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15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen unique zurich airport Flughafen Zürich AG und Kanton Zürich sowie Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1E.11/2007 vom 14. April 2008 | |
Regeste |
Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche infolge Fluglärms sowie von Abwehrrechten gegen den direkten Überflug; Bemessung der Entschädigung für eine vor dem 1. Januar 1961 erworbene, aber erst danach überbaute Parzelle. |
Für die vom Abflugverkehr betroffenen Grundstücke in Opfikon-Glattbrugg, die vor dem 1. Januar 1961 erworben, aber erst nach diesem Datum überbaut worden sind, kann ein Entschädigungsanspruch nur für die Entwertung des Bodens entstehen. Bei der Beurteilung der Spezialität der Einwirkungen und der Schwere des Schadens ist aber von der Nutzung der fraglichen (Gesamt-)Liegenschaft im Schätzungszeitpunkt auszugehen. Sind die Voraussetzungen für eine Entschädigungsleistung erfüllt, beschränkt sich diese auf den Ersatz des Minderwertes des Landanteils (E. 6). |
Rückweisung an die Schätzungskommission zur neuen Verkehrswertschätzung und Minderwertsermittlung der Gesamtliegenschaft sowie zur anschliessenden Bestimmung des auf den Landwert entfallenden Schadens. Anwendung des MIFLU-Modells zur Minderwertsermittlung von selbst genutztem Wohneigentum (E. 12). | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
5. Zu untersuchen bleibt, ob der Beschwerdeführerin ein Entschädigungsanspruch für die Unterdrückung ihrer nachbarlichen Abwehrrechte gegenüber Lärmeinwirkungen zustehe. Ein solcher setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass - kumulativ - die drei Bedingungen der Unvorhersehbarkeit der Lärmimmissionen, der sog. Spezialität der Immissionen sowie der Schwere des immissionsbedingten Schadens gegeben sind (vgl. etwa BGE 123 II 481 E. 7 S. 490 ff.; BGE 130 II 394 E. 7.1 S. 402, E. 9.2 S. 410, E. 12 S. 414, je mit Hinweisen).
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Die Schätzungskommission hält nur zwei der drei Voraussetzungen für erfüllt. Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, das fragliche Grundstück stehe seit 1947 im Eigentum der Familie der Beschwerdeführerin. Die 680 m2 umfassende Parzelle sei 1993 als Erbvorempfang von der Beschwerdeführerin übernommen und 1994 überbaut worden. Damit sei die Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit bezüglich des Baulandes erfüllt. Dagegen müsse das Einfamilienhaus, das erst nach 1961 erstellt worden sei, bei der Beurteilung des Minderwertes ausser Betracht fallen. Die Voraussetzung der Spezialität der Lärmeinwirkungen sei gegeben, würden doch im fraglichen Gebiet, das der Empfindlichkeitsstufe II (ES II) zugewiesen sei, die Immissionsgrenzwerte überschritten. Was den fluglärmbedingten Minderwert betreffe, so könne dieser anhand der Veränderung der Lageklasse dargestellt oder mithilfe des von den Enteignern in das Verfahren eingebrachten Modells MIFLU ("Minderwert Fluglärm") ermittelt werden. Da mit MIFLU keine reine Baulandbewertung vorgenommen werden könne, sei der Minderwert ersatzweise für ein Standard-Einfamilienhaus (750 m3 ) auf ![]() | 3 |
Die Argumentation der Schätzungskommission wird von beiden Parteien kritisiert.
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5.2 Die Enteigner machen geltend, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzung der Spezialität der Immissionen nur vorübergehend erfüllt gewesen sei. Zwar seien bei der Liegenschaft der Beschwerdeführerin die Immissionsgrenzwerte der ES II gemäss Anhang 5 zur Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) auch heute noch überschritten. Für das Gemeindegebiet Opfikon-Glattbrugg müsse jedoch angesichts der seit langem bestehenden Fluglärmvorbelastung enteignungsrechtlich der Immissionsgrenzwert für die ES III massgeblich sein. Im Übrigen sei für Land, das erst nach dem 1. Januar 1961 überbaut worden sei, keine ![]() | 6 |
Zur Voraussetzung der Schwere des Schadens bringen die Enteigner vor, in Fällen der Enteignung nachbarrechtlicher Abwehrbefugnisse wegen übermässigen Lärms könne - infolge der Nähe und der Verwandtschaft zur materiellen Enteignung - nur dann von einem schweren Schaden ausgegangen werden, wenn der Minderwert wegen Fluglärms einen Drittel des Verkehrswertes einer Liegenschaft übersteige. Weiter weisen die Enteigner auf die durch den Flughafen bewirkten Wertsteigerungen sowie auf künftige Lärmabnahmen hin, die durch die technologische Entwicklung ermöglicht würden. Diesen Gegebenheiten müsse bei der Entschädigungsbemessung durch Abzüge Rechnung getragen werden.
