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16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Strassenverkehrsamt und Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_492/2014 vom 17. April 2015 |
Art. 16c Abs. 2 SVG; Kaskadensystem der Mindestentzugsdauern bei schweren Widerhandlungen. |
Art. 16c Abs. 1 lit. f i.V.m. Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG; Fahren trotz vorsorglichen Sicherungsentzugs. | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Strafbefehl vom 9. Mai 2012 sprach die Staatsanwaltschaft Frauenfeld X. der groben sowie der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln schuldig (Art. 90 Ziff. 2 bzw. Ziff. 1 SVG) und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 50.- und einer Busse von Fr. 600.-. Der Strafbefehl ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
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C. Am 16. Mai 2013 lenkte X. - trotz vorsorglichen Sicherungsentzugs - einen auf den Namen seines Vaters zugelassenen Personenwagen. Dabei geriet er in eine Polizeikontrolle, wo er angab, er habe dringend Geld abheben müssen, um Baumaterial für eine Baustelle zu besorgen; ansonsten sei er "eigentlich nie" gefahren.
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E. Am 11. Juni 2013 erhielt X. den Führerausweis vom Strassenverkehrsamt zurück.
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F. Mit Verfügung vom 20. August 2013 entzog das Strassenverkehrsamt X. den Führerausweis für zwölf Monate wegen Führens eines Motorfahrzeuges trotz Führerausweisentzugs.
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Den dagegen von X. erhobenen Rekurs wies die Rekurskommission für Strassenverkehrssachen am 12. Dezember 2013 ab. Mit Urteil vom 27. August 2014 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Beschwerde von X. ab.
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G. X. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt die Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts sowie der Verfügung vom 20. August 2013. Es seien keine Verfahrenskosten zu erheben und die anwaltliche Vertretung in den Verfahren vor sämtlichen Instanzen zu entschädigen. Sodann ersucht er um aufschiebende Wirkung. Eventualiter sei die Entzugsdauer neu auf drei Monate festzulegen bzw. von der Entzugsdauer von 12 Monaten die frühere Entzugsdauer von 9 Monaten und 20 Tagen in Abzug zu bringen, womit 2 Monate und 10 Tage verbleiben würden. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Erwägung 3 | |
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Der Führerausweis kann bereits vor dem Abschluss eines Administrativverfahrens betreffend Sicherungsentzug vorsorglich entzogen ![]() | 13 |
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3.2 Eines der Hauptargumente des Beschwerdeführers beruht auf der Annahme, Art. 16c SVG gelte nur für Warnungsentzüge und Art. 16d SVG nur für Sicherungsentzüge. Eine solche Dichotomie gibt es in dieser strikten Form jedoch nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat Art. 16c SVG nicht nur warnenden (Abs. 2 lit. b und c), sondern auch sichernden Charakter (WEISSENBERGER, a.a.O., N. 2 zu Art. 16c SVG; CÉDRIC MIZEL, Retrait administratif du permis de conduire: le nouveau concept de ![]() | 15 |
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3.3.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente (sog. Methodenpluralismus, wobei die einzelnen Auslegungselemente keiner hierarchischen Prioritätsordnung unterstehen, vgl. BGE 140 IV 28 E. 4.3.1 S. 34; BGE 128 I 34 E. 3b S. 41 f.). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 138 IV 232 E. 3 S. 234 f.; BGE 136 I 297 E. 4.1 S. 299 f.; je mit Hinweisen).
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3.3.3 Mit dem Ziel der Erhöhung der Verkehrssicherheit auf Schweizer Strassen sind die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr ![]() | 19 |
Das Gesetz sieht deshalb in detaillierten Vorschriften eine Vielzahl von Mindestentzugsdauern vor, die nicht unterschritten werden dürfen (Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG). Unterschieden wird zwischen dem Führerausweisentzug nach einer leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-16c SVG). Letztere begeht, wer z.B. durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG) oder wer ein Motorfahrzeug trotz Ausweisentzug führt (Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG). Eine schwere Widerhandlung entspricht einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237). Die gesetzliche Abstufung der Mindestdauern der Ausweisentzüge bei schweren Widerhandlungen (Art. 16c Abs. 2 lit. a-e SVG) trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, ob bereits früher (mittelschwere oder schwere) Widerhandlungen erfolgt sind und wie weit diese zeitlich zurückliegen (so genanntes "Kaskadensystem" der Mindestentzugsdauern).
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Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG nur anwendbar ist, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis einmal wegen einer schweren Widerhandlung im Verfahren des Warnungsentzugs entzogen war, findet in den Materialien keine Stütze.
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Erwägung 3.4 | |
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3.4.2 Der Beschwerdeführer musste sich nach dem Vorfall vom 22. April 2012 bewusst gewesen sein, dass diese Verfehlung als ![]() | 26 |
Zwar trifft es zu, dass im Strafbefehl vom 9. Mai 2012 nicht mehr von einem Autorennen die Rede ist und auch der Vorwurf der Rücksichtslosigkeit gegenüber Passanten und dem Beifahrer nicht mehr thematisiert wird. Dennoch wird festgehalten, der Beschwerdeführer sei "mit allermindestens 70 km/h" auf der Bahnhofstrasse in Frauenfeld gefahren, wobei der Abstand zu dem vor ihm fahrenden Kollegen nur ca. fünf bis zehn Meter betragen habe. Zudem habe er den Personenwagen beschleunigt, ohne in einen höheren Gang zu schalten, wodurch er unnötig Lärm erzeugt habe.
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Gestützt auf diesen Sachverhalt wurde der Beschwerdeführer unter anderem der groben Verletzung der Verkehrsregeln für schuldig befunden (Art. 90 Ziff. 2 SVG), was verwaltungsmassnahmerechtlich einer schweren Widerhandlung entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237). Dieser Strafbefehl ist in Rechtskraft erwachsen. Das Amt erachtete die Vorgänge des 22. April 2012 aber nicht nur als ausreichenden Anlass für die Anordnung eines Warnungsentzugs wegen einer schweren Widerhandlung (Art. 16c Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG), sondern vermutete zusätzlich ernsthafte Zweifel an der Fahreignung wegen Verkehrsregelverletzungen, die auf Rücksichtslosigkeit schliessen lassen (Art. 15d Abs. 1 lit. c SVG). Deshalb ordnete das Amt einen vorsorglichen Entzug an. Auch wenn sich dieser Vorwurf im Laufe des Verfahrens nicht erhärtete, konnte der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Fahrt ohne Berechtigung vom 16. Mai 2013 nicht davon ausgehen, dass die Vorgänge vom 22. April 2012 unberücksichtigt und sanktionslos bleiben würden (vgl. auch die Aussage des Vaters des Beschwerdeführers anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 16. Mai 2013, wonach er seinem Sohn "schon hundert Mal gesagt habe, dass er nicht fahren dürfe"). Vielmehr musste der Beschwerdeführer davon ausgehen, als Rückfalltäter zu gelten, zumal ein Sicherungsentzug (unabhängig davon, ob er endgültig oder vorsorglich erlassen wurde) im Vergleich zum Warnungsentzug eine schwerer wiegende Massnahme darstellt und der Tatbestand des Fahrens trotz Führerausweisentzugs begriffsnotwendig einen vorgängigen Entzug - und zwar unabhängig von der Verfahrensart (so auch RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. III: Die Administrativmassnahmen, 1995, N. 2490) - voraussetzt.
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Nach der Rechtsprechung ist der vorsorgliche Führerausweisentzug im Tatzeitpunkt verbindlich und zieht bei Missachtung die Folgen von Art. 16c Abs. 1 lit. f und Abs. 2 lit. c SVG mit sich (Urteil 1C_526/2012 vom 24. Mai 2013 E. 4). Der Beschwerdeführer unterstand am 16. Mai 2013 noch immer dem vorsorglichen Führerausweisentzug vom 25. April 2012. Die Verbindlichkeit des Fahrverbots während der Dauer des vorsorglichen Entzugs war unmissverständlich gegeben, zumal die notwendigen Abklärungen zur Fahreignung noch nicht abgeschlossen waren. Der Beschwerdeführer wurde in der Entzugsverfügung deutlich auf die straf- und administrativmassnahmerechtlichen Folgen des Fahrens trotz Führerausweisentzuges hingewiesen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann somit der für die Dauer des Sicherungsentzugsverfahrens verfügte vorsorgliche Entzug des Führerausweises im Nachhinein nicht als "nicht geschehen" betrachtet werden.
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Erwägung 4 | |
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4.2.3 Dass der rechtmässig verfügte vorsorgliche Sicherungsentzug länger dauerte als der anschliessend verfügte rückwirkende Warnungsentzug, ist demnach rechtlich nicht zu beanstanden und führt zu keinen Zeitkompensationsansprüchen für neue ![]() | 35 |
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