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6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Migrationsamt des Kantons Zürich und Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_408/2020 vom 21. Juli 2020 | |
Regeste |
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK; Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG; Art. 99 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 BGG; Zulässigkeit der Durchsetzungshaft; Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise wegen coronabedingter Reisebeschränkungen (Mali). |
Haben sich die Umstände seit dem angefochtenen Entscheid derart verändert, dass der Haftrichter auf ein Haftentlassungsgesuch ausserhalb der Sperrfristen eintreten müsste, kann das Bundesgericht trotz des Novenverbots neue Entwicklungen zu Gunsten des Inhaftierten in seinem Verfahren berücksichtigen (E. 3.3). |
Scheitert die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise der sich in Durchsetzungshaft befindlichen ausländischen Person nicht (allein) an ihrem Verhalten, sondern an einem objektiven, in seiner Dauer zeitlich (noch) nicht absehbaren technischen Hindernis, verletzt eine Fortsetzung der Durchsetzungshaft das Übermassverbot. Weil coronabedingt keine Flüge stattfinden, beziehungsweise Ein- oder Ausreisesperren bestehen, kann der Betroffene weder freiwillig nach Mali reisen, noch können die Behörden ihn zwangsweise dorthin verbringen. Die Haftprüfung kann in diesem Fall nicht in dem Sinn "zweistufig" erfolgen, dass die ausländische Person erst mit den Behörden zusammenarbeiten muss, bevor geprüft wird, ob eine freiwillige Ausreise überhaupt möglich ist (E. 4 und 5). | |
Sachverhalt | |
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B. Das Migrationsamt des Kantons Zürich wies A. am 19. September 2019 weg und nahm ihn erneut in Ausschaffungshaft, welche das Zwangsmassnahmengericht des Bezirksgerichts Zürich (nachfolgend: Zwangsmassnahmengericht) am 20. September 2019 prüfte und bis zum 19. Dezember 2019 bestätigte; in der Folge verlängerte es die Ausschaffungshaft bis zum 17. März 2020. Am 14. Januar 2020 nahm das Migrationsamt A. in Durchsetzungshaft, welche das Zwangsmassnahmengericht am 16. April 2020 bestätigte. Die Durchsetzungshaft wurde wiederholt verlängert: Am 7. April 2020 bis zum 14. Juni 2020 und am 9. Juni 2020 bis zum 14. August 2020. Gegen den Verlängerungsentscheid vom 7. April 2020 gelangte A. an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches seine Beschwerde am 22. Mai 2020 bezüglich der unentgeltlichen Verbeiständung im Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht guthiess; im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
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C. A. beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Mai 2020 insoweit aufzuheben, als seine Beschwerde abgewiesen und er in der Durchsetzungshaft belassen worden sei; er sei unverzüglich auf freien Fuss zu setzen; allenfalls sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich auf und ordnet an, dass A. unverzüglich aus der Haft zu entlassen sei. ![]() | 4 |
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 1.2 | |
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.2 | |
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2.2.3 Die Festhaltung hat, weil unverhältnismässig, dann als unzulässig zu gelten, wenn triftige Gründe für Verzögerungen beim ![]() ![]() | 13 |
Erwägung 3 | |
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3.2 Der Vollzug der Wegweisung lässt sich während der Corona-Pandemie nur dann als innert absehbarer Frist möglich und damit durchführbar bezeichnen, wenn dem Haftrichter hierfür hinreichend konkrete Hinweise - insbesondere seitens des SEM - vorliegen; andernfalls fehlt es an der ernsthaften Aussicht auf den Vollzug der Wegweisung bzw. der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nach der Kooperation des Betroffenen mit den Behörden, auf welche die Durchsetzungshaft ausgerichtet ist (vgl. die Urteile 2C_414/2020 vom 12. Juni 2020 E. 3.3.1; 2C_386/2020 vom 9. Juni 2020 E. 4.2.2 und ![]() ![]() | 15 |
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Erwägung 4 | |
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, der Vollzug seiner Wegweisung bzw. die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise seien wegen der Reisebeschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie technisch nicht (mehr) in einem vernünftigerweise absehbaren Zeitraum möglich und verstosse deshalb gegen Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Durchsetzungshaft zu beenden ist, wenn "eine selbständige und pflichtgemässe Ausreise nicht möglich" erscheint, "obwohl die betroffene Person den behördlich vorgegebenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist". Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG ist im Lichte von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK so zu verstehen, dass das Ausschaffungsverfahren "schwebend" sein muss, was nur der Fall ist, wenn der ![]() ![]() | 17 |
Erwägung 4.2 | |
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4.2.2 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden: Entscheidend ist, ob die Ausreise "objektiv" möglich ist. Es liegt keine relevante Unmöglichkeit vor, falls die betroffene Person freiwillig ausreisen kann, d.h. diesbezüglich keine technischen Hindernisse bestehen; ebenso verhält es sich, wenn die zwangsweise Ausschaffung ausgeschlossen ist, sich eine freiwillige Ausreise aber technisch als möglich erweist; die Durchsetzungshaft ist mit anderen Worten dann untauglich, wenn sowohl die Ausschaffung als auch die freiwillige Ausreise objektiv unmöglich sind (in diesem Sinn zur Problematik der Ein- und Ausgrenzung: BGE 144 II 16 ff.; Urteil 2C_323/2020 vom 18. Juni 2020 E. 5.4.3 2. Abschnitt; vgl. auch THOMAS HUGI YAR, EINGRENZUNG BEI FREIWILLIGER AUSREISEMÖGLICHKEIT, DER DIGITALE RECHTSPRECHUNGS-KOMMENTAR [DRSK], 13. FEBRUAR 2018). Eine teleologische und konventionskonforme Auslegung ergibt, dass Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG in diesem Sinn verstanden werden muss. Im Lichte von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK ist auch bei der Durchsetzungshaft entscheidend, ob mit dem Wegweisungsvollzug bzw. der freiwilligen Ausreise in absehbarer Zeit gerechnet werden kann oder diesen objektive Hindernisse entgegenstehen; Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG lässt in diesem Fall eine zweistufige Haftprüfung, wie sie die Vorinstanz ![]() ![]() | 19 |
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Erwägung 5 | |
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Erwägung 5.3 | |
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5.3.2 Zur Problematik der Corona-Pandemie und den entsprechenden sanitarischen Massnahmen hält der Bericht fest, dass Mali - wie der Grossteil der afrikanischen Staaten - aufgrund der COVID-19-Pandemie den internationalen Flughafen Bamako Senou am 20. März 2020 für internationale Passagierflüge geschlossen habe. Erste afrikanische Länder (z.B. Äthiopien, Tansania) hätten inzwischen den Flugbetrieb wieder aufgenommen und einzelne Rückreisen ausreisepflichtiger Personen nach Afrika seien bereits erfolgt. Es sei - so das SEM weiter - "davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit weitere Länder - so auch Mali - folgen werden". Dies genügt jedoch nicht, um hinreichend konkretisiert davon ausgehen zu können, dass die Ausschaffung bzw. Rückreise nach Mali in einer dem ![]() ![]() | 24 |
Erwägung 5.4 | |
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