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30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Firma A. gegen B. und Swissmedic, Schweizerisches Heilmittelinstitut (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_137/2016 vom 27. Juni 2016 | |
Regeste |
Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 lit. g und Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 1 BGÖ; Art. 6 Abs. 2 VBGÖ; Art. 19 Abs. 1bis DSG; Zugangsgesuch zu Informationen über Firmenexperten, die für ein pharmazeutisches Unternehmen an den bei Swissmedic eingereichten Zulassungsunterlagen für ein Medikament mitgewirkt haben. |
Der Geheimnisbegriff im Sinne der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. g BGÖ wird weit verstanden (E. 3.2). |
Sollen Personendaten zugänglich gemacht werden, ist eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen dem öffentlichen Interesse am Zugang zu amtlichen Dokumenten und dem Schutz der Privatsphäre bzw. der informationellen Selbstbestimmung der Personen, deren Daten in diesen Dokumenten enthalten sind (E. 4.2 und 4.3). |
Kriterien für die Gewichtung der privaten Interessen (E. 4.4) und der Informationsinteressen der Öffentlichkeit (E. 4.5). |
Bei der Gewährung des Zugangs zu amtlichen Dokumenten, die persönliche Daten Dritter enthalten, ist ein mehrstufiges Verfahren zu durchlaufen. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob eine Veröffentlichung überhaupt in Betracht fällt. Ist dies der Fall, sind in der Regel die betroffenen Dritten anzuhören und ist erst gestützt auf deren Stellungnahmen zu entscheiden. Von der Anhörung darf abgesehen werden, wenn die vorläufige Interessenabwägung eindeutig zugunsten der Veröffentlichung ausfällt und die Durchführung des Konsultationsverfahrens unverhältnismässig erscheint (E. 4.6). |
In der hier vorgenommenen vorläufigen Interessenabwägung überwiegen die öffentlichen Transparenzinteressen (E. 4.6.4). Es liegen keine Gründe vor, die es rechtfertigten, auf die Anhörung der betroffenen Firmenexperten zu verzichten (E. 4.6.8). | |
Sachverhalt | |
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Nach Anhörung der Firma A. nahm Swissmedic am 19. März 2014 zum Zugangsgesuch Stellung. Es gewährte B. Zugang zum Zulassungsentscheid (unter Abdeckung eines Namens) und zu den Dokumenten der Teile 1.9, 5.2 und 5.4 des CTD. Dagegen verweigerte es die Bekanntgabe des Teils 1.4 des CTD. Dieses führt pro beteiligtem Firmenexperten jeweils auf Seite 1 dessen Namen und Vornamen, die Firma und Adresse des Arbeitgebers sowie eine datierte und unterschriebene Erklärung gemäss Art. 12 i.V.m. Anhang I Teil I Ziff. 1.4 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel auf und enthält dessen Lebenslauf.
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B. Daraufhin stellte B. beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) einen Schlichtungsantrag und verlangte, es sei ihm (auch) Zugang zu den Dokumenten von Teil 1.4 des CTD zu gewähren. Mit Empfehlung vom 17. März 2015 regte der EDÖB an, Swissmedic solle B. jeweils Zugang zu Seite 1 der Dokumente von Teil 1.4 des CTD gewähren, wobei die Unterschrift der Experten abzudecken sei. Zudem sei die aktuelle Position der Experten in der Rubrik "Occupational Experience/Employment" des ![]() | 3 |
C. Am 17. April 2015 teilte Swissmedic mit, es beabsichtige, den vom EDÖB empfohlenen Zugang zu verweigern. Nachdem sich B. in seiner Stellungnahme dem Standpunkt des EDÖB anschloss, erliess Swissmedic am 30. April 2015 die in Aussicht gestellte Verfügung mit der Begründung, die privaten Interessen der Firmenexperten an der Wahrung ihrer Privatsphäre überwögen das Transparenzinteresse.
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Die dagegen von B. erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil A-3220/2015 vom 22. Februar 2016 gut. Es hob die Verfügung von Swissmedic auf und wies diese an, B. pro beteiligtem Firmenexperten jeweils Zugang zu Seite 1 der Dokumente von Teil 1.4 des CTD (ohne Unterschrift) und zur Angabe über die aktuelle Position (Angabe in Fettdruck) in der Rubrik "Occupational Experience/Employment" des Lebenslaufs im gleichen Teil des CTD zu gewähren.
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D. Gegen das bundesverwaltungsgerichtliche Urteil erhob die Firma A. am 24. März 2016 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.
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Mit Verfügung vom 21. April 2016 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung dieser die aufschiebende Wirkung zu.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Die Beschwerdeführerin beruft sich auf mehrere gesetzlich vorgesehene Ausnahmebestimmungen zum Transparenzgebot. Nach der Rechtsprechung muss die aufgrund der Zugangsgewährung drohende Verletzung der jeweiligen öffentlichen oder privaten Interessen zwar nicht mit Sicherheit eintreten, jedoch darf eine Gefährdung auch nicht lediglich denkbar oder (entfernt) möglich erscheinen; zudem muss diese ernsthaft sein, weshalb eine bloss geringfügige ![]() | 13 |
Erwägung 3 | |
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3.2 Dem Begriff der Geschäftsgeheimnisse werden etwa alle Informationen zugewiesen, die ein Unternehmer als Geheimnisherr berechtigterweise geheim halten möchte bzw., etwas konkreter, die zu einer Beeinträchtigung des geschäftlichen Erfolgs des Unternehmens bzw. zu einer Verfälschung des Wettbewerbs führen könnten, wenn sie Konkurrenzunternehmen bekannt würden. Insofern wird der Geheimnisbegriff in diesem Zusammenhang weit verstanden (Urteil 1C_50/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 5.3; Botschaft zum BGÖ, BBl 2003 1963, 2011 f. Ziff. 2.2.2.1.7). Trotzdem ist hier nicht ersichtlich, inwiefern die Ausnahmebestimmung nach Art. 7 Abs. 1 lit. g BGÖ erfüllt sein könnte. Das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Schadensrisiko erscheint rein hypothetisch und bloss entfernt möglich zu sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass das Konkurrenzunternehmen ihren Angaben zufolge sein Zulassungsbegehren nicht weiter verfolgt hat. Ausserdem leuchtet nicht ein, weshalb die Namen der Firmenexperten - nur weil sie am Zulassungsdossier mitgewirkt haben - mit jenen von Lieferanten vergleichbar sein sollen. Auch diese gelten, wie bereits dargelegt, ohnehin erst dann als Geschäftsgeheimnis, wenn deren Offenlegung sich negativ auf das Geschäftsergebnis auswirken könnte. Mithin ist nicht zu ![]() | 15 |
Erwägung 4 | |
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Die zweite Voraussetzung verlangt nach einer Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Zugang zu den amtlichen Dokumenten und den privaten Interessen am Schutz der darin enthaltenen Personendaten (vgl. Botschaft zum BGÖ, BBl 2003 1963, 2033 Ziff. 2.5.2.1; JENNIFER EHRENSPERGER, in: Basler Kommentar, Datenschutzgesetz, Öffentlichkeitsgesetz, 3. Aufl. 2014, N. 44 zu Art. 19 DSG; AMMANN/LANG, Öffentlichkeitsgesetz und Datenschutz, in: Datenschutzrecht, Passadelis/Rosenthal/Thür (Hrsg.), 2015, S. 924; MARKUS SCHEFER, Öffentlichkeit und Geheimhaltung in der Verwaltung, in: Die Revision des Datenschutzgesetzes, Epiney/Hobi (Hrsg.), 2009, S. 88). Dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Schutz der Privatsphäre im Rahmen von ![]() | 18 |
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4.4 Im Rahmen der Güterabwägung ist dem Interesse der Drittperson am Schutz ihrer Privatsphäre bzw. ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung zu tragen. Bei der Gewichtung dieser privaten Interessen sind insbesondere die Art der betroffenen Daten, die Rolle bzw. Stellung der in Frage stehenden Person sowie die Schwere der Konsequenzen einer Bekanntgabe für diese Person zu berücksichtigen (vgl. STEPHAN BRUNNER, Persönlichkeitsschutz bei der behördlichen Information der Öffentlichkeit von ![]() | 20 |
Die Behörde muss beim Vorliegen überwiegender privater Interessen nicht in jedem Fall den Zugang verweigern, sondern kann ihn im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit auch bloss einschränken oder aufschieben (Art. 7 Abs. 2 BGÖ).
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Von der Anhörung darf unter zwei Voraussetzungen ausnahmsweise abgesehen werden. Erstens muss die vorläufige Interessenabwägung so klar zugunsten der Veröffentlichung ausfallen, dass nicht ernsthaft damit zu rechnen ist, es gebe noch nicht erkannte private Interessen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Und zweitens muss die Durchführung des Konsultationsrechts unverhältnismässig erscheinen, namentlich weil die Anhörung mit einem übergrossen Aufwand verbunden wäre (Urteil 1C_50/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 6.3).
