BGE 147 II 201 | |||
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16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Swissgrid AG gegen A.A., B.A. und Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 8 (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_647/2019 vom 8. Oktober 2020 | |
Regeste |
Entschädigung für die Erneuerung eines Überleitungsrechts für eine bestehende Starkstromleitung; Anwendungsbereich von Art. 83 lit. w BGG; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. |
Streitig ist der Vergleichsmassstab für die Prüfung der adäquaten Kausalität der Enteignung für die Wertminderung des Grundstücks (Art. 19 lit. b EntG): Ist es zulässig, die aktuelle Freileitungsführung mit einer hypothetischen erdverlegten Leitung am Parzellenrand zu vergleichen? Diese Frage kann sich in einer Vielzahl von Fällen wesentlich auf die Entschädigungshöhe auswirken, weshalb sie von grundsätzlicher Bedeutung ist (E. 2.3). | |
Sachverhalt | |
A. Die 1953 von der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG (NOK) erstellte 220kV-Hochspannungs-Freileitung Beznau-Birr-Niederwil-Obfelden-Mettlen führt auf dem Gebiet der Gemeinde Niederwil über das Grundstück von B.A. und A.A. (Parzelle Nr. x). Die Dienstbarkeit, welche die Grundeigentümer zur Duldung der 220kV-Freileitung verpflichtete, war bis zum Jahr 2001 befristet. Ende 2012 übernahm die Swissgrid AG die Freileitung. Sie gelangte 2014 an die Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 8 (nachfolgend: ESchK) und beantragte, es sei ihr befristet bis 2030 das erforderliche Überleitungsrecht einzuräumen.
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Mit Urteil vom 29. März 2016 sprach die ESchK B.A. und A.A. für die Einräumung des bis 2030 befristeten Überleitungsrechts eine Entschädigung von Fr. 2'800.- zzgl. Zins ab dem 1. Januar 2001 zu.
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Auf Beschwerde der Swissgrid AG reduzierte das Bundesverwaltungsgericht die auszurichtende Entschädigung auf Fr. 423.35 zuzüglich Zins ab 1. Januar 2001 sowie Fr. 130.- ohne Zins; die Beschwerde von B.A. und A.A. wies es ab (Entscheid A-3273/2016 vom 7. Februar 2017).
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B. Mit Entscheid vom 14. Mai 2018 verpflichtete die ESchK die Swissgrid AG, B.A. und A.A. eine Entschädigung für die an ihrer Liegenschaft verursachte Wertminderung in Höhe von Fr. 12'826.- sowie für die Durchleitung durch das Grundstück für die Dauer vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2030 Fr. 423.35 (jeweils zzgl. Zins ab 1. Januar 2001 bis zur Auszahlung) zu bezahlen.
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Dagegen erhoben B.A. und A.A. am 24. August 2018 erneut Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragten eine Minderwertentschädigung in Höhe von Fr. 340'000.- zzgl. Zins ab 1. Januar 2001, eventualiter ab 23. Oktober 2015.
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Am 7. September 2018 erhob die Swissgrid AG Anschlussbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass die Enteignung der Überleitungsdienstbarkeit zu keiner Wertminderung der Liegenschaft der Enteigneten führe.
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Mit Urteil vom 1. November 2019 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gut, soweit es darauf eintrat, und verpflichtete die Swissgrid AG, B.A. und A.A. für den Minderwert des Grundstücks Nr. x Fr. 340'000.- zuzüglich Zinsen seit 1. Januar 2001 zu zahlen. Die Anschlussbeschwerde hiess es teilweise gut und wies sie im Übrigen ab.
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C. Dagegen hat die Swissgrid AG am 6. Dezember 2019 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben.
