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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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43. Auszug aus dem Teilurteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Bergbrunnen-Miteigentümer Urtenen-Schönbühl gegen Schweizerische Bundesbahnen (SBB) und Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1E.3/2002 vom 25. September 2002 | |
Regeste |
Beeinträchtigung einer Quelle durch den Bahnbau; Anspruch auf Realersatz im Enteignungsverfahren. |
Über ein Begehren um Ersatz an Wasser im Sinne von Art. 10 EntG hat wie über alle Begehren nach den Artikeln 7-10 EntG die Einsprachebehörde zu entscheiden. Im Verfahren vor der Schätzungskommission können Begehren um Sachleistung allein gestützt auf Art. 18 EntG erhoben werden (E. 3). |
Naturalersatz ist nach Art. 18 EntG nur ausnahmsweise zu leisten. Die Voraussetzungen für eine Realersatzleistung von Wasser sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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In den Jahren 1988 bis 1993 erstellten die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) den Grauholztunnel, der rund 10 m unter dem Bergbrunnen-Quellgebiet verläuft. Da bekannt war, dass der Tunnel verschiedene Quellgebiete unterqueren würde und diese durch die Bauarbeiten beeinträchtigt werden könnten, liessen die SBB im vermuteten Einflussbereich bereits ab Mitte 1983 bis Mai 1998 sämtliche bekannten Quellen und Grundwasserfassungen überwachen.
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Während der Planauflage für die neue Linie erhoben die "Bergbrunnen-Miteigentümer Urtenen-Schönbühl" im Februar 1988 Einsprache und verlangten, dass die Bergbrunnenquelle und die übrigen Quellgebiete am Röduberg unbedingt geschützt würden. Im Falle einer Beeinträchtigung hätten die SBB auf unabsehbare Zeit hinaus für gleichwertiges Ersatzquellwasser aufzukommen und dieses in die Hauptleitung einzuspeisen. An der Einigungsverhandlung vom 14. April 1988 sicherte der Vertreter der SBB der Bergbrunnengemeinschaft gemäss Protokoll zu, dass "in Anwendung von Art. 10 EntG qualitativ und quantitativ gleichwertiges Wasser geliefert werde". Im Anschluss an die Einigungsverhandlungen stellte der Präsident der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 6, sämtliche Einspracheverfahren, in denen Entschädigungs- oder Realersatzbegehren für mögliche künftige Beeinträchtigungen gestellt worden waren, bis nach Inbetriebnahme des Grauholztunnels ein.
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Mit Verfügung vom 27. Oktober 1997 nahm der Schätzungskommissions-Präsident das Verfahren betreffend die Bergbrunnen-Quelle wieder auf, nachdem die Quellberechtigten Festhalten an ihrer Einsprache erklärt hatten. In der Folge legten die SBB die Ergebnisse der Quellüberwachung vor. Nach diesen betrug die Gesamtergiebigkeit der Quelle in den Jahren 1983 bis 1988 440 bis 650 l/min und erreichte der Medianwert (Wassermenge, die während mindestens 6 Monaten pro Jahr geschüttet wird) in dieser Zeit 528 l/min. Ab Sommer 1988 sei ein stetiger Rückgang des Quellergusses festgestellt worden, der ![]() | 5 |
Nach Durchführung weiterer Vergleichsverhandlungen, die alle erfolglos blieben, verpflichtete die Eidgenössische Schätzungskommission die SBB mit Urteil vom 28. November 2001, den Enteigneten eine Enteignungsentschädigung von total Fr. 100'000.- (Fr. 85'000.- als Entschädigung für die Teilenteignung des Quellenrechts sowie Fr. 15'000.- als Inkonvenienzentschädigung) zu entrichten. Gegen dieses Urteil haben die Enteigneten Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und verlangt, dass die SBB verpflichtet würden, den Enteigneten durch Ausführung des Tieferlegungsprojekts qualitativ und quantitativ gleichwertiges Wasser zu liefern bzw. einen Schüttungsmedianwert von mindestens 528 l/min sicherzustellen. Eventuell seien die SBB zu verurteilen, an die Enteigneten einen Betrag von Fr. 588'000.- (zuzüglich Bauteuerung seit März 2000) und einen Betrag für die Inkonvenienzen der Bauarbeiten nach gerichtlichem Ermessen zu bezahlen.