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4.6.1 Die Vorinstanz erwog, die Firmenexperten erfüllten im Rahmen des Zulassungsgesuchs eine wichtige Funktion, die im öffentlichen Interesse liege, da das Zulassungsverfahren dem Schutz der öffentlichen Gesundheit diene. Bei ihren Berichten sei nicht auszuschliessen, dass sie den Zulassungsentscheid zu beeinflussen vermöchten. Insoweit bestehe ein öffentliches Interesse daran zu wissen, von wem diese Funktion ausgeübt werde. Dies erlaube eine Überprüfung der an die Firmenexperten gestellten Qualifikationen und ihrer Interessenbindungen, was zur Verwirklichung eines korrekten, von sachfremden Einflüssen freien Zulassungsverfahrens beitrage. Es sei demnach von einem nicht unerheblichen öffentlichen Interesse auszugehen. Daran ändere auch die Gesuchsüberprüfung durch externe Experten bzw. der Status des Medikaments als sog. ![]() | 25 |
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Diese Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Die aufgezeigten, aufgrund der Offenlegung drohenden Beeinträchtigungen der privaten Interessen bewegen sich bloss im Bereich des Möglichen und basieren auf der Annahme, die Einflussnahme durch die im Rahmen des Zulassungsgesuchs eingereichten Berichte werde von Aussenstehenden negativ wahrgenommen. Objektiv betrachtet handelt es sich dabei aber lediglich um das für die Zulassung eines Arzneimittels vorgesehene Verfahren: Die Berichte der Firmenexperten stellen Unterlagen dar, die mit dem Zulassungsbegehren beizubringen sind und die der Zulassungsbehörde als Grundlage für ihre Beurteilung dienen. Auch erscheint wenig plausibel, dass die Firmenexperten ihre Zusammenarbeit mit der Beschwerdeführerin aufgrund einer kritischen Medienberichterstattung aufgeben würden. Die in diesem Zusammenhang dargelegten Gefahren könnten für die betroffenen Personen wohl bloss unangenehme Konsequenzen zur Folge haben. Das private Interesse am Schutz der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung ist somit aufgrund der von der Beschwerdeführerin eingebrachten Argumente zu relativieren. Diese Würdigung steht allerdings unter dem generellen Vorbehalt, dass sich die betroffenen Personen bislang noch nicht zu den bei einer Bekanntmachung drohenden Beeinträchtigungen ihrer Interessen äussern konnten. Auf das Vorbringen des Beschwerdegegners, eine ![]() | 27 |
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Zwar ist der Beschwerdeführerin darin zuzustimmen, dass bei Zugangsgesuchen von Medienschaffenden nicht grundsätzlich von einem dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienenden überwiegenden öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. b VBGÖ ausgegangen werden kann. Indes kann ihr nicht gefolgt werden, wenn sie vorbringt, die Aufdeckung von Interessenbindungen der Firmenexperten durch die Zugangsgewährung sei mehr als fraglich. Wie Swissmedic in ihrer Stellungnahme ausführt, gibt der Abgleich der Namen der Firmenexperten mit jenen der Experten des HMEC, die auf ihrer Homepage öffentlich zugänglich sind, Aufschluss über allfällige Interessenkonflikte. Des Weiteren können auch die aufgrund der zahlreichen von der Beschwerdeführerin genannten Verhaltenskodizes oder Richtlinien mit Offenlegungspflichten gewonnenen ![]() | 29 |
Schliesslich ist zu beachten, dass zwar nicht den Firmenexperten selbst, jedoch der Beschwerdeführerin, der sie zuzurechnen sind, durch die Zulassung des Arzneimittels C. ein erheblicher Wettbewerbsvorteil erwachsen ist. Dieser wirkt sich insbesondere auch in finanzieller Hinsicht positiv auf den geschäftlichen Erfolg der Beschwerdeführerin aus (Art. 6 Abs. 2 lit. c VBGÖ). Da in solchen Situationen das Bedürfnis, Missbräuchen zu begegnen, besonders gross ist, besteht ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Schaffung von Transparenz.
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4.6.6 Bezieht sich ein Zugangsgesuch auf amtliche Dokumente, die Personendaten enthalten, und zieht die Behörde die Gewährung des Zugangs in Betracht, so konsultiert sie gemäss Art. 11 Abs. 1 BGÖ die betroffene Person und gibt ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Wenngleich das Gesetz nicht ausdrücklich Ausnahmen von dieser Verpflichtung vorsieht, kann das Anhörungsrecht nach der Rechtsprechung aus systematischen und teleologischen Gründen nicht absolut gelten. Es steht vielmehr unter einem Umsetzungsvorbehalt, ![]() | 33 |
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4.6.8 Die Ausgangslage, die dem Urteil 1C_50/2015 zugrunde lag, ist hingegen mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Zwar dauert das Zugangsverfahren auch hier schon einige Zeit an. Jedoch gibt es keine Hinweise darauf, dass die Namen der Firmenexperten bereits in einem anderen Zusammenhang veröffentlicht worden sind. Auch würde das Anhörungsverfahren sich weder als ausgesprochen aufwändig noch als komplex erweisen, müssten doch lediglich drei ![]() | 35 |
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