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1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Oktober 1998 i.S. Politische Gemeinde Horgen gegen Allmendkorporation Horgen, Schätzungkommission II sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2 RPG, § 183quater EGzZGB-ZH; Pflicht zur Rückerstattung der Verzinsung einer Entschädigung wegen materieller Enteignung? |
Bei der Aufhebung einer enteignungsähnlichen Massnahme, für welche eine Entschädigung wegen materieller Enteignung bezahlt wurde, ist nach dem kantonalen Recht lediglich die Enteignungsentschädigung zurückzuerstatten, nicht aber der wegen verspäteter Zahlung der Entschädigung ausgerichtete Zins (E. 3b/bb). | |
Sachverhalt | |
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Am 21. September 1995 teilte die Politische Gemeinde Horgen das Grundstück Nr. 7965 von der kommunalen Freihaltezone in die Bauzone W 1.6 mit Gestaltungsplanpflicht um. Am 16. Februar 1996 forderte sie die Allmendkorporation auf, die ausgerichtete Entschädigung und den Zins abzüglich der bereits bezahlten Grundsteuern (Fr. 2'085'787.--), d.h. einen Betrag von insgesamt Fr. 13'204'837.05, zurückzuerstatten. Am 18. März 1996 bezahlte die Allmendkorporation Fr. 7'855'383.-- (Fr. 9'941'170.-- Entschädigung abzüglich Fr. 2'085'787.-- bezahlte Grundstückgewinn- und Handänderungssteuern) zurück; sie weigerte sich jedoch, auch den Zins zurückzuerstatten.
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Mit Entscheid vom 29. Januar 1998 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Es erwog, die Planänderung vom 21. September 1995 wirke vom Zeitpunkt ihres Beschlusses an in die Zukunft. Daraus folge, dass die Rückforderung der zugesprochenen Entschädigung eine gesetzliche Grundlage voraussetze. Diese ergebe sich aus § 183quater Abs. 1 des kantonalen Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch vom 2. April 1911 (EG zum ZGB), wonach Entschädigungen vom Gemeinwesen innert fünf Jahren nach ihrer Ausrichtung ganz oder teilweise zurückverlangt werden könnten, wenn die Eigentumsbeschränkung nachträglich wesentlich gemildert oder beseitigt werde. Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung gehe hervor, dass die Zinsen nicht Gegenstand eines Rückforderungsbegehrens sein könnten. Der Zins stelle eine Vergütung an die Allmendkorporation für das Entbehren der Entschädigung dar. Die Rückerstattung des Zinses widerspräche diesem Zweck und würde ausser Acht lassen, dass die Eigentumsbeschränkung nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) habe aufgehoben werden können. Diese Betrachtungsweise (keine Rückerstattung des Zinses) müsse jedenfalls dann gelten, wenn die Enteignungsentschädigung wie im vorliegenden Fall bereits vor dem Rückgängigmachen des Eingriffs rechtskräftig festgesetzt worden sei.
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Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. Januar 1998 führt die Gemeinde Horgen mit Eingabe vom 23. März 1998 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Allmendkorporation sei zu verpflichten, der Gemeinde den Betrag von Fr. 5'349'454.05 nebst Verzugszins zu 5% ab 18. März 1996 zurückzuerstatten. Eventuell sei die Angelegenheit zum Ermitteln des Verkehrswerts der Parzelle alt Kat. Nr. 7965 bei Inkrafttreten der Wiedereinzonung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin argumentiert, der bundesrechtliche Anspruch auf volle Entschädigung umfasse auch den Zinsanspruch; der Zins habe den Charakter eines Schadenszinses. Er werde deshalb von der Rückerstattungspflicht nach Aufhebung des Eingriffs ebenfalls erfasst. Zu berücksichtigen seien im Weiteren seit dem massgebenden ![]() | 5 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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b) Gemäss Art. 34 Abs. 2 RPG sowie Art. 103 lit. a und c OG sind die Gemeinden zur Beschwerde gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 RPG berechtigt. Die Politische Gemeinde Horgen ist demnach befugt, den Entscheid des ![]() | 7 |
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b) Die Beschwerdeführerin bringt nicht vor, das Verwaltungsgericht habe selbständiges kantonales Ausführungsrecht willkürlich angewendet. Sie macht aber geltend, die Auslegung und Anwendung von § 183quater Abs. 1 EG zum ZGB verletze den bundesrechtlichen Grundsatz der vollen Entschädigungspflicht. Diese Frage prüft das Bundesgericht frei.
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3. Die Beschwerdeführerin argumentiert, der Zins gleiche die vermögensrechtliche Einbusse aus, die sich daraus ergebe, dass die Entschädigung für den erlittenen Nutzungsverlust nicht sofort zur Verfügung stehe. Wenn der Anlass für die Entschädigung des Grundeigentümers nachträglich dahinfalle, ergebe sich ein entsprechender Rückerstattungsanspruch. Für die Beurteilung, ob dem materiell Enteigneten eine Restentschädigung verblieben sei, seien seit dem Eigentumseingriff eingetretene Wertsteigerungen des Enteignungsobjekts miteinzubeziehen. Diese Betrachtungsweise entspreche auch der bundesgerichtlichen Praxis. Die abweichende Auffassung des Verwaltungsgerichts verstosse gegen den bundesrechtlichen Grundsatz, dass der Enteignete durch die Entschädigung weder besser noch schlechter gestellt werden solle, als wenn er von der Eigentumsbeschränkung ![]() | 10 |
a) Das Bundesgericht hat sich in BGE 120 Ib 465 (= Pra 84/1995 S. 527 ff.) mit der Frage der Verzinsung der Enteignungsentschädigung und der Anrechnung der Bodenpreissteigerung nach Aufhebung einer Eigentumsbeschränkung befasst. In diesem Fall ging es um die Entschädigung für eine enteignungsähnliche Planungsmassnahme, die nach sieben Jahren rückgängig gemacht worden war. In der Folge hatten die betroffenen Grundeigentümerinnen Schadenersatz verlangt. Das Bundesgericht hat die Frage offen gelassen, ob die vorübergehende Eigentumsbeschränkung überhaupt eine Entschädigung aus materieller Enteignung auslösen könne. Es hat erwogen, das Verwaltungsgericht hätte nicht die Bestimmungen über die vorzeitige Besitzeinweisung und die Rückübertragung analog anwenden dürfen. Der zu beurteilende Sachverhalt lasse sich am ehesten mit einer vorübergehenden Enteignung vergleichen. Da die Beschwerdeführerinnen bereits Fr. 10'000.-- erhalten, die Überbaubarkeit ihrer Grundstücke zurückerlangt und zugleich von der erheblichen Steigerung der Verkehrswerte profitiert hätten, stehe ihnen kein weitergehender Schadenersatzanspruch zu.
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Die Überlegungen des Bundesgerichts im erwähnten Entscheid betreffen somit die Entschädigung für einen Eigentumseingriff, der rückgängig gemacht worden war, bevor überhaupt ein Entschädigungsgesuch gestellt wurde. Es liegt auf der Hand, dass der veränderten Sachlage (Rückgängigmachen des Eingriffs) bei der Bemessung der Entschädigung Rechnung zu tragen war. Vorliegend ist jedoch ein Sachverhalt zu beurteilen, der sich vom geschilderten massgeblich unterscheidet. Die Eigentumsbeschränkung auf dem Grundstück der Beschwerdegegnerin ist erst rückgängig gemacht worden, nachdem die Enteignungsentschädigung rechtskräftig festgesetzt und bezahlt worden war. Umstritten ist der Umfang des Rückforderungsanspruchs des entschädigungspflichtigen Gemeinwesens. Zu den damit verbundenen Fragen hat sich das Bundesgericht im zitierten Entscheid nicht geäussert.
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b) aa) Die Entschädigung für eine enteignungsähnliche planerische Eigentumsbeschränkung gilt dem Grundeigentümer den Verlust oder die Einschränkung des bisherigen oder voraussehbaren künftigen Gebrauchs seines Grundeigentums ab (vgl. BGE 121 II 417 E. 4a S. 423). Sie ist im Kanton Zürich gemäss § 183bis Abs. 3 Satz 2 EG zum ZGB vom Zeitpunkt an zu verzinsen, in dem der ![]() | 13 |
bb) Mit dem Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung wird einem Grundeigentümer ein bisheriger oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch seines Grundeigentums untersagt oder besonders stark eingeschränkt. Wird die Eigentumsbeschränkung später aufgehoben, werden die früheren Nutzungsmöglichkeiten im wesentlichen wiederhergestellt. Es liegt von diesem Zeitpunkt an wieder in der Macht und Verantwortung des Grundeigentümers, sein Land gewinnbringend zu nutzen. Für die Schmälerung in der Zwischenzeit steht ihm eine Entschädigung zu, die nach dem Gesagten bis zur Bezahlung zu verzinsen ist. Vorbehalten bleiben Fälle vorübergehender Beschränkung, die keinen Entschädigungsanspruch auslösen (vgl. BGE 121 II 317 E. 12d/bb S. 347 = Pra 85/1996 S. 605). Der Zins hält den Grundeigentümer somit dafür schadlos, dass dieser weder über das ungeschmälerte Grundeigentum noch über die geschuldete Entschädigung verfügen kann. Wird die Eigentumsbeschränkung später rückgängig gemacht, so fällt zwar der Rechtsgrund für die Bezahlung einer Entschädigung dahin und ist diese grundsätzlich zurückzuerstatten. Das Wegfallen des Rechtsgrundes für die Entschädigung gilt jedoch nicht analog auch für den bezahlten Zins. Der Grund für die Zinsleistungen kann nicht nachträglich entfallen, denn es kann mit einer Rückabwicklung nicht ungeschehen gemacht werden, dass dem Grundeigentümer in der Periode der Verzinsungspflicht weder die vollen Eigentümerbefugnisse noch die Vergütung zur Verfügung gestanden haben. Wollte man anders urteilen, so würde der Grundeigentümer für den abzugeltenden Eingriff keinen vollen Ersatz erhalten bzw. müsste er dem Gemeinwesen mehr als den Gegenwert für die Wiederherstellung der vollen Eigentümerbefugnisse zurückbezahlen, was gegen das bundesrechtliche Gebot der vollen Entschädigung verstossen würde.
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cc) Wohl kommt es vor, dass ein zum Voraus als entschädigungspflichtig erscheinender Eingriff aus der Rückschau und gesamthaft betrachtet nicht als entschädigungsauslösend beurteilt wird, z.B. weil er nach einiger Zeit wieder rückgängig gemacht wird (vgl. dazu statt vieler BGE 123 II 560 E. 4b/aa S. 570; Pra 85/1996 S. 605, 84/1995 S. 533). Für solche entschädigungslos hinzunehmende Eingriffe ist grundsätzlich auch kein Zins geschuldet bzw. wären bereits geleistete Zinszahlungen zurückzuerstatten. Ist aber ein Eigentumseingriff einmal - wie im vorliegenden Fall - als entschädigungspflichtig anerkannt und die Entschädigungssumme rechtskräftig festgesetzt worden, so scheidet eine rückwirkende Gesamtbetrachtung aus und kann weder die Entschädigungspflicht im Allgemeinen noch die Zinspflicht im Besonderen nachträglich in Frage gestellt werden. Es liegt alsdann ein anderer als der in E. 3a hievor erwähnte Sachverhalt vor.
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c) Die Richtigkeit der soeben dargelegten Betrachtungsweise zeigt sich auch am Beispiel des Gemeinwesens, das eine Eigentumsbeschränkung sofort abgilt. Diesfalls kann der geschädigte Grundeigentümer die Entschädigungssumme sogleich zinstragend anlegen und als Ertrag verbuchen, was ihm bei späterer Festsetzung und Ausrichtung der Entschädigung in Form von Zinsen nachträglich vergütet werden müsste. Es versteht sich von selbst, dass der Grundeigentümer beim Rückgängigmachen des Eingriffs nur das erhaltene Kapital und nicht auch die erzielten Erträge daraus zurückbezahlen muss. Eine weitergehende Rückforderung fände keine ![]() | 17 |
d) Für eine Anrechnung der Wertsteigerung, die das Grundstück der Beschwerdegegnerin seit dem Eingriffszeitpunkt erfahren hat, findet sich bei Rückabwicklung weder im Bundesrecht noch im kantonalen Recht eine Grundlage. Einer solchen Anrechnung würde auch die innere Rechtfertigung fehlen. Während der Dauer der Eigentumsbeschränkung hat das Grundstück der Beschwerdegegnerin die Baulandpreisentwicklung nicht mitgemacht (vgl. Pra 84/1995 S. 531 E. 4c). Erst nach dem Inkrafttreten der Umzonung konnte das Grundstück wieder an der Entwicklung der privaten Baulandpreise teilhaben. Mit dem Inkrafttreten dieser Planungsmassnahme ist aber zugleich der Rückforderungsanspruch der Gemeinde entstanden, und er kann nicht über das hinausgehen, was die Beschwerdegegnerin bis zu diesem Zeitpunkt erhalten hat. Später eingetretene Preissteigerungen können nicht auf den Zeitraum vor der Aufhebung zurückwirken (Wirkung ex nunc, vgl. oben E. 3c). Die nach dem Rückgängigmachen des Eingriffs eingetretene Wertsteigerung kann deshalb keinen Einfluss auf den Umfang des Rückerstattungsanspruchs haben, ebenso wie allfällige Wertminderungen unberücksichtigt bleiben müssten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin wird deshalb der bundesrechtliche Grundsatz der vollen Entschädigung, der dem entschädigungspflichtigen Gemeinwesen auch Schutz gegen übermässige Entschädigungsbeträge gewährt, nicht verletzt, wenn eine nach Aufhebung der Eigentumsbeschränkung eingetretene Wertsteigerung des Enteignungsobjekts nicht an den rechtskräftig festgesetzten Schaden aus der Eigentumsbeschränkung angerechnet wird. Diese Wertsteigerung kann wie eine allfällige Wertminderung auf die rechtskräftige Schadensbemessung keinen Einfluss mehr haben. Es kann daher nicht gesagt werden, die Beschwerdegegnerin sei durch die umstrittene Bemessung der Rückerstattung unzulässig bereichert. Gewiss trifft zu, dass sie ihr ![]() | 18 |
e) Aus dem Ausgeführten wird deutlich, dass der vorliegende Fall mit der Rückübertragung nach formeller Enteignung vergleichbar ist. Auch diesfalls findet grundsätzlich eine restitutio in integrum statt, d.h. die Parteien haben ihre ursprünglich erbrachten Leistungen und die enteigneten Rechte zurückzugeben, ohne dass auf die Enteignungsentschädigung Zinsen aufgerechnet oder davon Einnahmen aus dem Besitz des Grundstücks abgezogen werden. Seit der Enteignung eingetretene Wertvermehrungen oder -verminderungen bleiben ebenfalls unberücksichtigt (HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Band I 1986, N. 3 und 24 ff. zu Art. 102; BGE 120 Ib 276 = Pra 84/1995 S. 907 ff., insbes. E. 9 S. 911 f., mit zahlreichen Hinweisen).
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