![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. B.A. und Mitb. gegen B. AG, F., Departement Bau, Verkehr und Umwelt sowie Regierungsrat des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_418/2015 vom 25. April 2016 | |
Regeste |
Altlastenrechtliche Kostenverteilung nach Art. 32d USG. |
Für den Sorgfaltsnachweis im Sinne von Art. 32d Abs. 2 Satz 3 USG ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Grundstückerwerbs abzustellen. Selbst wenn der Inhaber des Standorts aus der Sanierung einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt, steht dies einer Kostenbefreiung nicht entgegen (E. 4). |
Bei der Festsetzung der Kostenanteile kommt den zuständigen Behörden ein pflichtgemäss auszuübendes Ermessen zu (E. 5). |
Der Übergang der Kostentragungspflicht des Verhaltensverursachers auf seine Erben ist an zwei Voraussetzungen geknüpft. Einerseits muss zum Zeitpunkt des Erbgangs eine rechtliche Grundlage für eine Sanierungs- und Kostentragungspflicht bestanden haben. Andererseits müssen die Erben die Möglichkeit gehabt haben, das Erbe auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, was die Vorhersehbarkeit einer Sanierungspflicht bedingt (E. 6.3). Das Gemeinwesen trägt den Kostenanteil, wenn ein Verursacher zwar bekannt ist, aber nicht mehr existiert und keine Rechtsnachfolge eintritt (E. 6.5). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
![]() | 2 |
Im Jahr 2012 wurde eine historische Untersuchung des Standorts abgeschlossen. Es wurde festgestellt, dass auf dem Areal mit Belastungen des Untergrunds und allenfalls des Sickerwassers gerechnet werden muss. Eine technische Untersuchung des Standorts wurde noch nicht vorgenommen.
| 3 |
Am 24. Juli 2012 reichte die Grundstückseigentümerin F. ein Gesuch um Erlass einer Kostenverteilungsverfügung ein. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau (BVU/AG) erliess am 2. September 2013 eine entsprechende Verfügung, worin es den Kostenanteil der B. AG als Verhaltensstörerin auf 75 % festlegte. Das BVU/AG qualifizierte den damaligen Eigentümer A.A. ebenfalls als Verhaltensstörer und legte seinen Kostenanteil auf 25 % fest. Diesen Anteil auferlegte es zu je 8,33 % dessen drei Erben B.A., C.A. und D.A. F. wurde von der Kostentragungspflicht befreit. Insgesamt belaufen sich die Kosten der historischen Untersuchung auf Fr. 8'371.90. In der Verfügung hielt das BVU/AG weiter fest, der prozentuale Verteilschlüssel gelte auch bezüglich künftiger notwendiger Kosten für die Untersuchung, Überwachung und Sanierung des Standorts. Für die ausstehende technische Untersuchung ist mit Kosten von schätzungsweise Fr. 20'000.- zu rechnen.
| 4 |
Gegen diese Verfügung vom 2. September 2013 reichten sowohl die B. AG als auch die Erben A. Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Aargau ein. Dieser wies die Beschwerde mit Entscheid vom 24. September 2014 ab.
| 5 |
B.A., C.A. und D.A. fochten diesen Entscheid beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau an, welches die Beschwerde mit Urteil vom 4. Juni 2015 abwies.
| 6 |
B. Mit Eingabe vom 26. August 2015 führen B.A., C.A. und D.A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. (...).
| 7 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
| 8 |
(Auszug)
| 9 |
![]() | |
Erwägung 3 | |
10 | |
11 | |
12 | |
3.4 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt ein Grundeigentümer, welcher sein Grundstück dem Deponiebetreiber zur Nutzung zur Verfügung stellt, jedenfalls dann nicht nur als Zustandsstörer, sondern als Verhaltensstörer, wenn er am Gewinn der Deponie beteiligt ist und über Vertreter im Verwaltungsorgan des ![]() | 13 |
Wie dargelegt (nicht publ. E. 2.2), lässt sich die Abgrenzung zwischen blossem Zustandsstörer und Verhaltensstörer vielfach nicht allein anhand des äusseren Kausalverlaufs beurteilen, sondern die Qualifikation hängt auch von einer wertenden Beurteilung des in Frage stehenden Handlungsbeitrags ab. Wie von der Vorinstanz willkürfrei festgestellt, stellte A.A. sein Grundstück wissentlich und gegen Entgelt für eine potenziell umweltgefährdende Nutzung als Deponie (Ablagerung von Chemikalien) zur Verfügung. In solchen Fällen erscheint es sachgerecht, den Grundeigentümer in Übereinstimmung mit den Auffassungen der Vorinstanz und des Bundesamtes für Umwelt BAFU sowie Meinungen in der Doktrin (BEATRICE WAGNER PFEIFER, Kostentragungspflichten bei der Sanierung und Überwachung von Altlasten im Zusammenhang mit Deponien, ZBl 2004 S. 133, 154; PIERRE TSCHANNEN, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz [nachfolgend: Kommentar USG], 1985, N. 29 zu Art. 32d USG) als Verhaltensverursacher zu qualifizieren. Mit dem Zurverfügungstellen seines Grundstücks hat A.A. eine unmittelbar zurechenbare Verhaltensursache für die Umweltgefährdung gesetzt.
