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18. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Sicherheitsdirektion und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_903/2010 vom 6. Juni 2011 | |
Regeste |
Art. 10 und 11 ANAG, Art. 70 VZAE, Art. 5 Anhang I FZA, aArt. 43 StGB sowie Art. 56 ff. StGB; Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen; Ausweisung eines Unionsbürgers. | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Verfügung vom 13. Dezember 2006 wies die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion des Kantons Basel-Landschaft (JPMD; heute: Sicherheitsdirektion; nachfolgend: Direktion) X. gestützt auf Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG für 5 Jahre aus der Schweiz aus. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft am 27. Oktober 2009 ab. Dagegen erhob X. Beschwerde an das Kantonsgericht, welches diese mit Urteil vom 25. August 2010 ebenfalls abwies.
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C. X. erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts (...) aufzuheben. (...)
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D. Die Sicherheitsdirektion (sinngemäss) und das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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E. Mit Verfügung vom 26. November 2010 erteilte der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 5 | |
5.1 Der Beschwerdeführer bestreitet im Grundsatz nicht ernsthaft, dass er aktuell eine Gefährdung darstellt und dass die Voraussetzungen für eine Ausweisung gemäss Art. 10 und 11 ANAG [BS 1 121] bzw. Art. 5 Anhang I FZA [SR 0.142.112.681] zur Zeit erfüllt sind. Er macht aber geltend, die Voraussetzungen einer gegenwärtigen Gefährdung müssten in dem Zeitpunkt erfüllt sein, in dem die Ausweisung vollzogen werde. Die stationäre Massnahme, in der er sich ![]() | 8 |
Erwägung 5.2 | |
5.2.1 Auf Vollzug und Beendigung der nach aArt. 43 StGB angeordneten Massnahmen sind heute die Art. 56-65 StGB anwendbar (Ziff. 2 Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung des StGB vom 13. Dezember 2002). Gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB beträgt der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen. Die Verlängerung über die fünf Jahre hinaus setzt somit einerseits voraus, dass eine Gefährdung weiterhin besteht, mithin die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach Art. 62 StGB noch nicht erfüllt sind (BGE 135 IV 139 E. 2.2.1). Andererseits wird vorausgesetzt, dass dieser Gefahr durch die Massnahme begegnet werden kann, mithin dass der Täter überhaupt behandlungsfähig ist (BGE 134 IV 315 E. 3.4.1; BGE 109 IV 73 E. 3; MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 63 zu Art. 59 StGB); gemeint ist damit eine therapeutische dynamische Einflussnahme, die zu einer Verbesserung der Legalprognose führt ![]() | 9 |
Es ist also nicht so, dass die stationäre Massnahme in jedem Fall erst beendet wird, wenn dem Täter eine günstige Prognose gestellt werden kann. Sie kann gerade auch dann und deshalb beendet werden, weil eine therapeutische Besserung nicht mehr zu erwarten ist. Zwar könnte in diesem Fall gemäss Art. 62c Abs. 3 StGB eine andere Massnahme angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen. Da in solchen Fällen auch eine ambulante therapeutische Behandlung nicht zielführend wäre, käme nur die Verwahrung in Frage (Art. 64 Abs. 1 StGB; vgl. BBl 1999 2079; BGE 134 IV 121 E. 3.4.2 S. 130, BGE 134 IV 315 E. 3.2 S. 320 und E. 3.7 S. 324), die indessen strengeren Voraussetzungen unterliegt und als ultima ratio nur bei qualifizierter Wahrscheinlichkeit einer erneuten schweren Delinquenz in Frage kommt (BGE 137 IV 59 E. 6.3 S. 70; BGE 134 IV 121 E. 3.4.4 S. 132). Dabei ist zu beachten, dass eine Verwahrung ein bedeutend schwererer Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen ist als eine ausländerrechtliche Ausweisung und deshalb im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips zurückhaltender angeordnet werden darf. Eine Gefährdung, die ausreicht, um eine Ausweisung zu rechtfertigen, genügt deshalb nicht unbedingt für eine Verwahrung. Es ist also denkbar, dass zwar eine stationäre therapeutische Massnahme mangels Therapierbarkeit des Beschwerdeführers nicht mehr weitergeführt und eine Verwahrung mangels qualifizierter Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung nicht angeordnet wird, aber weiterhin eine Gefährdung besteht.
