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1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Ausländerfragen und Migrationsamt des Kantons Zürich gegen A. und Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
2A.313/2002 vom 29. August 2002 | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 3 und Art. 13b Abs. 1 ANAG, Art. 17 Abs. 2 ANAV, Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK, Art. 103 lit. b OG, Art. 14 Abs. 2 OV-EJPD; Ausschaffungshaft. |
Pflicht des Haftrichters, den Haftentscheid einer eidgenössischen Behörde mitzuteilen (E. 1.2). |
Wegweisung aus dem Kanton als Grundlage für die Ausschaffungshaft (E. 3). |
Pflicht des Haftrichters, eine unter falschem Titel verfügte Haft im Hinblick auf die richtige Gesetzesanwendung zu prüfen (E. 4). |
Folgen der Gutheissung der Behördenbeschwerde gegen einen Haftrichterentscheid, mit welchem der Häftling freigelassen worden ist (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 7. Mai 2002 entschied das Migrationsamt des Kantons Zürich, die bis zum 1. Dezember 1999 gültige Aufenthaltsbewilligung von A. werde nicht verlängert und dieser habe das Gebiet des Kantons Zürich unverzüglich nach Entlassung aus dem Strafvollzug zu verlassen; einem allfälligen Rekurs entzog es die aufschiebende Wirkung. Am gleichen Tag ordnete das Migrationsamt überdies die Ausschaffung nach der Entlassung an und beantragte beim Bundesamt für Ausländerfragen die Ausdehnung der kantonalen Wegweisung auf das ganze Gebiet der Schweiz. Das Bundesamt antwortete mit Schreiben vom 10. Mai 2002, es werde die Ausdehnung erst verfügen, wenn der kantonale Wegweisungsentscheid ![]() | 2 |
Am 27. Mai 2002 wurde A. aus dem Strafvollzug entlassen und dem Migrationsamt zugeführt. Am 27./28. Mai 2002 verfügte dieses die Ausschaffungshaft bis zum 26. August 2002 und stellte beim zuständigen Bezirksgericht Zürich Antrag auf Genehmigung der Haft. Mit Urteil vom 29. Mai 2002 wies der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich das Begehren ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, Ausschaffungshaft setze einen Weg- oder Ausweisungsentscheid voraus, der sich auf die ganze Schweiz beziehe; an dieser Voraussetzung fehle es jedoch, weil das Bundesamt die lediglich für das Gebiet des Kantons Zürich angeordnete Wegweisung von A. bisher nicht auf die ganze Schweiz ausgedehnt habe.
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Gegen das Urteil des Haftrichters vom 29. Mai 2002 erhob das Bundesamt für Ausländerfragen am 21. Juni 2002 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit dem Begehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich liess sich dazu in abweisendem Sinne vernehmen, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen. A. verzichtete auf eine Vernehmlassung. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hat innert Frist keine Stellungnahme eingereicht.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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aus den folgenden Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Das Beschwerderecht der Bundesbehörden soll den richtigen und rechtsgleichen Vollzug des Bundesverwaltungsrechts sicherstellen.
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Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt für Ausländerfragen auch ohne förmliche Zustellung des angefochtenen Entscheids durch den Haftrichter davon rechtzeitig Kenntnis erhalten. Da es somit rechtzeitig Beschwerde führen konnte, wirkte sich die unterbliebene Mitteilung des Haftrichterentscheides nicht nachteilig aus. Dennoch rechtfertigt es sich aus grundsätzlichen Erwägungen, darauf einzugehen.
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Mit der in der Organisationsverordnung getroffenen Regelung gibt es nunmehr zwei eidgenössische Verwaltungseinheiten, die im Bereich des Ausländerrechts zur Beschwerde berechtigt sind: das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement sowie das Bundesamt für Ausländerfragen. Das Departement überlässt die Ergreifung von Rechtsmitteln nicht allein dem genannten Bundesamt, sondern es führt auch selber in ausländerrechtlichen Fällen Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht (vgl. etwa BGE 128 II 193). Es handelt sich somit um eine doppelte - nicht ausschliessliche, ![]() | 11 |
Bei dieser Sachlage obliegt es dem Departement, dafür besorgt zu sein, dass die ihm mitgeteilten anfechtbaren Entscheide den ihm unterstellten, zusätzlich beschwerdeberechtigten Ämtern rechtzeitig weitergeleitet werden und umgekehrt. Es kann weder den kantonalen Haftrichtern in Anwendung von Art. 103 lit. b OG noch dem Bundesgericht in Anwendung von Art. 110 Abs. 1 OG (in Verbindung mit Art. 103 lit. b OG) zugemutet werden, alle von den Bundesbehörden anfechtbaren Entscheide bzw. alle in solchen Fällen eingegangenen Beschwerden doppelt mitzuteilen, nachdem sich die Bundesbehörden ohnehin zu koordinieren haben. Hingegen muss die entsprechende Mitteilung wenigstens an eine der beiden Bundesinstanzen ergehen. Der Haftrichter war somit nicht verpflichtet, sein Urteil sowohl dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement als auch dem Bundesamt für Ausländerfragen zuzustellen; er hat aber Bundesrecht dadurch verletzt, dass er es keiner dieser Bundesbehörden mitgeteilt hat.
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Der Beschwerdegegner wurde nicht in Anwendung von Art. 12 Abs. 1 ANAG "zur Ausreise aus der Schweiz verhalten" (so genannte "formlose Wegweisung"), sondern gemäss Art. 12 Abs. 3 ANAG förmlich weggewiesen. Danach ist ein Ausländer unter anderem dann zur Ausreise verpflichtet, wenn ihm, wie dies vorliegend zutrifft, die Verlängerung einer Bewilligung verweigert wird. Gemäss der gesetzlichen Regelung von Art. 12 Abs. 3 ANAG hat die zuständige Behörde diesfalls den Tag festzusetzen, an dem die Aufenthaltsberechtigung aufhört, d.h. sie hat dem Ausländer eine Ausreisefrist anzusetzen. Ist die Behörde eine kantonale, so hat der Ausländer aus dem Kanton, ist sie eine eidgenössische, so hat er aus der Schweiz auszureisen. Die eidgenössische Behörde kann die Pflicht zur Ausreise aus einem Kanton auf die ganze Schweiz ausdehnen. Art. 17 Abs. 2 letzter Satz der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAV; SR 142.201) präzisiert diese Regel, indem dort festgehalten wird, dass das Bundesamt für Ausländerfragen "in der Regel die Ausdehnung der Wegweisung auf die ganze Schweiz" verfügt, "wenn nicht aus besonderen Gründen dem Ausländer Gelegenheit geboten werden soll, in einem anderen Kanton um eine Bewilligung nachzusuchen".
