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14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Eidgenössisches Finanzdepartement sowie Eidgenössische Personalrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
2A.621/2005 vom 30. Januar 2006 | |
Regeste |
Art. 6 Abs. 2, 8 Abs. 1 und 12 ff. BPG, Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4, 28, 320 und 328b OR; Aufhebung eines öffentlichrechtlichen Arbeitsvertrags wegen Willensmangels. | |
Sachverhalt | |
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X. widersetzte sich dem und bot der Oberzolldirektion wiederholt ihre Arbeit an, worauf diese am 12. September 2003 unter dem Titel "Rückgängigmachung des Arbeitsvertrages" verfügte, dass das Arbeitsverhältnis mit X. "fristlos, d.h. rückwirkend per 26. Juni 2003, gekündigt" werde; es würden keine Lohnkosten oder Entschädigungen ausbezahlt. Da X. die Zulässigkeit dieser Verfügung bestritt und davon ausging, ihr Anstellungsverhältnis dauere fort, beantragte die Oberzolldirektion dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) am 4. November 2003, die "Gültigkeit der Kündigung" festzustellen bzw. die "fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor Stellenantritt" zu bestätigen.
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Das Eidgenössische Finanzdepartement entschied am 14. April 2005, der umstrittene Arbeitsvertrag sei ungültig. Zur Begründung führte es aus, dass X. aufgrund ihrer vorvertraglichen Pflichten gehalten gewesen wäre, die Oberzolldirektion über das hängige Strafverfahren zu informieren; stattdessen habe sie diese mit einer ausweichenden Antwort über ihre Situation getäuscht, so dass sich die Anstellungsbehörde bei Vertragsabschluss in einem wesentlichen Irrtum über die Eignung und Verfügbarkeit der Bewerberin für die ![]() | 3 |
Das Bundesgericht weist die von X. hiergegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Mit dem Bundespersonalgesetz sollte das Dienstrecht des Bundes flexibilisiert und den obligationenrechtlichen Regeln angenähert werden (BBl 1999 S. 1609; HARRY NÖTZLI, Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Bundespersonalrecht, Bern 2005, N. 11 ff.; ANNIE ROCHAT PAUCHARD, La nouvelle loi sur le personnel de la Confédération [LPers], in: RDAT 2001 II S. 549 ff., dort S. 551 f.). Nach Art. 6 Abs. 2 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) gelten für das Arbeitsverhältnis sinngemäss die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts, soweit das Bundespersonalgesetz oder andere Bundesgesetze nichts anderes vorsehen (vgl. BBl 1999 S. 1609; PETER HELBLING, Entwicklung im Personalrecht des Bundes; Anmerkungen zum Bundespersonalgesetz, in: Helbling/Poledna, Personalrecht des öffentlichen Dienstes, Bern 1999, S. 1 ff., dort S. 23; ROCHAT PAUCHARD, a.a.O., S. 552). Dieser Verweis bezieht sich nicht nur auf die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des OR (Art. 319 ff. OR), sondern auf sämtliche Regeln, die sich im Hinblick auf die Besonderheiten des öffentlichen Arbeitsverhältnisses für einen analogen Beizug als ergänzendes öffentliches Recht (vgl. BBl 1999 S. 1610) eignen (vgl. NÖTZLI, a.a.O., N. 47 f.; ROCHAT PAUCHARD, a.a.O., S. 556; MINH SON NGUYEN, Droit fédéral de la fonction publique: de la décision au contrat, in: Freiburger Zeitschrift für Rechtsprechung [FZR] 2004/2 S. 136 ff., dort S. 145). Er umfasst auch - wie der Bundesrat in seiner Botschaft zum Bundespersonalgesetz festgehalten hat (BBl 1999 S. 1610) und im Rahmen der parlamentarischen Beratungen bestätigt wurde (AB 1999 N 2061 [Voten David und Villiger]) - den Allgemeinen Teil des OR und insbesondere die Normen über die Willensmängel beim Vertragsabschluss (Art. 1-40 OR; PETER HELBLING, Der öffentliche ![]() | 6 |
Erwägung 3.2 | |
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3.2.2 Dabei ist einzig den verfahrensrechtlichen Besonderheiten des Bundesdienstrechts Rechnung zu tragen: Die Irrtumsanfechtung durch den öffentlichrechtlichen Arbeitgeber darf zu keiner Umgehung des Rechtsschutzes des Arbeitnehmers nach dem Bundespersonalgesetz führen. Nach Art. 13 Abs. 3 BPG muss der Arbeitgeber das Dienstverhältnis in Form einer Verfügung kündigen, soweit ![]() | 8 |
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Erwägung 4 | |
4.1 Der Vertrag kann von einer Partei für unverbindlich erklärt werden, wenn sie sich bei dessen Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) oder wenn sie getäuscht worden ist (Art. 28 OR), wobei in diesem Fall der Irrtum kein wesentlicher zu sein braucht. Ein Grundlagenirrtum liegt vor, wenn der Anfechtende sich über einen bestimmten Sachverhalt geirrt hat, ![]() | 10 |
4.2 Dem Arbeitnehmer erwachsen im Rahmen der Vertragsverhandlungen gewisse vorvertragliche Auskunfts- und Offenbarungspflichten (vgl. Urteil 4C.189/2002 vom 27. September 2002, E. 1.3; BGE 122 V 267 E. 3). Deren Umfang und Tragweite sind in Doktrin und Praxis im Einzelnen umstritten (vgl. STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 6. Aufl., Zürich 2006, N. 10 zu Art. 320 OR sowie N. 9 ff. zu Art. 328b OR; BGE 122 V 267 E. 3b S. 269). Generell gilt, dass der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Auskunftspflicht Fragen, welche in einem unmittelbaren Zusammenhang zum Arbeitsplatz und der zu leistenden Arbeit stehen, wahrheitsgetreu zu beantworten hat, falls der erfragte Umstand von unmittelbarem objektivem Interesse für das spezifische Arbeitsverhältnis ist, was sich nach dessen vorgesehenen Dauer, der zu verrichtenden Arbeit, der Art des Betriebs sowie der zukünftigen Stellung des Arbeitnehmers in diesem beurteilt (vgl. FRANK VISCHER, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., Basel 2005, S. 69 ff.; REHBINDER/ PORTMANN, in: Basler Kommentar, N. 5 ff. zu Art. 320 OR; PORTMANN, a.a.O., N. 138 ff.; REHBINDER, a.a.O., S. 60; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER/ BRUCHEZ, Kommentar zum Arbeitsvertragsrecht, Basel/Genf/München, 3. Aufl., Basel 2005, N. 6 ff. zu Art. 320 OR; STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 5 ff. zu Art. 328b OR). Unabhängig von der zu besetzenden Stelle hat der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Offenbarungspflicht alles von sich aus mitzuteilen, was ihn zu deren Übernahme als (absolut) ungeeignet erscheinen lässt, die vertragsgemässe Arbeitsleistung praktisch ausschliesst oder diese doch erheblich behindert (vgl. MARGRIT WEBER-SCHERRER, Rechtliche Aspekte der Information zwischen den Arbeitsvertragsparteien unter besonderer Berücksichtigung des Notwehrrechts der Lüge, Zürich 1999, S. 227 [bezüglich Krankheit und Invalidität]; HEITKAMP, a.a.O., ![]() | 11 |
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4.3.1 Gegen die Beschwerdeführerin wurde im Oktober 2000 eine Strafuntersuchung wegen vorsätzlicher Tötung eingeleitet. Sie stand unter dem Verdacht, am 16. Oktober 2000 ihren damaligen Freund durch einen Schuss in den Rücken getötet und hernach verbrannt und vergraben zu haben. Das entsprechende Tötungsdelikt bzw. die Person der Beschwerdeführerin bildeten Gegenstand einer breiten Berichterstattung in den Medien. Zwar betraf das Strafverfahren ihren Privatbereich, doch hatte es - auch wenn die vorgesehene Funktion der Beschwerdeführerin bei der Oberzolldirektion nicht leitender Natur war - dennoch unmittelbare Auswirkungen auf ihre berufliche Eignung und Verfügbarkeit für die verabredete Arbeitsleistung: Die Stelle als Sachbearbeiterin/Revisorin im Bereich Mineralölsteuer umfasste gemäss Ausschreibung die Beratung von Gesuchstellern in allen Fragen der verschiedenen Steuerrückerstattungen und sah zahlreiche, weitgehend selbständig wahrzunehmende telefonische und schriftliche Kontakte mit Kunden vor. Das hängige Strafverfahren und dessen landesweite Publizität waren geeignet, ![]() | 13 |
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4.4 Die Oberzolldirektion durfte den Arbeitsvertrag mit ihr somit wegen Willensmangels für einseitig unverbindlich erklären. Dies hat sie am 27. Juni 2003 getan, indem sie der Beschwerdeführerin mitteilte, der Arbeitsvertrag vom 4. Juni 2003 werde wegen "den inzwischen aufgetauchten Hinweisen" widerrufen. Auch wenn sie in diesem Schreiben nicht ausdrücklich von einem Willensmangel sprach, ergab sich daraus doch klar, dass sie den Vertrag nicht gegen sich gelten lassen und die Parteien so stellen wollte, wie wenn es nie zur übereinstimmenden Willenserklärung gekommen wäre, was als Anfechtung genügte (vgl. PELLEGRINI, a.a.O., S. 73 f.). Ihr Wille, den Vertrag nicht gelten zu lassen, ergab sich im Übrigen auch daraus, dass sie der Beschwerdeführerin die Bewerbungsunterlagen retournierte, was unterstrich, dass sie nicht bereit war, die Anstellung nachträglich zu bestätigen. Aus der auf Drängen des Anwalts der Beschwerdeführerin ergangenen ![]() | 16 |
4.5 War der Vertrag für die Oberzolldirektion wegen Willensmangels damit einseitig unverbindlich, erübrigt es sich, auf die einzelnen Einwände der Beschwerdeführerin bezüglich der Zulässigkeit einer allfälligen ordentlichen oder ausserordentlichen Kündigung einzugehen. Inwiefern die Anrufung des Willensmangels durch die Arbeitgeberin rechtsmissbräuchlich sein könnte, ist nicht ersichtlich. Die Oberzolldirektion war nicht gehalten, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, solange sie den Arbeitsvertrag nicht anerkannt hatte. Dass sie allenfalls die Möglichkeit hierzu gehabt hätte, machte ihre Berufung auf einen Willensmangel nicht treuwidrig.
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