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34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Regierung des Kantons Graubünden gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_100/2012 vom 25. September 2012 | |
Regeste |
Art. 82 lit. a, Art. 89 Abs. 1 BGG; Legitimation einer Kantonsregierung zur Anfechtung eines Entscheides betreffend die Rückerstattungsforderung im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege. |
Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens im Rahmen der allgemeinen Beschwerdelegitimation (Art. 89 Abs. 1 BGG; E. 2.1-2.3). Der angefochtene Entscheid, der die Verjährung des Rückerstattungsanspruchs des Kantons für zuvor erteilte unentgeltliche Rechtspflege bejaht hat, wirkt sich zwar auf die Kantonsfinanzen aus. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern der Kanton über die finanziellen Auswirkungen hinaus in der Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben tangiert sein könnte; die Legitimation des Kantons ist zu verneinen (E. 2.4). | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 28. April 2011 und Verfügung vom 26. Juli 2011 verlangte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden den bevorschussten Betrag von Fr. 9'065.90 zurück, da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von X. über dem massgeblichen Existenzminimum lägen.
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B. Dagegen erhob X. Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses hiess mit Urteil vom 13. Dezember 2011 die Beschwerde gut und hob die Verfügung der Steuerverwaltung vom 26. Juli 2011 auf. Es erwog, der Rückerstattungsanspruch des Kantons sei verjährt.
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C. Die Regierung des Kantons Graubünden erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Verfügung der Steuerverwaltung sei zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. (...)
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
1. Gerichtskosten sind öffentlich-rechtliche Forderungen, auch wenn sie einen Zivilprozess betreffen (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7299 Ziff. 5.8.2 Art. 110). Ebenso beruht das Amt des unentgeltlichen Rechtsvertreters und damit auch seine Entschädigung auf einem ![]() | 7 |
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Das Bundesgericht hat die allgemeine Beschwerdebefugnis des Kantons namentlich bejaht in Fällen, in denen einem Entscheid präjudizielle Bedeutung für die öffentliche Aufgabenerfüllung zukam, so etwa wenn er zur Folge haben könnte, dass Beamte in einer Vielzahl von künftigen Fällen vor ungerechtfertigter Strafverfolgung entgegen der Absicht des kantonalen Gesetzgebers keinen besonderen Schutz geniessen, was sich nachteilig auf das Funktionieren staatlicher ![]() | 11 |
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Ebenfalls bejaht hat das Bundesgericht die Legitimation mit der Begründung, der Kanton sei in Bezug auf den Schutz seines Verwaltungs- oder Finanzvermögens wie ein Privater betroffen, so etwa als öffentlicher Arbeitgeber (BGE 134 I 204 E. 2.3 S. 207 f.; BGE 124 II 409 E. 1e/dd S. 419), in Fällen der Staatshaftung (Urteil 2C_111/2011 vom 7. Juli 2011 E. 1.3, in: RDAF 2011 I S. 594) oder als Schuldner einer Enteignungsentschädigung (BGE 103 Ib 210 E. 1f S. 216; unter Hinweis auf Art. 78 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung [EntG; SR 711]: BGE 132 II 475 E. 1 S. 477; 131 II 137 E. 1.1 S. 140). In anderen Fällen wurde die Legitimation des Gemeinwesens damit begründet, es seien zentrale hoheitliche Interessen berührt, so in Bezug auf den interkommunalen Finanzausgleich und ähnliche Regelungen (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47; BGE 135 II 156 E. 3.3 S. 160), als Gläubiger von Kausalabgaben (BGE 119 Ib 389 E. 2e S. 391; Urteil 2C_712/2008 vom 24. Dezember 2008 E. 1.3) ![]() | 13 |