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6. Das Bundesgericht hat in BGE 130 II 394 E. 12.1 S. 415 ausdrücklich bestätigt, dass die für die (Un-)Vorhersehbarkeit der Fluglärm-Immissionen massgebende Schwelle, die in der Rechtsprechung auf den 1. Januar 1961 gelegt worden ist, auch für die durch den Abflugverkehr betroffenen Grundeigentümer in Opfikon-Glattbrugg gilt. Hat ein Anwohner sein Grundstück erst nach diesem Zeitpunkt anders als durch Erbgang erworben, gelten die Einwirkungen als vorhersehbar und kann kein Entschädigungsanspruch entstehen (vgl. BGE 131 II 137 E. 2.1 S. 142 mit zahlreichen Hinweisen). Ebenso wenig ist eine Entschädigung für ein Gebäude zu leisten, das erst nach diesem Datum erstellt worden ist (vgl. BGE 110 Ib 43 E. 4 S. 50; BGE 111 Ib 233 E. 2a; Urteil E.22/1992 vom 24. Juni 1996, E. 3b, während in BGE 121 II 317 E. 6c/aa die Frage offengelassen worden ist).
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Es ist unbestritten, dass die Parzelle Kat.-Nr. 7608 schon vor dem 1. Januar 1961 im Eigentum der Familie der Beschwerdeführerin stand. Die Beeinträchtigung dieses Landes durch Fluglärm darf daher als unvorhersehbar gelten und gibt, sofern auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, Anspruch auf Entschädigung. Der Umstand, dass der Boden nach dem 1. Januar 1961 überbaut worden ist, lässt diesen Anspruch nicht erlöschen. Wird ein Gebäude ![]() | 9 |
Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass für die vom Abflugverkehr betroffenen Grundstücke in Opfikon-Glattbrugg, die vor dem 1. Januar 1961 erworben, aber erst nach diesem Datum überbaut worden sind, ein Entschädigungsanspruch nur für die Entwertung des Bodens entstehen kann. Bei der Beurteilung der Spezialität der Einwirkungen und der Schwere des Schadens ist indes von der Nutzung der fraglichen (Gesamt-)Liegenschaft im Schätzungszeitpunkt auszugehen. Sind die Voraussetzungen für die Leistung einer Entschädigung erfüllt, beschränkt sich diese auf den Ersatz des Minderwertes des Landanteils.
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(...)
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Wie in E. 6 ausgeführt, ist indes die Schwere des lärmbedingten Schadens auch dann mit Blick auf die Gesamtliegenschaft zu beurteilen, wenn dem Eigentümer nur ein Entschädigungsanspruch für das Land zusteht. Erweist sich die Beeinträchtigung der Gesamtliegenschaft als schwer, so ist der Schaden in einen auf das Gebäude entfallenden und in einen auf den Boden entfallenden Teil aufzugliedern und nur letzterer abzugelten. Bei dieser Aufteilung ist der Wert des Bodens mit Bezug auf die am Stichtag konkret bestehende Nutzung als relativer Landwert zu bestimmen, der in der Regel unter dem Baulandwert, d.h. dem Wert eines unüberbauten Grundstücks liegt.
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Die Sache ist somit an die Schätzungskommission zurückzuweisen, welche eine neue Schätzung des Verkehrswertes sowie des fluglärmbedingten Minderwertes der Gesamtliegenschaft der Beschwerdeführerin vorzunehmen und schliesslich den zu ersetzenden, auf den Landwertanteil entfallenden Schaden zu bestimmen hat. Bei der Minderwertsermittlung darf, da es sich hier um von der Beschwerdeführerin selbst genutztes Wohneigentum handelt, gemäss BGE 134 II 49 auf die mithilfe des MIFLU-Modells ermittelten Resultate abgestellt werden. Die Entschädigung ist als Kapitalzahlung zu leisten und ab dem Stichtag zu verzinsen.
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