BGE 138 II 506 | |||
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34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Regierung des Kantons Graubünden gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_100/2012 vom 25. September 2012 | |
Regeste |
Art. 82 lit. a, Art. 89 Abs. 1 BGG; Legitimation einer Kantonsregierung zur Anfechtung eines Entscheides betreffend die Rückerstattungsforderung im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege. |
Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens im Rahmen der allgemeinen Beschwerdelegitimation (Art. 89 Abs. 1 BGG; E. 2.1-2.3). Der angefochtene Entscheid, der die Verjährung des Rückerstattungsanspruchs des Kantons für zuvor erteilte unentgeltliche Rechtspflege bejaht hat, wirkt sich zwar auf die Kantonsfinanzen aus. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern der Kanton über die finanziellen Auswirkungen hinaus in der Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben tangiert sein könnte; die Legitimation des Kantons ist zu verneinen (E. 2.4). | |
Sachverhalt | |
A. Das Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement Graubünden gewährte mit Verfügung vom 19. November 1996 X. im Zivilprozess vor dem Vermittleramt Chur bzw. dem Bezirksgericht Plessur betreffend Ehescheidung die unentgeltliche Prozessführung. In der Folge übernahm der Kanton Graubünden dafür im November 1997 bzw. Januar 1998 Kosten in der Höhe von gesamthaft Fr. 9'065.90 (Verfahrenskosten Fr. 1'350.-, Anwaltskosten Fr. 7'715.90). In der genannten Verfügung wurde X. auf eine allfällige Rückerstattungspflicht hingewiesen.
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Mit Schreiben vom 28. April 2011 und Verfügung vom 26. Juli 2011 verlangte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden den bevorschussten Betrag von Fr. 9'065.90 zurück, da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von X. über dem massgeblichen Existenzminimum lägen.
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B. Dagegen erhob X. Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses hiess mit Urteil vom 13. Dezember 2011 die Beschwerde gut und hob die Verfügung der Steuerverwaltung vom 26. Juli 2011 auf. Es erwog, der Rückerstattungsanspruch des Kantons sei verjährt.
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C. Die Regierung des Kantons Graubünden erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Verfügung der Steuerverwaltung sei zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. (...)
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
1. Gerichtskosten sind öffentlich-rechtliche Forderungen, auch wenn sie einen Zivilprozess betreffen (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7299 Ziff. 5.8.2 Art. 110). Ebenso beruht das Amt des unentgeltlichen Rechtsvertreters und damit auch seine Entschädigung auf einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis (BGE 132 V 200 E. 5.1.4 S. 205). Demzufolge ist auch der Anspruch auf Rückerstattung der Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege eine öffentlich-rechtliche Forderung des Staates gegenüber der Partei, welcher die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde. Wird über die Rückerstattung im Rahmen der Hauptsache entschieden, kann sie mit dem für die Hauptsache vorgesehenen Rechtsmittel angefochten werden (vgl. BGE 135 I 91). Wird die Rückerstattung jedoch in einem selbständigen Verfahren angeordnet, so ist gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), auch wenn das Ausgangsverfahren, in welchem die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ein Zivilprozess war.
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Das Bundesgericht hat die allgemeine Beschwerdebefugnis des Kantons namentlich bejaht in Fällen, in denen einem Entscheid präjudizielle Bedeutung für die öffentliche Aufgabenerfüllung zukam, so etwa wenn er zur Folge haben könnte, dass Beamte in einer Vielzahl von künftigen Fällen vor ungerechtfertigter Strafverfolgung entgegen der Absicht des kantonalen Gesetzgebers keinen besonderen Schutz geniessen, was sich nachteilig auf das Funktionieren staatlicher Organe auswirken könnte (BGE 137 IV 269 E. 1.4 S. 274), oder wenn er die Erteilung einer erheblichen Anzahl weiterer Bewilligungen zur Berufsausübung nach sich ziehen würde, was der kantonalen Gesetzgebung widersprechen und zugleich bedeutsame gesundheitspolizeiliche und -politische Interessen berühren könnte (BGE 135 II 12 E. 1.2.2 S. 15 f.). Ebenfalls bejaht hat das Bundesgericht die Legitimation des Kantons, der geltend machte, sein (kantonales) Reglement über die vereidigten Übersetzer sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz gesetzes- bzw. verfassungskonform (Urteil 2C_1016/2011 vom 3. Mai 2012 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 138 I 196). In jedem Fall aber setzt die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus; gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG dürfen Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zugelassen werden (BGE 136 II 274 E. 4.2 S. 279; BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47).