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3.2 Gemäss dem Wortlaut von Art. 13b Abs. 1 ANAG sowie der Rechtsprechung (BGE 125 II 465 E. 2a S. 467; BGE 124 II 1 E. 1 S. 3; BGE 122 II 148 E. 1 S. 150) braucht der Wegweisungsentscheid nicht rechtskräftig zu sein, um Grundlage für eine Ausschaffungshaft zu bilden. Vielmehr genügt, dass ein erstinstanzlicher Wegweisungsentscheid eröffnet wurde. Die Wegweisung muss somit noch nicht zwingend bereits vollstreckbar sein, der Vollzug hat aber absehbar zu sein, damit es sich rechtfertigt, ihn mit Haft sicherzustellen. Auch Art. 5 Ziff. 1 lit. f der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verlangt als Haftvoraussetzung keine rechtskräftige oder allenfalls bereits vollstreckbare Wegweisung, sondern es genügt, dass der Ausländer "von einem gegen ihn schwebenden" Entfernungsverfahren betroffen ist, d.h. dass gegen ihn ein Entfernungsverfahren eingeleitet worden ist (dazu BBl 1994 I 323f.; PHILIP GRANT, Les mesures de ![]() | 16 |
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Das heisst nun aber nicht, dass die Ausschaffungshaft ausgeschlossen ist, solange keine Ausdehnungsverfügung ergeht. Das Bundesgericht hat seit jeher kantonale Wegweisungsentscheide als Grundlage für die Ausschaffungshaft gelten lassen, ohne näher zu prüfen, ob die Ausdehnung auf die ganze Schweiz bereits verfügt worden war. Schon in BGE 121 II 59 E. 2b S. 61 hat es ohne weitere Einschränkung festgehalten, der Haftrichter habe sich "Gewissheit darüber zu verschaffen, ob ein kantonaler Weg- oder Ausweisungsentscheid oder ein Wegweisungsentscheid einer Bundesbehörde vorliegt". Diese Formulierung ist einzig insoweit zu präzisieren, als es entscheidend auf den Zweck bzw. die Zielrichtung der mit der Haft zu sichernden Wegweisung ankommt. Dabei ist davon auszugehen, dass auch kantonale Wegweisungen in der Regel die Entfernung aus der Schweiz zur Folge haben. Zwar hat der Ausländer ![]() | 18 |
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Auf die Gründe, weshalb die zuständigen eidgenössischen Behörden vorerst nicht über die Ausdehnung entscheiden wollen, kommt es grundsätzlich nicht an. Dass sie im Regelfall die Rechtskraft des kantonalen Wegweisungsentscheides abwarten wollen, wie dies das Bundesamt für Ausländerfragen im vorliegenden Fall erklärt hat, ist nachvollziehbar, lassen sich doch damit widersprüchliche Entscheide bzw. unnötige Rückkommensverfahren vermeiden. Einzig wenn die Ausdehnungsverfügung gerade deshalb zurückgestellt wird, weil der Ausländer beabsichtigt und ernsthaft Aussicht darauf besitzt, in einem anderen Kanton eine Anwesenheitsbewilligung zu erhalten, wäre dies als Hinweis darauf zu werten, dass der kantonale Wegweisungsentscheid nicht als Grundlage für die Ausschaffungshaft genügen könnte.
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3.5 Im vorliegenden Fall liegt ein kantonaler Wegweisungsentscheid gegen den Beschwerdegegner vor, der von diesem angefochten worden ist; das Beschwerdeverfahren ist noch hängig. Der Beschwerdegegner wurde bisher nur aus dem Gebiet des Kantons ![]() | 21 |
Erwägung 4 | |
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4.2 Im vorliegenden Fall stützte sich die Haft nicht etwa auf den einzig bei der Ausschaffungshaft anwendbaren Haftgrund der Untertauchensgefahr gemäss Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG, sondern auf den für beide Haftarten gültigen Haftgrund nach Art. 13b Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 13a lit. e ANAG. Danach kann ein Ausländer je nach den weiteren Voraussetzungen in Vorbereitungs- ![]() | 23 |
5. Nachdem der Beschwerdegegner inzwischen ohnehin aus der Haft entlassen worden ist, rechtfertigt es sich im vorliegenden Verfahren weder, dass das Bundesgericht die weiteren Haftvoraussetzungen selber prüft, noch dass die Angelegenheit an den Haftrichter zurückgewiesen wird zur neuen Beurteilung der Zulässigkeit der Haft (vgl. BGE 128 II 193 E. 2.3; Urteile 2A.96/2002 vom 16. April 2002 sowie 2A.241/2002 und 2A.242/2002, jeweils vom 28. Juni 2002). Es ist Sache der zuständigen kantonalen Behörden, darüber zu entscheiden, ob sie eine erneute Verhaftung anordnen wollen, und gegebenenfalls im entsprechenden Verfahren das Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen zu prüfen.
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