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45. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. August 1996 i.S. B. gegen Justiz- und Polizeidirektion und Verwaltungsgericht des Kantons Zug (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Vorsorglicher Führerausweisentzug (Art. 35 Abs. 3 VZV). |
Der vorsorgliche Führerausweisentzug erfolgt wie der Sicherungsentzug allein aus Gründen der Verkehrssicherheit, unabhängig vom Verschulden. Er kann daher angeordnet werden, ohne dass ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt (E. 2b). Aus dem gleichen Grunde kommt die Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK nicht zum Tragen; die übrigen Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK können wegen der vorsorglichen Natur der Massnahme nicht angerufen werden (E. 2c). |
Voraussetzungen des vorsorglichen Ausweisentzugs (E. 3a) sind in concreto (mehrfaches Fahren in angetrunkenem Zustand) erfüllt (E. 3b). | |
Sachverhalt | |
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Am 28. Januar 1994 verursachte B. als Lenker eines Personenwagens einen Selbstunfall. Er hatte vor der Fahrt zuviel Alkohol konsumiert und gleichzeitig eine Schlaftablette zu sich genommen. Gestützt auf diesen Vorfall entzog die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug B. am 23. März 1994 den vom Kanton Zürich ausgestellten Ausweis mit förmlicher Verfügung vorsorglich und ordnete eine spezialärztliche Abklärung der Fahrtauglichkeit an. Im Bericht des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich-Irchel vom 24. August 1994 wurde die Fahreignung von B. nur bedingt (strikte Alkoholfahrabstinenz und amtsärztliche Kontrolluntersuchung ein Jahr nach Wiederaushändigung des Ausweises) bejaht. Das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Zug verfügte am 26. September 1994 einen Warnungsentzug von zwölf Monaten und verband die Wiedererteilung des Führerausweises nach Ablauf der Entzugsdauer (Ende Januar 1995) mit folgenden Bedingungen und Auflagen: strikte Alkoholabstinenz vor und während des Fahrens; Kontrolluntersuchung ein Jahr nach der Wiederaushändigung des Führerausweises. Die Verfügung erwuchs in Rechtskraft.
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Am 13. Juli 1995 lenkte B. in Zürich einen Personenwagen in angetrunkenem Zustand (1,61o/oo - 2.08o/oo). Gestützt auf diesen Vorfall verfügte die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug am 14. August 1995 den vorsorglichen Entzug des Führerausweises. Ein definitiver Entscheid wurde vom Ausgang einer spezialärztlichen Untersuchung bei der Verkehrsmedizinischen Abteilung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich abhängig gemacht. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wies die gegen die Verfügung der Direktion erhobene Beschwerde am 1. Februar 1996 ab.
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B. hat am 12. März 1996 gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde, soweit es darauf eintritt, ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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a) Gemäss Art. 17 Abs. 1bis (in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 lit. b, c und d) SVG wird der Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn der Führer wegen Trunksucht oder anderer Suchtkrankheiten, aus charakterlichen oder anderen Gründen nicht geeignet ist, ein Motorfahrzeug zu führen (sogenannter Sicherungsentzug). Bis zur Abklärung von Ausschlussgründen kann der Führerausweis sofort vorsorglich entzogen werden (Art. 35 Abs. 3 VZV). Der vorsorgliche Ausweisentzug kann nicht losgelöst vom eigentlichen Entzugsverfahren verfügt werden, sondern "bis zur Abklärung von Ausschlussgründen"; das bedeutet, dass er einzig im Rahmen des Verfahrens über den Sicherungsentzug selber zulässig ist (vgl. RENÉ SCHAFFHAUSER, ![]() | 7 |
b) Zwischenverfügungen letzter kantonaler Instanzen können mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur angefochten werden, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken (Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 und 45 VwVG). Die Zwischenverfügung über den vorsorglichen Ausweisentzug bewirkt offensichtlich einen derartigen Nachteil.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Zwischenentscheid ist dem Bundesgericht innert zehn Tagen seit Eröffnung des anzufechtenden Entscheids einzureichen (Art. 106 Abs. 1 OG). Die Beschwerde ist erst am 12. März 1996 zur Post gegeben und damit nicht innert zehn Tagen seit Eröffnung des Beschwerdeentscheides (16. Februar 1996) eingereicht worden. Nun ist aber zu berücksichtigen, dass der angefochtene Entscheid mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, wonach dagegen innert 30 Tagen seit Eröffnung ans Bundesgericht gelangt werden könne. Zudem liegt bis heute kein veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vor, in welchem der Entscheid über den vorsorglichen Ausweisentzug gemäss Art. 35 Abs. 3 VZV als Zwischenentscheid bezeichnet wurde. Ob unter diesen Umständen die Verspätung dem Beschwerdeführer entgegengehalten werden darf, erscheint fraglich (vgl. BGE 118 Ib 326 E. 1c), kann aber offenbleiben, da die Beschwerde ohnehin abzuweisen ist.
