BGE 130 II 193 | |||
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18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen A., B. und C. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1A.153/2003 vom 11. Februar 2004 | |
Regeste |
Art. 9, 12, 18a Abs. 3 und 63 f. IRSG, Art. 69 und 77 BStP, Art. 4 Abs. 3 BÜPF; rechtshilfeweise Entsiegelung und Durchsuchung von Dokumenten und elektronischen Daten einer Anwaltskanzlei. | |
Sachverhalt | |
Am 26. Mai 2003 ersuchte die Staatsanwaltschaft von Neapel die schweizerischen Behörden um internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Das Ersuchen wurde am 6. Juni 2003 ergänzt. Die italienischen Behörden ermitteln gegen X., Y. und weitere Personen wegen Zugehörigkeit zu einer linksextremen "subversiven" bzw. terroristischen Vereinigung und weiteren Delikten. Mit Verfügung vom 27. Mai 2003 übertrug das Bundesamt für Justiz das Rechthilfeverfahren bzw. den Vollzug des Ersuchens an die Schweizerische Bundesanwaltschaft.
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Am 20. Juni 2003 erliess die Bundesanwaltschaft eine Eintretensverfügung. Am 22. Juni 2003 ordnete sie (im Hinblick auf die beantragte Rechtshilfe) strafprozessuale Zwangsmassnahmen an. Gestützt darauf führte die Bundeskriminalpolizei am 23. Juni 2003 Hausdurchsuchungen durch. Davon betroffen ist namentlich die Anwaltskanzlei B. & C. in Zürich. Im Rahmen der Durchsuchung des Advokaturbüros wurden diverse Dokumente und Gegenstände beschlagnahmt und teilweise versiegelt. Ausserdem wurden sämtliche auf dem Informatiknetzwerk der Anwaltskanzlei vorhandenen elektronischen Daten kopiert (bzw. "gespiegelt") und auf Begehren der betroffenen Anwälte versiegelt. Mit Gesuch an das Bundesgericht beantragt die Bundesanwaltschaft die Entsiegelung und Durchsuchung der sichergestellten Dokumente, Gegenstände und elektronischen Dateien. Das zur Vernehmlassung eingeladene Bundesamt für Justiz schloss sich dem Gesuch der Bundesanwaltschaft an.
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Aus den Erwägungen: | |
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Im Rahmen eines Bundesstrafprozesses würde (bis zur Hauptverhandlung) die Anklagekammer des Bundesgerichtes über die Zulässigkeit der Durchsuchung versiegelter Dokumente entscheiden (Art. 69 Abs. 3 BStP; vgl. BGE 127 II 151 E. 4b S. 154). Im vorliegenden Fall ist allerdings kein Bundesstrafprozess hängig. Die Dokumentenbeschlagnahmung erfolgte vielmehr im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens (Art. 63 f. IRSG). Für die Beurteilung verfahrensleitender Gesuche der ausführenden Bundesbehörde ist in Rechtshilfesachen grundsätzlich die I. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes zuständig (Art. 2 Ziff. 1 al. 2 des Reglementes für das Schweizerische Bundesgericht vom 14. Dezember 1978 [SR 173.111.1]). Es handelt sich dabei um einen Zwischenentscheid des Zwangsmassnahmengerichtes im Rechtshilfeverfahren (vgl. BGE 127 II 151 E. 4c/cc S. 157; BGE 126 II 495 E. 3 S. 498; vgl. auch BGE 122 IV 188).
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4.1 Die rechtshilfeweise beantragten Zwangsmassnahmen sind nach den Vorschriften des schweizerischen Strafprozessrechts durchzuführen (Art. 64 Abs. 1 Satz 2 und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 IRSG; vgl. auch Art. 3 Ziff. 1 EUeR [SR 0.351.1]). Das Bundesgericht beurteilt das vorliegende Gesuch um Entsiegelung und Durchsuchung nicht als Rechtshilferichter, sondern als Zwangsmassnahmengericht im Rechtshilfeverfahren. Es prüft dabei im Rahmen eines Zwischenentscheides, ob die Voraussetzungen von Art. 69 BStP erfüllt sind (vgl. Art. 9 IRSG).
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4.3 Zwar kann im Entsiegelungsverfahren nicht verlangt werden, dass die gesuchstellende Bundesanwaltschaft bereits darlegt, inwiefern ein konkreter Sachzusammenhang zwischen der ausländischen Strafuntersuchung und den einzelnen beschlagnahmten Dokumenten bestünde. Ein solcher Sachzusammenhang wäre erst (nach erfolgter Entsiegelung und Durchsuchung der beschlagnahmten Akten) im Rahmen einer allfälligen Schlussverfügung aufzuzeigen, mit der die rechtshilfeweise Herausgabe von Akten bewilligt würde (vgl. BGE 129 II 462 E. 5.3 S. 467 f.; BGE 122 II 367 E. 2c S. 371). Im Falle der Beschlagnahme und Entsiegelung von Anwaltsakten muss die gesuchstellende Behörde jedoch wenigstens aufzeigen, inwiefern die betroffene Anwaltskanzlei in die untersuchten strafbaren Vorgänge verwickelt sein könnte (vgl. BGE 126 II 495 E. 5e/dd S. 505; s. auch Art. 4 Abs. 3 BÜPF i.V.m. Art. 18a Abs. 3 IRSG). In diesem Sinne muss dem Zwangsmassnahmenrichter die erfolgte Beschlagnahme sowie die hier streitige Entsiegelung und Durchsuchung (im Lichte von Art. 69 Abs. 2 BStP und Art. 36 Abs. 3 BV) sachgerecht und verhältnismässig erscheinen. Dies gilt besonders bei einer umfangreichen Beschlagnahme von anwaltlichen Dokumenten wie im vorliegenden Fall.
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Im italienischen Rechtshilfeersuchen wird dargelegt, dass sich die Strafuntersuchung gegen Mitglieder einer (den "Brigate Rosse" zuzurechnenden) linksextremen terroristischen Vereinigung ("BR-PCC" bzw. "Cellula") richte, die für die Ermordung des Professors Massimo d'Antona verantwortlich sei. Am 12. Oktober 1989 seien in Paris die flüchtigen Rotbrigadisten D., E. und F. festgenommen worden. Im Sommer 2000 habe in Paris eine internationale Tagung zur Unterstützung so genannter "inhaftierter Revolutionäre" stattgefunden ("Giornata internazionale per il rivoluzionario prigioniero", GIRP). An dieser Veranstaltung sei u.a. X. anwesend gewesen. Dieser gehöre der (neuen) Kommunistischen Partei Italiens an bzw. sei Mitglied der vorbereitenden Kommission für den Gründungskongress der (neuen) Kommunistischen Partei. Diese Gründungskommission sei laut Ersuchen als "subversiv" ("sovversiva") einzustufen. A., die als Sekretärin in der betroffenen Anwaltskanzlei arbeitet, habe an der erwähnten Tagung zu Gunsten so genannter "inhaftierter Revolutionäre" (GIRP) ebenfalls aktiv teilgenommen. In der Folge sei sie in ständigem Kontakt mit X. geblieben und habe ihm Hinweise über Aufenthaltsmöglichkeiten während der Veranstaltung in Paris gegeben. Auf diese Weise habe sie "subtile Gesprächsverbindungen" geknüpft.
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Darüber hinaus seien die elektronischen Daten auf dem Netzwerk der Anwaltskanzlei kopiert und die Harddisk des Servers beschlagnahmt worden. Entgegen der irreführenden Bezeichnung im Hausdurchsuchungsprotokoll handle es sich beim "Büro B" nicht bloss um den Arbeitsplatz der (zu 50 % angestellten) A., sondern um das Sekretariat der Anwaltskanzlei, in welchem auch andere Personen arbeiteten. Unter den sichergestellten Daten befänden sich die Files (elektronischen Dossiers) der Klientschaft. In der Datenbank "Plato" seien "die Korrespondenz mit dem Mandanten, Anwälten, Drittpersonen und Gerichten" gespeichert sowie "Rechtsschriften, Aktennotizen, teilweise elektronisch eingelesene Unterlagen, Adress- und andere klientenspezifische Angaben sowie die Aufwandsabrechnungen". Auf dem Server befinde sich ausserdem "der gesamte bürointerne Mail-Verkehr" sowie die elektronische anwaltliche Agenda von Rechtsanwalt B.