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Ebenfalls bejaht hat das Bundesgericht die Legitimation mit der Begründung, der Kanton sei in Bezug auf den Schutz seines Verwaltungs- oder Finanzvermögens wie ein Privater betroffen, so etwa als öffentlicher Arbeitgeber (BGE 134 I 204 E. 2.3 S. 207 f.; BGE 124 II 409 E. 1e/dd S. 419), in Fällen der Staatshaftung (Urteil 2C_111/2011 vom 7. Juli 2011 E. 1.3, in: RDAF 2011 I S. 594) oder als Schuldner einer Enteignungsentschädigung (BGE 103 Ib 210 E. 1f S. 216; unter Hinweis auf Art. 78 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung [EntG; SR 711]: BGE 132 II 475 E. 1 S. 477; 131 II 137 E. 1.1 S. 140). In anderen Fällen wurde die Legitimation des Gemeinwesens damit begründet, es seien zentrale hoheitliche Interessen berührt, so in Bezug auf den interkommunalen Finanzausgleich und ähnliche Regelungen (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47; BGE 135 II 156 E. 3.3 S. 160), als Gläubiger von Kausalabgaben (BGE 119 Ib 389 E. 2e S. 391; Urteil 2C_712/2008 vom 24. Dezember 2008 E. 1.3) oder in Bezug auf die Sozialhilferegelung für Asylbewerber, wobei es um die Bundesrechtsmässigkeit einer kantonalen Regelung mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für den Kanton ging (Urteil 8C_1025/2009 vom 19. August 2010 E. 3.4.3).
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2.2 Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die Verjährung nach Art. 123 Abs. 2 der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen ZPO (SR 272) beurteilt, wonach die Rückerstattungsforderung des Kantons in zehn Jahren nach Abschluss des Verfahrens verjährt. Der Kanton macht geltend, richtigerweise sei in Bezug auf die vor diesem Zeitpunkt gewährte unentgeltliche Rechtspflege die Verjährung nach dem früheren kantonalen Recht zu beurteilen. Danach habe rechtsprechungsgemäss ursprünglich eine Verjährungsfrist von zehn Jahren gegolten, die indessen erst zu laufen begonnen habe, wenn das Gemeinwesen Kenntnis der wirtschaftlich günstigeren Verhältnisse gehabt habe. Ab 1. April 2009 habe eine kantonalrechtliche gesetzliche Regelung gegolten, wonach eine zehnjährige Verjährungsfrist ab Rechtskraft des Entscheids gelte; übergangsrechtlich sei jedoch festgelegt worden, dass die Frist erst mit Inkrafttreten des Gesetzes zu laufen beginne. Dasselbe müsse bei Inkrafttreten der eidgenössischen ZPO gelten. Die vom Verwaltungsgericht angeordnete übergangslose Anwendung von Art. 123 Abs. 2 ZPO auf altrechtlich erteilte unentgeltliche Rechtspflege habe zur Folge, dass die Rückerstattungsforderung bereits vor dem Inkrafttreten der ZPO verjährt wäre. Der Kanton macht geltend, er habe ein erhebliches öffentliches, hoheitliches Interesse daran, die vorschussweise übernommenen Kosten zurückfordern zu können und sei darin in seinen schutzwürdigen Interessen berührt, gehe es doch darum, ob das Rückforderungsregime für altrechtlich gewährte unentgeltliche Rechtspflege durch das neue Prozessrecht betroffen sei. Wahlweise macht er geltend, er sei durch die Bejahung der Verjährung gleich wie ein privater Gläubiger betroffen.
