesperrt" habe und dies eine ungewöhnliche Massnahme sei. Der Hinweis, Adrian Gasser habe eine Aussprache mit der Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Hedi Lang "abgelehnt", war allenfalls unpräzis, will dieser das vereinbarte Gespräch doch bloss "verschoben" haben. Die beanstandete Wortwahl beeinträchtigte die Meinungsbildung des Zuschauers jedoch nicht.
| 15 |
b) Die Kritik, entgegen dem Bericht der "Tagesschau" habe Adrian Gasser weder Mitarbeitern Geld geschuldet, noch habe er "happige Lohnabstriche" gemacht, wird erstmals vor Bundesgericht erhoben. Ob dies zulässig ist, ![]() | 16 |
c) Die Passage, wonach es der Beschwerdeführer mit dem Arbeitsgesetz "offenbar noch nie so genau genommen" habe, enthält zwar einen schwerwiegenden Vorwurf, war aber für den Zuschauer mit hinreichender Deutlichkeit als Kritik des Journalisten und der Arbeitnehmerschaft erkennbar. Die Aussage wurde durch den Begriff "offenbar" etwas relativiert und diente dazu, die Erklärung von Levent Yilmaz einzuleiten, ihm sei während einer Krankheit gekündigt worden. Der Journalist bezog die beanstandete Einschätzung auf die Auseinandersetzung betreffend Sonntagsarbeit von Frauen und auf umstrittene Lohnkürzungen nach Entlassung und Wiedereinstellung von Arbeitnehmern in der Kollbrunner Baumwollspinnerei, über die anfangs Februar 1994 auch in der Presse berichtet worden war ("Blick" vom 2. Februar 1994, "Tages-Anzeiger" vom 3. Februar 1994). An den Informationsstand der Zuschauer durften deshalb höhere Anforderungen gestellt und bei ihnen gewisse Vorkenntnisse vorausgesetzt werden (vgl. hierzu BGE 114 Ib 204 E. 1d S. 208). Dies gilt auch für die vor dem gleichen Hintergrund in der Sendung "10 vor 10" gemachte Einleitung, wonach Adrian Gasser "nach seinen eigenen Regeln" handle und wohl der "bestgehasste Unternehmer des Landes" genannt werden dürfe, obwohl die beanstandeten Aussagen überspitzt waren.
| 17 |
![]() | 18 |
e) Die "Tagesschau" vom 15. Juni 1994 berichtete im Rahmen einer Kurzmeldung, dass Adrian Gasser vor dem Zürcher Handelsgericht einen Prozess gegen die "Weltwoche" wegen einer Artikelserie über die Finanzlage der Spinnerei an der Lorze verloren habe. Wenn dabei statt von der Spinnerei an der Lorze personifizierend von dem an dieser massgeblich beteiligten Adrian Gasser gesprochen wurde, um die Meldung zu situieren, ist dies nicht zu beanstanden. Von einer Kurzmeldung kann gezwungenermassen - wie die Beschwerdegegnerin zu Recht einwendet - nicht letzte formale Genauigkeit erwartet werden. Dass das bei dieser Nachricht verwendete Bild "miserabel" gewesen sei, ist eine persönliche Einschätzung des Beschwerdeführers und rundfunkrechtlich nicht von Bedeutung.
| 19 |
f) In Gesamtwürdigung (vgl. BGE 114 Ib 204 E. 3a S. 207) der beanstandeten Sequenzen und der Berichterstattung über Adrian Gasser im umstrittenen Zeitraum ist festzustellen, dass die verschiedenen Berichte anders und in einzelnen Punkten besser hätten gestaltet werden können. Mit der Vorinstanz ist einzuräumen, dass aus den Beiträgen bisweilen ein unnötig herablassender und hämischer Unterton herauszuhören ist. Die Berichterstattung sowie der Einsatz der stilistischen Mittel waren aber ![]() | 20 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |