![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.X. und Mitb. gegen Kanton Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_420/2010 vom 25. Januar 2011 | |
Regeste |
Art. 11 Abs. 3 aOHG, Art. 17 Abs. 1 OHG, Art. 23 ff. ZGB; opferhilferechtlicher Wohnsitzbegriff. |
Allein aus der Unmöglichkeit der regelmässigen Rückkehr eines in Saudi-Arabien Studierenden zu schliessen, dieser habe seinen Wohnsitz in der Schweiz aufgegeben, verletzt Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 26 ZGB (E. 3.7). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Am 8. Oktober 2008 stellten die Eltern des Verstorbenen (A. und B.X.) und dessen Bruder (C.X.) bei der Opferhilfestelle des Kantons Zürich ein Gesuch um Entschädigungen und Genugtuungen. In ihrer Verfügung vom 16. Dezember 2008 führte die Kantonale Opferhilfestelle aus, D.X. habe seinen Wohnsitz von der Schweiz nach Saudi-Arabien verlegt gehabt, was die Ausrichtung von Entschädigungen und Genugtuungen ausschliesse. Das Gesuch werde abgelehnt.
| 2 |
Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 17. August 2010 ab.
| 3 |
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 20. September 2010 beantragen A., B. und C.X., das Urteil des Sozialversicherungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Kantonale Opferhilfestelle zurückzuweisen. (...)
| 4 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
| 5 |
(Auszug)
| 6 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
7 | |
D.X. verfügte gemäss den Feststellungen der Vorinstanz im Todeszeitpunkt über die schweizerische Staatsangehörigkeit. Umstritten ist, ob er zu jenem Zeitpunkt auch (noch) seinen Wohnsitz in der Schweiz hatte. Dies ist gemäss Art. 11 Abs. 3 aOHG Voraussetzung für Entschädigung und Genugtuung, sofern sowohl der strafrechtliche Begehungs- als auch der Erfolgsort im Ausland liegen (vgl. BGE 124 II 507 E. 2b S. 508 f. mit Hinweisen).
| 8 |
![]() | 9 |
10 | |
Die Vorinstanz habe diese wesentlichen Umstände ausser Acht gelassen, obwohl sie in der Beschwerde vorgebracht worden seien. Dadurch habe sie einerseits den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und die Pflicht zur Feststellung des Sachverhalts von Amtes wegen (Art. 16 Abs. 2 aOHG) ![]() | 11 |
12 | |
Die Frage nach der erforderlichen Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist vor dem Hintergrund des anwendbaren Rechts zu beantworten. Das Sozialversicherungsgericht hat in dieser Hinsicht auf den Wohnsitzbegriff des IPRG abgestellt, was insofern relevant ist, als in internationalen Verhältnissen Art. 26 ZGB nicht gilt (Art. 20 Abs. 2 Satz 3 IPRG).
| 13 |
3.5 Ist eine Person im Ausland Opfer einer Straftat geworden, kann sie eine Entschädigung oder eine Genugtuung nur verlangen, wenn sie das Schweizer Bürgerrecht und "Wohnsitz in der Schweiz" hat (Art. 11 Abs. 3 aOHG [SR 312.5]). Der Wohnsitz in der Schweiz bildet auch im revidierten Opferhilfegesetz Anspruchsvoraussetzung (Art. 17 Abs. 1 OHG), wobei davon auszugehen ist, dass der Begriff mit der Gesetzesrevision keine Änderung erfahren hat. Das öffentliche Recht bestimmt den Wohnsitzbegriff in seinem Bereich autonom (DANIEL STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 4. Aufl. 2010, N. 3 zu Art. 23 ZGB). Es kann ihn eigenständig ![]() | 14 |
Eine Anlehnung an den Wohnsitzbegriff gemäss Art. 20 IPRG drängt sich nicht auf, zumal dem Wohnsitzbegriff von Art. 11 Abs. 3 aOHG nicht die Rolle eines im internationalen Verhältnis relevanten Anknüpfungspunkts zukommt.
| 15 |
3.6 Die Anlehnung des Wohnsitzbegriffs gemäss Art. 11 Abs. 3 aOHG an jenen des Zivilrechts bedeutet, dass sich die Frage des Wohnsitzes grundsätzlich nach den Art. 23-26 ZGB richtet. Nach Art. 23 Abs. 1 ZGB befindet sich der Wohnsitz einer Person an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Für die Begründung des Wohnsitzes müssen somit zwei Merkmale erfüllt sein: ein objektives äusseres, der Aufenthalt, sowie ein subjektives inneres, die Absicht dauernden Verbleibens. Nach der Rechtsprechung kommt es nicht auf den inneren Willen, sondern darauf an, welche Absicht objektiv erkennbar ist (BGE 136 II 405 E. 4.3 S. 409 f.; BGE 133 V 309 E. 3.1 S. 312 f.; je mit Hinweisen). Der einmal erworbene Wohnsitz bleibt bestehen, solange nicht anderswo ein neuer begründet wird (Art. 24 Abs. 1 ZGB). Der Aufenthalt an einem Ort zum Zweck des Besuchs einer Lehranstalt und die ![]() | 16 |
3.7 Allein aus der Unmöglichkeit einer regelmässigen Rückkehr zu schliessen, D.X. habe nur noch eine stark gelockerte Beziehung zur Schweiz gehabt und sich nicht lediglich zu Ausbildungszwecken in Saudi-Arabien aufgehalten, verletzt Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 26 ZGB. Die Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensbeziehungen und die damit einhergehende Widerlegung der Vermutung von Art. 26 ZGB erfordern eine Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls (BGE 136 II 405 E. 4.3 S. 410 mit Hinweisen). Die tatsächlichen Vorbringen der Beschwerdeführer (siehe E. 3.3 hiervor) sind dabei bedeutsam: Sie könnten die Vermutung stützen, dass der Aufenthalt in Saudi-Arabien zu Studienzwecken nicht zu einer Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensbeziehungen führte. Die Beschwerdeführer haben diese Umstände bereits im Verfahren vor dem Sozialversicherungsgericht geltend gemacht. Indem das ![]() | 17 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |