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53. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. MCH Messe Schweiz AG und MCH Messe Basel AG gegen Bundesamt für Gesundheit sowie Eidgenössisches Depar- tement des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
2A.69/2005 vom 17. Oktober 2005 | |
Regeste |
Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 103 lit. a OG; Art. 10 Epidemiengesetz; SARS-Verordnung. Sofortmassnahmen zur Verminderung des Übertragungsrisikos des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms. |
Keine Überprüfung des Inhaltes der gegenstandslos gewordenen gesundheitspolizeilichen Massnahmen (E. 2). |
Zuständigkeit des Bundesrates, anstelle der Kantone die geboten erscheinenden Abwehrmassnahmen zu beschliessen (E. 3.1). |
Ermächtigung des Bundesamtes für Gesundheit, zur Bekämpfung von SARS "Sofortmassnahmen" zu verfügen (E. 3.2 und 3.3). |
Verletzung des Anspruches auf Gewährung des rechtlichen Gehörs durch Nichtprotokollierung einer dringlich einberufenen Sitzung, an welcher der betroffene Messeveranstalter erstmals zu den ins Auge gefassten gesundheitspolizeilichen Massnahmen angehört wurde (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 31. März 2003 gelangte die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich an das Bundesamt und verlangte die Absage der Messe. ![]() | 2 |
Art. 1 Zweck
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Diese Verordnung soll Sofortmassnahmen zur Verminderung des Übertragungsrisikos von SARS ermöglichen.
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Art. 2 Massnahmen
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Das Bundesamt für Gesundheit wird ermächtigt, die zur Verminderung des Übertragungsrisikos von SARS notwendigen Sofortmassnahmen zu treffen und die entsprechenden Verfügungen zu erlassen. Insbesondere kann es verfügen, dass Personen, die nach dem 1. März 2003 aus gefährdeten Gebieten eingereist sind, keine beruflichen Tätigkeiten ausüben dürfen, die sie in Kontakt mit einer grösseren Anzahl Personen bringen.
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Art. 3 Inkrafttreten
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Diese Verordnung tritt am 1. April 2003 in Kraft und gilt bis zum 30. Juni 2003.
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Noch am 1. April 2003 erliess das Bundesamt folgende, an die Messe Basel adressierte Verfügung:
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1. Die Messe Schweiz muss sicherstellen, dass die Aussteller der Messe für Uhren und Schmuck in Basel und Zürich (BASELWORLD) keine Personen an der Messe beschäftigen, die sich nach dem 1. März 2003 in den Ländern China, Hongkong, Singapur oder Vietnam aufgehalten haben und von dort direkt oder indirekt in die Schweiz eingereist sind.
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2. Die Messe Schweiz muss die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit vom 1. April 2003 zur Verhinderung von SARS-Verdachtsfällen an der BASELWORLD befolgen.
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3. Die Messe Schweiz wird darauf hingewiesen, dass je nach weiterer Entwicklung von SARS weitergehende Massnahmen notwendig werden.
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4. Die Kantone Basel-Stadt und Zürich werden mit der Überwachung der Massnahme gemäss Ziffern 1 und 2 dieser Verfügung beauftragt.
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5. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Verfügung wird gemäss Artikel 35 Absatz 2 des Epidemiengesetzes (SR 818.101) mit Haft oder Busse bestraft.
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6. Einer allfälligen Beschwerde wird die aufschiebende Wirkung entzogen.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 31. Januar 2005 beantragen die Messe Schweiz und die Messe Basel dem Bundesgericht, den Beschwerdeentscheid des Eidgenössischen Departements des Innern vom 22. Dezember 2004 aufzuheben.
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Das Eidgenössische Departement des Innern beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werde.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
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2.2 Dem ist vorab entgegenzuhalten, dass seuchenpolizeiliche Anordnungen, welche die Durchführung einer Messe behindern oder verunmöglichen können, nicht notwendigerweise in jedem Fall derart kurzfristig vor der betreffenden Veranstaltung ergehen, dass eine ![]() | 23 |
2.3 Was den Inhalt der - mit den Interessen der Messeveranstalter potentiell kollidierenden - gesundheitspolizeilichen Massnahmen anbelangt, so besteht jedoch wenig Wahrscheinlichkeit, dass sich die der Verfügung des Bundesamtes für Gesundheit vom 1. April 2003 zugrunde liegende Sach- und Problemlage in gleicher oder ähnlicher Weise wiederholen wird. Im Zeitpunkt der genannten Verfügung bestand über die neu aufgetretene Infektionskrankheit SARS eine hohe Unsicherheit, und der Wissensstand insbesondere zu den Übertragungswegen und den zu ergreifenden Massnahmen befand sich gerade in den fraglichen Tagen in einer "dramatischen Entwicklungsphase". Die SARS-Verordnung vom 1. April 2003, welche die mit den fraglichen Messeveranstaltungen verbundenen Risiken erfassen wollte und als primäre Massnahme ein Beschäftigungsverbot für Personen aus gefährdeten Gebieten vorsah, war dementsprechend auf drei Monate befristet. Zur Verhinderung der Einschleppung von SARS und anderen neu auftretenden Infektionskrankheiten hat das Eidgenössische Departement des Innern am 15. Dezember 2003 eine Verordnung (SR 818.125.12) erlassen, welche die Flughafenbetreiber zu bestimmten Massnahmen verpflichtet. Falls künftig zusätzliche gezielte gesundheitspolizeiliche Abwehrmassnahmen gegen SARS im Zusammenhang mit der Durchführung internationaler Messen erneut erforderlich werden sollten, wird hierüber nach dem dannzumaligen Kenntnisstand zu befinden sein, und es versteht sich von selbst, dass dabei auch die im vorliegenden Fall gemachten Erfahrungen mit den organisatorischen Problemen der Messedurchführung sowie mit dem Verhalten der Messeteilnehmer zu berücksichtigen sein werden. Eine nachträgliche fachliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wieweit das mit der Verfügung vom 1. April 2003 für einen bestimmten Personenkreis ausgesprochene ![]() | 24 |
