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6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Politische Gemeinde Weinfelden und Enteignungskommission sowie Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1A.74/2004 vom 20. Dezember 2004 | |
Regeste |
Art. 26 Abs. 2 BV und Art. 5 Abs. 2 RPG; materielle Enteignung; Realisierungswahrscheinlichkeit einer künftigen besseren Grundstücknutzung; Verstoss der Behörde gegen Treu und Glauben. |
Rückweisung der Sache an das Verwaltungsgericht zur Neuregelung der prozessualen Kosten- und Entschädigungsfolgen und an die kantonale Enteignungskommission zur Festsetzung der Entschädigung wegen materieller Enteignung (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Im Zonenplan von 1953 war das Chalet auf Parzelle Nr. 873 mit einem Umschwung von rund 800 m2 der Wohnzone B zugeteilt. Die restliche Grundstückfläche von etwa 1'800 m2 lag in der Grünzone. Mit dem Zonenplan von 1984 wurde die gesamte Parzelle in die Wohnzone für Einfamilienhäuser in Hanglage, W2EH, aufgenommen.
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Im Jahr 1996 beschloss der Gemeinderat Weinfelden eine Teilrevision der Ortsplanung, respektive des Zonenplans von 1984. Der revidierte Plan sah vor, den nordöstlichen Teil der Parzelle Nr. 873 mit einer Fläche von rund 1'775 m2 der Freihaltezone zuzuweisen und den verbleibenden Teil von 875 m2 in der W2EH zu belassen. X. erhob dagegen Einsprache, welche der Gemeinderat am 23. April 1999 abwies. Daraufhin beschloss der Grosse Gemeinderat die Teilrevision des Zonenplans am 30. März 2000. Die dagegen beim Departement für Bau und Umwelt (DBU) eingereichte Beschwerde von X. wies das Departement nach einem Augenschein am 16. Februar 2001 ab. Dieser Entscheid erwuchs in Rechtskraft. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau genehmigte den Zonenplan mit RRB Nr. 392 am 24. April 2001.
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Hierauf reichte X. bei der Enteignungskommission Klage wegen materieller Enteignung ein und verlangte von der Gemeinde Weinfelden eine Entschädigung von Fr. 769'497.80 nebst Zins zu 5 % seit 23. Februar 2001. Die Enteignungskommission wies die Klage am 23. Oktober 2002 ab.
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Am 25. Oktober 2002 hiess demgegenüber das DBU eine Aufsichtsbeschwerde von X. gut, welche dieser gegen die Gemeinde ![]() | 5 |
Gegen den Entscheid der Enteignungskommission vom 23. Oktober 2002 gelangte X. ans Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau. Er erneuerte seine Forderung nach einer Entschädigung wegen materieller Enteignung. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 4. Februar 2004 ab.
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Mit Eingabe vom 29. März 2004 erhebt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt, in Aufhebung des Urteils vom 4. Februar 2004 sei das Vorliegen einer materiellen Enteignung zu bestätigen und die Sache zur Festsetzung der Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren. Der Beschwerdeführer weist überdies darauf hin, dass er derzeit mit dem (neuen) Gemeinderat über eine Übernahme des im Streit liegenden Grundstückes verhandle.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schliesst unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid auf Abweisung der Beschwerde. Aufgrund der aussergewöhnlichen Situation scheint ihm ein Augenschein nützlich. Die Gemeinde Weinfelden und das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Mit Schreiben vom 24. November 2004 erkundigte sich das Bundesgericht beim Beschwerdeführer über den Stand der Dinge hinsichtlich allfälliger Übernahmeabsichten seitens der Gemeinde. In seiner Antwort vom 25. November 2004 erklärt der Beschwerdeführer, er habe dem Gemeinderat am 25. März 2004 eine detaillierte Offerte vorgelegt, in der Folge jedoch nichts mehr gehört. Auf seine Nachfrage hin, habe ihm der Gemeinderat am 6. Mai 2004 ohne weitere Begründung mitgeteilt, dass er auf einen Kauf verzichte. Im Verlaufe der nachfolgenden Gespräche über mögliche Erschliessungsvarianten habe der Beschwerdeführer vorgeschlagen, mit dem kantonalen Baudirektor informell eine Erschliessung von Norden her zu besprechen. Am 9. November 2004 habe ein Augenschein mit dem zuständigen Regierungsrat, dem Gemeindeammann und dem Beschwerdeführer stattgefunden. Der ![]() | 9 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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Indessen hat das Verwaltungsgericht in Abrede gestellt, dass eine künftige Nutzung im Zeitpunkt der Auszonung mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft möglich gewesen wäre. Wie der Augenschein klar gezeigt habe, hätte aufgrund des Steilhanges und der bestehenden Bebauung am 24. April 2001 offensichtlich nicht in naher Zukunft mit einer direkten Zufahrt zur Parzelle Nr. 873 gerechnet werden können, weder von Norden her noch durch Verlängerung des privaten Erschliessungssträsschens im Westen.
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3.2 Dem hält der Beschwerdeführer ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Behörden entgegen. Die Gemeinde habe seit über 50 Jahren ihre gesetzliche Pflicht zur Erstellung einer hinreichenden Zufahrt vernachlässigt. Sie sei sich dieser Pflicht all die Jahre bewusst gewesen, was beispielsweise ein Brief des damaligen und heutigen Bauamtchefs vom 2. November 1984 belege: In dem erwähnten Schreiben habe der Bauamtchef festgehalten, dass die Gemeinden verpflichtet sind, die definitiven Bauzonen zu erschliessen. Sowohl sein Rechtsvorgänger als auch er, der Beschwerdeführer selber, seien in der Folge stets auf später vertröstet worden, ohne dass je etwas geschehen wäre. Im Gegenteil habe der Gemeinderat rund um die Parzelle Nr. 873 verschiedene Bauvorhaben bewilligt, welche eine vorerst noch mögliche Erschliessung von Süden her zunehmend illusorisch gemacht hätten. Die Gemeinde habe 1984 - trotz der bereits damals ausdrücklich bestätigten Erschliessungspflicht - den gesamten Rest des Grundstückes Nr. 873 sowie die entsprechenden Teilflächen aller westlich angrenzenden ![]() | 12 |
Auf das Erfordernis der Realisierungswahrscheinlichkeit kann es nach Auffassung des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht ankommen, weil die Gemeinde mit der Einzonung "aus sozialen Gründen" und der anschliessenden Umgehung der Erschliessungspflicht rechtsmissbräuchlich gehandelt habe. Abgesehen davon hätten die Vorinstanzen das Kriterium der Realisierungswahrscheinlichkeit deutlich überspannt. Den Vergleich mit dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil 1A.305/1997 vom 24. August 1998 lässt der Beschwerdeführer nicht gelten. Weiter führt er aus, nachdem 1946 ein Einfamilienhaus auf Parzelle Nr. 873 erstellt worden sei, bestehe seit Jahrzehnten ein gesetzlicher Anspruch auf Erstellung einer Zufahrt. Erschliessungspflichtig war und sei die Gemeinde, welche die Erschliessungskosten mehrheitlich auf die Grundeigentümer abwälzen könne. Werde die Realisierungswahrscheinlichkeit bloss verneint, weil eine von der Gemeinde geschuldete Leistung ausstehe, so liege bei einer Auszonung dennoch eine entschädigungspflichtige Enteignung vor.
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3.3 Nachdem die Auszonung nicht bestritten wird, ist zu beurteilen, ob die Möglichkeit einer künftigen besseren Nutzung des Grundstückes am 24. April 2001 mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft gegeben gewesen wäre. Die für das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Auszonung erforderliche, hinreichend hohe Realisierungswahrscheinlichkeit beurteilt sich anhand aller rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten, welche die künftige Nutzungsmöglichkeit beeinflussen können. Dazu gehören die eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Bauvorschriften, der Stand der kommunalen und kantonalen Planung, die Lage und Beschaffenheit des Grundstücks, die Erschliessungsverhältnisse und die bauliche Entwicklung in der Umgebung. Dabei ist in erster Linie ![]() | 14 |
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3.5 Die Parzelle Nr. 873 liegt aufgrund der im Jahre 2001 abgeschlossenen Ortsplanungsrevision mit ca. 875 m2 in der Wohnzone für Einfamilienhäuser in Hanglage. Zuvor war das gesamte Grundstück dieser Zone zugeteilt. Da es sich hierbei um eine Bauzone im Sinn von § 35 PBG/TG handelt, ist die Gemeinde grundsätzlich erschliessungspflichtig. Offenbar hatte die Gemeinde im ![]() | 16 |
Hinzu kommt, dass sich die Gemeinde ihrer Erschliessungspflicht sehr wohl bewusst war. So hielt der Bauamtchef in der Einladung zu einer Aussprache zwischen Architekten und Gemeindevertretern am 2. November 1984 u.a fest:
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"Mit dem neuen Weinfelder Zonenplan ist das Gebiet "Im Kappeler" der Wohnzone für Einfamilienhäuser in Hanglage zugeordnet worden. Der Eigentümer der Parzelle Nr. 873 möchte diese zonengemäss überbauen. Bis heute fehlt eine ausreichende Zufahrt. Gemäss § 17 des kantonalen Baugesetzes sind die Gemeinden verpflichtet, die definitiven Bauzonen zu erschliessen."
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Das DBU hat denn die Gemeinde auch aufgefordert, die planerische Erschliessung der Parzelle Nr. 873 bis Ende März 2003 einzuleiten. Als massgebliche Massnahme nannte das Departement das Gestaltungsplanverfahren im Sinn von § 37 PBG/TG. In der Folge wurden als Erschliessungsvarianten die Zufahrt von Norden her über die Schnellerstrasse geprüft sowie eine Erschliessung per ![]() | 19 |
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In diesem Sinne wird auch in der Literatur angeführt, dass in Auszonungsfällen die Realisierungswahrscheinlichkeit nicht überspannt werden dürfe. Betroffen sei Land, das nach den Regeln des Bundesrechts einer Bauzone zugewiesen war und für das demgemäss eine begründete Erwartung auf Überbaubarkeit bestanden habe. Angesichts der in Art. 19 RPG verankerten Erschliessungspflicht des Gemeinwesens könne namentlich der blosse Umstand, dass das ausgezonte Grundstück nicht oder nicht vollständig erschlossen ist, kaum zum Ausschluss der Entschädigungspflicht führen (ENRICO RIVA, Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 5 Rz. 163 Fn. 210).
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Die Gerichtsgebühr ist der unterliegenden Gemeinde Weinfelden aufzuerlegen, die im vorliegenden Verfahren in Wahrung ihrer Vermögensinteressen gehandelt hat (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG). Die Gemeinde hat zudem dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 OG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
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