BGE 130 II 313 | |||
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30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Munizipalgemeinde Lalden und WWF Schweiz gegen Staatsrat des Kantons Wallis, Gemeinde Baltschieder, Gemeinde Visp und Kantonsgericht Wallis (Verwaltungsgerichts- beschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) |
1A.171/2003 / 1A.197/2003 / 1P.489/2003 vom 8. Juni 2004 | |
Regeste |
Beseitigung von Ufervegetation (Art. 22 Abs. 2 NHG). |
Offen gelassen, ob Ufervegetation für andere im öffentlichen Interesse liegende Projekte gerodet werden darf, wenn hierfür auch das Gewässer selbst in Anspruch genommen werden dürfte (E. 3.6). | |
Sachverhalt | |
Der Staatsrat des Kantons Wallis genehmigte in einem koordinierten Entscheid vom 18. Dezember 2002 das Projekt einer provisorischen Entlastungsstrasse als Nordumfahrung von Visp und wies die gegen das Projekt erhobenen Einsprachen überwiegend ab. Gleichzeitig erteilte er die Bewilligung für die Rodung von 4'232 m2 Wald und von 799 m2 Ufervegetation sowie eine Bewilligung für technische Eingriffe in ein Fischgewässer und eine Ausnahmebewilligung für die Überdeckung des Laldnerkanals.
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Das Projekt soll provisorisch, bis zur Inbetriebnahme der Nationalstrasse A9, Südumfahrung Visp, die Kantonsstrasse zwischen Visp und Brig entlasten. Dort staut sich der Feierabendverkehr regelmässig und in erheblichem Ausmass. Bei Überlastung soll der nach Westen strebende Leichtverkehr (bis 3.5 t) die Kantonsstrasse über die "blaue Brücke" bei Brigerbad oder über die Laldnerbrücke bei Eyholz verlassen und auf die Nordseite des Rotten ausweichen können.
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Gegen den Entscheid des Staatsrates erhoben unter anderen die Munizipal- und Bürgergemeinde Lalden sowie der WWF Schweiz Beschwerde an das Kantonsgericht. Dieses wies die Beschwerden mit separaten Urteilen je vom 17. Juli 2003 ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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Die kantonalen Instanzen haben mit den Verfassern des UVB offenbar angenommen, dass die vom Projekt betroffene Vegetation am Rottenufer entweder als Wald oder als Ufervegetation im Sinne von Art. 21 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) zu qualifizieren sei. Indessen gilt Wald, der die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt, gleichzeitig auch als Ufervegetation im Sinne von Art. 21 NHG. Das hat zur Folge, dass für seine Entfernung sowohl eine Rodungsbewilligung nach Waldgesetz als auch eine naturschutzrechtliche Bewilligung nach Art. 22 Abs. 2 NHG erforderlich sind, und dass - wenn die Rodungsbewilligung erteilt werden kann - Massnahmen gemäss Art. 18 Abs. 1ter NHG zu treffen sind (BGE 115 Ib 224 E. 5c/ca S. 228).
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Die als Wald bezeichnete Bestockung entlang dem Rottenufer besteht aus Bäumen, wie sie häufig entlang Gewässern anzutreffen sind. Dies gilt namentlich für die Grau-Erlen und Weiden. Dieser Umstand sowie die Entstehung und die Lebensbedingungen dieser nach der letzten Rottenkorrektion entstandenen Bestockung legen die Vermutung nahe, dass auch der Wald als Ufervegetation im Sinne von Art. 21 NHG anzusehen ist. Wie es sich damit verhält, kann indessen offen bleiben, da neben der Rodung von Wald so oder so auch klarerweise als Ufervegetation zu klassierende Vegetation entfernt werden soll.
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"Sie (die zuständige kantonale Behörde) kann die Beseitigung der Ufervegetation bewilligen, wenn es das öffentliche Interesse erfordert. (...)"
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Diese Bestimmung wurde durch Art. 75 Ziff. 2 des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 (GSchG; SR 814.20; AS 1992 S. 1860, 1883) neu wie folgt gefasst:
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"Sie kann die Beseitigung der Ufervegetation in den durch die Wasserbaupolizei- oder Gewässerschutzgesetzgebung erlaubten Fällen für standortgebundene Vorhaben bewilligen."
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Der Ausdruck "erlaubt" ist nach dem Wortlaut so zu verstehen, dass es sich um in diesen Erlassen vorgesehene bzw. zugelassene Eingriffe handeln muss. Nicht ganz ausgeschlossen erscheint indessen auch, ihn so aufzufassen, dass es sich um Projekte handeln muss, die der erwähnten Gesetzgebung nicht widersprechen bzw. davon nicht ausdrücklich untersagt sind.
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Die Materialien erhellen die Frage kaum. In der Botschaft des Bundesrates vom 29. April 1987 (BBl 1987 II 1061 ff.) wird zur Anpassung des NHG auf die häufigen Zerstörungen von Ufervegetation hingewiesen und festgehalten, dass dieser Zustand verbessert werden solle. In der deutsch- und italienischsprachigen Botschaft bezieht sich dieser Hinweis auf den gleichzeitig revidierten Art. 21 Abs. 2 NHG; zur hier interessierenden Bestimmung wird nichts ausgeführt (a.a.O., S. 1167; italienisch: FF 1987 II 972). In der französischsprachigen Botschaft finden sich inhaltlich die gleichen Erläuterungen; sie beziehen sich dort indessen generell auf das NHG, ohne Bezug auf bestimmte Artikel bzw. Teile davon (FF 1987 II 1190). Das rechtfertigt den Schluss, dass die Teilrevision ganz generell den Schutz der Ufervegetation verstärken sollte. Die Räte stimmten der Änderung diskussionslos zu (AB 1988 S 664-666, AB 1989 N 1088-1090).
