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19. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. Inc. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_638/2010 vom 19. März 2012 | |
Regeste |
Art. 5, 19 Abs. 1 und 3, Art. 38 Abs. 3 MWSTG 1999; Mehrwertsteuer; Steuerumgehung; Halten eines Privatflugzeugs durch eine Aktiengesellschaft. |
Die von der Rechtsprechung zur Steuerumgehung entwickelten Grundsätze finden auch bei der Mehrwertsteuer Anwendung (E. 4.1 und 4.2). Vorliegend ist eine geschäftliche Nutzung des Flugzeugs nicht nachgewiesen und erfolgte die Anmeldung der Aktiengesellschaft als Mehrwertsteuerpflichtige einzig in der Absicht, bei minimaler steuerlicher Belastung sich den Vorsteuerabzug auszahlen zu lassen. Steuerumgehung bejaht (E. 4.3 und 4.4). | |
Sachverhalt | |
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Am 24. April 2001 führte die X. Inc. ein Flugzeug der Marke und des Typs Bombardier Learjet 31A in die Schweiz ein und bezahlte darauf die Einfuhrsteuer von Fr. 800'579.95. In der Mehrwertsteuerabrechnung für das 2. Quartal 2001 machte sie die Einfuhrsteuer zum Vorsteuerabzug geltend. Bereits zuvor, am 7. März 2001, hatte die X. Inc. mit der O. Ltd., Zürich, einen Aircraft-Management-Vertrag ("Service Agreement") geschlossen. Darin verpflichtete sich die O. Ltd. gegen ein entsprechendes Entgelt zur Erbringung sämtlicher Leistungen, die mit dem Betrieb des Flugzeugs anfallen. Die X. Inc. machte für die ihr von der O. Ltd. in Rechnung gestellten Leistungen wiederum den Vorsteuerabzug geltend.
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In der Folge verlangte die Eidgenössische Steuerverwaltung bei der X. Inc. verschiedene Unterlagen ein und führte bei deren Geschäftsführer eine Kontrolle durch. Mit Ergänzungsabrechnung vom 25. Februar 2004 belastete sie der X. Inc. die gesamten geltend gemachten Vorsteuern im Betrag von Fr. 870'298.- zurück. Diese Rückbelastung bestätigte die Eidgenössische Steuerverwaltung mit Entscheid vom 9. Mai 2006 und Einspracheentscheid vom 6. August 2008. Sie begründete das im Wesentlichen damit, dass das Flugzeug ausschliesslich durch A. benutzt worden sei, aber jeglicher Nachweis fehle, dass dieser die entsprechenden Rechnungen der X. Inc. auch beglichen habe. Die geltend gemachten Vorsteuern seien offensichtlich nicht in steuerbare Ausgangsumsätze geflossen; damit sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Sodann müsse auch von einer Steuerumgehung ausgegangen werden.
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Die X. Inc. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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Handelt es sich bei den von der Beschwerdeführerin erbrachten Leistungen um Beförderungs(dienst)leistungen, ist Art. 14 Abs. 2 lit. b aMWSTG zu beachten. Nach dieser Vorschrift gilt als Ort von Beförderungsleistungen das Land, in dem eine zurückgelegte Strecke liegt. Steuerbar sind daher nur die auf das Inland entfallenden Streckenteile. Die im Ausland zurückgelegten Streckenteile sind der schweizerischen Mehrwertsteuer nicht unterworfen. Grenzüberschreitende Beförderungen im Luftverkehr, d.h. solche, bei denen entweder der Ankunfts- oder der Abflugsort im Inland liegt, sind indessen - auch was den inländischen Streckenanteil betrifft - von der Steuer befreit (Art. 19 Abs. 3 aMWSTG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 29. März 2000 zum aMWSTG [aMWSTGV; AS 2000 1347]). Es handelt sich dabei um eine echte Steuerbefreiung, weil die Vorsteuer abgezogen werden kann (Art. 19 Abs. 1 aMWSTG). Das Recht auf Vorsteuerabzug besteht bei grenzüberschreitender Beförderung auch für den auf das Ausland ![]() | 11 |
Ginge es demgegenüber bei der Überlassung des Flugzeugs durch die Beschwerdeführerin an A. um eine Vercharterung (oder Vermietung), so wäre die Überlassung des in die Schweiz eingeführten und hier immatrikulierten Flugzeugs zum Gebrauch oder zur Nutzung eine in der Schweiz steuerbare oder allenfalls steuerbefreite Lieferung, Letzteres wenn das Flugzeug überwiegend für Flüge im Ausland eingesetzt würde (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. b, Art. 13 lit. a, Art. 19 Abs. 2 Ziff. 2 aMWSTG; Urteil 2A.314/1998 vom 27. Februar 2001 E. 2b, in: ASA 73 S. 316). Auch unter dieser Hypothese bestünde aber ein Zusammenhang (Konnex) zwischen den Vercharterungsleistungen und den von der Beschwerdeführerin steuerbelastet bezogenen Vorleistungen und wäre der Vorsteuerabzug zulässig.
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4.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 131 II 627 E. 5.2 S. 635 f.; Urteile 2A.470/2002 vom 22. Oktober 2002 E. 4.1 und 5.1, in: StR 59/2004 S. 127; 2A.580/2000 vom 12. Juli 2001 E. 2c, in: StE 2001 A 12 Nr. 10; je mit Hinweisen) wird eine Steuerumgehung angenommen, wenn (1.) eine von den Beteiligten gewählte Rechtsgestaltung als ungewöhnlich (insolite), sachwidrig oder absonderlich, jedenfalls den wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unangemessen erscheint, (2.) anzunehmen ist, dass die gewählte Rechtsgestaltung missbräuchlich lediglich deshalb getroffen wurde, um Steuern einzusparen, die bei sachgemässer Ordnung der Verhältnisse geschuldet wären, und (3.) das gewählte Vorgehen tatsächlich zu einer erheblichen Steuerersparnis führen würde, sofern es von den Steuerbehörden hingenommen würde. Entgegen der in der neuen Literatur geäusserten Ansicht (vgl. anstelle vieler, PETER LOCHER, Rechtsmissbrauchsüberlegungen im Recht der direkten Steuern der Schweiz, ASA 75 S. 675 f., insb. 680; RENÉ MATTEOTTI, Der Durchgriff bei von Inländern beherrschten ![]() | 14 |
Was schliesslich das sog. effektive Element anbelangt, ist zu beachten, dass der Steuerpflichtige grundsätzlich frei ist, wie er seine Rechtsverhältnisse gestalten will, und dass bei rechtsmissbräuchlicher Gestaltung dann eingegriffen werden soll, wenn diese andernfalls tatsächlich Wirkung entfalten würde. Nicht zu prüfen ist im Kontext der Steuerumgehung, wie zu verfahren ist, wenn die Anwendung einer Norm zu einer Steuerübertreibung führen würde, die als krasser Verstoss gegen die Steuergerechtigkeit und damit als willkürlich qualifiziert werden müsste (anders beispielsweise LOCHER, a.a.O., S. 694 und MATTEOTTI, a.a.O., S. 189, welche bei ihren Überlegungen Rechtsmissbrauch und Willkür gleichsetzen und darauf basierend von der Annahme einer unechten Lücke sprechen, ![]() | 15 |
Ob die Voraussetzungen für die Annahme einer Steuerumgehung erfüllt sind, ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Wird eine Steuerumgehung bejaht, ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung der Besteuerung die Rechtsgestaltung zugrunde zu legen, die sachgemäss gewesen wäre, um den erstrebten wirtschaftlichen Zweck zu erreichen. Entgegen in der Literatur geäusserten Meinungen (vgl. beispielsweise LOCHER, a.a.O., S. 680 und 696) erscheint eine solche Sachverhaltsfiktion als unproblematisch, wird doch lediglich die formale privatrechtliche Ausgestaltung des Sachverhalts negiert bzw. fingiert, unverändert bleibt jedoch der Sachverhalt mit Bezug auf seine - für die Beurteilung massgebenden - wirtschaftlichen Auswirkungen (vgl. REICH, a.a.O., § 6 N. 24).
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4.2 Entgegen der Auffassung von PIERRE-MARIE GLAUSER (Evasion fiscale et interprétation économique en matière de TVA [nachfolgend: Evasion], ASA 75 S. 727 ff.) besteht kein hinreichender Grund, diese Regeln nicht auch bei der Mehrwertsteuer anzuwenden (s. Urteile 2C_742/2008 vom 11. Februar 2009 E. 5.5 f., in: ASA 79 S. 260; 2C_632/2007 vom 7. April 2008 E. 4.2, in: ASA 77 S. 354; 2A.61/2006 vom 29. November 2006 E. 3.1 und 3.2, in: StR 62/2007 S. 586, Zusammenfassung). In BGE 132 II 353 E. 10 S. 369 f. hat das Bundesgericht den Fall der Steuerumgehung ausdrücklich vorbehalten, ebenso im Urteil 2A.748/2005 vom 25. Oktober 2006 E. 3.5 (in: StR 62/2007 S. 234, Zusammenfassung). Dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Kritik erwachsen, wobei auf grundsätzliche Überlegungen in der Literatur verwiesen wurde, wonach eine Steuerumgehung nur dort in Frage komme, wo sich die Steuernorm auf das Zivilrecht stütze, was im Bereich der Mehrwertsteuer nicht der Fall sei, da diese hauptsächlich auf wirtschaftlichen Konzepten beruhe (vgl. BÉATRICE BLUM, Steuerumgehung bei der Mehrwertsteuer - Halten eines Flugzeuges in einer "Briefkastengesellschaft", in: Entwicklungen im Steuerrecht, 2009, S. 343 ff., bes. 347, und GRÜNINGER/OESTERHELT, Steuerrechtliche Entwicklungen [insbesondere im Jahr 2008], SZW 2009 S. 51 ff., 65 ff., mit Hinweis auf GLAUSER, Evasion, a.a.O., S. 728 ff.). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar hat das Bundesgericht konstant festgehalten, im Zusammenhang mit einer Steuernorm mit wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten hänge die Zulässigkeit der sog. wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht davon ab, ob die Voraussetzungen der ![]() | 17 |