| 14 |
Dass die Deponie nachträglich im Jahr 1969 bewilligt wurde, ist insoweit nicht entscheidend. An der grundsätzlichen Verantwortlichkeit für den polizeiwidrigen Zustand ändert die nachträgliche Bewilligung nichts. Die die Umweltbelastung mitverursachende Handlung von A.A. - die Überlassung des Grundstücks für den Deponiebetrieb - erfolgte bereits 1965. Ohnehin aber ist eine Rechtswidrigkeit der Verursachungshandlung nicht erforderlich. Das Verursacherprinzip ist ein Kostenzurechnungsprinzip und bezweckt nicht die Pönalisierung rechtswidrigen Verhaltens. Die Bedeutung des Verursacherprinzips liegt gerade darin, dass es - im Gegensatz zum Haftpflichtrecht - auch Umweltbeeinträchtigungen erfasst, welche die Rechtsordnung an sich duldet (ALAIN GRIFFEL, Die Grundprinzipien des schweizerischen Umweltrechts, 2001, S. 186; HANSJÖRG SEILER, in: Kommentar USG, a.a.O., N. 74 zu Art. 2 USG; vgl. auch TSCHANNEN/FRICK, Der Verursacherbegriff nach Art. 32d USG, Gutachten [...], 2002, S. 17).
| 15 |
Erwägung 4 | |
4.1 Betreffend die Kostenbefreiung der Beschwerdegegnerin 2 (F.) hat die Vorinstanz erwogen, für den Sorgfaltsnachweis im Sinne ![]() | 16 |
17 | |
18 | |
Erwägung 4.4 | |
4.4.1 Fraglich ist zunächst, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Sorgfaltsnachweises entscheidend ist. Der Wortlaut der Bestimmung, wonach der Eigentümer eines Standorts befreit wird, wenn er von der Belastung "keine Kenntnis haben konnte", spricht dafür, auf den Zeitpunkt des Grundstückerwerbs abzustellen (im Ergebnis ebenso TSCHANNEN, a.a.O., N. 28 zu Art. 32d USG). Dies gebieten auch der Sinn und Zweck der Bestimmung. Wenn jede spätere Kenntnisnahme - insbesondere durch behördliche Orientierungen in Zusammenhang mit späteren Untersuchungen am Standort - eine Kostenbefreiung ausschliessen würde, wären Fallkonstellationen, in ![]() | 19 |
Anders kann es sich insbesondere verhalten, wenn die Belastung nach dem Erwerb verursacht oder verstärkt wird und der Standortinhaber dies weiss oder hätte wissen müssen und so die Möglichkeit gehabt hätte, den Eintritt der Gefahr oder des Schadens zu verhindern. Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor.
| 20 |
21 | |
Selbst wenn die Beschwerdegegnerin 2 aus der Sanierung einen wirtschaftlichen Vorteil erzielen sollte, steht dies - anders als nach früherem Recht (vgl. aArt. 32d Abs. 2 lit. c USG) - einer Kostenbefreiung nicht entgegen. Ein allfälliger finanzieller Vorteil ist zwar relevant, allerdings erst bei der Bemessung des Kostenanteils, d.h. im Fall des misslungenen Sorgfaltsnachweises des Zustandsstörers (vgl. BGE 139 II 106 E. 3.5 S. 114).
| 22 |
Erwägung 5 | |
23 | |
24 | |
25 | |
Sind mehrere Verursacher an der Belastung eines Standorts beteiligt, tragen sie die Kosten entsprechend ihren Anteilen an der Verursachung (Art. 32d Abs. 2 Satz 1 USG), wobei die Grundsätze der Kostenaufteilung im Innenverhältnis zwischen mehreren Haftpflichtigen (Art. 51 OR) analog heranzuziehen sind (BGE 131 II 743 E. 3.1 S. 746 f.). Beim Mass der Verantwortung ist sowohl der Art als auch dem Gewicht der Verursachung Rechnung zu tragen. Darüber hinaus können bei der Bemessung auch Billigkeitsgesichtspunkte, wie die wirtschaftliche Interessenlage und die wirtschaftliche Zumutbarkeit, berücksichtigt werden (vgl. TSCHANNEN, a.a.O., N. 22 f. zu Art. 32d USG; BGE 139 II 106 E. 5.5 S. 118).
| 26 |
27 | |
28 | |
29 | |
6.2 Die Beschwerdeführer bestreiten, dass die von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine Erbenhaftung erfüllt sind. Insbesondere habe im Zeitpunkt des Erbfalls 1981 keine einklagbare Verpflichtung zur Tragung von ![]() | 30 |
31 | |
Konkret hat das Bundesgericht im Urteil 1A.273/2005 / 1A.274/2005 / 1P.669/2005 vom 25. September 2006 E. 5.3 (in: URP 2007 S. 861) den Übergang der Kostentragungspflicht des Verhaltensverursachers auf seine Erben an zwei Voraussetzungen geknüpft. Einerseits muss zum Zeitpunkt des Erbgangs eine rechtliche Grundlage für eine Sanierungs- und Kostentragungspflicht bestanden haben (nachfolgend E. 6.4.1). Andererseits müssen die Erben die Möglichkeit gehabt haben, das Erbe auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, was die Vorhersehbarkeit einer Sanierungspflicht bedingt. Sind die Schulden des Erblassers - hier interessierend die Kostentragungspflicht nach Altlastenrecht - noch nicht näher bezifferbar, können die Erben eine Kostenverteilungsverfügung verlangen, um zu entscheiden, ob sie die Erbschaft ausschlagen oder annehmen wollen (SCHERRER, a.a.O., S. 97 f.).
| 32 |
Erwägung 6.4 | |
6.4.1 Es fragt sich somit vorab, ob zum Zeitpunkt des Erbgangs 1981 eine rechtliche Grundlage für eine Sanierungspflicht bestand. ![]() | 33 |
34 | |
Die Beschwerdeführer - Jahrgänge 1935, 1936 und 1940 - bestreiten nicht, von den auf dem Grundstück ihres Vaters während einer Dauer von zehn Jahren ab 1965 vorgenommenen Ablagerungen gewusst zu haben. Zu berücksichtigen ist indes, dass die Deponie 1969 nachträglich bewilligt wurde. Die nachträgliche Bewilligungserteilung ändert zwar nichts an der Qualifikation von A.A. als Verhaltensverursacher, der mit seiner Vertragsunterzeichnung 1965 eine unmittelbar zurechenbare Verhaltensursache für die Umweltgefährdung gesetzt hatte (vgl. E. 3.4 hiervor). Hingegen ist dieser Umstand für die Beurteilung der Voraussehbarkeit der Sanierungspflicht für die Erben von Bedeutung. Die Bewilligungsbehörde war 1969 der Auffassung, dass von der Deponie keine Umweltbeeinträchtigung ausgeht, ansonsten sie die Bewilligung nicht hätte erteilen dürfen. Eine Umweltgefährdung konkretisierte sich auch nicht bis zum Zeitpunkt des Todes von A.A. im Jahr 1981. Entsprechend bestand für die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Erbgangs auch keine Veranlassung zu weiteren Abklärungen über mögliche künftige Umweltbelastungen. Es konnte von ihnen nicht erwartet und verlangt werden, dass sie zu einem von der fachkundigen ![]() | 35 |
36 | |
37 | |
Gemäss Art. 32d Abs. 3 USG, in Kraft seit dem 1. November 2006, trägt das Gemeinwesen den Kostenanteil von Verursachern, die nicht ermittelt werden können oder zahlungsunfähig sind. Gleiches hat zu gelten, wenn ein Verursacher zwar bekannt ist, aber - unter Fehlen einer Rechtsnachfolge - nicht mehr existiert (vgl. GRIFFEL/ RAUSCH, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Ergänzungsband, 2011, N. 14 ff. zu Art. 32d USG).
| 38 |
In Umsetzung von Art. 32d Abs. 3 USG bestimmt § 8 des kantonalen Einführungsgesetzes vom 4. September 2007 zur Bundesgesetzgebung über den Schutz von Umwelt und Gewässern (EG Umweltrecht/AG; SAR 781.200) unter dem Titel "Ausfallkosten", dass die nach Abzug allfälliger Beiträge Dritter verbleibenden Kosten für die Untersuchung, Überwachung und Sanierung von belasteten Standorten vom Kanton und der Standortgemeinde je zur Hälfte getragen werden, falls die Verursachenden nicht ermittelt werden können oder zahlungsunfähig sind.
| 39 |
Zusammenfassend ist damit der Kostenanteil von A.A. von 25 % vom Gemeinwesen zu tragen. Die Sache ist insoweit zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen, welche zugleich neu über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens zu befinden haben wird (Art. 107 Abs. 2 BGG). (...)
| 40 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |