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35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Oberzolldirektion (OZD) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_768/2019 vom 16. August 2021 | |
Regeste |
Rechtliche Tragweite von Einreihungsavisen des Weltzollrats (Präzisierung der Rechtsprechung); Art. 7 Abs. 1 Bst. a-c und Art. 8 Abs. 2 und 3 des Internationalen Übereinkommens vom 14. Juni 1983 über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren. | |
Sachverhalt | |
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B.
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B.a Mit Schreiben vom 18. November 2016 ersuchten die deutschen Zollbehörden die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) um Überprüfung von zehn Ursprungserklärungen auf Rechnungen, die von der A. AG ausgestellt worden waren. Konkret sollte der Ursprung der Produkte "B.", "Augen-Kapseln C.", "Perillaöl Kapseln D." und "Schwarzkümmelöl E." überprüft werden. ![]() | 3 |
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B.b Mit Verfügung vom 22. März 2017 stellte die Zollkreisdirektion fest, dass die Ursprungserklärungen für die vier betreffenden Produkte auf zehn Rechnungen zu Unrecht ausgestellt worden seien.
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B.c Auf Beschwerde der A. AG hin stellte die Oberzolldirektion (OZD) mit Entscheid vom 18. Juli 2018 fest, dass die Ursprungserklärungen betreffend die "Augen-Kapseln C." zu Recht ausgestellt worden seien; im Übrigen - also bezüglich der Produkte "B.", "Perillaöl Kapseln D." und "Schwarzkümmelöl E." - wies sie die Beschwerde ab.
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Das Bundesverwaltungsgericht schützte diesen Entscheid der OZD mit Urteil A-5273/2018 vom 17. Juli 2019.
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C. Mit Eingabe vom 16. September 2019 erhebt die A. AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2019 und die Feststellung, dass die Ursprungserklärungen auf den Rechnungen Nr. 90116116, Nr. 90117105, Nr. 90117671, Nr. 90117753, Nr. 90119745, Nr. 90125817, Nr. 90131562 und Nr. 90135536 zu Recht ausgestellt worden seien.
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Die OZD beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf überhaupt einzutreten sei. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet darauf, inhaltlich Stellung zu nehmen. Die A. AG reicht keine Replik ein.
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Aus den Erwägungen: | |
4. Materiell unbestritten ist vorliegend, dass der angefochtene Entscheid zu bestätigen wäre, wenn die streitgegenständlichen Produkte "B.", "Perillaöl Kapseln D." und "Schwarzkümmelöl E." - wie von der Vorinstanz angenommen - in die Zolltarifnummer 1515.90 einzureihen wären. Um von schweizerischen Ursprungserzeugnissen ausgehen zu können, wäre diesfalls nämlich erforderlich, dass die Produkte vollständig aus Materialien hergestellt worden wären, die in der Schweiz gewonnen bzw. hergestellt worden sind (vgl. Art. 11 des Abkommens vom 22. Juli 1972 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft [SR 0.632.401; nachfolgend: FHA CH/EWG] i.V.m. Art. 1 ![]() ![]() | 10 |
Ebenso unbestritten ist, dass diese Produkte die deklarierten Ursprungseigenschaften erfüllen würden, wenn sie der Zolltarifnummer 2106.90 zuzuweisen wären, zumal bei Waren dieser Tarifnummer die Verwendung andernorts gewonnener bzw. hergestellter Vormaterialien zulässig ist, solange deren Wert 30 % des ab-Werk-Preises nicht überschreitet (vgl. Anlage I Anhang II des PEM-Übereinkommens [zur Position des Harmonisierten Systems 2016]); diese Voraussetzung wäre nach den für das Bundesgericht verbindlichen (Art. 105 Abs. 1 BGG) Feststellungen der Vorinstanz vorliegend eingehalten.
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Zu klären gilt es daher nachfolgend in erster Linie, ob die Vorinstanz zu Recht davon ausging, die Zolltarifnummer 1515.90 sei einschlägig.
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4.1 Die Vorinstanz begründete ihren Entscheid damit, der Weltzollrat habe im Bestreben um eine einheitliche Auslegung der völkerrechtlich festgelegten Nomenklatur (Art. 7 Abs. 1 Bst. b und c und Art. 8 Abs. 2 des Internationalen Übereinkommens vom 14. Juni 1983 über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren [SR 0.632.11; nachfolgend: HS-Übereinkommen]) drei Einreihungsavisen veröffentlicht, die Öl in Kapseln als Nahrungsergänzungsmittel zum Gegenstand gehabt hätten (namentlich die Einreihungsavisen Nr. 3101.1055.2013.2 [Lachsöl], Nr. 3101. 2806.2013.2 [Krillöl] und Nr. 615.38.1995.1 [Nachtkerzenöl mit Zusatz von Vitamin E und Milchfett]). Aus diesen als materielles Staatsvertragsrecht qualifizierenden Einreihungsavisen ergebe sich übereinstimmend, dass Öl (chemisch nicht modifiziert), eventuell ![]() ![]() | 13 |
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4.2.1 Der auf dem Zolltarifgesetz vom 9. Oktober 1986 (ZTG; SR 632.10) beruhende schweizerische Gebrauchstarif basiert - zumindest in den hier massgeblichen ersten sechs Stellen - auf den völkerrechtlichen Vorgaben des HS-Übereinkommens (vgl. Botschaft vom 22. Oktober 1985 betreffend das Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren [HS] sowie über die Anpassung des schweizerischen ![]() ![]() | 15 |
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4.4.1 Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass vom Ausschuss des Weltzollrats ausgearbeitete Einreihungsavise verbindliches Völkerrecht darstellen (vgl. als Ausgangspunkt Urteil des BVGer A-1692/2006 vom 25. April 2007, E. 2.1.3). Diese Praxis geht auf einen Entscheid der Eidg. Zollrekurskommission vom 27. Oktober 1994 zurück (in: VPB 1995 Nr. 34 S. 275; bestätigt in: VPB 2000 Nr. 10 S. 100), in welchem die Frage zu klären war, ob den von der EZV herausgegebenen Erläuterungen zum Zolltarif Rechtsverbindlichkeit zukomme. Die Eidg. Zollrekurskommission unterschied damals zwischen Erläuterungen, ![]() ![]() | 19 |
4.4.2 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung scheint die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. E. 4.4.1 hiervor) zu stützen: In BGE 119 Ib 103 kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die im HS-Übereinkommen vorgesehenen Organe Einreihungsavisen erlassen könnten, welche die Tarifierung bestimmter Waren für die Mitgliedsstaaten verbindlich regelten ( BGE 119 Ib 103 , Regeste und E. 4b; berücksichtigt wurde in diesem Entscheid auch, dass die Oberzolldirektion die Einreihungsavisen des Weltzollrats mittels Zirkulars innerstaatlich umgesetzt hatte [BGE BGE 119 Ib 103 E. 5]). Dem Urteil 2C_159/2019 vom 23. Juli 2019 kann ebenfalls entnommen werden, dass das Bundesgericht bis anhin von einer ![]() ![]() | 20 |
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In seiner Praxis geht der EuGH namentlich dann von der Unverbindlichkeit der Einreihungsavisen des Weltzollrats aus, wenn "ihre Auslegung mit dem Wortlaut der fraglichen Position der [Kombinierten Nomenklatur] unvereinbar erscheint oder wenn sie sich offensichtlich nicht mehr im Rahmen des de[m Weltzollrat] eingeräumten Ermessens halten" (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Januar 2005 C-206/03 SmithKline Beecham plc, Slg. 2005 I-00415, Randnr. 24 mit Hinweisen).