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2.3 Die in einigen Entscheiden verwendete Formulierung, der Kanton sei in Bezug auf den Schutz seines Verwaltungs- oder Finanzvermögens wie ein Privater betroffen (vgl. E. 2.1.2 hiervor), kann nicht so verstanden werden, dass die Legitimation des Gemeinwesens immer schon dann zu bejahen wäre, wenn ein Entscheid Auswirkungen auf sein Vermögen hat (vgl. E. 2.1.3 hiervor). Die Fälle, in denen diese Formulierung verwendet wurde, betreffen Konstellationen, in denen es um finanzielle Leistungen aus Rechtsverhältnissen geht, die zwar öffentlich-rechtlich geregelt sind, aber Analogien haben zu entsprechenden privatrechtlichen Instituten wie etwa das öffentliche Dienstrecht, das Staatshaftungsrecht oder das Enteignungsrecht (vgl. BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, Rz. 42 zu Art. 89 BGG). Im Übrigen ist das Gemeinwesen in seinen fiskalischen Interessen aber grundsätzlich nicht wie ein Privater betroffen, sondern in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger (BGE 136 II 274 E. 4.2 S. 279; BGE 135 II 156 E. 3.3 S. 160). Die Fälle, in denen diesbezüglich die Legitimation bejaht wurde (vgl. E. 2.1.2 hiervor), betreffen in der Regel Konstellationen, in welchen es im Grunde um einen Konflikt zwischen verschiedenen Gemeinwesen geht, die einander nicht hoheitlich gegenüberstehen oder in denen ein Gemeinwesen Adressat einer von einem anderen Gemeinwesen getroffenen Verfügung ist. In denjenigen Fällen, in denen das Bundesgericht die Legitimation als Gläubiger von Kausalabgaben bejahte (Urteile 2C_444/2008 vom 9. März 2009 E. 1.2; 2C_712/2008 vom 24. Dezember 2008 E. 1.3), ging es nicht bloss um den finanziellen Ertrag aus der Gebühr, sondern um die Verantwortung des Gemeinwesens für die Erstellung einer Anlage. Verneint wird hingegen die Legitimation, wenn es einzig um die finanziellen Folgen der Verwaltungstätigkeit geht, welche das Gemeinwesen in seiner Stellung als hoheitlich verfügende Behörde treffen (Urteil 1C_220/2009 vom 26. April 2010 E. 2.2.2, nicht publ. in: BGE 136 II 204; Urteil 1C_79/2011 vom 10. März 2011 E. 1.4, in: JdT 2011 I S. 39). In solchen Fällen deckt sich das finanzielle Interesse des Gemeinwesens mit der Frage der richtigen Rechtsanwendung, was zur Legitimation nicht genügt.
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2.4 So verhält es sich im vorliegenden Fall: Der Kanton hat als erste Instanz verfügt und das Verwaltungsgericht hat diese Verfügung aufgehoben. Sowohl in Bezug auf den konkreten Einzelfall als auch die Präzedenzwirkung für weitere Fälle beschränken sich die Konsequenzen des angefochtenen Entscheids auf Auswirkungen auf die Kantonsfinanzen, was nach dem Gesagten für sich allein zur Bejahung der Legitimation nach Art. 89 Abs. 1 BGG nicht genügt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern infolge des angefochtenen Entscheids über die finanziellen Auswirkungen hinaus die Erfüllung öffentlicher Aufgaben tangiert werden könnte. Zudem hat die streitige Frage einen engen Konnex zu den Gerichts- und Parteikosten, zu deren Anfechtung das Gemeinwesen nicht legitimiert ist (vgl. E. 2.1.3 hiervor). Würde hier die Legitimation der Regierung des Kantons Graubünden bejaht, so liefe dies darauf hinaus, dass das Gemeinwesen immer dann zur Beschwerde legitimiert wäre, wenn eine Rechtsmittelinstanz eine Verfügung aufhebt, mit welcher eine finanzielle Leistung an das Gemeinwesen angeordnet wurde. Eine derart weite Fassung der Legitimation widerspräche dem Willen des Gesetzgebers, welcher für solche Fälle allenfalls eine besondere Beschwerdeberechtigung nach Art. 89 Abs. 2 BGG vorsah, daneben aber die allgemeine Legitimationsklausel nach Art. 89 Abs. 1 BGG nicht in dieser Weise ausweiten wollte (BGE 133 II 400 E. 2.4.3 S. 408; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], Seiler/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], 2007, Rz. 37 zu Art. 89 BGG; WALDMANN, a.a.O., Rz. 44 zu Art. 89 BGG).
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