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14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. geb. C. gegen Steuerverwaltung des Kantons Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_76/2015 / 2C_77/2015 vom 24. Mai 2016 |
Art. 3, 5 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1, Art. 127 Abs. 1, Art. 128 Abs. 4, Art. 164 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 182 Abs. 1 und 2, Art. 190, Art. 196 Ziff. 13 BV; Art. 38, 160 und 216 Abs. 1 DBG 1990; Art. 68 Abs. 1 StHG 2000. Örtliche Zuständigkeit zur bundessteuerlichen Erfassung einer Kapitalleistung aus Vorsorge, wenn die steuerpflichtige Person nach der Fälligkeit der Leistung den Kanton gewechselt hat. |
Art. 3, 44 Abs. 2 und Art. 129 Abs. 1 BV; Art. 120 DBG; Art. 11 Abs. 3, Art. 39 Abs. 2, Art. 47 Abs. 1 StHG. Fristunterbrechende Pflicht des Zuzugs- bzw. Wohnsitzkantons zur Benachrichtigung des Wegzugs- bzw. Fälligkeitskantons über die ergangene Kapitalleistung aus Vorsorge. | |
Sachverhalt | |
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B. A.A. und B.A. geb. C. reichten ihre Steuererklärung 2007 zunächst im Kanton Zug ein, dies am 22. August 2008. Auf Seite 7 des Mantels hatten sie unter der Rubrik "Deklaration für allfällige Sondersteuern - Kapitalleistungen aus Vorsorge" folgende Bemerkung angebracht:
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"Gesamtbetrag Fr. 649'860.-, Auszahlungsdatum: 03.01.2007, Bezahlt durch: Versicherung X., infolge Tod oder für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile aus einer Leistung des Arbeitgebers mit Vorsorgecharakter."
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Am 29. August 2008 reichten sie sodann im Kanton Graubünden eine Steuererklärung für beschränkt Steuerpflichtige ein, dies aufgrund ihres Grundeigentums in zwei bündnerischen Gemeinden. Ihrer Steuererklärung legten sie ein Exemplar der Steuererklärung des Kantons Zug bei. Der Kanton Graubünden setzte die Kantons- und Gemeindesteuer 2007 mit Veranlagungsverfügung vom 1. Oktober 2008 fest, wobei er lediglich Einkommen und Vermögen aus Grundeigentum erfasste.
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C. Der Kanton Zug setzte seinerseits die Kantons-, Gemeinde- und direkte Bundessteuer 2007 mit Veranlagungsverfügungen vom 11. Juli 2012 fest. Unter den Bemerkungen wies er die Eheleute A.-C. auf Folgendes hin:
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Schon zuvor, am 20. Juni 2012, hatte der Kanton Zug dem Kanton Graubünden die streitbetroffene Kapitalleistung aus Vorsorge gemeldet.
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D. Mit Schreiben vom 7. Februar 2014 gab die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden den Eheleuten A.-C. Kenntnis von der Einleitung eines Nachsteuerverfahrens. Sie bezog sich auf die Meldung des Kantons Zug vom 20. Juni 2012 und stellte die Erhebung einer Jahressteuer zum Vorsorgetarif in Aussicht. Die Eheleute A.-C. erhoben am 17. Februar 2014 die Verjährungseinrede, was die Steuerverwaltung mit Schreiben vom 8. April 2014 bestritt. Sie berief sich hierzu auf die Veranlagungsverfügung des Kantons Zug vom 11. Juli 2012 und stellte sich auf den Standpunkt, die Benachrichtigung über die erfolgte Weiterleitung an den Kanton Graubünden habe die Verjährungsfrist rechtsgültig unterbrochen. Mit Datum vom selben Tag (8. April 2014) veranlagte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden die Unfallleistung als Kapitalleistung aus Vorsorge, wobei sie von steuerbarem Einkommen von 469'860 Franken (Fr. 649'860.- abzüglich Fr. 180'000.- für nicht steuerbare Anteile [Haushaltsschaden, Genugtuung und Hilfsmittel]) ausging. Dies führte zu Steuerbetreffnissen von 10'538 Franken (Kanton), 9'033 Franken (Gemeinde) und 9'887.40 Franken (Bund). Einsprache (Einspracheentscheid vom 8. Juli 2014) und Beschwerde (Beschwerdeentscheid A-14-32 des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 4. Kammer, vom 9. Dezember 2014) der Eheleute A.-C. blieben erfolglos.