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Gegenstand der Enteignung bilden - abgesehen von den persönlichen Rechten der Mieter und Pächter - dingliche Rechte an Grundstücken sowie die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte (Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung [EntG; SR 711]). Enteignungsobjekt können somit sämtliche dinglichen und nachbarlichen Rechte sein, die im ![]() | 8 |
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Nach Art. 667 Abs. 2 ZGB umfasst das Eigentum an Grund und Boden auch die Quellen. Quellen sind Bestandteile der Grundstücke und können nur zugleich mit dem Boden, dem sie entspringen, zu Eigentum erworben werden (Art. 704 Abs. 1 ZGB). Dagegen kann durch Errichtung einer Servitut ein Recht an Quellen auf fremden Boden begründet werden (Art. 704 Abs. 2 ZGB). Ein solches Recht an einer Quelle belastet das Quellengrundstück mit der Dienstbarkeit der Aneignung und Ableitung des Quellwassers (Art. 780 Abs. 1 ZGB). Ist das Quellenrecht selbständig und dauernd, so kann es als Grundstück in das Grundbuch aufgenommen werden (Art. 780 Abs. 3 ZGB). Das Quellenrecht ermächtigt in der Regel auch zum Bau der zur Wasserfassung und -ableitung nötigen Anlagen, die im Eigentum der Berechtigten stehen (LEEMANN, Berner Kommentar, N. 6 f., 21 zu Art. 780 ZGB; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Zürcher Kommentar, N. 9 zu Art. 704 ZGB; HANS MICHAEL RIEMER, Die beschränkten dinglichen Rechte, 2. Aufl. 2000, S. 83).
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Die Bestimmungen von Art. 706 und 707 ZGB gewährleisten den Schutz der Quellen vor fremden Einwirkungen. Werden Quellen, die zum Zwecke der Verwertung gefasst worden sind, zum Nachteil des Eigentümers oder Nutzungsberechtigten durch Bauten, Anlagen oder Vorkehrungen anderer Art abgegraben, beeinträchtigt oder verunreinigt, so kann dafür Schadenersatz verlangt werden (Art. 706 Abs. 1 ZGB). Werden Quellen, die für die Bewirtschaftung oder Bewohnung eines Grundstücks oder für Trinkwasserversorgungen unentbehrlich sind, abgegraben oder verunreinigt, so kann, soweit überhaupt möglich, nach Art. 707 Abs. 1 ZGB die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangt werden. In den anderen Fällen kann die Wiederherstellung nur verlangt werden, wo besondere Umstände sie rechtfertigen (Art. 707 Abs. 2 ZGB).
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Art. 706 und 707 ZGB gehören zu den nachbarrechtlichen Vorschriften, obschon sie nicht unter dem Randtitel "Nachbarrecht" eingereiht sind (BGE 57 II 58 E. 1; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, a.a.O., N. 17 zu Art. 704 ZGB, N. 4 und 13 zu Art. 706/707 ZGB; ![]() | 12 |
2.3 Für den Bau des Grauholztunnels sind weder die quellenrechtsbelasteten Grundstücke beansprucht, noch ist das Quellenrecht selbst enteignet worden. Ebenso wenig ist auf die im Eigentum der Berechtigten stehenden Anlagen zur Fassung und Ableitung der Bergbrunnen-Quelle gegriffen worden. Vielmehr hat der Tunnelbau der SBB dazu geführt, dass der Quellfluss vermindert und zumindest zeitweise ein Teil des Quellwassers verschmutzt worden ist. Es liegt mit anderen Worten ein Eingriff vor, wie er in Art. 706 ZGB (und allenfalls Art. 707 ZGB) umschrieben ist. Die SBB verfügen von Gesetzes wegen über das Enteignungsrecht (Art. 3 Abs. 1 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 [EBG; SR 742.101]). Die Enteignerin ist als Überbauberechtigte (Art. 674 Abs. 1 und 2 ZGB) oder Baurechtsinhaberin (Art. 675 ZGB) Eigentümerin der Grauholz-Tunnelröhre; als solche trägt sie gegenüber den Eigentümern und Servitutsberechtigten der unterquerten Grundstücke ![]() | 13 |
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3.1 Nach Art. 10 EntG können Rechte an Brunnen, Quellen und anderen Wasserläufen, die für ein Grundstück, eine Wasserversorgung oder eine andere dem allgemeinen Wohl dienende wasserbauliche Anlage unentbehrlich sind, nur enteignet werden, wenn der Enteigner genügenden Ersatz an Wasser leistet. Art. 10 EntG zählt zu den Vorschriften über die Beschränkungen der Enteignung und gilt als Spezialbestimmung zu Art. 7 EntG, wonach der Enteigner die geeigneten Vorkehren zu treffen hat, um die Fortbenützung bestehender öffentlicher Einrichtungen (wie Wege, Brücken, Leitungen usw.) zu gewährleisten und die benachbarten Grundstücke vor Beeinträchtigungen durch sein Unternehmen zu schützen (vgl. HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Bd. I, N. 1 und 16 in fine zu Art. 10 EntG). Einwendungen gegen die Enteignung, die sich auf die Bestimmungen von Art. 7 bis 10 EntG stützen, sind wie die Einsprachen im engeren Sinne und die Planänderungsbegehren im enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren zu erheben (Art. 30 Abs. 1 und Art. 35 EntG). Über Streitigkeiten betreffend die Art und den Umfang solcher Schutz- und Ersatzvorkehren sowie über die Frage, ob und inwieweit die Voraussetzungen für eine Enteignung überhaupt erfüllt seien, hat die Einsprachebehörde zu entscheiden (vgl. Art. 50 und 55 EntG). Dagegen hat sich die Schätzungskommission oder deren Präsident ![]() | 15 |
Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch im Entschädigungsverfahren vor der Schätzungskommission - z.B. für werkbedingte Beeinträchtigungen von Quellen - Sachleistung statt Geldleistung verlangt werden könnte. Solche Begehren um Naturalersatz, die grundsätzlich ebenfalls bereits innert der Eingabefrist anzumelden sind (Art. 36 lit. c EntG), können sich jedoch allein auf Art. 18 EntG stützen (vgl. Art. 64 Abs. 1 lit. a EntG).
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Das Bundesgericht hat sich mit der Auslegung dieser Bestimmung in zwei Entscheiden vom 27. Juni 1979 (BGE 105 Ib 88) und vom 23. April 1992 (E.36/1988) eingehend befasst. In beiden Fällen hat es die von den Enteigneten erhobene Behauptung, ein Anspruch auf Realersatz bestehe nicht nur ausnahmsweise, sondern immer dann, wenn eine Sachleistung möglich sei, klar zurückgewiesen. Wohl sei bei der Gesetzesberatung vor dem Nationalrat das Wort "ausnahmsweise" aus dem Text des Art. 18 EntG gestrichen worden, doch ändere dies nichts daran, dass der Realersatz gegenüber dem in Art. 17 EntG festgelegten Grundsatz der Geldentschädigung eine Ausnahme bilde. Dieser Schluss ergebe sich aus der Systematik des Gesetzes selbst und aus den weiteren Gesetzesmaterialien. Er liege auch deshalb nahe, weil in der Regel dem Enteigner das Enteignungsrecht nicht zur Verfügung stehe, um sich die für eine Sachleistung notwendigen Ersatzgüter zu verschaffen. Ob sich aus Art. 18 EntG überhaupt ein eigentlicher Rechtsanspruch des Enteigneten auf Realersatz herleiten lasse, sei in der Lehre umstritten. Selbst wenn aber von einem solchen auszugehen wäre, so könnte ihm kein unbedingter und absoluter Charakter zukommen. Eine Verpflichtung des Enteigners zur Leistung von Realersatz falle nur dann in Betracht, wenn wesentliche Interessen des Enteigneten auf dem Spiele stünden, so etwa, wenn zufolge der Enteignung ein landwirtschaftliches Gewerbe nicht mehr fortgeführt werden könnte. Jedenfalls könne nicht allein ausschlaggebend sein, dass der Enteigner tatsächlich in der Lage sei, Realersatz zu leisten. Vielmehr sei eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen (vgl. BGE 105 Ib 88 E. 2 und 3, mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien und die Lehre). Im Urteil E.36/1988 vom 23. April 1992 ist beigefügt worden, aus der beispielhaften Erwähnung der Realersatzleistung von Wasser und Wasserkraft in Art. 18 EntG könne nicht geschlossen werden, dass ein solcher Verlust stets in natura ersetzt werden müsse, wenn dies für den Enteigner möglich sei. Art. 18 EntG sei eine "Kann-Vorschrift" und setze, wie bereits dargelegt, eine Abwägung der Interessen des Enteigners und der Enteigneten voraus (E. 1b).
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4.2 Die Interessenabwägung, die die Schätzungskommission hinsichtlich der Realersatzleistung vorgenommen hat, lässt sich - abgesehen davon, dass sie unter Berufung auf Art. 10 EntG erfolgt ist - nicht beanstanden. Im angefochtenen Entscheid wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die verbleibende Ergiebigkeit der Quelle zur Versorgung der Berechtigten noch genügend gross ist und das Wasser lediglich während der heissesten Zeit des Jahres nicht mehr zur Reinigung von Milchgeschirr verwendet werden kann. Das Quellwasser wird denn auch grösstenteils nur für laufende Brunnen oder Viehtränken verwendet und deckt keine lebenswichtigen Bedürfnisse der Berechtigten. Gemäss den Akten sind deren Liegenschaften entweder bereits an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen oder könnten ohne Schwierigkeiten angeschlossen werden. Auf der anderen Seite müsste die Enteignerin, die schon erhebliche Aufwendungen zur Schadensbegrenzung getätigt hat, zur Gewährleistung der früheren Ergiebigkeit der Quelle bauliche Massnahmen treffen, deren Kosten eine halbe Million Franken weit überstiegen. Die Schätzungskommission hat diese Kosten angesichts der verbleibenden Schüttungsmenge und des Verwendungszwecks des Wassers zu Recht als unverhältnismässig hoch bezeichnet. Das Interesse der Enteigneten an Quellwasserersatz vermag daher das Interesse der Enteignerin, unverhältnismässig hohe Aufwendungen für das im öffentlichen Interesse liegende Werk zu vermeiden, nicht zu überwiegen. Dem Realersatzbegehren der Enteigneten kann in Anwendung von Art. 18 EntG nicht stattgegeben werden.
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