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22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Pfaff, Egli, Weidmann und Heid gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft oder Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_348/2015 und andere vom 19. August 2015 | |
Regeste |
Art. 34 Abs. 2 BV; Art. 13 Abs. 3 sowie Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR; ein sehr knappes Resultat einer eidgenössischen Abstimmung vermittelt für sich alleine keinen Anspruch auf eine Nachzählung. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 15. Juni 2015 erhob Michael Pfaff Abstimmungsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. Am 16. bzw. 17. Juni 2015 gelangten Marcel Egli, Dietrich Weidmann sowie Thomas Heid je mit Abstimmungsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Die vier Beschwerdeführer verlangten unter anderem eine schweizweite Nachzählung des Ergebnisses der eidgenössischen Volksabstimmung vom 14. Juni 2015 über die Änderung des RTVG. Am 23. Juni 2015 trat der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft auf die Abstimmungsbeschwerde von Michael Pfaff nicht ein. Mit drei separaten Beschlüssen vom 24. Juni 2015 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich die Abstimmungsbeschwerden von Michael Egli, Dietrich Weidmann sowie Thomas Heid ab, soweit er darauf eintrat.
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C. In der Folge haben Michael Pfaff (Beschwerdeführer 1), Marcel Egli (Beschwerdeführer 2), Dietrich Weidmann (Beschwerdeführer 3) sowie Thomas Heid (Beschwerdeführer 4) je Beschwerde ans ![]() | 3 |
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit darauf einzutreten ist.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 5 | |
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Es ist in erster Linie eine Frage des anwendbaren Rechts des jeweiligen Gemeinwesens, unter welchen Voraussetzungen Nachzählungen von Wahl- und Abstimmungsergebnissen anzuordnen sind und ob der einzelne Stimmberechtigte eine Nachzählung erwirken kann (vgl. BGE 131 I 442 E. 3.2 S. 447 mit Hinweisen). In kantonalen (inklusive kommunalen) Angelegenheiten kann sich eine vom einzelnen Stimmbürger durchsetzbare Verpflichtung zur Nachzählung eines Wahl- oder Abstimmungsergebnisses gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung indessen unter Umständen auch direkt aus Art. 34 Abs. 2 BV ergeben (BGE 136 II 132 E. 2.3.3 S. 137 mit Hinweis). In BGE 131 I 442 hielt das Bundesgericht im Zusammenhang ![]() | 7 |
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In BGE 136 II 132 hatte sich das Bundesgericht mit einer Beschwerde zu befassen, welche das Resultat der eidgenössischen Volksabstimmung vom 17. Mai 2009 über den "Bundesbeschluss vom 13. Juni 2008 über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 über biometrische Pässe und Reisedokumente" betraf. Es führte in allgemeiner Weise aus, Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR könne ein Anspruch auf Nachzählung eines sehr knappen Resultats einer Abstimmung entnommen werden, selbst wenn keine äusseren Anhaltspunkte darauf hinweisen würden, dass nicht korrekt ausgezählt worden sei. Das Bundesgericht begründete dies damit, dass es den Unterlegenen umso leichter falle, ein Resultat zu akzeptieren, je sicherer es ordnungsgemäss zustande gekommen sei. Es mutmasste, dass eine Neuzählung mit besonderer Umsicht und ohne Zeitdruck vorgenommen werden dürfte, was für eine grössere Zuverlässigkeit des Resultats einer Nachzählung spreche (a.a.O., E. 2.4.2 S. 138). Der Nachzählung sei deshalb eine grössere Bestandeskraft zuzusprechen. Hingegen erscheine eine zweite Nachzählung im Regelfall als ![]() | 9 |
In BGE 138 II 5 äusserte sich das Bundesgericht anlässlich einer Beschwerde, welche das Resultat der Nationalratswahlen im Kanton Tessin betraf, zur in BGE 136 II 132 begründeten Rechtsprechung. Es hielt fest, die Sichtweise, wonach ein sehr knappes Ergebnis in einer eidgenössischen Volksabstimmung eine "Unregelmässigkeit" im Sinne von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR darstelle und Anspruch auf eine Nachzählung einräume, sei auf die Wahl des Nationalrats im Proporzverfahren bzw. auf Art. 77 Abs. 1 lit. c BPR nicht anwendbar (a.a.O., E. 2 und 3).
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5.4 Zunächst ist daran zu erinnern, dass unmittelbar aus Art. 34 Abs. 2 BV kein allgemeiner und unbedingter Anspruch auf Nachzählung sehr knapper oder äusserst knapper Wahl- und Abstimmungsresultate fliesst. An der Rechtsprechung, wonach unter der Voraussetzung einer zweckmässigen Ordnung, welche Gewähr für eine sorgfältige Ermittlung der Wahl- und Abstimmungsergebnisse bietet, der blosse Umstand eines knappen Wahl- oder ![]() | 11 |
Auch im bereits erwähnten BGE 136 II 132 hat das Bundesgericht nicht unmittelbar aus der Bundesverfassung einen allgemeinen und unbedingten Anspruch auf Nachzählung sehr knapper oder äusserst knapper Wahl- und Abstimmungsresultate abgeleitet. Daran ändert der ergänzende Hinweis auf Art. 34 Abs. 2 BV nichts (a.a.O., E. 4.2.4 S. 139), zumal zur Frage, unter welchen Umständen und Voraussetzungen der Bundesverfassung ein Anspruch auf Nachzählung eines knappen Wahl- und Abstimmungsresultats entnommen werden kann, eine gefestigte Rechtsprechung besteht (vgl. E. 5.2 hiervor), von der sich das Bundesgericht nicht ausdrücklich distanziert hat. Vielmehr prüfte es die Frage, unter welchen Umständen und Voraussetzungen knappe Resultate in eidgenössischen Abstimmungsangelegenheiten nachgezählt werden müssen, in Anwendung und Auslegung von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR.
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Im Rahmen der übrigen Bestimmungen der Bundesverfassung könnte der Bundesgesetzgeber - wie verschiedene Kantone für kantonale Wahlen und Abstimmungen dies tun (vgl. BGE 136 II 132 E. 2.3.2 S. 135 f.) - indessen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Nachzählung von eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsresultaten vorsehen, der weiter geht als der von Art. 34 Abs. 2 BV garantierte. Er hat davon aber bisher abgesehen.
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5.5 Nachfolgend zu prüfen ist, ob an der Feststellung festgehalten werden kann, wonach aus Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR ein Anspruch auf ![]() | 14 |
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5.5.2 Gewiss steht den an der Auszählung beteiligten Personen und Behörden am Tag der Abstimmung wenig Zeit zur Verfügung, zumal die nach kantonalem Recht zuständigen Amtsstellen (Gemeinde-, Kreis- oder Bezirksbehörden) gehalten sind, das Abstimmungsergebnis umgehend der kantonalen Zentralstelle zu melden (Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Mai 1978 über die politischen Rechte [VPR; SR 161.11]), und die kantonalen Zentralstellen das vorläufige kantonale Abstimmungsergebnis spätestens bis um 18.00 Uhr der Bundeskanzlei melden müssen (Art. 5 Abs. 2 VPR). Der Umstand, dass innert kurzer Zeit sehr viele Resultate aus den Stimmbüros zunächst an die kantonalen Zentralstellen und anschliessend an die Bundeskanzlei übermittelt werden müssen, dürfte Zähl- und Übermittlungsfehler begünstigen. Von der Feststellung und Publikation des vorläufigen amtlichen Endergebnisses zu unterscheiden ist jedoch das Verfahren, welches für die verbindliche Feststellung des Abstimmungsergebnisses zur Anwendung gelangt. Sämtliche Stimmbüros erstellen ein vereinheitlichtes ausführliches Abstimmungsprotokoll (Art. 4 Abs. 1 VPR i.V.m. Art. 14 Abs. 1 BPR). Die Abstimmungsprotokolle werden an die jeweilige Kantonsregierung weitergeleitet, welche die Ergebnisse aus dem ganzen Kanton zusammenstellt, sie der Bundeskanzlei mitteilt und innert 13 Tagen nach dem Abstimmungstag im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht (Art. 14 Abs. 2 BPR). Die Kantone übermitteln die Protokolle und auf Verlangen auch die Stimmzettel der Bundeskanzlei (Art. 14 Abs. 3 BPR). ![]() | 16 |
Was die Akzeptanz eines knappen Abstimmungsresultats angeht, steht im Vordergrund, dass das Auszählungsverfahren Gewähr für eine sorgfältige Ermittlung der Wahl- und Abstimmungsergebnisse bietet (NUSPLIGER/MÄDER, Präzision in der Demokratie, ZBl 114/2013 S. 188) und dass die Gemeinden im beschriebenen Sinne einer gewissen Kontrolle unterstehen, wodurch allfällige Ungereimtheiten festgestellt und korrigiert werden können. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang sodann, dass - besonders bei knappen Abstimmungsergebnissen - konkreten Anzeichen auf eigentliche Unregelmässigkeiten bei der Auszählung, d.h. auf besondere Vorkommnisse, welche das Resultat über die bei jeder Zählung auftretenden marginalen Zähl- und Übermittlungsfehler hinaus verfälscht haben könnten, nachgegangen wird (vgl. LUTZ/FELLER/MÜLLER, a.a.O., S. 1533). Ob darüber hinaus, nämlich wenn keine konkreten Anzeichen auf eigentliche Unregelmässigkeiten bestehen, die Akzeptanz eines einmalig nachgezählten, sehr knappen Abstimmungsresultats tatsächlich in jedem Fall grösser ist als das Resultat der ersten Auszählung, ist schwierig zu beurteilen. Zu Recht weist die Bundeskanzlei diesbezüglich darauf hin, dass bei jeder Auszählung Fehler unterlaufen können, d.h. auch bei einer Nachzählung (vgl. BGE 131 I 442 E. 3.6 S. 451). Es mag zwar sein, dass die Fehlerquote bei der erstmaligen Auszählung tendenziell etwas höher liegt als bei einer allfälligen Nachzählung, zwingend ist dies aber nicht und im konkreten Fall nachprüfen lässt es sich mindestens ohne weitere Nachzählungen auch nicht. Damit schafft ein einmaliges Nachzählen jedenfalls keine absolute Sicherheit über das richtige Ergebnis (vgl. NUSPLIGER/MÄDER, a.a.O., S. 187 f.; GEROLD STEINMANN, Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 3. Aufl. 2014, ![]() | 17 |
Auf den Umstand, dass mit einer Nachzählung Fehlerquellen, welche in anderen Stadien als der Auszählung zum Tragen kommen, nicht ausgemerzt werden können, hat das Bundesgericht schon in BGE 136 II 132 E. 2.4.2 S. 138 hingewiesen (vgl. auch LUTZ/FELLER/MÜLLER, a.a.O., S. 1524 ff.; TORNAY SCHALLER, a.a.O., S. 106).
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Unter diesen Umständen erscheint es angezeigt, bei der Auslegung der anwendbaren Normen besonderes Gewicht dem Willen des Gesetzgebers beizumessen. Dementsprechend hat das Bundesgericht in BGE 136 II 132 E. 2.7 S. 141 den Bundesgesetzgeber eingeladen, zu regeln, unter welchen Voraussetzungen knappe Abstimmungsresultate nachgezählt werden sollen. In der Folge haben die eidgenössischen Räte im Rahmen der Teilrevision des BPR vom 26. September 2014 beschlossen, ein sehr knappes Abstimmungsergebnis erfordere nur dann eine Nachzählung, wenn Unregelmässigkeiten glaubhaft gemacht werden, die nach Art und Umfang geeignet sind, das Bundesergebnis wesentlich zu beeinflussen (Art. 13 Abs. 3 BPR, BBl 2014 7271). Diese Bestimmung soll am 1. November 2015 in Kraft treten, ist demzufolge vorliegend noch nicht anwendbar und im Gegensatz zur Ansicht der Bundeskanzlei für das Bundesgericht auch nicht bindend. Allerdings kann nach der Rechtsprechung eine ![]() | 20 |
5.5.4 Unter Berücksichtigung des mit der Teilrevision des BPR vom 26. September 2014 bestätigten gesetzgeberischen Willens ist Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR deshalb nunmehr so auszulegen, dass ein allgemeiner und unbedingter Anspruch auf Nachzählung eines sehr knappen bzw. äusserst knappen Resultats einer eidgenössischen Abstimmung nur dann besteht, wenn zusätzlich äussere Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass nicht korrekt ausgezählt worden ist. An den Nachweis der Unregelmässigkeiten im Sinne von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR sind zwar umso geringere Anforderungen zu stellen, je knapper das Wahl- oder Abstimmungsresultat ausgefallen ist. Jedenfalls nicht ausreichend ist jedoch auch bei einem sehr knappen Abstimmungsresultat der Hinweis auf bereits korrigierte Fehler, solange sich diese im üblichen Rahmen bewegen und keine konkreten Anzeichen für besondere Vorkommnisse ersichtlich sind, welche das Resultat über die bei jeder Zählung auftretenden marginalen Zähl- und Übermittlungsfehler hinaus verfälscht haben könnten. Unter den dargelegten besonderen Umständen steht das Rechtssicherheitsgebot einer solchen Auslegung von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR und der damit verbundenen Korrektur der mit BGE 136 II 132 begründeten Rechtsprechung nicht entgegen, zumal letztere hinsichtlich eidgenössischer Volksabstimmungen bis zum vorliegenden Verfahren ohne praktische Bedeutung geblieben ist.
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