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E. Mit Eingabe vom 26. Januar 2015 erheben die Eheleute A.-C. (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, in Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 9. Dezember 2014 sei der Eintritt der Veranlagungsverjährung festzustellen, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Vorinstanz, die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden und die Eidgenössische Steuerverwaltung schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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II. Direkte Bundessteuer
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.2 | |
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2.2.2 Mit dem abgaberechtlichen Legalitätsprinzip verbindet der Verfassungsgeber die Absicht, zu verhindern, dass den rechtsanwendenden Behörden ein übermässiger Spielraum verbleibt, und sicherzustellen, dass die möglichen Abgabepflichten absehbar und rechtsgleich sind (BGE 136 II 149 E. 5.1 S. 157; BGE 135 I 130 E. 7.2 S. 140; BGE 131 II 271 E. 6.1 S. 278; Urteil 2C_138/2014 vom 12. Dezember ![]() | 14 |
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2.2.4 Was die direkte Bundessteuer betrifft, verfügt der Bund über die zeitlich befristete (Einzel-)Ermächtigung (Art. 42 Abs. 1 i.V.m. Art. 128 und Art. 196 Ziff. 13 BV), eine "direkte Steuer" (so Art. 128 BV) zu erheben. Diese ist aber "von den Kantonen" zu veranlagen und zu beziehen (Art. 128 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 BV; Art. 104 ff. und Art. 160 DBG). Der Verfassungsgeber delegiert auf diese Weise die erforderlichen Verwaltungsbefugnisse an die Kantone (PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2011, § 22 N. 25). Dadurch erwächst dem betreffenden Kanton eine abgeleitete Rechtsanwendungskompetenz. Im Gegenzug stehen den Kantonen vom Rohertrag der direkten Steuer mindestens 17 Prozent zu (Art. 128 Abs. 4 Satz 2 BV in der Fassung vom 28. November 2004 [AS 2007 5765] sowie Art. 196 Abs. 1 und Art. 197 DBG, je in der Fassung vom 6. Oktober 2006 [AS 2007 ![]() | 16 |
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"Die kantonalen Behörden erheben die direkte Bundessteuer von den natürlichen Personen, die am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder, wenn ein solcher in der Schweiz fehlt, ihren steuerrechtlichen Aufenthalt im Kanton haben. Vorbehalten bleiben die Art. 3 Abs. 5 und 107."
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Mit dieser Formulierung bringt der Gesetzgeber den Grundsatz der Einheit des Veranlagungsortes zum Ausdruck (dazu LOCHER, Kommentar III, a.a.O., N. 2 zu Art. 105 und N. 1 zu Art. 108 DBG 1990). In der Folge folgt das Gesetz dem Grundsatz der Einheit des Bezugsortes. Dies ergibt sich daraus, dass die direkte Bundessteuer durch jenen Kanton bezogen wird, der auch die Veranlagung vornimmt (Art. 160 DBG 1990; zum Ganzen BGE 137 I 273 E. 3.3.1 S. 277).
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2.2.7 Von der Einheit des Veranlagungsortes bestehen gemäss Art. 216 Abs. 1 Satz 2 DBG 1990 bloss zwei Ausnahmen. Dabei handelt es sich zum einen um die Besteuerung am Heimatort gemäss Art. 3 Abs. 5 DBG 1990 (Urteil 2C_855/2014 / 2C_856/2014 vom ![]() | 21 |
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"Laut Art. 38 Abs. 1 DBG sind Kapitalleistungen nach Art. 22 DBG (Einkünfte aus Vorsorge) sowie Zahlungen bei Tod und für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile gesondert zu besteuern und unterliegen stets einer vollen Jahressteuer. Diese Bestimmung entspricht jener in Art. 11 Abs. 3 StHG. Die Zuständigkeit für die Besteuerung dieser Einkünfte bei den kantonalen direkten Steuern wird gemäss Art. 68 Abs. 1 StHG dem Wohnsitzkanton des Begünstigten im Zeitpunkt der ![]() | 24 |
Damit entfernte sich die Verwaltungspraxis zur direkten Bundessteuer offenkundig von der Vorgabe in Art. 216 Abs. 1 DBG 1990. Es stellt sich die Frage nach der Bundesrechtskonformität dieses Vorgehens.
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Erwägung 2.3 | |
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2.3.2 Im Unterschied zu den Rechtsverordnungen finden die ebenfalls generell-abstrakt ausgestalteten Verwaltungsverordnungen keine förmliche gesetzliche Delegation und beruhen daher auf keiner rechtssatzmässigen Grundlage (Urteil 2C_264/2014 vom 17. August 2015 E. 2.2.4, in: ASA 84 S. 324, unter Bezugnahme auf FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, 1986, S. 103). Anders als Bundesgesetze (und Rechtsverordnungen) sind Verwaltungsverordnungen mithin für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden nicht massgebend (BGE 141 V 175 E. 2.1 S. 178; BGE 137 II 284 E. 5.2.2 S. 292; BGE 137 V 181 E. 6.1 S. 187; BGE 117 Ib 358 E. 3 S. 364; BGE 108 Ib 19 E. 4a S. 25; zum Ganzen ausführlich zit. Urteil 2C_264/2014 E. 2.4.1, in: ASA 84 S. 324). Verwaltungsverordnungen richten sich begrifflich an die mit dem Vollzug einer bestimmten öffentlichen Aufgabe betrauten Organe, somit an die Verwaltungsbehörden mit deren ![]() | 27 |
2.3.3 Wird vor Bundesgericht ein individuell-konkreter Entscheid (Art. 82 lit. a BGG) angefochten, der auch oder ausschliesslich auf einer Verwaltungsverordnung beruht, kann höchstrichterlich neben der Rechtmässigkeit der massgebenden Rechtssätze auch jene der betreffenden Verwaltungsverordnung überprüft werden. Die Prüfungsbefugnis ist zwar insoweit unbeschränkt. Dennoch weicht das Bundesgericht an sich nicht von einer Verwaltungsverordnung ab, sofern deren generell-abstrakter Gehalt eine dem individuell-konkreten Fall angepasste und gerecht werdende Auslegung der massgebenden Rechtssätze zulässt, welche diese überzeugend konkretisiert (BGE 141 V 139 E. 6.3.2 S. 146 f., BGE 141 V 272 E. 4.6-4.9 S. 278 f.; BGE 138 V 475 E. 3 S. 478 ff.; BGE 128 I 167 E. 4.3-4.5 S. 171 ff.; zit. Urteil 2C_264/2014 E. 2.4.2).
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Erwägung 2.4 | |
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2.4.2 Die Regelung in Ziff. 7 des Kreisschreibens Nr. 5 schafft Übereinstimmung mit Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StHG 2000 und nimmt im Übrigen Art. 105 Abs. 4 DBG 2013 vorweg. In der Doktrin fand dies weitgehende Zustimmung (BUGNON, a.a.O., N. 16 zu Art. 216 DBG ![]() | 30 |
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2.4.4 Was generell die Sichtweise einer steuerpflichtigen Person betrifft, so soll das abgaberechtliche Legalitätsprinzip sicherstellen, dass die möglichen Abgabepflichten absehbar und rechtsgleich sind. An der Abschätzbarkeit der Steuerfolgen fehlt es aber, wenn eine ![]() | 32 |
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III. Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Graubünden
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Erwägung 3 | |
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Im Unterschied zu Art. 120 DBG ("Veranlagungsverjährung") ist Art. 47 Abs. 1 StHG, der dieselbe Thematik beschlägt, knapp ![]() | 37 |
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3.2.3 In der grossen Zahl der harmonisierungsrechtlichen Veranlagungen stellt diese Kompetenzausscheidung keinerlei Schwierigkeiten, zumal sie aufgrund des interkantonalen Steuerrechts (Art. 127 Abs. 3 BV) langer Praxis entspricht. In der vorliegenden Konstellation ergibt sich jedoch eine Besonderheit. Gestützt auf Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StHG 2000 (bzw. nunmehr Art. 4b Abs. 1 Satz 2 StHG 2013) sind Kapitalleistungen aus Vorsorge (Art. 11 Abs. 3 StHG 1990) seit dem 1. Januar 2001 im Fälligkeitskanton zu erfassen. Liegt eine Wegzugskonstellation vor, bietet dies beträchtliche praktische Schwierigkeiten. Gemäss Art. 42 Abs. 1 StHG muss die steuerpflichtige Person zwar alles tun, um eine vollständige und richtige Veranlagung zu ermöglichen. Dazu zählt fraglos auch das Einreichen der ![]() | 39 |
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3.2.5 Aus dieser Konzeption - zwingendes Zusammenwirken von Kanton der persönlichen Zugehörigkeit und Fälligkeitskanton - folgt, dass zumindest im Fall von Kapitalleistungen aus Vorsorge von ![]() | 41 |
Erwägung 3.3 | |
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3.3.2 Dies führt dazu, dass der Kanton Zug mit seiner "Unzuständigkeitserklärung" vom 11. Juli 2012, die an die Steuerpflichtigen gerichtet war, den Lauf der Verjährung zu unterbrechen vermochte. Die Veranlagungsverfügung des Kantons Graubünden vom 8. April 2014 erfolgte damit rechtzeitig. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, weshalb sie abzuweisen und der angefochtene Entscheid zu bestätigen ist. Nicht entschieden werden muss, ob der Kanton Graubünden zu Recht ein "Nachsteuerverfahren" eröffnete, nicht aber ein ordentliches Veranlagungsverfahren durchführte. Im Ergebnis ist dies von keiner Bedeutung. (...)
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