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5.1 Der blosse Umstand, dass in einer Anwaltskanzlei eine Person angestellt ist, der in einem Rechtshilfeersuchen vorgeworfen wird, sie habe gewisse Kontakte zu Angehörigen einer "subversiven" Organisation (mit Verbindungen zu einer terroristischen Vereinigung) gepflegt, rechtfertigt nicht die Entsiegelung und Durchsuchung sämtlicher beschlagnahmten Dokumente und sichergestellten elektronischer Daten im Sekretariat der betroffenen Anwaltskanzlei. Dies umso weniger, als bei einem Advokaturbüro nicht ausgeschlossen werden kann, dass fragliche Kontakte zu den verdächtigten Personen auf einem anwaltlichen Mandatsverhältnis beruhen könnten. Namentlich könnte der blosse Umstand, dass ein Anwalt Personen vertritt, gegen die ein Strafverfahren hängig ist, nicht dazu führen, dass unterschiedslos sämtliche Dokumente und elektronischen Daten im Sekretariat der fraglichen Anwaltskanzlei beschlagnahmt, entsiegelt und durchsucht werden.
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Wie in Erwägungen 4.2-4.3 näher ausgeführt wurde, müsste im Gesuch um Entsiegelung und Durchsuchung zunächst dargelegt werden, inwiefern die fraglichen Treffen oder Korrespondenzen der Kanzleiangestellten über die üblichen Kontakte zwischen einem Advokaturbüro und der allfälligen Klientschaft deutlich hinausgehen. Zudem müsste - nötigenfalls gestützt auf eine Ergänzung des Rechtshilfeersuchens - wenigstens summarisch aufgezeigt werden, inwiefern anzunehmen ist, dass die Beschlagnahme, Entsiegelung und Durchsuchung von Anwaltsakten rechtshilfeweise zur Klärung von untersuchten Straftaten beitragen könnte. Gemäss dem Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs ist die Überwachung einer Person, die nach dem anwendbaren Strafverfahrensrecht als Berufsgeheimnisträgerin das Zeugnis verweigern kann, grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn gegen den betroffenen Anwalt selbst dringender Tatverdacht besteht oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der anwaltliche Telefonanschluss für kriminelle Zwecke missbraucht wird (vgl. Art. 4 Abs. 3 BÜPF i.V.m. Art. 18a Abs. 3 IRSG).
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5.2 Weder das vorliegende Gesuch um Entsiegelung und Durchsuchung von anwaltlichen Dokumenten noch das italienische Rechtshilfeersuchen vom 26. Mai 2003 enthalten entsprechende sachdienliche Angaben. Das in der Eintretensverfügung der Bundesanwaltschaft vom 20. Juni 2003 beiläufig erwähnte ergänzende Ersuchen vom 6. Juni 2003 befindet sich nicht unter den eingereichten Akten. Am 1. Oktober 2003 wurde die Bundesanwaltschaft eingeladen, eine Replik zu den Einwänden der Gesuchsgegner einzureichen. Innert der auf 22. Oktober 2003 angesetzten Frist ist keine Stellungnahme erfolgt.
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Bei dieser Sachlage ist das Gesuch um Entsiegelung und Durchsuchung abzuweisen. Über das bereits Gesagte hinaus wäre auch nicht ersichtlich, wie die vom Richter vorzunehmende "Triage" ohne nähere Angaben sachgerecht bewerkstelligt werden könnte. Es steht den zuständigen Bundesbehörden frei, zu prüfen, ob sie gegebenenfalls konkretere Informationen der italienischen Behörden zur angeblichen Verstrickung der Gesuchsgegner in "subversive" (oder gar terroristische) Umtriebe einholen und gestützt darauf ein neues Entsiegelungsgesuch stellen oder aber über das Rechtshilfeersuchen per Schlussverfügung entscheiden wollen.
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