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2.2 Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die Verjährung nach Art. 123 Abs. 2 der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen ZPO (SR 272) beurteilt, wonach die Rückerstattungsforderung des Kantons in zehn Jahren nach Abschluss des Verfahrens verjährt. Der Kanton macht geltend, richtigerweise sei in Bezug auf die vor diesem Zeitpunkt gewährte unentgeltliche Rechtspflege die Verjährung nach dem früheren kantonalen Recht zu beurteilen. Danach habe rechtsprechungsgemäss ursprünglich eine Verjährungsfrist von zehn Jahren gegolten, die indessen erst zu laufen begonnen habe, wenn das Gemeinwesen Kenntnis der wirtschaftlich günstigeren Verhältnisse gehabt habe. Ab 1. April 2009 habe eine kantonalrechtliche gesetzliche Regelung gegolten, wonach eine zehnjährige Verjährungsfrist ab Rechtskraft des Entscheids gelte; übergangsrechtlich sei jedoch ![]() | 15 |
2.3 Die in einigen Entscheiden verwendete Formulierung, der Kanton sei in Bezug auf den Schutz seines Verwaltungs- oder Finanzvermögens wie ein Privater betroffen (vgl. E. 2.1.2 hiervor), kann nicht so verstanden werden, dass die Legitimation des Gemeinwesens immer schon dann zu bejahen wäre, wenn ein Entscheid Auswirkungen auf sein Vermögen hat (vgl. E. 2.1.3 hiervor). Die Fälle, in denen diese Formulierung verwendet wurde, betreffen Konstellationen, in denen es um finanzielle Leistungen aus Rechtsverhältnissen geht, die zwar öffentlich-rechtlich geregelt sind, aber Analogien haben zu entsprechenden privatrechtlichen Instituten wie etwa das öffentliche Dienstrecht, das Staatshaftungsrecht oder das Enteignungsrecht (vgl. BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, Rz. 42 zu Art. 89 BGG). Im Übrigen ist das Gemeinwesen in seinen fiskalischen Interessen aber grundsätzlich nicht wie ein Privater betroffen, sondern in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger (BGE 136 II 274 E. 4.2 S. 279; BGE 135 II 156 E. 3.3 S. 160). Die Fälle, in denen diesbezüglich die Legitimation bejaht wurde (vgl. E. 2.1.2 hiervor), betreffen in der Regel Konstellationen, in welchen es im Grunde um einen Konflikt zwischen verschiedenen Gemeinwesen geht, die einander nicht hoheitlich gegenüberstehen oder in denen ein Gemeinwesen Adressat einer von einem anderen Gemeinwesen getroffenen Verfügung ist. In denjenigen Fällen, in denen das Bundesgericht die Legitimation als Gläubiger von Kausalabgaben bejahte (Urteile 2C_444/2008 vom 9. März 2009 E. 1.2; 2C_712/2008 vom 24. Dezember 2008 E. 1.3), ging es nicht bloss um den finanziellen Ertrag aus der Gebühr, sondern um die Verantwortung des Gemeinwesens ![]() | 16 |
2.4 So verhält es sich im vorliegenden Fall: Der Kanton hat als erste Instanz verfügt und das Verwaltungsgericht hat diese Verfügung aufgehoben. Sowohl in Bezug auf den konkreten Einzelfall als auch die Präzedenzwirkung für weitere Fälle beschränken sich die Konsequenzen des angefochtenen Entscheids auf Auswirkungen auf die Kantonsfinanzen, was nach dem Gesagten für sich allein zur Bejahung der Legitimation nach Art. 89 Abs. 1 BGG nicht genügt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern infolge des angefochtenen Entscheids über die finanziellen Auswirkungen hinaus die Erfüllung öffentlicher Aufgaben tangiert werden könnte. Zudem hat die streitige Frage einen engen Konnex zu den Gerichts- und Parteikosten, zu deren Anfechtung das Gemeinwesen nicht legitimiert ist (vgl. E. 2.1.3 hiervor). Würde hier die Legitimation der Regierung des Kantons Graubünden bejaht, so liefe dies darauf hinaus, dass das Gemeinwesen immer dann zur Beschwerde legitimiert wäre, wenn eine Rechtsmittelinstanz eine Verfügung aufhebt, mit welcher eine finanzielle Leistung an das Gemeinwesen angeordnet wurde. Eine derart weite Fassung der Legitimation widerspräche dem Willen des Gesetzgebers, welcher für solche Fälle allenfalls eine besondere Beschwerdeberechtigung nach Art. 89 Abs. 2 BGG vorsah, daneben aber die allgemeine Legitimationsklausel nach Art. 89 Abs. 1 BGG nicht in dieser Weise ausweiten wollte (BGE 133 II 400 E. 2.4.3 S. 408; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], Seiler/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], 2007, Rz. 37 zu Art. 89 BGG; WALDMANN, a.a.O., Rz. 44 zu Art. 89 BGG).
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