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21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Verein Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS, Referendumskomitee Stopp fremde Steuervögte), Schwander und Keller gegen Schweizerische Bundeskanzlei (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_606/2012 / 1C_608/2012 vom 5. Juni 2013 | |
Regeste |
Art. 141 Abs. 1 BV, Art. 59a, 62 BPR; Fristenlauf für das fakultative Referendum, Stimmrechtsbescheinigung. |
Das Referendum muss mit der nötigen Anzahl Unterschriften samt Stimmrechtsbescheinigung innerhalb der Referendumsfrist bei der Bundeskanzlei eintreffen (E. 7.2). Die Verantwortung für die rechtzeitige Einholung der Stimmrechtsbescheinigungen obliegt den Urhebern des Referendums. Diese müssen bei ihrer Planung berücksichtigen, dass Ablaufstörungen im Bescheinigungsverfahren vorkommen können (E. 7.5). Bei Einreichung zur Beglaubigung einer grossen Zahl von Unterschriften am 97. Tag der Referendumsfrist besteht keine Gewähr, dass die Unterschriften noch vor Ablauf der Referendumsfrist zurückgegeben werden können. Die Bundeskanzlei hat die verspätet eingereichten Unterschriften zu Recht als ungültig bezeichnet (E. 8). | |
Sachverhalt | |
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B. Am 27. September 2012 reichten das Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte", die Junge SVP Schweiz, ein ![]() | 2 |
1. das Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte", die Junge SVP Schweiz und das Referendumskomitee Steuerabkommen gemeinsam:
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a) 41 647 Unterschriften
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b) ein ungeöffnetes Postpaket mit einer nicht bekannten Anzahl weiterer Unterschriften und
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c) einen weiteren Karton mit einer nicht bekannten Anzahl weiterer Unterschriften;
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2. die Lega dei Ticinesi 5014 Unterschriften.
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(...) Nach Ablauf der Referendumsfrist reichte das Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte" am Montagnachmittag, 1. Oktober 2012, um 17.00 Uhr ein Paket mit laut eigenen Angaben 2888 verspätet eingegangenen Unterschriften nach.
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C. Die Bundeskanzlei kontrollierte die Unterschriften vom Donnerstagabend, 27. September bis und mit Montag, 1. Oktober 2012. Die Kontrolle ergab für das Referendum über den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich 47'363 gültige und 191 ungültige Unterschriften. (...)
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D. Mit Verfügung vom 30. Oktober 2012 hielt die Schweizerische Bundeskanzlei fest, dass das Referendum gegen den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich nicht zustande gekommen sei, da die notwendigen 50'000 Unterschriften innert der Sammelfrist von 100 Tagen nicht eingereicht worden seien (BBl 2012 8575).
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E. Der Verein Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS, Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte") und dessen Präsident Nationalrat Pirmin Schwander haben am 28. November 2012 beim Bundesgericht eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Verfügung der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 eingereicht. Sie beantragen, es sei festzustellen, dass das Referendum gegen den Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich und des Protokolls zur Änderung dieses Abkommens zustande gekommen sei. (...)
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(...)
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J. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 5. Juni 2013 öffentlich beraten (Art. 58 f. BGG) und die Beschwerde abgewiesen. Gegenstand des vorliegenden Urteils ist der Entscheid der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 über das Nicht-Zustandekommen des Referendums betreffend den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 5 | |
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5.2 Das Bundesgericht hat sich mit der Frage des Beginns der Referendumsfrist bereits im Urteil 1C_609/2012 vom 14. Dezember 2012 E. 4 betreffend den Staatsvertrag mit Österreich befasst. Danach besteht keine verbindliche Regel, wonach Referendumsfristen immer erst zehn Tage nach der Beschlussfassung durch die Eidgenössischen Räte angesetzt würden. Hingegen bestimmt Art. 1 Abs. 4 lit. b der Organisationsverordnung für die Bundeskanzlei vom 29. Oktober 2008 (OV-BK; SR 172.210.10), dass die Rechtstexte und die übrigen nach der Publikationsgesetzgebung zu veröffentlichenden Texte so schnell wie möglich und in der gebotenen Qualität veröffentlicht werden. Die Bundeskanzlei verfügt bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Publikation über ein gewisses Ermessen. Es ist hier zu prüfen, ob dieses pflichtgemäss ausgeübt wurde, das heisst ob sachliche Gründe für die Wahl eines im Vergleich ![]() | 17 |
Für die Publikation der Steuerabkommen war eine gewisse Dringlichkeit gegeben, um über die Notwendigkeit einer Volksabstimmung möglichst rasch Klarheit zu erlangen. Nach den Ausführungen der Bundeskanzlei musste die Unterschriftensammlung so angesetzt werden, dass die Referendumsabstimmung im November 2012 hätte durchgeführt werden können und das Inkrafttreten des Staatsvertrags auf den 1. Januar 2013 möglich gewesen wäre. Das Abkommen bestimmt in Art. 43 (BBl 2012 5188) zum Inkrafttreten: "Jeder Vertragsstaat notifiziert dem anderen Vertragsstaat auf diplomatischem Weg, dass die innerstaatlichen gesetzlichen Erfordernisse für das Inkrafttreten dieses Abkommens erfüllt sind. Das Abkommen tritt am 1. Januar des dem Eingang der späteren dieser Notifikationen folgenden Kalenderjahres in Kraft." Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich nicht, dass die Parteien des Staatsvertrags verbindlich ein Inkrafttreten auf den 1. Januar 2013 vereinbart hätten. Indessen ist zu beachten, dass die im Anhang I zum Abkommen enthaltenen Formeln zur Berechnungsmethode für die Einmalzahlung nach Art. 9 Abs. 2 des Abkommens auf eine Übergangsfrist von zwei Jahren ausgerichtet sind, welche am 31. Dezember 2010 (K 8) beginnt und am 31. Dezember 2012 (K 10) endet. Daraus folgt, dass eine spätere Inkraftsetzung des Staatsvertrags eine Vertragsänderung vorausgesetzt hätte. Vor diesem Hintergrund behandelten die Eidgenössischen Räte die Genehmigung der Abkommen im beschleunigten Verfahren nach Art. 85 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes (SR 171.10).
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Unter den beschriebenen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass die Bundeskanzlei den Bundesbeschluss über die Abkommen im ersten möglichen Zeitpunkt im Bundesblatt veröffentlichte. Die mögliche Volksabstimmung war wegen der Dringlichkeit auf den 25. November 2012 vorgesehen und es musste genügend Zeit für deren Vorbereitung eingeplant werden. Es lagen damit im Unterschied zur Änderung des Raumplanungsgesetzes namhafte Gründe vor, die Referendumsvorlage sehr rasch zu publizieren. Die Bundeskanzlei machte das Publikationsdatum des 19. Juni 2012 am 15. Juni 2012 vorweg mit einer Medienmitteilung bekannt, was den interessierten Kreisen erlaubte, die Organisation des Referendums darauf auszurichten. Im Übrigen wird das Bundesblatt auch über das Internet verbreitet, was allfällige Nachteile wegen postalischen oder ![]() | 19 |
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Unter Berücksichtigung der am 1. Oktober 2012 nachgereichten und von der Bundeskanzlei als verspätet bezeichneten Unterschriften habe das Referendum zum Abgeltungssteuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich total 50'172 gültige Unterschriften auf sich vereinigt, für die das Stimmrecht während der gesetzlichen Sammelfrist bescheinigt worden sei. 148 Gemeinden hätten bescheinigte Unterschriften am 24.-26. September per B-Post ans Referendumskomitee zurückgesandt; diese Sendungen seien dem Komitee am 28. und 29. September sowie am 1. Oktober 2012 zugekommen. Eine Rücksendung per A-Post oder ein Hinweis der Amtsstelle ans Referendumskomitee, die Unterschriften seien abholbereit, hätte das Referendum zustande kommen lassen. Die Staatskanzlei Genf habe mit Pressemitteilung vom 5. Oktober 2012 selber eingeräumt, 4200 rücksendebereit bescheinigte Unterschriften für die drei parallel laufenden Referenden versehentlich als B-Post frankiert zu haben. Pro Referendum seien so um die 1400 Unterschriften verspätet zum Referendumskomitee zurückgekommen. 198 Gemeinden hätten die Stimmrechtsbescheinigung während der Sammelfrist ausgestellt, aber erst nach dem 27. September 2012 retourniert, und die Post ![]() | 22 |
Erwägung 7 | |
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Nach Auffassung der Beschwerdeführer ist das Referendum mit 50'172 Unterschriften zustande gekommen, wenn die strittigen 2809 Unterschriften zu den von der Bundeskanzlei als gültig anerkannten 47'363 Unterschriften, hinzugezählt werden. Sie berufen sich auf den Umstand, dass sie die strittigen 2809 Unterschriften am letzten Tag der Referendumsfrist (27. September 2012) bei der Bundeskanzlei hätten einreichen können, wenn ihnen die beglaubigten Listen von den zuständigen Stellen unverzüglich zurückgegeben worden wären. Die Bundeskanzlei hält dieser Argumentation entgegen, das Gesetz erlaube ihr nicht, die verspätet eingereichten Unterschriften für gültig zu erklären, da dies auf eine Verlängerung der verfassungsmässigen Referendumsfrist hinausliefe.
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7.4 Die Stimmrechtsbescheinigung wird in Art. 62 BPR näher geregelt. Nach dessen Abs. 1 sind die Unterschriftenlisten rechtzeitig ![]() | 28 |
Mit der Bundeskanzlei ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber die Ausstellung der Stimmrechtsbescheinigungen bewusst keiner genauen Frist unterworfen hat. Mit der Formulierung, die bescheinigten Unterschriftenlisten seien unverzüglich den Absendern zurückzugeben (Art. 62 Abs. 2 BPR), wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Menge und die Dringlichkeit anfallender Stimmrechtsbescheinigungen je nach Amtsstelle stark variieren kann. Ein langjähriger Erfahrungswert besagt nach den Angaben der Bundeskanzlei, dass eine geübte Person pro Tag ca. 300 bis höchstens 350 Stimmrechtsbescheinigungen ausstellen kann (vgl. AB 1975 N 1502). Daher hat der Gesetzgeber auch angeordnet, dass die "Unterschriftenlisten rechtzeitig vor Ablauf der Referendumsfrist der Amtsstelle" zuzustellen sind (Art. 62 Abs. 1 BPR). Mit dem Ausdruck suffisamment tôt in der französischen Fassung des Gesetzestexts wird noch verstärkt auf die Verantwortung der Urheber des Referendums für die rechtzeitige Zustellung der Unterschriften zur Stimmrechtsbescheinigung hingewiesen. Bereits in der Botschaft zum Bundesgesetz über die politischen Rechte von 1975 führte der Bundesrat aus, die Unterschriften dürften nicht zu knapp vor Ablauf der Fristen zur Bescheinigung eingereicht werden, es sei auf die Leistungsfähigkeit der lokalen Behörden innerhalb der verfügbaren Zeit Rücksicht zu nehmen, und die Unterschriften seien mit Vorteil zeitlich gestaffelt, in Teilsendungen, einzureichen (BBl 1975 I 1345 f.). Diese Grundsätze werden auch im Leitfaden der Bundeskanzlei für Urheberinnen und Urheber eines Referendums betont. Mit der Revision des BPR im Jahre 1996 hat die Obliegenheit der rechtzeitigen Einreichung der Unterschriften zur Beglaubigung noch an Bedeutung gewonnen, da mit dieser Gesetzesänderung die Möglichkeit der nachträglichen Behebung von Bescheinigungsmängeln abgeschafft und gleichzeitig die Referendumsfrist von 90 auf 100 Tage verlängert wurde (Art. 59 in AS 1997 754 im Vergleich zu aArt. 59 in AS 1978 700; dazu BBl 1993 III 490). Mit der Verlängerung der Referendumsfrist sollte den Urhebern von Referenden mehr Spielraum ![]() | 29 |
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Die Übertragung der Verantwortung für die Unterschriften an die Urheber eines Referendums auch während des Prozesses der Stimmrechtsbescheinigung entspricht dem klaren Willen des Gesetzgebers bei der Änderung des BPR im Jahre 1996 (vgl. Botschaft des Bundesrats vom 1. September 1993 zu einer Teiländerung des BPR, BBl 1993 III 491). Dabei war ihm bewusst, dass im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens Ablaufstörungen (wie etwa verlorene Postsendungen oder falsche Poststempel) nicht immer zu vermeiden sind. Um die Rechte der Referendumskomitees nicht zu schmälern, wurde die Referendumsfrist mit dieser Gesetzesänderung um zehn ![]() | 31 |
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8.2 Nach den unbestrittenen Angaben des Staatsrats des Kantons Genf trafen bei der kantonalen Beglaubigungsstelle erst am 97. Tag der 100-tägigen Sammelfrist 3847 Unterschriften für das Referendum gegen die drei Staatsverträge zur Beglaubigung ein. Dabei handelte es sich um fast die Hälfte (48,7 %) aller in Genf für diese Referenden zur Stimmrechtsbescheinigung vorgewiesenen Unterschriften. Die Genfer Behörden ergriffen nach Erhalt der Unterschriften sofort besondere Massnahmen, indem ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Vornahme der Bescheinigungen in einem Sondereinsatz am 24. und 25. September 2012 von 7 Uhr bis 22 Uhr ![]() | 34 |
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8.4 Die Urheber des Referendums haben somit selbst zu vertreten, dass die Bundeskanzlei die verspätet bei ihr eingetroffenen Unterschriften aus dem Kanton Genf nicht mehr berücksichtigen konnte. Die Bundeskanzlei hat die erst am 1. Oktober 2012 bei ihr eingereichten Unterschriften aus dem Kanton Genf zu Recht als ungültig ![]() | 36 |
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