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15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Glarus gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_271/2008 vom 8. Januar 2009 | |
Regeste |
Art. 16a Abs. 1 lit. a und Abs. 3, Art. 16b Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a SVG; Verstoss gegen das Strassenverkehrsgesetz, Abgrenzung der leichten von der mittelschweren Widerhandlung, Verwarnung, Führerausweisentzug. | |
Sachverhalt | |
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Am 26. April 2006, um ca. 13.00 Uhr, fuhr der Lenker eines Personenwagens von Netstal kommend in Richtung Oberurnen. Auf der Hauptstrasse in Näfels bremste er vor dem Fussgängerstreifen auf der Höhe einer Garage ab, da eine Fussgängerin die Strasse von links nach rechts überqueren wollte. In der Folge prallte der ihm nachfolgende X. mit seinem Lastwagen in das Heck des noch leicht rollenden Personenwagens. An den Fahrzeugen entstand ein Sachschaden von insgesamt ca. Fr. 2'000.-. Personen wurden keine verletzt.
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Mit Strafverfügung vom 7. Juli 2006 büsste der Einzelrichter in Strafsachen des Kantons Glarus X. in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG mit Fr. 200.-. Die Verfügung ist rechtskräftig.
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Am 6. November 2007 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Glarus (im Folgenden: Strassenverkehrsamt) X. den Führerausweis gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a SVG für die Dauer eines Monats.
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Das Strassenverkehrsamt führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und X. der Führerausweis für die Dauer von einem Monat zu entziehen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.2 | |
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Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3).
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Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen (Abs. 2 lit. a).
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Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs. 2 lit. a).
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Die Vorinstanz vertritt unter Hinweis auf einen Entscheid des Kassationshofes aus dem Jahr 1999 (BGE 125 II 561) eine andere Auffassung. Danach ist selbst bei einer grossen Verkehrsgefährdung die Annahme eines leichten Falles und damit eine Verwarnung möglich, wenn den Lenker ein leichtes Verschulden trifft und er über einen langjährigen ungetrübten automobilistischen Leumund verfügt (a.a.O. E. 2 S. 565 ff.). Dieser Entscheid ist überholt. Die darin gegebene Auslegung stützt sich auf aArt. 31 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51). Diese Bestimmung erwähnte lediglich das Verschulden und den automobilistischen Leumund als wesentliche Elemente zur Beurteilung des leichten Falles und enthielt keine Anhaltspunkte, wonach die Schwere der Gefährdung als selbständiges Beurteilungsmerkmal herangezogen werden sollte (a.a.O. E. 2a S. 566). Art. 31 VZV wurde mit der am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Revision des Strassenverkehrsrechts geändert und betrifft heute die Informationspflicht, ist also im vorliegenden Zusammenhang nicht mehr von Bedeutung. Die Voraussetzungen einer leichten Widerhandlung, bei der eine blosse Verwarnung ![]() | 15 |
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Der Beschwerdegegner hat diese Verkehrsregeln unstreitig verletzt. Bei der polizeilichen Befragung gab er an, vor ihm sei ein ![]() | 17 |
Wie das Strassenverkehrsamt zutreffend darlegt, stellt der vom Beschwerdegegner gelenkte Lastwagen wegen des grossen Betriebsgewichts und der senkrechten Fahrzeugfront eine erhöhte Gefährdung dar. Die Kollision mit einem schwächeren Verkehrsteilnehmer geht aufgrund der physikalischen Gesetze zu dessen Ungunsten aus. Zwar wurde bei der hier zu beurteilenden Auffahrkollision niemand verletzt. Der Beschwerdegegner ist jedoch in den vor ihm abbremsenden Personenwagen geprallt. Damit hat er dessen Lenker konkret gefährdet. Überdies hat er die Fussgängerin, die den Fussgängerstreifen überqueren wollte, zumindest abstrakt gefährdet. Auffahrunfälle können insbesondere bei den Insassen des voranfahrenden Fahrzeugs zu schweren Verletzungen führen. Das gilt namentlich dann, wenn es sich beim hinteren Fahrzeug um einen Lastwagen handelt. Eine typische Verletzung bei Auffahrunfällen stellt ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule dar (vgl. etwa BGE 134 III 489; BGE 130 V 35; BGE 127 V 165). Dieses kann gravierende gesundheitliche Folgen haben. Angesichts dessen kann die vom Beschwerdegegner geschaffene Gefahr für die Sicherheit anderer nicht mehr als leicht eingestuft werden. Die Annahme einer leichten Widerhandlung gemäss Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG ist deshalb ausgeschlossen.
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Ob, wie das Strassenverkehrsamt geltend macht, auch das Verschulden des Beschwerdegegners nicht mehr als leicht zu beurteilen gewesen wäre, kann offenbleiben.
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Die Bejahung einer mittelschweren Widerhandlung steht nicht in Widerspruch zur Strafverfügung. Der Strafrichter hat den Beschwerdegegner in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG gebüsst. Diese ![]() | 21 |
Der Führerausweis ist dem Beschwerdegegner danach gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG für mindestens einen Monat zu entziehen. Diese Mindestentzugsdauer darf gemäss Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG auch bei einem Berufschauffeur nicht unterschritten werden (BGE 132 II 234 E. 2 S. 235 ff.).
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Das Strassenverkehrsamt beantragt, den Führerausweis für die Mindestdauer zu entziehen. Darüber darf das Bundesgericht nicht hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG).
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