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4.3.2 Den Überlegungen der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Sie stützt sich zwar im Wesentlichen auf das Bundesgerichtsurteil 2C_632/2007 vom 7. April 2008 (in: ASA 77 S. 354), in dem das Bundesgericht die Auffassung vertrat, die Dazwischenschaltung einer juristischen Person als Halterin eines Flugzeuges könne - angesichts des Umstands, dass diese juristische Person nicht über eine eigene professionelle Organisation für den Betrieb des Flugzeuges verfüge - nicht plausibel gemacht werden und daran ändere auch das Argument einer angeblichen Haftungsbeschränkung nichts. Wenn der Private im zitierten Fall sein Flugzeug pro forma von der juristischen Person halten liess, die keine eigene Tätigkeit entfalte, sondern als blosse "Durchlaufgesellschaft" auftrete, erscheine dies als ungewöhnlich (a.a.O. E. 4.5). Doch kann an diesen Erwägungen so pauschal nicht festgehalten werden. Vorab ist festzustellen, dass es allgemeiner Übung entspricht, Geschäftsflugzeuge nicht privat zu halten, sondern über juristische Personen (vgl. OBERSON/PITTET, La jurisprudence du Tribunal fédéral rendue en 2008 en matière de TVA, ASA 79 S. 163 ff., und insbesondere deren Hinweis auf die Eintragungen im Luftfahrzeugregister der Schweiz, wonach ![]() | 21 |
4.3.3 Anders ist jedoch die Situation zu beurteilen, wenn die Beschwerdeführerin hauptsächlich dazu verwendet wurde, private Bedürfnisse ihres Alleinaktionärs zu befriedigen. Das Bundesgericht hat bereits früher - in Bezug auf das Halten eines praktisch ausschliesslich dem Alleinaktionär zur Verfügung stehenden Ferienhauses durch eine Aktiengesellschaft - festgehalten, es liege in der Natur der Sache, dass ein solches Objekt vorwiegend den persönlichen Bedürfnissen des Aktionärs zu dienen bestimmt sei und dass die ![]() | 22 |
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Vorliegend erschöpft sich der Zweck der Beschwerdeführerin nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz darin, für ihren Aktionär ein einziges Flugzeug zu halten. Die Eidgenössische Steuerverwaltung wies bereits im Begleitschreiben zum Entscheid vom ![]() | 24 |
"Würde nämlich Herr A. das Flugzeug direkt als Privatperson erwerben und der O. Ltd. ins Aircraft Management geben, müsste er als Endbezüger der Leistungen die gesamte anfallende Mehrwertsteuer tragen. Diese Steuerbelastung wird im vorliegenden Fall durch die Zwischenschaltung Ihrer Mandantin 'eliminiert'. (...) Daher ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer Steuerumgehung erfüllt sind."
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Allein aus diesem Grund (Benutzung des Flugzeugs durch den Aktionär als Privatperson) stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung in Aussicht, die Frage der Steuerumgehung näher zu prüfen. Diese Vermutung war begründet. Dennoch hat die Beschwerdeführerin darauf nicht reagiert, um eine geschäftliche Tätigkeit ihres Aktionärs - sofern eine solche Vorliegen sollte - offenzulegen. Sie hatte hierzu wiederholt Gelegenheit, sowohl in der Einsprache wie auch in der Beschwerde an die Vorinstanz. Im Einspracheentscheid wies die Eidgenössische Steuerverwaltung auch darauf hin, dass der Hauptaktionär die behauptete Vermögensanlage in das Flugzeug ebenso gut als Privatmann habe treffen können.
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Eine geschäftliche Nutzung des Flugzeugs ist damit nicht nachgewiesen. Unter diesen Umständen erfolgte die Anmeldung der Beschwerdeführerin als Mehrwertsteuerpflichtige einzig in der Absicht, bei minimaler steuerlicher Belastung sich den Vorsteuerabzug auszahlen zu lassen.
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5. Die Vorinstanz hat somit eine Steuerumgehung zu Recht bejaht. Der Durchgriff auf den wirtschaftlich Berechtigten, A., bewirkt, dass von der Beschwerdeführerin keine Mehrwertsteuer geschuldet ist und auch kein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann. Das hat die Vorinstanz zu Recht erkannt und die Sache an die Eidgenössische Steuerverwaltung zur Rückabwicklung von bereits erfolgten Zahlungen zurückgewiesen. Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.
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