BGE 146 II 89 | |||
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9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für Migration sowie Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_134/2019 vom 12. November 2019 | |
Regeste |
Art. 4 Anhang I FZA; Verbleiberecht bei dauernder Arbeitsunfähigkeit. | |
Sachverhalt | |
A. A. (1960, Portugiese) arbeitete in den Jahren 1995 bis 2004 als Saisonnier in der Schweiz. Am 28. September 2004 wurde ihm eine fünfjährige Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erteilt, welche in der Folge zweimal verlängert wurde. Am 21. November 2014 ersuchte A. erfolglos um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung EU/EFTA. Es wurde ihm hingegen seine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA bis zum 13. Februar 2017 verlängert.
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Seit dem 23. Februar 2015 erhält A. finanzielle Unterstützung durch das Sozialamt. Seit dem Juni 2015 arbeitet er zu 50 % bei der B. AG, einer sozialen Einrichtung für langfristig Arbeitslose. Am 26. Juli 2016 wurde sein Gesuch um eine IV-Rente abgelehnt, mit der Begründung, dass er in einer angepassten Tätigkeit voll arbeitsfähig sei.
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B. Am 24. Juli 2017 lehnte das Amt für Migration des Kantons Luzern ab, A. die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zu verlängern. Gegen diese Verfügung erhob er am 24. August 2017 Verwaltungsbeschwerde beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, welches diese am 19. Juli 2018 abwies und A. aufforderte, die Schweiz bis zum 8. Oktober 2018 zu verlassen.
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Gegen den Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Luzern vom 19. Juli 2018 erhob A. am 20. August 2018 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht Luzern, welches diese am 13. Dezember 2018 abwies.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht beantragt A., das Urteil der kantonalen Vorinstanz vom 13. Dezember 2018 sei aufzuheben und in Gutheissung der Beschwerde seine Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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Mit Verfügung vom 6. Februar 2019 hat das präsidierende Abteilungsmitglied der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung beigelegt.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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4.2 Der Beschwerdeführer rügt, dass eine solche Auslegung Art. 4 Anhang I FZA verletze. Die genannte Bestimmung müsse eng ausgelegt werden, d.h. die Arbeitsunfähigkeit dürfe ausschliesslich bezogen auf den angestammten Beruf des Beschwerdeführers beurteilt werden. Unter Arbeitsunfähigkeit werde generell die medizinisch begründete Unfähigkeit, eine bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten zeitlichen und funktionellen Umfang auszuüben, bezeichnet. Der Begriff dürfe insofern nicht dem Begriff der "Erwerbsunfähigkeit" gleichgesetzt werden, der eine allgemeine Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten ausdrücke, welche sich auf die bisherige Tätigkeit als auch auf andere zumutbare Tätigkeiten beziehe. Hätte der Gesetzgeber (recte Vertragsparteien) auch Verweistätigkeiten einschliessen wollen, so hätte er dies explizit getan. Auch eine teleologische Interpretation führe zu keinem anderen Resultat, da eine echte Freizügigkeit voraussetze, dass ein Verbleiberecht auch bei unfreiwilliger Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf weiterbestehe.
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4.4 Bislang besteht keine Rechtsprechung des EuGH zum streitbetroffenen Begriff. Seine Interpretation erfolgt insofern in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Auslegungsmethoden. Insoweit der Beschwerdeführer folgert, der Wortlaut sei klar und nicht interpretationsbedürftig, kann ihm nicht gefolgt werden. Wenn der Begriff der Arbeitsunfähigkeit zwar in vielen Bereichen arbeitsplatzbezogen ausgelegt wird, so ist dies nicht immer der Fall. So bestimmt beispielsweise Art. 6 Abs. 2 ATSG (SR 830.1), dass bei Arbeitsunfähigkeit von langer Dauer auch zumutbare Tätigkeiten in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich zu berücksichtigen sind. Von langer Dauer wird in der Regel dann gesprochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Monate dauert (vgl. dazu UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 74 zu Art. 6 ATSG). Damit kommt zum Ausdruck, dass die bisherige Tätigkeit nur solange der Massstab für die Arbeitsunfähigkeit sein kann, als von der versicherten Person "vernünftigerweise nicht verlangt werden" kann, ihre restliche Arbeitsfähigkeit in einem anderen Berufszweig zu verwerten (BGE 114 V 281 E. 1d). Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der den Versicherten obliegenden Schadenminderungspflicht im Sozialversicherungsrecht (HANS-JAKOB MOSIMANN, in: AHVG/IVG Kommentar, Frey/Mosimann/Bollinger [Hrsg.], 2018, N. 6 zu Art. 6 ATSG). Über den Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 hinaus ist insofern die wahre Tragweite des Begriffs der "dauernden Arbeitsunfähigkeit" zu eruieren.
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4.6 An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Zwar wird in der Literatur ein enger Begriff der Arbeitsunfähigkeit vertreten, insbesondere weil Art. 2 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 auf die Arbeitsunfähigkeit und nicht auf den Invaliditätsgrad Bezug nimmt (vgl. Marc Spescha in: Migrationsrecht, Spescha und andere [Hrsg.], 5. Aufl. 2019, N. 5 zu Art. 4 Anhang I FZA; Klaus Dienelt, in: Kommentar Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, N. 43 ff. zu Art. 4a FreizügG/EU). Dies ist jedoch abzulehnen. In Analogie zum Sozialversicherungsrecht, das bei der Beurteilung lang andauernder Arbeitsunfähigkeit auch zumutbare Tätigkeiten in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt, ist ein Verbleibeanspruch gestützt auf Art. 2 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 zu verneinen, wenn keine gesundheitlichen Gründe den Wanderarbeitnehmer hindern, einer angepassten Arbeit nachzugehen.
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4.9 Zu berücksichtigen gilt es unter anderem auch, dass wer sich auf ein Verbleiberecht berufen kann, seine als Arbeitnehmer erworbenen Rechte behält und insbesondere auch Anspruch auf Sozialhilfe hat (BGE 144 II 121 E. 3.2 S. 125; BGE 141 II 1 E. 4.1 S. 11). Wenn der Begriff der dauernden Arbeitsunfähigkeit arbeitsplatzbezogen ausgelegt würde, hätte dies zur Folge, dass Wanderarbeitnehmer, die unfähig sind, im angestammten Beruf weiterzuarbeiten, grundsätzlich nach spätestens zwei Jahren einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Sozialhilfe in der Schweiz erwerben, wenn sie die Voraussetzungen hierfür erfüllen. Das ist aber nicht der Sinn der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dieser besteht in der Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt, begründet jedoch keinen Anspruch auf Ausübung einer bestimmten Tätigkeit. Der Vorinstanz ist insofern zuzustimmen, dass dem Wanderarbeiter zugemutet werden kann, dass er sich um eine angepasste Arbeit bemüht, wenn es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben.
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