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2. a) Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht vor, es sei seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen. Diese Rüge geht fehl. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Entscheid keineswegs ausgeschlossen, dass Anzeichen für eine Trunksucht des Beschwerdeführers vorlägen. Indem es auch auf Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG hinwies und zusätzlich die Frage nach der charakterlichen Fahreignung des Beschwerdeführers aufwarf, verneinte es die Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG nicht. Aus der Begründung seines Entscheids geht mit aller Deutlichkeit hervor, aus welchen Gründen ![]() | 10 |
Damit steht auch fest, dass die kantonalen Behörden, je nach Ausgang der medizinischen Begutachtung, die Anordnung eines Sicherungsentzugs in Betracht ziehen; dass gegebenenfalls nach Vorliegen des Gutachtens anstelle des Sicherungsentzugs ein Warnungsentzug verfügt werden könnte, ändert daran nichts. Insofern steht einem vorsorglichen Ausweisentzug gemäss Art. 35 Abs. 3 VZV nichts entgegen.
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b) Der Beschwerdeführer rügt unter dem Titel "Suspensivwirkung der Beschwerde", dass die kantonalen Behörden mit dem vorsorglichen Ausweisentzug nicht bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Strafurteils zugewartet haben.
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Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers haben die kantonalen Behörden nicht ein Verfahren im Hinblick auf einen Warnungsentzug eingeleitet, sondern im wesentlichen im Hinblick auf einen Sicherungsentzug. Dabei ist massgeblich, ob der Beschwerdeführer noch fähig ist, ein Motorfahrzeug zu führen, oder ob ihm dies aus Gründen der Verkehrssicherheit untersagt werden soll. Dass entsprechende Schritte sofort einzuleiten sind, versteht sich angesichts der Natur der Sache von selbst. Dem Sicherungsentzug liegen denn auch andere Überlegungen und Gewichtungen zugrunde als dem Strafverfahren wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand. Die kantonalen Behörden waren daher nicht gehalten, das Administrativverfahren zu sistieren und auf einen vorsorglichen Ausweisentzug zu verzichten, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist.
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c) Der Beschwerdeführer beruft sich in gleichem Zusammenhang auf die in Art. 6 EMRK festgeschriebene Unschuldsvermutung. Er erwähnt dazu BGE 121 II 22. Das Bundesgericht hat in jenem Urteil festgestellt, dass der Entscheid über einen Führerausweisentzug zu Warnzwecken ein Entscheid über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK sei (E. 2 - 4). Es hat den Warnungsentzug dabei ausdrücklich vom Sicherungsentzug abgegrenzt (BGE BGE 121 II 22 E. 4a S. 27). Angesichts der völlig anderen Zielsetzung des Sicherungsentzugs (Fernhalten eines Fahrzeugführers vom Strassenverkehr aus Gründen der Verkehrssicherheit, unabhängig von einem Verschulden) findet der Grundsatz der Unschuldsvermutung auf derartige Verfahren keine Anwendung. Wie es sich mit ![]() | 14 |
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Das erneute Fahren in angetrunkenem Zustand am 13. Juli 1995 konnte somit schon angesichts der früheren Vorkommnisse berechtigte Zweifel daran aufkommen lassen, ob der Beschwerdeführer in der Lage sei, auf erhöhten Alkoholkonsum vor dem Führen eines Motorfahrzeugs zu verzichten. Die weiteren Umstände verstärken diese Zweifel:
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Das Gutachten des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Zürich vom 24. August 1994 kam zwar zum Schluss, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Anhaltspunkte für einen bestehenden übermässigen Alkoholkonsum oder eine Medikamentensucht des Beschwerdeführers bestanden. Immerhin wurde ausgeführt, bestimmte Werte im Blut könnten Hinweis dafür sein, dass noch einige Wochen vor der Untersuchung ein vermehrter Alkoholkonsum stattgefunden habe. Es war gemäss Gutachten auch nicht auszuschliessen, dass der Beschwerdeführer bei Auftreten erneuter Schwierigkeiten wiederum zu vermehrtem Alkoholkonsum neigen könnte. Der Gutachter bejahte die Fahreignung daher nur bedingt, und er empfahl insbesondere strikte Alkoholfahrabstinenz. Eine entsprechende Auflage für den Zeitraum nach Wiedererteilung des Ausweises enthielt denn auch die Verfügung vom 26. September 1994 über den Warnungsentzug. Der Beschwerdeführer fuhr am 13. Juli 1995, in Kenntnis dieser Auflage, in erheblich angetrunkenem Zustand. Es erscheint wenig glaubwürdig, dass er diese Auflage als mit dem ![]() | 18 |
Die kantonalen Behörden durften daher schon unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Alkoholsucht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer ein besonderes Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer sein könnte. Zu Recht sind somit weitere Abklärungen in die Wege geleitet und der vorsorgliche Ausweisentzug gemäss Art. 35 Abs. 3 VZV angeordnet worden.
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