BGE 140 II 409 | |||
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36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Migrationsamt des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_913/2014 vom 4. November 2014 | |
Regeste |
Art. 75 Abs. 1 lit. f, Art. 76, 78 und 80 AuG; Art. 42 und 97 AsylG; Unzulässigkeit der Fortführung einer Durchsetzungshaft, wenn während derer Dauer ein Asylgesuch gestellt wird. |
Der Zweck der Durchsetzungshaft, wonach der Ausreisepflicht Nachachtung verschafft werden soll, entfällt, wenn während derer Dauer ein Asylgesuch gestellt wird, da der Ausländer bis zum Abschluss des Asylverfahrens in der Schweiz bleiben darf (E. 2.3). | |
Sachverhalt | |
A. A. (10. Mai 1968; Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo) reiste 1996 und 1998 illegal in die Schweiz ein und stellte jeweils ein Asylgesuch. Das erste wurde abgewiesen; auf das zweite trat das damalige Bundesamt für Flüchtlinge nicht ein. Vor Ablauf der Ausreisefrist heiratete A. eine Schweizer Bürgerin (16. April 1999), weshalb er in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Die Ehe wurde 2007 geschieden.
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B. Am 20. April 2012 lehnte das Migrationsamt des Kantons Thurgau (nachfolgend: Migrationsamt) die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab; die kantonalen Rechtsmittel und auch die Beschwerde vor Bundesgericht (Verfahren 2C_613/2013) dagegen waren alle erfolglos. Am 27. Februar 2014 setzte das Migrationsamt A. eine Ausreisefrist bis 31. März 2014; diese liess er ungenutzt verstreichen. In der Folge verfügte das Migrationsamt eine Ausschaffungshaft von drei Monaten ab 24. April 2014, 16.00 Uhr, was das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 28. April 2014 bestätigte.
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Am 23. Mai 2014 trat das Bundesamt für Migration (nachfolgend: BFM) auf ein Gesuch von A. um vorläufige Aufnahme und um Aussetzung des Vollzugs der Wegweisung nicht ein. Da eine (zwangsweise) Zuführung von kongolesischen Staatsangehörigen bei der Botschaft in Bern damals und zur Zeit nicht möglich war bzw. ist und A. bei der Organisation eines Termins bei der Botschaft zwecks Beschaffung notwendiger Papiere sich nicht kooperativ zeigte, verfügte das Migrationsamt am 14. Juli 2014 zunächst eine Durchsetzungshaft von vorläufig einem Monat ab 14. Juli 2014, 17.01 Uhr, danach am 4. August 2014 eine Verlängerung um weitere zwei Monate ab 12. August, 17.01 Uhr, was das Verwaltungsgericht am 16. Juli bzw. 6. August 2014 bestätigte.
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Am 1. September 2014 stellte A. beim BFM ein Asylgesuch. In der Folge (12. September 2014) wies dieses gestützt auf Art. 97 AsylG (SR 142.31) das Migrationsamt an, den Vollzug der Wegweisung, insbesondere die Beschaffung der Reisepapiere, zu unterlassen.
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Am 18. September 2014 beantragte A. beim Verwaltungsgericht Haftentlassung, da aufgrund der Weisung des BFM vom 12. September 2014 der Vollzug nicht mehr möglich sei. Das Haftentlassungsgesuch wies das Verwaltungsgericht am 26. September 2014 ab.
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C. Vor Bundesgericht beantragt A. mit Beschwerde in öffentlich-rechtlicher Angelegenheit, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 26. September 2014 aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter stellt er mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde dieselben Anträge. (....)
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Zweck der Durchsetzungshaft ist es, die ausreisepflichtige Person in jenen Fällen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, in denen nach Ablauf der Ausreisefrist der Vollzug der rechtskräftig gegen sie angeordneten Weg- oder Ausweisung - trotz entsprechender behördlicher Bemühungen - ohne ihre Kooperation nicht (mehr) möglich erscheint. Der damit verbundene Freiheitsentzug stützt sich auf Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK (Haft zur Sicherung eines schwebenden Ausweisungsverfahrens) und dient in diesem Rahmen der Erzwingung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung (Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK). Die Durchsetzungshaft bildet das letzte Mittel, wenn und soweit keine andere Massnahme (mehr) zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer auch gegen seinen Willen in seine Heimat verbringen zu können. Sie darf - zusammen mit der bereits verbüssten Ausschaffungs- bzw. Vorbereitungshaft - maximal 18 Monate dauern (Art. 78 Abs. 2 i.V.m. Art. 79 AuG), muss aber in jedem Fall verhältnismässig sein. Innerhalb dieser Höchstdauer ist jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen, ob die ausländerrechtliche Festhaltung insgesamt (noch) geeignet bzw. erforderlich erscheint und nicht gegen das Übermassverbot verstösst (vgl. BGE 135 II 105 E. 2.2.1 S. 107; BGE 134 II 201 E. 2 S. 204 ff.; BGE 134 I 92 E. 2.3 S. 96 ff.; Urteil 2C_1089/2012 vom 22. November 2012 E. 2.2 m.w.H.).