Erwägung 3 | |
3.1 Grundsätzlicher Natur - und damit einer nachträglichen Beurteilung trotz Gegenstandslosigkeit des konkreten Streitfalles zugänglich - ist dagegen die in der Beschwerdeschrift aufgeworfene Frage der Zuständigkeit des Bundesrates zu Massnahmen gemäss Art. 10 des Epidemiengesetzes. Gemäss Art. 11 EpG obliegt es den Kantonen, die zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erforderlichen Massnahmen zu treffen. Nach Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes kann jedoch, "wenn ausserordentliche Umstände es erfordern", der Bundesrat für das ganze Land oder für einzelne Landesteile die notwendigen Massnahmen treffen. In der Botschaft wird bezüglich der Abgrenzung der Kompetenzen ausgeführt, dass "für die üblichen Aufgaben der Vorbeugung unter normalen Verhältnissen und bei geringen Erkrankungszahlen" die kantonalen Anordnungen genügen sollten (BBl 1970 I/1 411). Nach Wortlaut und Sinn von Art. 10 des Epidemiengesetzes steht dem Bundesrat bei der Handhabung dieser Kompetenznorm, welche letztlich die polizeiliche Generalklausel konkretisiert, ein erheblicher Spielraum zu (vgl. auch AB 1970 N 566). Im vorliegenden Falle durfte der Bundesrat, nachdem die fraglichen Messen in zwei verschiedenen Kantonen durchgeführt wurden, seitens der Kantonsregierungen über die zu treffenden Massnahmen offenbar keine Einigkeit bestand und ein Einschleppen von SARS die gesamte schweizerische Bevölkerung ![]() | 25 |
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Das Gewicht der erfolgten Delegation lag klarerweise auf der in Art. 2 Satz 2 der SARS-Verordnung vorgesehenen, recht bestimmt umschriebenen Massnahme (Verbot der beruflichen Tätigkeit für Personen aus gefährdeten Gebieten), welche in der streitigen Verfügung des Bundesamtes für Gesundheit vom 1. April 2003 für die hier in Frage stehende Messe angeordnet wurde. Dass der Bundesrat gestützt auf Art. 10 EpG dem Bundesamt für Gesundheit diese Befugnis übertragen durfte, steht ausser Frage. Was die in Art. 2 Satz 1 der SARS-Verordnung enthaltene Delegation anbelangt, so lässt sie sich ohne Zwang dahin interpretieren, dass das Bundesamt (anstelle oder neben den an sich zuständigen Kantonen) nötigenfalls die im Epidemiengesetz vorgesehenen Abwehrmassnahmen treffen durfte, wobei es sich nur um "Verfügungen" und nicht um generell-abstrakte Regelungen handeln konnte; weitergehende Sondermassnahmen hätten nach der Konzeption der SARS-Verordnung wohl vom Bundesrat ausgehen müssen.
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3.3 An welche inhaltlichen Schranken der Bundesrat beim Erlass von Massnahmen nach Art. 10 EpG gebunden ist und wieweit er entsprechende Kompetenzen an nachgeordnete Stellen übertragen ![]() | 28 |
Erwägung 4 | |
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4.2 Es versteht sich von selbst, dass der von einer individuell-konkreten Anordnung betroffene Messeveranstalter in ausreichender und geeigneter Weise angehört werden muss. Falls die vorgängige Gewährung einer schriftlichen Äusserungsmöglichkeit wegen zeitlicher Dringlichkeit ausser Betracht fällt (vgl. Art. 30 Abs. 2 lit. e VwVG), soll die zuständige Behörde, soweit die Sachlage dies erlaubt, bei einschneidenden Eingriffen die Betroffenen vor Erlass der Verfügung wenigstens mündlich zu den ins Auge gefassten gesundheitspolizeilichen Massnahmen anhören, um ihren Entscheid auf möglichst zuverlässiger Grundlage fällen zu können. Das vom Bundesamt für Gesundheit vorliegend eingeschlagene Vorgehen lässt sich insoweit nicht beanstanden. Es konnte jedoch seinen Zweck nur richtig erfüllen, wenn die betroffenen Messeveranstalter in der Einladung zur mündlichen Verhandlung über die mögliche Tragweite der anzuordnenden Massnahmen ausreichend informiert ![]() | 30 |
4.3 Das Erstellen eines schriftlichen Protokolls über derartige Verhandlungen ist an sich nicht vorgeschrieben. Aufgrund der möglichen Tragweite der ins Auge gefassten Massnahmen, deren Verhältnismässigkeit weitgehend auch von den seitens der Verhandlungsteilnehmer mündlich abgegebenen Erklärungen abhängen konnte, hätte jedoch vorliegend zur Wahrung der Parteirechte der Gang der Sitzung in geeigneter Form durch einen Vertreter der federführenden Behörde (Bundesamt für Gesundheit) protokolliert werden müssen. Ohne ein derartiges Verhandlungsprotokoll sind die betroffenen Parteien nicht ausreichend in der Lage, die der sie belastenden Massnahme zugrunde liegenden Sachverhaltsannahmen und Überlegungen nachzuvollziehen. Zudem vermag auch die Behörde, soweit sie sich auf Aussagen der Beteiligten stützen muss, ihre Begründungspflicht mangels schriftlicher Belege nicht richtig zu erfüllen. In diesem Teilpunkt ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen.
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