![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen C., D. und Gemeinderat Möhlin sowie Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_250/2013 vom 12. Dezember 2013 | |
Regeste |
Vorsorgliche Begrenzung von Lichtemissionen (Weihnachts- und ganzjährige Zierbeleuchtung) gestützt auf Art. 11 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 2 USG. |
Öffentliches Interesse an der Begrenzung von Lichtemissionen im Allgemeinen (E. 5.4) und insbesondere im Nachtruhefenster zwischen 22.00 und 06.00 Uhr (E. 5.5). |
Die ganzjährige Zierbeleuchtung wurde auf die Zeit bis 22.00 Uhr begrenzt. Dies schränkt die Eigentumsgarantie und allfällige andere Grundrechte der Beschwerdeführer nur geringfügig ein und ist verhältnismässig (E. 5.6- 5.8). |
Die Weihnachtsbeleuchtung wurde auf die Zeit vom 1. Advent bis zum 6. Januar begrenzt und darf bis 01.00 Uhr des Folgetags betrieben werden. Damit wurde dem privaten Interesse der Beschwerdeführer wie auch der Tradition der Advents- und Weihnachtsbeleuchtung ausreichend Rechnung getragen (E. 6). |
Keine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots (E. 7). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Nach der Weihnachtszeit wird eine reduzierte Beleuchtung für das ganze Jahr hindurch installiert (Ganzjahresbeleuchtung). Die Hausfassaden werden von allen Seiten mit Spots beleuchtet. Gewisse Lichterketten (z.B. am Carport) bleiben bestehen und einzelne Bäume werden weiterhin beleuchtet. In den Fenstern befinden sich anstelle der Sterne kleine Tischlampen.
| 2 |
Die Steuerung der Beleuchtung erfolgt mit Zeitschaltuhren. Zur Weihnachtszeit wird die Beleuchtung zwischen 16.30 und 17.00 Uhr ein- und zwischen 00.30 und 01.00 Uhr abgeschaltet. Ausserhalb der Weihnachtszeit schaltet die Beleuchtung jeweils mit dem Eindunkeln entsprechend der Jahreszeit ein.
| 3 |
D. und C. bewohnen das vis-à-vis liegende Haus (...). Sie fühlen sich durch die Weihnachts- und Ganzjahresbeleuchtung gestört. Am 9. Februar 2011 beantragten sie bei der Gemeinde Möhlin eine zeitliche Beschränkung und Reduktion der Lichtimmissionen. Der Gemeinderat wies den Antrag am 20. Juni 2011 ab.
| 4 |
B. Dagegen erhoben D. und C. Verwaltungsbeschwerde an das Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau (BVU). Dieses führte einen Augenschein durch. Am 19. April 2012 hiess es die Beschwerde gut und verpflichtete A. und B., die Zierbeleuchtung (Ganzjahresbeleuchtung und Weihnachtsbeleuchtung) ab 22.00 Uhr abzuschalten; nur am 24., 25. und 26. Dezember dürfe sie bis 01.00 Uhr des Folgetags eingeschaltet bleiben.
| 5 |
C. Gegen den Entscheid des BVU gelangten A. und B. am 18. Mai 2012 an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Dieses führte am 11. Dezember 2012 eine Augenscheinsverhandlung durch. Am 18. Dezember 2012 hiess es die Beschwerde teilweise gut. Es änderte den angefochtenen Entscheid wie folgt ab:
| 6 |
"A. und B. werden verpflichtet, die Zierbeleuchtung (Ganzjahresbeleuchtung) (...) ab 22.00 Uhr abzuschalten; die Weihnachtsbeleuchtung ist vom 1. Advent bis 6. Januar zulässig und darf bis 01.00 Uhr des Folgetags eingeschaltet bleiben."
| 7 |
D. Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid haben A. und B. am 4. März 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. (...)
| 8 |
9 | |
(Auszug)
| 10 |
Aus den Erwägungen: | |
11 | |
12 | |
Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes sind daher Emissionsbegrenzungen nach Art. 12 Abs. 2 USG nicht nur zum Schutz gegen schädliche oder lästige Emissionen geboten, sondern - gestützt auf das Vorsorgeprinzip - auch zur Vermeidung unnötiger Emissionen (BGE 133 II 169 E. 175; BGE 126 II 366 E. 2b S. 368 mit Hinweisen). Sie werden insbesondere durch das Verhältnismässigkeitsprinzip begrenzt; zudem können (namentlich bei bewilligten Anlagen) Gründe des Vertrauensschutzes der (sofortigen) Herstellung des rechtmässigen Zustands entgegenstehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_177/2011 vom 9. Februar 2012 E. 4.2 mit Hinweisen; GRIFFEL/RAUSCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Ergänzungsband, 2011, N. 10 zu Art. 16 USG).
| 13 |
4.2 Gemäss Art. 11 Abs. 3 USG werden die Emissionsbegrenzungen verschärft, wenn feststeht oder zu erwarten ist, dass die Einwirkungen unter Berücksichtigung der bestehenden Umweltbelastung schädlich oder lästig werden. Da Immissionsgrenzwerte für sichtbares Licht fehlen, müssen die Behörden die Lichtimmissionen im ![]() | 14 |
15 | |
Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL; heute BAFU) hat im Jahr 2005 Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen (nachfolgend: Empfehlungen BUWAL) herausgegeben. Diese konkretisieren in erster Linie das Vorsorgeprinzip, indem sie aufzeigen, wie sich unnötige Lichtemissionen durch eine nachhaltige Lichtnutzung in Aussenräumen vermeiden lassen. Sie zeigen aber auch die negativen Konsequenzen von Lichtimmissionen auf Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften und Lebensräume auf, die bei der Beurteilung der Schädlichkeit von Lichtimmissionen zu berücksichtigen sind (Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 lit. a USG analog; vgl. auch Art. 18 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz [NHG; SR 451] und Art. 1 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1986 über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel [JSG; SR 922.0]).
| 16 |
Seit 1. März 2013 gilt die SIA-Norm 491 zur Vermeidung von unnötigen Lichtemissionen im Aussenraum (im Folgenden: SIA 491: 2013). ![]() | 17 |
18 | |
Im Folgenden ist daher zu prüfen, ob sich die angeordneten Emissionsbegrenzungen auf das Vorsorgeprinzip stützen können, verhältnismässig und mit den Grundrechten der Beschwerdeführer vereinbar sind. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Ganzjahresbeleuchtung, die um 22.00 Uhr abgeschaltet werden muss (unten E. 5), und der Weihnachtsbeleuchtung, die vom 1. Advent bis zum 6. Januar bis 01.00 Uhr des Folgetags eingeschaltet bleiben darf (unten E. 6).
| 19 |
Da die Beschwerdegegner das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht angefochten haben, ist nicht zu prüfen, ob weitergehende Emissionsbegrenzungen zulässig oder sogar geboten gewesen wären.
| 20 |
21 | |
22 | |
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und der Kunstfreiheit (Art. 21 BV). Die Zierbeleuchtung im Garten sei Ausdruck ihrer Lebensfreude und Teil ihrer ![]() | 23 |
Die Einschränkung dieser Grundrechte sei nur zulässig, wenn eine gesetzliche Grundlage vorliege, die Einschränkung im öffentlichen Interesse liege oder dem Schutz von Grundrechten Dritter diene und verhältnismässig sei (Art. 36 Abs. 1-3 BV). Diese Voraussetzungen fehlten im vorliegenden Fall. Insbesondere fehle ein öffentliches Interesse an der Einschränkung der Zierbeleuchtung, an der sich einzig die Beschwerdegegner störten. Die Einschränkung sei auch unverhältnismässig, weil das Schlafzimmer der Beschwerdegegner ohnehin durch die Strassenbeleuchtung erhellt werde, das Abschalten der Zierbeleuchtung daher nicht zu einer feststellbaren Verdunkelung des Strassenraums führen würde. Der "Gewinn" für die Beschwerdegegner sei so geringfügig, dass er den Grundrechtseingriff nicht zu rechtfertigen vermöge.
| 24 |
5.2 Das Verwaltungsgericht führte aus, dass es sich um eine Zierbeleuchtung handle, die nicht der Sicherheit diene, sondern der Verschönerung von Haus und Garten. Dem privaten Interesse der Beschwerdeführer am möglichst uneingeschränkten Betrieb ihrer Zierbeleuchtung stehe das Interesse an der Vermeidung von unnötigen Lichtemissionen entgegen. In Analogie zur Nachtruhe für den Lärmschutz gemäss Anhang 3-5 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) und § 9 Abs. 2 des Polizeireglements Unteres Fricktal hielt es eine zeitliche Beschränkung der Betriebszeit der Ganzjahresbeleuchtung auf 22.00 Uhr für sinnvoll und angemessen. Ab 22.00 Uhr sei das Bedürfnis der Bevölkerung bzw. der Nachbarschaft an einer ungestörten Nachtruhe hoch zu werten; auch Gründe der Ökologie und der Energieersparnis ![]() | 25 |
26 | |
27 | |
Dies bestätigt der vom Bundesrat am 13. Februar 2013 genehmigte Bericht des BAFU "Auswirkungen von künstlichem Licht auf die Artenvielfalt und den Menschen" vom 29. November 2012 (http://www.admin.ch/aktuell/00089/index.html?lang=de&msgid=47743). Danach haben die gegen oben gerichteten Lichtemissionen in der Schweiz in den letzten zwanzig Jahren um rund 70 % zugenommen. Dadurch nimmt die Nachtdunkelheit ab und grosse, natürlich dunkle Gebiete werden immer seltener. In der Schweiz tragen der hohe Zersiedelungsgrad und die coupierte Topografie dazu bei, dass Kunstlicht weit in die nächtliche Landschaft hinaus wirkt. Die Lebensräume nachtaktiver Tiere können durch künstliches Licht erheblich gestört werden, wodurch die Überlebensfähigkeit lichtempfindlicher Arten reduziert und ihr Sterberisiko erhöht wird. Der Lebensraum von Tieren kann durch Lichtemissionen zerschnitten, ihr Aktionsradius eingeschränkt und das Nahrungsangebot reduziert werden. Nachtaktive Tiere erwachen wegen der Beleuchtung später und haben weniger Zeit für die Nahrungssuche. In Lebensgemeinschaften kann es zur Verschiebung und Verarmung der ![]() | 28 |
Da bislang Erkenntnisse zur Quantifizierung der negativen Auswirkungen von Lichtemissionen auf Pflanzen und Tiere fehlen, besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse daran, zumindest unnötige Lichtemissionen im Rahmen der Vorsorge zu begrenzen.
| 29 |
30 | |
Auch die SIA 491:2013 widmet der Beleuchtung privater Gebäude und Anlagen, einschliesslich Einfamilienhäusern und Privatgärten, einen eigenen Abschnitt (Ziff. 3.8). Zu den möglichen unnötigen Lichtimmissionen dieser Kategorie zählen u.a. das Anleuchten von nicht zu beleuchtenden Umgebungsflächen, das ungenaue Anleuchten oder das unnötige ganznächtliche Anleuchten von Objekten (Ziff. 3.8.2.2). Zu den möglichen Auswirkungen zählen die Aufhellung des Nachthimmels, die Aufhellung von Naturräumen und naturnahen Gebieten, die Störung von Fledermäusen, Zugvögeln und Wildsäugern, die Anziehung von Insekten und die Verkünstlichung der natürlichen Nachtlandschaft (Ziff. 3.8.3). Als emissionsmindernde Massnahme empfiehlt die Norm u.a. die Minimierung und ![]() | 31 |
Dies entspricht der Empfehlung des BUWAL (Ziff 5.2.9 S. 34) und anderer Stellen (z.B. dem bereits erwähnten Leitfaden des Kantons Solothurn, S. 17 und 30), wonach eine Synchronisierung mit dem Nachtruhefenster, ähnlich wie im Lärmschutz, von 22.00 bis 06.00 Uhr anzustreben sei. Die Gemeinde Möhlin kommt dieser Empfehlung insofern nach, als sie die öffentliche Strassenbeleuchtung nach 22.00 Uhr zwar nicht abgeschaltet, wohl aber um 30-40 % der Stärke abdämmt.
| 32 |
Nach dem Gesagten besteht ein öffentliches Interesse daran, Lichtemissionen nach 22.00 Uhr so weit wie möglich zu reduzieren und - sofern sie nicht (z.B. aus Sicherheitsgründen) benötigt werden - abzustellen.
| 33 |
34 | |
Dazu gehören auch die Tischlämpchen in den Fenstern, die nach den Feststellungen der Vorinstanz ebenfalls der Aussenbeleuchtung dienen. Dagegen ist es den Beschwerdeführern nicht untersagt, ihr Haus von innen zu beleuchten, wenn sie sich dort aufhalten.
| 35 |
36 | |
![]() | 37 |
38 | |
39 | |
40 | |
41 | |
Weihnachtsbeleuchtung wird von vielen Menschen nicht als störend empfunden, sondern als festlicher Brauch geschätzt. Insofern verhält es sich ähnlich wie beim Glockengeläut (vgl. BGE 126 II 366 E. 3c S. 371) oder anderen Immissionen, die nicht als unerwünschte Nebenwirkungen einer bestimmten Tätigkeit auftreten, sondern ![]() | 42 |
43 | |
44 | |
![]() | 45 |
46 | |
47 | |
7.3 Den Beschwerdeführern ist einzuräumen, dass die heutige Praxis der Behörden, vorsorgliche Beschränkungen von Lichtimmissionen nur im Fall von Beanstandungen anzuordnen, insofern unbefriedigend ist, als es vom Wohlwollen bzw. der Empfindlichkeit der Nachbarn abhängt, ob überhaupt ein Verfahren eingeleitet wird. Dies ist eine Konsequenz des Verzichts auf ein präventives Bewilligungsverfahren (vgl. oben, E. 6.4). Die zuständigen (kantonalen oder kommunalen) Behörden können jedoch von Amtes wegen Kontrollen vornehmen und nötigenfalls Beschränkungen anordnen.
| 48 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |