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25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. AG und Wettbewerbskommission (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_524/2018 vom 8. Mai 2019 | |
Regeste |
Art. 48 VwVG; Art. 29 KG; kartellrechtliche Beschwerdelegitimation. | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.a Am 3. April 2013 reichte die B. AG beim Sekretariat der Wettbewerbskommission eine Selbstanzeige ein im Zusammenhang mit mutmasslichen Wettbewerbsabsprachen zwischen der B. AG, der A. AG sowie drei weiteren Unternehmen über eine gemeinsame Rabattpolitik, insbesondere betreffend Preisnachlässe und Ablieferungspauschalen für Neufahrzeuge von Marken des Volkswagenkonzerns. Am 22. Mai 2013 eröffnete das Sekretariat im Einvernehmen mit einem Mitglied des Präsidiums der Wettbewerbskommission eine kartellgesetzliche Untersuchung (22-0439: VPVW Stammtische/ ![]() | 2 |
A.b Mit Verfügung vom 8. August 2014 genehmigte ein Vizepräsident der Wettbewerbskommission (WEKO) die einvernehmliche Regelung; Kopien der Verfügung wurden den übrigen Parteien der Untersuchung zugeschickt. Diese fochten die Verfügung beim Bundesverwaltungsgericht an. Mit Urteilen vom 13. April 2016 stellte das Bundesverwaltungsgericht infolge Unzuständigkeit des Vizepräsidenten der WEKO die Nichtigkeit der Genehmigungsverfügung vom 8. August 2014 fest.
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A.c Mit Verfügung vom 19. Oktober 2015 hatte die Wettbewerbskommission den vier Unternehmen, welche keine einvernehmliche Regelung abgeschlossen hatten, darunter der A. AG, Sanktionen wegen Beteiligung an einer unzulässigen Wettbewerbsabrede auferlegt. Diese erhoben dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
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A.d Im Nachgang zu den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2016 erliess die Wettbewerbskommission am 6. Juni 2016 eine Verfügung über die Genehmigung der zwischen ihrem Sekretariat und der B. AG vereinbarten einvernehmlichen Regelung vom 16. April 2014. Das Dispositiv der Genehmigungsverfügung lautet wie folgt:
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"1. Die nachfolgende von der B. AG mit dem Sekretariat der Wettbewerbskommission vereinbarte einvernehmliche Regelung vom 16. April 2014 wird genehmigt: Die B. AG verpflichtet sich:
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1) die Vereinbarungen des 'Projekt Repo 2013' über die Festsetzung von Preisnachlässen und Ablieferungspauschalen für den Verkauf von Neufahrzeugen, insbesondere die gemeinsamen Konditionenlisten vom 6. und 24. Februar 2013, nicht anzuwenden und keine 'Stammtische' im Rahmen der Vereinigung von autorisierten Händlern für Neufahrzeuge der Marken des Volkswagenkonzerns (VPVW) oder ausserhalb dieser durchzuführen, mit dem Ziel gemeinsame Konditionenlisten zu erläutern und deren Einhaltung durch Mitglieder und Nicht-Mitglieder des VPVW sicherzustellen;
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2) mit ihren Konkurrenten im Rahmen der VPVW oder ausserhalb der VPVW keine Informationen über künftige Preisnachlässe und Ablieferungspauschalen für den Verkauf von Neufahrzeugen auszutauschen; und
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2. Auf eine Sanktion wird verzichtet (Art. 49a Abs. 2 und Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 und 3 KG).
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3. Die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 56'500.- werden der B. AG auferlegt.
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4. [Eröffnung]
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5. [Zustellung]."
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(...)
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B. Mit Eingabe vom 23. August 2016 focht die A. AG die Genehmigungsverfügung der Wettbewerbskommission vom 6. Juni 2016 beim Bundesverwaltungsgericht an. (...) Mit Urteil vom 3. Mai 2018 trat das Bundesverwaltungsgericht mangels Legitimation der A. AG auf die Beschwerde nicht ein.
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C. Die A. AG erhebt mit Eingabe vom 15. Juni 2018 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
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2.1 Zur Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ist nach Art. 48 Abs. 1 VwVG (SR 172.021) i.V.m. Art. 37 VGG (SR 173.32) legitimiert, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat ![]() | 20 |
Erwägung 2.2 | |
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2.3 Die Regelung von Art. 48 Abs. 1 VwVG, die derjenigen von Art. 89 Abs. 1 BGG entspricht, verlangt, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als ein beliebiger Dritter betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen muss. Neben der spezifischen Beziehungsnähe zur Streitsache muss der Beschwerdeführer einen praktischen Nutzen aus einer allfälligen Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids ziehen, d.h. seine Situation muss durch den Ausgang des Verfahrens in relevanter Weise beeinflusst werden können. Das schutzwürdige Interesse besteht im Umstand, einen materiellen oder ideellen Nachteil zu vermeiden, den der angefochtene Entscheid mit sich bringen würde. Ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines öffentliches Interesse begründet - ohne die erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache selber - keine Parteistellung. Es gibt keine rechtslogisch stringente, sondern nur eine praktisch vernünftige Abgrenzung zur Popularbeschwerde oder zur Aufsichtsbeschwerde, die dem Anzeiger keine Parteistellung verschafft (vgl. Art. 71 Abs. 2 VwVG); wo diese Grenze verläuft, ist für jedes Rechtsgebiet gesondert zu beurteilen. Wegleitend dafür sind namentlich einerseits die Möglichkeit für die Interessierten, den angestrebten Erfolg auf anderem - z.B. zivil- oder strafrechtlichem - Weg zu erreichen, und andererseits das Anliegen, die ![]() | 23 |
Erwägung 2.4 | |
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2.4.2 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin mögen diese Ausführungen auf die einvernehmliche Regelung im engeren Sinne zutreffen, nicht aber auf die Genehmigungsverfügung; diese enthalte durchaus Äusserungen zur Rechtslage und zum Sachverhalt. Durch diese Feststellungen sei sie - die Beschwerdeführerin - sehr wohl besonders berührt, da sie Teil des beanstandeten Verhaltens bildeten und relevant seien dafür, ob überhaupt eine Abrede vorliege; damit werde auch eine rechtliche Würdigung zu Lasten der Beschwerdeführerin vorgenommen. In der Genehmigungsverfügung werde bestätigt, dass die Beschwerdegegnerin Kronzeugin sei, mithin dass sie nicht Preisführerin sei. Nach ihrer - von der Beschwerdeführerin vertretenen - Auffassung sei die Beschwerdegegnerin aber Preisführerin, was die Existenz einer Wettbewerbsabrede ausschliesse. Von der in der Genehmigungsverfügung vorgenommenen Beurteilung hänge auch das Verhalten und die rechtliche Würdigung ab, aufgrund derer sie - die Beschwerdeführerin - sanktioniert worden sei. Dass sie die ![]() | 25 |
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2.5.2 Wie bereits der Wortlaut von Art. 29 Abs. 1 KG nahelegt, geht es bei der einvernehmlichen Regelung darum, wie eine als unzulässig diagnostizierte Wettbewerbsbeschränkung beseitigt bzw. wie der rechtmässige Zustand wiederhergestellt werden kann. Dabei ist nur das zukünftige Verhalten des Unternehmens Regelungsgegenstand, also nicht die Frage, ob ein früheres Verhalten zulässig sei, sondern die Frage, wie eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung zu beseitigen ist (zit. Urteil 2A.415/2003 E. 3.4.4; Urteil 2C_484/2010 vom 29. Juni 2012 E. 6.2.1, nicht publ in: BGE 139 I 72; CARLA BEURET, Die einvernehmliche Regelung im schweizerischen Kartellrecht [nachfolgend: 2016], 2016, S. 63 f.; BILGER, a.a.O., S. 343; SAMUEL JOST, Die Parteien im verwaltungsrechtlichen Kartellverfahren der Schweiz, 2013, S. 96 Rz. 185; ZIRLICK/TAGMANN, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N. 26 ff. zu Art. 29 KG). Einvernehmliche Regelungen setzen freilich voraus, dass das Sekretariat eine Wettbewerbsbeschränkung als unzulässig erachtet. Das setzt eine materielle Beurteilung durch das Sekretariat voraus, ändert aber nichts daran, dass ein Unternehmen, welches einer einvernehmlichen Regelung zustimmt, damit wenn nicht rechtlich (zur Zulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts in diesem Zusammenhang s. BEURET, 2016, a.a.O., S. 69 ff.; PRANVERA KËLLEZI, Les accords amiables conclus avec les autorités de la concurrence et leurs ![]() | 28 |
2.5.3 In der Literatur wird eine Beschwerdelegitimation Dritter gegen die Genehmigung einer einvernehmlichen Regelung in Betracht gezogen, wenn diese geltend machen, die getroffene Vereinbarung würde ihre Beeinträchtigung als Wettbewerbsteilnehmer nicht genügend beseitigen (BEURET, 2016, a.a.O., S. 97 Rz. 212; BILGER, a.a.O., S. 350; JOST, a.a.O., S. 413 ff.). Dabei geht es um die zukünftigen Auswirkungen der einvernehmlichen Regelung. Hier macht die Beschwerdeführerin jedoch nicht geltend, die getroffene Regelung würde sie in Zukunft ungenügend vor einer Wettbewerbsbeeinträchtigung schützen, sondern sie kritisiert die rechtliche Beurteilung des Verhaltens, welches der einvernehmlichen Regelung zugrunde liegt. Sie wird jedoch durch die einvernehmliche Regelung und ihre Genehmigung nicht direkt betroffen, auch nicht durch den damit verbundenen Sanktionenerlass zu Gunsten der Beschwerdegegnerin. Direkt betroffen ist sie, soweit sie selber sanktioniert wurde. Gegen diese Sanktionsverfügung kann sie sich aber rechtsmittelweise zur Wehr setzen, was sie auch getan hat. Weder in jenem Verfahren, in welchem Sachverhalt und Rechtsanwendung frei gerichtlich überprüft werden, noch darüber hinaus hat die hier streitige Genehmigungsverfügung ![]() | 29 |
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2.6.2 Genau dies scheint denn auch das Ziel der Beschwerdeführerin zu sein, wenn sie argumentiert, es bestünden keine sachlichen Gründe für die Trennung des Verfahrens, und sich dabei auf Art. 29 StPO bezieht. Nach Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO werden Straftaten gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt. Eine ausnahmsweise Trennung der Verfahren ist nur aus sachlichen Gründen zulässig (Art. 30 StPO). Das kartellrechtliche Verfahren vor der WEKO richtet sich jedoch nicht nach der StPO, sondern ist ein Verwaltungsverfahren, das sich nach dem VwVG richtet (Art. 39 KG; BGE 142 II 268 E. 4.2.5.2 S. 274 oben; BGE 139 I 72 E. 4.4 S. 81 f.), auch wenn die Sanktion gemäss Art. 49a KG als strafrechtlich im Sinne von Art. 6 EMRK gilt (BGE 143 II 297 E. 9.1 S. 337; BGE 139 I 72 E. 2.2.2 S. 78 f.). Das VwVG enthält keine Vorgaben für die Trennung oder Vereinigung von Verfahren, ebenso wenig das Kartellgesetz. Auch für eine analoge Anwendung von Art. 29 StPO besteht vorliegend kein Grund: Der darin enthaltene Grundsatz der Verfahrenseinheit bezweckt in erster Linie die Verhinderung sich widersprechender Urteile und dient zudem der Prozessökonomie (BGE 138 IV 214 E. 3.2 S. 219, BGE 138 IV 29 E. 3.2 S. 31). Da aber im Verfahren der einvernehmlichen Regelung in aller Regel nicht gerichtlich über die ![]() | 34 |
2.7 Unbegründet ist schliesslich die Rüge der Verletzung von Treu und Glauben schon deshalb, weil im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2016 die Legitimation der Beschwerdeführerin nicht bejaht wurde: Das Gericht hat dort die Nichtigkeit der Genehmigungsverfügung vom 8. August 2014 festgestellt, wozu es unabhängig von der Legitimation berechtigt war. Der blosse Umstand, dass in der Erwägung betreffend Kostenverteilung ausgeführt wurde, die Beschwerdeführerin habe ein Interesse an der Anfechtung gehabt, ist keine Vertrauensgrundlage dafür, dass die Beschwerdelegitimation in einem künftigen Verfahren bejaht werden würde.
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