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Im Schrifttum war zur Revisionsvorlage ausgeführt worden, es sei vorgesehen, den relativ offenen Begriff des öffentlichen Interesses durch eine engere und präzisere Umschreibung zu ersetzen (HANS-PETER JENNI, Rechtsfragen zum Schutzobjekt Biotope und insbesondere Ufervegetation gemäss NHG und angrenzenden Gesetzen, Schriftenreihe Umwelt Nr. 126, BUWAL [Hrsg.], Bern 1990, S. 17).
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"Elle peut autoriser la suppression de la végétation existant sur des rives dans le cas de projets qui ne peuvent être réalisés ailleurs et qui ne contreviennent pas à la législation en matière de police des eaux et de protection des eaux."
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Dieser Wortlaut spricht bei erster Betrachtung für die zweite der zuvor erwähnten Auslegungsvarianten. Indessen entspricht er nicht dem im bundesrätlichen Gesetzesentwurf (FF 1987 II 1228) enthaltenen Text, der wie folgt lautete:
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"Elle peut autoriser la suppression de la végétation existant sur des rives dans les cas admis par les législations sur la police ou la protection des eaux pour les projets imposés par leur destination."
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Diese Fassung, die für die striktere Auslegung des deutschen Textes spricht, wurde wie erwähnt vom Parlament kommentarlos genehmigt. Die nachträglich vorgenommenen Änderungen erfolgten offenbar aus sprachlichen Gründen und erst, nachdem die Redaktionskommission den Text verabschiedet hatte (vgl. die Erklärung von Nationalrat Rebeaud, Berichterstatter, vor der Schlussabstimmung über die Vorlage, AB 1991 N 192). Der französische Gesetzestext gibt nach dem Gesagten den vom Parlament genehmigten Sinn nur unzureichend wieder.
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Dies bestätigt der italienische Gesetzestext: Er entspricht der ursprünglichen französischsprachigen Fassung der Botschaft:
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"Essa può autorizzare, per progetti che non possono essere realizzati altrove, la rimozione della vegetazione ripuale nei casi ammessi dalla legislazione sulla polizia delle opere idrauliche o da quella sulla protezione delle acque."
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Für diese Auslegung spricht nicht nur der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte, sondern auch der Gesetzeszweck: Es ist nicht einzusehen, welchen Sinn es haben sollte, in einer auf die Verstärkung des Schutzes der Ufervegetation gerichteten Revision auf die Voraussetzung des öffentlichen Interesses zu verzichten, wenn nicht an deren Stelle eine Regelung tritt, welche den erwünschten Schutz mindestens ebenso gut gewährleistet wie die bisherige. Die Auslegung, nach welcher ein Vorhaben von der Wasserbaupolizei- und der Gewässerschutzgesetzgebung nicht geradezu verboten sein darf, würde diesen Schutz auch in Verbindung mit dem Kriterium der Standortgebundenheit nicht sicherstellen. Dies kann nicht die Absicht der Revision gewesen sein. Durch die Beschränkung auf Eingriffe, die durch die fraglichen Gesetze ausdrücklich zugelassen werden, wird demgegenüber die Zahl der möglichen Eingriffe wie auch der Entscheidungsspielraum der zuständigen Behörde begrenzt, die neben den Minimalbestimmungen von Art. 18 und 21 NHG auch die - u.U. strengeren - Voraussetzungen nach den anwendbaren Spezialgesetzen berücksichtigen muss (JENNI, Rechtsfragen zum Schutzobjekt Biotope, a.a.O., S. 28 f.).
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Im vorliegenden Fall wird der Uferbereich eines Fliessgewässers für den Bau einer Strasse beansprucht. Dies fällt klarerweise nicht unter die durch die Wasserbaupolizei- oder Gewässerschutzgesetzgebung erlaubten Fälle.
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Überträgt man diese Argumentation auf den vorliegenden Fall, in dem es um das Ufer eines Flusses und nicht eines Sees geht, könnte die Rodung der Ufervegetation für den Strassenbau bewilligt werden, wenn hierfür auch das Fliessgewässer (hier: der Rotten) selbst in Anspruch genommen werden könnte, beispielsweise durch dessen Verbauung und Korrektur (Art. 37 GSchG) oder dessen Überdeckung und Eindolung (Art. 38 GSchG).
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Im vorliegenden Fall kann jedoch offen bleiben, ob der Argumentation des Waadtländer Verwaltungsgerichts grundsätzlich zu folgen ist und wenn ja, welche Norm im vorliegenden Fall heranzuziehen wäre, da weder die Voraussetzungen für eine Schüttung (Art. 39 GSchG) noch für Eingriffe in ein Fliessgewässer gemäss Art. 37 f. GSchG vorliegen:
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Eine Schüttung kann nur in einem überbauten Gebiet bewilligt werden (Art. 39 Abs. 2 lit. a GSchG), d.h. in Fällen, in denen das Vorhaben nicht auch landseitig realisiert werden könnte (Botschaft zum Gewässerschutzgesetz, BBl 1987 II 1144 f. zu Art. 39). Das Gebiet zwischen dem Lonza-Areal und der Baltschiederbrücke nördlich des Rotten ist jedoch nicht überbaut.
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Art. 38 Abs. 2 lit. b GSchG lässt die Überdeckung eines Fliessgewässers für Verkehrsübergänge zu, d.h. um die Überquerung eines Gewässers durch Verkehrsanlagen zu ermöglichen. Dagegen wäre es nicht zulässig, ein Gewässer neu einzudolen oder zu überdecken, um darüber eine Strasse zu errichten. Auch die Voraussetzungen von Art. 37 Abs. 1 GSchG liegen offensichtlich nicht vor.
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