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2.2 Nach Art. 78 Abs. 6 AuG wird die Haft beendet, wenn eine selbständige und pflichtgemässe Ausreise nicht möglich ist, obwohl die betroffene Person den behördlich vorgegebenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist (lit. a), oder die Schweiz weisungsgemäss verlassen (lit. b), die Ausschaffungshaft angeordnet (lit. c) oder einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird (lit. d).
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Der Beschwerdeführer hat ein Haftentlassungsgesuch eingereicht. Für die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft sieht Art. 80 Abs. 5 AuG vor, dass Gesuche um Haftentlassungen unter Beachtung bestimmter Fristen eingereicht werden können. Haftanordnung und Haftprüfung für die Durchsetzungshaft wird nicht in Art. 80, sondern in Art. 78 AuG geregelt. Dieser Artikel nennt die Modalitäten von Haftentlassungsgesuchen nicht, geht aber davon aus, dass solche Gesuche zulässig sind, denn nach Art. 78 Abs. 6 AuG wird die Haft beendet, wenn einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird. Haftentlassungsgesuche bei Durchsetzungshaft sind insofern nicht fristgebunden. Diese sich aus dem Wortlaut ergebende Auslegung macht auch teleologisch Sinn: Da mit der positiven Änderung des persönlichen Verhaltens der Zweck der Durchsetzungshaft erfüllt wird, muss im Falle der Untätigkeit der Administrativbehörde sich eine betroffene Person an den Richter wenden können (vgl. BGE 124 II 1 E. 3a S. 5 f.; ZÜND, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 8 i.f. zu Art. 80 AuG; grundlegend ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Verfahrensfragen und Rechtsschutz, AJP 1995 S. 854 ff., 863 f.; siehe auch THOMAS HUGI YAR, § 10 Zwangsmassnahmen, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, S. 519 Spalte "Durchsetzungshaft").
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Erwägung 2.3 | |
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2.3.2 Mit der Durchsetzungshaft soll nach Art. 78 Abs. 1 AuG "der Ausreisepflicht Nachachtung [...] verschaff[t werden]". Der Beschwerdeführer hat ein Asylgesuch gestellt; damit entfällt nach Art. 42 AsylG die Verpflichtung zur Ausreise; der Ausländer ist berechtigt, bis zum Abschluss des Verfahrens in der Schweiz zu verbleiben. Damit aber kann und darf der Zweck der Durchsetzungshaft, bei der Ausreise mitzuwirken, nicht mehr zwangsweise verfolgt werden. Das ergibt sich auch aus der Anordnung, welche das Bundesamt an die Adresse des kantonalen Migrationsamtes gerichtet hat. Wohl ist der Beschwerdeführer auch nach Stellung des Asylgesuchs nicht verpflichtet, in der Schweiz zu bleiben, sondern es ist ihm unbenommen, freiwillig auszureisen. Dass er diese Möglichkeit hat, ändert aber - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nichts daran, dass es nicht zulässig ist, Zwangsmittel einzusetzen, um ihn zur Zusammenarbeit mit einem potentiellen Verfolgerstaat und gestützt darauf zur Ausreise zu bewegen.
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2.3.5 Die Aufrechterhaltung der Durchsetzungshaft ist demnach nicht mehr zulässig. Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Vorinstanz nicht damit rechnet, dass das Asylgesuch alsbald behandelt sein wird, geht sie doch von einigen wenigen, höchstens ungefähr acht Monaten aus, welche das Asylverfahren beanspruchen wird. Zu prüfen jedoch ist, ob - wie das Migrationsamt an der Haftrichterverhandlung eventualiter beantragt hat - die Haftvoraussetzungen der Vorbereitungshaft gegeben sind. Es rechtfertigt sich nicht, dass das Bundesgericht darüber selber entscheidet. Vielmehr ist die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat dabei die Frist von 96 Stunden (Art. 80 Abs. 2 AuG) und die weiteren Verfahrensanforderungen, insbesondere die mündliche Verhandlung, wo der Beschwerdeführer auch seine in der Beschwerde und in seiner späteren Eingabe vorgebrachten Argumente einbringen kann, zu beachten. Die Frist beginnt mit Zustellung des bundesgerichtlichen Entscheids bei der Vorinstanz.
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