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde ein und heisst diese teilweise gut.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
1. Grundsätzlich steht gegen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a und Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Die Beschwerde ist jedoch nach Art. 83 lit. w BGG ausgeschlossen gegen Entscheide auf dem Gebiet des Elektrizitätsrechts betreffend die Plangenehmigung von Stark- und Schwachstromanlagen und die Entscheide auf diesem Gebiet betreffend Enteignung der für den Bau oder Betrieb solcher Anlagen notwendigen Rechte, wenn sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
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1.2 Die Beschwerdeführerin ist jedoch der Auffassung, die neue Ausnahmebestimmung sei materiell nicht anwendbar. Diese sei vom Bundesrat mit der Notwendigkeit einer schnelleren Realisierung der für die sichere Energieversorgung notwendigen elektrischen Anlagen begründet worden (Botschaft vom 4. September 2013 zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050, BBl 2013 7698). Erst in der parlamentarischen Beratung sei von einer Kommissionsminderheit beantragt worden, die Bestimmung auch auf reine Enteignungsverfahren im Zusammenhang mit Stark- und Schwachstromanlagen auszudehnen (Votum NR Knecht, AB 2014 N 2135), ebenfalls mit dem Argument der Verfahrensbeschleunigung. Bundesrätin Leuthard habe dargelegt, dass diese Änderung an sich unnötig sei, weil bei den Plangenehmigungsentscheiden das Enteignungsrecht mitenthalten sei; dem Antrag könne indessen zugestimmt werden, weil es sich um eine "Präzisierung" auf Gesetzesstufe handle (Votum BR Leuthard, AB 2014 N 2144). Der Aspekt der Verfahrensbeschleunigung habe auch für den Berichterstatter der ständerätlichen Kommission für Umwelt Raumplanung und Energie im Vordergrund gestanden (Votum SR Bischofberger, AB 2015 S 994). Vorliegend sei nicht die Plangenehmigung für eine Hochspannungsleitung streitig, sondern die Enteignung eines per Ende 2000 abgelaufenen Überleitungsrechts für eine Hochspannungsleitung. Streitig sei zudem nicht die Enteignung dieses Rechts an sich, sondern lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung. Dieser Rechtsstreit führe offensichtlich nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens zur Realisierung der Hochspannungsleitung: Diese Leitung bestehe seit geraumer Zeit und ihr Fortbetrieb stehe nicht in Frage. Dementsprechend enthalte auch die Rechtsmittelbelehrung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Hinweis auf Art. 83 lit. w BGG. Diese Bestimmung müsse als Ausnahme restriktiv ausgelegt werden.
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Insofern fällt auch die Erneuerung eines Überleitungsrechts für den Betrieb einer bereits bestehenden Hochspannungsleitung, die im Enteignungsverfahren erteilt wird, unter den Anwendungsbereich der Norm, auch wenn dies nicht zu einer Beschleunigung der Realisierung einer elektrischen Anlage führt, sondern nur zur Verkürzung des Rechtsmittelverfahrens.
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Zwar fällt die Zuständigkeit zum Entscheid über streitig gebliebene Einwendungen gegen das Enteignungsrecht einerseits und die Entschädigung andererseits auseinander: Für erstere liegt die Zuständigkeit bei der Plangenehmigungsbehörde (Art. 16h Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902 betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen ([EleG; SR 734.0]) bzw. dem Departement (Art. 50 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung [EntG; SR 711]); für die Entschädigung sind dagegen die eidgenössischen Schätzungskommissionen zuständig (Art. 45 EleG; Art. 64 EntG). Indessen handelt es sich um verschiedene Etappen der formellen Enteignung (FRANZ KESSLER COENDET, Formelle Enteignung, in: Fachhandbuch Verwaltungsrecht, Biaggini/Häner/Saxer/Schott [Hrsg.], 2015, Rz. 26.70), die materiell und formell zusammengehören. Die Enteignung ist nur gegen volle Entschädigung zulässig (Art. 26 Abs. 2 BV; Art. 16 EntG), weshalb die Festsetzung der Entschädigung zwingend zur Enteignung gehört. Erst durch die Bezahlung der Entschädigung erwirbt der Enteigner das Eigentum an dem enteigneten Grundstück oder das auf dem Enteignungsweg eingeräumte Recht (Art. 91 Abs. 1 EntG). Vor diesem Zeitpunkt kann ein Werk, für das enteignet wird, nur durch Gewährung der vorzeitigen Besitzeseinweisung realisiert werden (Art. 45 Abs. 3 EleG; Art. 76 EntG).
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Auch formell sind beide Etappen eng verzahnt. So bewilligt der Präsident der Schätzungskommission die Durchführung des abgekürzten Verfahrens nach Art. 33 EntG. Thema der Einigungsverhandlung vor der Schätzungskommission sind sowohl die Einsprachen gegen die Enteignung als auch die verlangten Planänderungen und die Entschädigungsforderungen (Art. 48 EntG). Entschädigungsforderungen müssen bereits in der ersten Etappe angemeldet werden, ansonsten sie als verwirkt gelten (Art. 41 EntG).
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Wie die Beschwerdegegner zutreffend betonen, steht gerade bei "reinen Enteignungsverfahren", wenn es um die Verlängerung oder den Erwerb zusätzlicher Rechte für ein bereits bestehendes Werk geht, die Entschädigungsfrage im Zentrum. Fände Art. 83 lit. w BGG nur auf die Einräumung des Enteignungsrechts, nicht aber auf die Entschädigungsfrage Anwendung, würde die vom Parlament eingefügte Ergänzung für reine Enteignungsverfahren praktisch bedeutungslos.