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4.4.4 Im Unterschied zur schweizerischen Rechtsprechung, welche den auf das HS-Abkommen (Art. 7 Abs. 1 Bst. b, Art. 8 Abs. 2) gestützten Einreihungsavisen des Weltzollrats für die Auslegung der Nomenklatur des HS-Abkommens Verbindlichkeit zumisst (vgl. E. 4.4.1 und 4.4.2 hiervor), verneint der EuGH also die formelle Verbindlichkeit dieser Einreihungsavisen (vgl. E. 4.4.3 hiervor). Im ![]() ![]() | 23 |
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4.5.2 Gleichwohl bestehen gute Gründe, Einreihungsavisen der Weltzollorganisation bei der nationalen Zolltarifeinreihung grosses Gewicht beizumessen: Würden für die Einreihung bestimmter Produkte keine koordinierenden Vorgaben einer umspannenden internationalen Organisation existieren, bestünde die Gefahr einer Zersplitterung der Tarifierung. Exporteure müssten sich für jede Ausfuhr neu darüber informieren, wie ihre Waren im Zielstaat zu klassifizieren wären. Angesichts der Vielzahl möglicher Exportländer wäre dies mit hohem administrativem Aufwand und zeitlichen Verzögerungen verbunden. Es entspricht jedoch gerade einem der Ziele des HS-Übereinkommens, die "Kosten zu senken, die dadurch entstehen, dass im internationalen Handelsverkehr Waren beim Übergang von einem Klassifizierungssystem zu einem anderen neu bezeichnet, neu eingereiht und neu codiert werden müssen" (vgl. dritter Erwägungsgrund der Präambel des HS-Übereinkommens [Hervorhebung im Original nicht enthalten]); letztlich soll der internationale Handel insgesamt erleichtert werden (vgl. erster Erwägungsgrund der Präambel des HS-Übereinkommens). Einreihungsavisen ![]() ![]() | 27 |
Einen mit diesen vorstehenden Erwägungen vergleichbaren autonomen Ansatz verfolgen neben dem EuGH (vgl. E. 4.4.3 hiervor) namentlich auch die US-amerikanischen Gerichte (vgl. Cummins Inc. v. United States, 454 F.3d 1361 [Fed. Cir. 2006]: "[...] the WCO opinion is not binding and is entitled, at most, to respectful consideration; vgl. allgemein zur Berücksichtigung von Materialien der Weltzollorganisation für die Zolltarifeinreihung aus amerikanischer Perspektive FRIEDMAN/MARTINEZ, What is Persuasive? Pushing WCO Materials Through the Skidmore Sieve, abrufbar unter www.cit.uscourts.Gov/sites/cit/files/Lawrence%20Friedman%20Paper.pdf).
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4.6 Bei den vorliegend zu beurteilenden Erzeugnissen handelt es sich um Nahrungsergänzungsmittel auf der Grundlage tierischer oder pflanzlicher Öle, denen eine geringfügige Menge an Vitamin-E-Acetat (Perillaöl Kapseln D.) bzw. Alpha-Tocopherol (B.) zugesetzt ist. Die entsprechenden Gemische befinden sich in einer Hülle, die hauptsächlich aus Stärke (F.) besteht; sie werden in Form von Kapseln verabreicht (vgl. zit. Urteil A-5273/2018 Bst. F, E. 3.2 und ![]() ![]() | 30 |
Unbesehen des Umstands, dass der Kapselinhalt aus Stoffen besteht, die für sich genommen der Zolltarifnummer 1515.90 zuzuweisen wären, liegt die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Einreihung in die Zolltarifnummer 2106.90 ("andere Nahrungsmittelzubereitungen") bei einer solchen Betrachtung deutlich näher. Die anderslautenden Einreihungsavisen des Weltzollrats tragen der spezifischen Wirkungsweise der streitgegenständlichen Produkte nicht Rechnung. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich ausnahmsweise, von diesen Einreihungsavisen abzuweichen, und die streitgegenständlichen Produkte der Zolltarifnummer 2106.90 zuzuweisen. Dass die von der Beschwerdeführerin deklarierten Ursprungseigenschaften bei einer solchen Einreihung rechtmässig sind, ist oben bereits festgestellt worden (vgl. E. 4 hiervor).
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4.7 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Beschwerde ist gutzuheissen und es ist festzustellen, dass die Ursprungserklärungen auf den Rechnungen Nr. 90116116, Nr. 90117105, Nr. 90117671, Nr. 90117753, Nr. 90119745, Nr. 90125817, Nr. 90131562 und Nr. 90135536 zu Recht ausgestellt worden sind. ![]() | 32 |
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