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5.2.2 Aber selbst wenn der Beschwerdeführer dereinst wegen verbesserter Legalprognose aus dem Massnahmenvollzug entlassen werden sollte, schliesst dies eine Ausweisung nicht aus. Strafrecht und ![]() | 11 |
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Gemäss Art. 70 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) bleibt im Falle eines Straf- oder Massnahmenvollzugs die bisherige ausländerrechtliche Bewilligung bis zur Entlassung aus dem Straf- oder Massnahmenvollzug gültig. Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung ist das Anwesenheitsverhältnis spätestens auf den Zeitpunkt der bedingten oder unbedingten Entlassung neu zu regeln. Besteht die Möglichkeit, die betroffene Person zum Vollzug eines Strafurteils in den Heimatstaat zu überstellen, ist sofort über das Anwesenheitsverhältnis zu entscheiden. Diese Bestimmung entspricht ungefähr der früheren Regelung von Art. 14 Abs. 8 ANAV (AS 1949 228).
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Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass Pädosexualität kaum heilbar, sondern lediglich kontrollierbar ist. Es erscheint in solchen ![]() | 16 |
Erwägung 5.3 | |
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5.3.3 Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass die Gefährdung der öffentlichen Ordnung "gegenwärtig" sein muss (Urteil des EuGH vom ![]() | 19 |
5.3.4 In diesem Sinne steht die Interpretation des Beschwerdeführers in einem gewissen Widerspruch zum Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (SR 0.343.1), das für die Schweiz am 1. Oktober 2004 und für Deutschland am 1. August 2007 in Kraft getreten ist und damit im Verhältnis zwischen diesen beiden Staaten als jüngerer Vertrag dem Freizügigkeitsabkommen vorgeht, welches nicht nur mit der EG, sondern auch mit den einzelnen Mitgliedstaaten abgeschlossen wurde (Art. 30 Abs. 3 und Abs. 4 lit. a des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [VRK; SR 0.111]). Gemäss Art. 3 Abs. 1 dieses Zusatzprotokolls kann eine verurteilte Person auch ohne ihre Zustimmung zum Vollzug in ihren Heimatstaat überstellt werden. Darin liegt der Unterschied zum ursprünglichen Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (SR 0.343; vgl. Art. 101 Abs. 2 IRSG [SR 351.1] in der Fassung vom 19. Dezember 2003; Botschaft vom 1. Mai 2002 zu diesem Zusatzübereinkommen, BBl 2002 4341, 4348 f. zu Art. 3; BAECHTOLD, a.a.O., S. 96 f.). Voraussetzung für die Überstellung ist, dass die verhängte Sanktion oder eine infolge dieser Sanktion getroffene Verwaltungsentscheidung eine Ausweisungsanordnung enthält, auf Grund deren es der betroffenen Person nicht gestattet sein wird, nach der Entlassung aus der Haft im Hoheitsgebiet des Urteilsstaats zu bleiben. Diese völkerrechtliche Regelung lässt somit ausdrücklich zu bzw. setzt sogar voraus, dass eine allfällige Ausweisungsverfügung möglichst frühzeitig ergeht (BAECHTOLD, a.a.O., S. 97; vgl. auch NAEGELI/SCHOCH, a.a.O., S. 1155 f.), wenn möglich gleich zu Beginn des Vollzugs. Dies wird denn auch in Art. 70 Abs. 2 Satz 2 VZAE umgesetzt, wonach sofort über das Anwesenheitsverhältnis zu entscheiden ist, wenn die Möglichkeit ![]() | 20 |
5.4 Insgesamt entspricht es jedenfalls vorliegend sowohl dem Landesrecht als auch dem Staatsvertragsrecht, dass möglichst früh und jedenfalls vor dem Ende des Straf- oder Massnahmenvollzugs über die Ausweisung entschieden wird. Der angefochtene Entscheid ist auch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden.
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