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Zwar stellt sich die Frage, weshalb der Rechtsweg an das Bundesgericht nur für Entschädigungsentscheide im Zusammenhang mit Stark- und Schwachstromanlagen beschränkt werden soll, nicht aber bei anderen Entschädigungsentscheiden. Dies ist aber letztlich auf den Entscheid des Gesetzgebers zurückzuführen, eine Ausnahme einzig für Plangenehmigungs- und Enteignungsverfahren auf dem Gebiet des Elektritzitätsrechts zu schaffen, nicht aber für andere Infrastrukturvorhaben und Werke des Bundes.
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2.1 Dies ist nach der Botschaft zu Art. 83 lit. w BGG anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage noch nie entschieden wurde, ihre Klärung für die Praxis wegleitend sein kann und sie von ihrem Gewicht her nach einer höchstrichterlichen Beurteilung verlangt; ferner ist das Vorliegen einer solchen Frage zu bejahen, wenn die Vorinstanz von einem bundesgerichtlichen Präjudiz abweicht oder Anlass besteht, eine Rechtsprechung zu überprüfen oder zu bekräftigen (BBl 2013 7698). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur zurückhaltend anzunehmen. Sie liegt vor, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen ( BGE 144 III 164 E. 1 S. 165; BGE 141 III 159 E. 1.2 S. 161; BGE 137 III 580 E. 1.1 S. 582 f.; je mit Hinweisen).
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Die Beschwerdegegner bestreiten die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, insbesondere mit Verweis auf das Urteil 1C_356/2013 vom 5. März 2014 E. 2.5.2, das bereits die Möglichkeit einer Verkabelung berücksichtigt habe. Im Übrigen sei die vorliegende Konstellation, in der sich die Freileitung nur 5-7 m vom Wohnhaus entfernt befinde, äusserst selten.
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2.3 Die streitige Frage wurde bislang noch nicht entschieden. Zwar bejahte das Bundesgericht im Urteil 1C_356/2013 E. 2.5.2 den kausalen Zusammenhang zwischen der Werteinbusse des Wohnhauses in 35 m Entfernung zur Hochspannungsleitung und der Enteignung, weil der Schaden aller Voraussicht nach nicht eingetreten wäre, wenn nicht auf die Dienstbarkeitsberechtigung gegriffen und eine andere Linienführung gewählt oder die Leitung in den Boden verlegt worden wäre. Das Bundesgericht ging damals offensichtlich davon aus, dass die immissionsbedingte Wertminderung sowohl mit einer anderen Linienführung der Freileitung als auch mit einer Verkabelung hätte vermieden werden können, d.h. es handelt sich insoweit um ein obiter dictum. Es wurde denn auch nicht begründet, weshalb - in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung (vgl. nicht publ. E. 4.2) - ein Vergleich mit einem anderen Werk bzw. einer anderen Ausführungsart statthaft sei. Es rechtfertigt sich daher, diese Frage im vorliegenden Fall zu überprüfen.
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Deren Beantwortung kann sich wesentlich auf die Höhe der Entschädigung auswirken, wenn der überspannte Grundstücksteil eine geringe Breite aufweist und deshalb auch bei einem hypothetischen Verlauf der Freileitung auf der Nachbarparzelle noch erhebliche Immissionen verblieben, die jedoch durch eine Erdverlegung der Leitung vollständig eliminiert werden könnten. Der Vergleich mit einem hypothetischen Erdkabel kann daher zu wesentlich höheren Entschädigungen führen.
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Dabei kann offenbleiben, ob die von der Beschwerdeführerin genannten Zahlen zutreffen; es bedarf auch keiner Einsichtnahme in die von ihr eingereichte vertrauliche Dokumentation. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass aufgrund der früheren Praxis, Überleitungsrechte für Starkstromleitungen nur befristet, i.d.R. für eine Dauer von 50 Jahren, zu erwerben (vgl. HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Bd. II, 1986, N. 76 zum EleG, S. 227), zahlreiche Überleitungsrechte für bestehende Leitungen erneuert werden müssen. Es ist gerichtsnotorisch, dass sich die Siedlungsgebiete in den letzten Jahrzehnten bis dicht an die bestehenden Leitungen ausgedehnt haben, weshalb es nicht wenige Fälle geben dürfte, in denen Wohnhäuser auf relativ kleinen Parzellen dicht an Freileitungen stehen. Damit kommt der aufgeworfenen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu.
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