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24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Februar 1997 i.S. D. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 2 OHG, Art. 13 Abs. 2 OHG, Art. 17 OHG (Bemessung der Genugtuung für Opfer von Straftaten). |
Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Opfers bei der Bemessung der Genugtuung nach Art. 12 Abs. 2 OHG; analoge Anwendung zivilrechtlicher Regeln; Bedeutung von Art. 13 Abs. 2 OHG für die Bemessung der Genugtuung; Berücksichtigung eines krassen Missverhältnisses zwischen dem Mitverschulden des Opfers und dem schädigenden Verhalten des Täters (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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b) Das Verwaltungsgericht hat in seiner einleitenden Erwägung ausgeführt, dass es den angefochtenen Entscheid frei prüfe, und zwar auch hinsichtlich der Angemessenheit der zugesprochenen Genugtuungssumme. Weil jedoch Art. 12 Abs. 2 OHG der Behörde bei der Bemessung der Genugtuungssumme einen erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielraum einräume, auferlege es sich bei der Überprüfung der Höhe der zugesprochenen Genugtuungssumme eine gewisse Zurückhaltung. Hiefür berief sich das Verwaltungsgericht u.a. auf die Rechtsprechung zur bundesgerichtlichen Kognition bei der Überprüfung von Genugtuungssummen im Berufungsverfahren.
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c) Gemäss Art. 17 OHG bestimmen die Kantone eine einzige von der Verwaltung unabhängige Beschwerdeinstanz; diese hat freie Überprüfungsbefugnis. Das bedeutet, dass sie nicht nur die Sachverhaltsfeststellungen und die Rechtsanwendung der verfügenden Behörde überprüfen kann, sondern auch die Angemessenheit des angefochtenen Entscheids; sie darf gegebenenfalls ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen (vgl. Peter Gomm/Peter Stein/Dominik Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 17 Rz. 5). Die freie Überprüfungsbefugnis hindert aber die Beschwerdeinstanz nicht, in Ermessensfragen einen Entscheidungsspielraum der Verwaltung zu respektieren. Die Genugtuungssumme entschädigt einen immateriellen, in Geld an sich nicht messbaren Schaden. Ihre Höhe hängt von der Würdigung der in Frage kommenden Bemessungskriterien ab und ist ein Ermessensentscheid. Es gibt nicht nur eine richtige Entscheidung, sondern in einer gewissen Bandbreite eine Mehrzahl von angemessenen, der Billigkeit ![]() | 5 |
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aa) Seinem Wortlaut sowie seinem systematischen Zusammenhang nach regelt Art. 13 Abs. 2 OHG nur die Entschädigung, d.h. den materiellen Schadenersatz des Opfers. In BGE 121 II 369 (E. 3c/aa S. 373 und E. 4c S. 375) erwog jedoch das Bundesgericht, dass diese Bestimmung für die Bemessung des Genugtuungsanspruchs analog herangezogen werden könne. Allerdings ging es im genannten Fall nicht um die Voraussetzungen einer Anspruchsreduktion, sondern um die Frage, ob ein (wesentliches) ![]() | 8 |
bb) Gemäss Art. 44 Abs. 1 OR kann grundsätzlich jedes Selbstverschulden des Geschädigten zur Herabsetzung der Ersatzpflicht führen. Aus der Botschaft des Bundesrates zum Opferhilfegesetz geht hervor, dass der Gesetzgeber in Art. 13 Abs. 2 OHG bewusst eine Formulierung gewählt hat, die restriktiver gefasst ist als die Herabsetzungsgründe nach Art. 44 Abs. 1 OR (BBl 1990 II S. 991). Es fehlt allerdings an einer Begründung für diese Abweichung von den Grundsätzen des Zivilrechts, auf welche die Botschaft (a.a.O.) ansonsten selbst verweist. Möglicherweise beruht diese Privilegierung von Opfern einer Straftat auf der Überlegung, dass den Schädiger regelmässig ein kriminelles Verschulden trifft (auch wenn dies nach Art. 2 Abs. 1 OHG nicht Voraussetzung der Opferhilfe ist), dem gegenüber ein einfaches Selbstverschulden des Geschädigten dermassen geringfügig erscheint, dass es bei der Bemessung der Ersatzpflicht nicht berücksichtigt werden darf (vgl. ROLAND BREHM in: Berner Kommentar, N. 22 zu Art. 44 OR). Diese Erwägung trifft nicht nur auf die (materielle) Entschädigung zu, sondern auch auf die Genugtuung. Für die Anwendbarkeit von Art. 13 Abs. 2 OHG auf die Genugtuung liesse sich auch die neuere Praxis des Bundesgerichts zu Art. 47 OR anführen, wonach sich die Kürzung der Genugtuung wegen Mitverschuldens grundsätzlich in der gleichen Grössenordnung bewegen sollte wie die Kürzung des materiellen Schadenersatzanspruchs (BGE 117 II 50 E. 4a/bb S. 60; BGE 116 II 733 E. 4g S. 736).
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cc) Andererseits unterscheidet sich die Bemessung des Genugtuungsanspruchs wesentlich von der Berechnung des materiellen Schadenersatzanspruchs, weshalb Art. 13 Abs. 2 OHG nicht unbesehen auf die Genugtuung ausgedehnt werden kann. Die erlittene immaterielle Unbill lässt sich im Gegensatz zum materiellen Schaden nicht mathematisch berechnen. Sowohl der Entscheid, ob eine Genugtuung geschuldet wird, als auch deren Bemessung sind vielmehr Billigkeitsentscheide, bei denen eine Vielzahl von Kriterien ![]() | 10 |
dd) Es erscheint darüber hinaus sinnvoll, sich bei der Bemessung der Genugtuung nach dem Opferhilfegesetz nicht zu weit von den zivilrechtlichen Grundsätzen zu entfernen. Ansonsten könnte sich etwa ein Opfer, das bereits ein rechtskräftiges Urteil auf Genugtuung gegen den Täter erwirkt hat und nun ein Gesuch auf Opferhilfe mangels Zahlungskraft des Täters einreicht, nicht auf dieses Urteil stützen (so aber HÜTTE/DUCKSCH, a.a.O., I/114 Ziff. 11.4); statt dessen müsste erneut eine Genugtuungssumme festgesetzt werden - diesmal nach den speziellen Kriterien des Opferhilfegesetzes.
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ee) Schliesslich lässt sich die im Hinblick auf das Mitverschulden günstigere Behandlung von Entschädigungsansprüchen durch deren sozialen Zweck rechtfertigen: Während die Genugtuung gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG einkommensunabhängig ist, hat das Opfer nur Anspruch auf Entschädigung, wenn sein Einkommen einen gewissen Grenzbetrag nicht übersteigt (Art. 12 Abs. 1 OHG). Auch die Höhe der Entschädigung richtet sich u.a. nach dem Einkommen des Opfers (Art. 13 Abs. 1 OHG). Die Entschädigung nach Opferhilfegesetz soll demjenigen helfen, der infolge der Straftat in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät (Art. 64ter BV). Diesem sozialen Zweck der Entschädigung würde es widersprechen, der Verschuldenskürzung zu viel Raum zu geben (vgl. GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., Art. 13 Rz. 27).
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ff) Nach dem Gesagten ist zwischen Entschädigungsansprüchen einerseits und Genugtuungsansprüchen andererseits zu differenzieren: Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber kein redaktionelles Versehen unterlaufen ist, als er in Art. 13 Abs. 2 OHG den Genugtuungsanspruch nicht erwähnte, sondern dass diese Bestimmung nur auf Entschädigungsansprüche Anwendung findet. Das schliesst nicht aus, im Einzelfall auch bei der Bemessung der Genugtuung nur ein "wesentliches" Mitverschulden des Opfers zu berücksichtigen; dies ist jedoch - anders als bei der Entschädigung - vom Gesetzgeber nicht zwingend vorgeschrieben. Damit war es dem Verwaltungsgericht nicht von vornherein verwehrt, im vorliegenden ![]() | 13 |
c) Es fragt sich allerdings, ob das Verwaltungsgericht dem Opferverhalten im konkreten Fall nicht zu viel Gewicht beigemessen hat. Zwar hat der Beschwerdeführer an einer unerlaubten Demonstration teilgenommen, die den Tatbestand des Landfriedensbruchs erfüllte, und sich selbst der Sachbeschädigung strafbar gemacht, d.h. selbst eine rechtswidrige Handlung begangen. Er musste deshalb vernünftigerweise mit gewissen Risiken rechnen, wie z.B. Polizeieinsatz (Tränengas, Wasserwerfer usw.) oder Gegendemonstrationen, nicht aber mit dem Einsatz von Schusswaffen. Dies gilt jedenfalls, solange sich die Demonstration - wie im vorliegenden Fall - nur gegen Sachen (Gebäude) richtete und keine Personen gefährdete. Auch wenn man den Schusswaffeneinsatz nicht für so fernliegend hält, dass sich eine Verneinung der Adäquanz und damit der Kausalität des Opferverhaltens im Rechtssinne rechtfertigen, muss doch das krasse Missverhältnis zwischen Anlass und Reaktion bei der Bemessung der Genugtuung beachtet werden. Im vorliegenden Fall hat allerdings auch das Berner Verwaltungsgericht angenommen, die Reaktion der türkischen Botschaftsangestellten sei völlig unangemessen gewesen, weswegen sie ein schweres Verschulden treffe, während dem Beschwerdeführer, wenn überhaupt, nur ein leichtes Mitverschulden vorgeworfen werden könne. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es dem Opferverhalten kein zu grosses Gewicht beigemessen hat.
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