BGE 85 III 23 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
6. Entscheid vom 15. Januar 1959 i.S. B. | |
Regeste |
Unpfändbarkeit. |
Ausnahmen von diesem Grundsatze. | |
Sachverhalt | |
Von Frau St. auf Grund einer Schuldanerkennung vom 16. Januar 1957 für eine Forderung von Fr. 2880.70 betrieben, gab B. beim Pfändungsvollzug vom 1. September 1958 an, er besitze nichts Pfändbares. Aus einem Verkehrsunfall, den er im Mai 1957 erlitten hatte, stehe ihm zwar gegenüber der "Zürich-Unfall", bei welcher der am Unfall beteiligte Autofahrer gegen Haftpflicht versichert sei, ein Versicherungsanspruch zu. Für diesen Anspruch mache er jedoch die Unpfändbarkeit im Sinne von Art. 92 Ziff. 10 SchKG geltend. Infolge seines Unfalls sei er immer noch gänzlich arbeitsunfähig und verdienstlos. Hierauf stellte das Betreibungsamt Zollikon der Gläubigerin am 8. September 1958 eine leere Pfändungsurkunde aus (Formular 7 g, als definitiver Verlustschein geltende Pfändungsurkunde).
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Mit rechtzeitiger Beschwerde beantragte die Gläubigerin, das Betreibungsamt sei anzuweisen, den erwähnten Versicherungsanspruch insoweit zu pfänden, als er den Ersatz der Kosten der versuchten Heilung und der Wiederherstellung des Schuldners zum Gegenstand habe. Die untere Aufsichtsbehörde hiess dieses Begehren mit Entscheid vom 19. November 1958 gut, worauf das Betreibungsamt am 3. Dezember 1958 den Versicherungsanspruch des Schuldners pfändete, "soweit sich dieser Anspruch auf Heilungskosten und Kosten der Wiederherstellung bezieht". Die kantonale Aufsichtsbehörde, an die der Schuldner rekurrierte, hat am 11. Dezember 1958 den erstinstanzlichen Entscheid bestätigt.
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Mit seinem Rekurs an das Bundesgericht beantragt der Schuldner die Aufhebung der vom Betreibungsamt auf Weisung der untern Aufsichtsbehörde vollzogenen Pfändung.
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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: | |
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Das Bundesgericht hat diese Bestimmung in Entscheiden aus den Jahren 1896-1911 dahin ausgelegt, dass sie nur für die Entschädigungsbeträge gelte, die das Äquivalent der verloren gegangenen Arbeitskraft und der eingebüssten körperlichen oder geistigen Integrität bilden, nicht dagegen für den Ersatz der Kosten, die auf die Heilung und die Wiederherstellung der Gesundheit verwendet wurden. Die Entschädigungen für die Kosten der Heilbehandlung und der Verpflegung während der Heilungsperiode wurden demgemäss als pfändbar erachtet (BGE 22 S. 335;BGE 25 I 368undBGE 37 I 352= Sep.ausg. 2 S. 148, 14 S. 181). Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, Art. 92 Ziff. 10 SchKG beziehe sich nach seinem Wortlaut nur auf die zuerst erwähnten Entschädigungsbeträge. Die Entschädigungen für Heilungskosten seien im Gesetz nicht aufgeführt. Sie als Akzessorien der "eigentlichen Entschädigung für die Körperverletzung oder Gesundheitsstörung" gleichzustellen, gehe nicht an, zumal da auch die ratio legis nicht für ihre Unpfändbarkeit angerufen werden könne. Diese Beträge seien nämlich "wirtschaftlich nicht für den Entschädigungsberechtigten selbst zu seinem Genusse bestimmt, sondern sollen zur Deckung von Forderungen Dritter verwendet werden". Sie seien "geradezu dazu bestimmt, aus dem Vermögen des Verletzten wieder auszuscheiden", und es dürfe "gewiss nicht als Wille des Gesetzgebers angesehen werden, dass hierauf von den Gläubigern desselben (d.h. des Verletzten) nicht solle gegriffen werden können".
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Neuere veröffentlichte Entscheidungen des Bundesgerichtes über die Frage der Unpfändbarkeit der Entschädigungen für Heilungs- und Verpflegungskosten liegen nicht vor. Die von der untern Aufsichtsbehörde angeführten EntscheideBGE 58 II 129und BGE 82 III 81 Erw. 4 behandeln andere Fragen. Dagegen hat das Bundesgericht im nicht veröffentlichten Entscheid vom 5. April 1954 i.S. Rohrer seine frühere Rechtsprechung grundsätzlich bestätigt. In einer Erwägung, die für die Beurteilung des konkreten Falles freilich keine Rolle spielte, hat es aber immerhin einschränkend bemerkt: "... wenn der Verletzte für die Bezahlung der Heilungskosten unpfändbare Mittel geopfert hat und diese ihm durch einen Haftpflichtigen (oder einen privaten Versicherer) ersetzt werden", sei "auch die Ersatzleistung als unpfändbar zu betrachten, sofern in der Aufwendung jener Mittel kein Verzicht auf die Unpfändbarkeit lag und deren übrige Voraussetzungen immer noch oder neuerdings zutreffen. Ist dies der Fall, so sollen nicht beliebige Gläubiger des Verletzten daraus einen Vorteil ziehen, dass er (aus Not oder aus Unkenntnis der ihm zustehenden Haftpflichtansprüche) unpfändbare Mittel für Heilungskosten ausgegeben hat".
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Die Lehre ist mit Ausnahme von BRÜSTLEIN, der den Entscheid BGE 22 S. 335 im Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs (5 S. 214) in einer redaktionellen Bemerkung kritisiert hat, der veröffentlichten Praxis des Bundesgerichtes diskussionslos gefolgt (BLUMENSTEIN S. 365 Anm.35, JAEGER und JAEGER/DAENIKER N. 20 zu Art. 92 SchKG, ROELLI N. 20 zu Art. 87/88 VVG, OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht I, S. 190 der ersten und S. 223 der zweiten Auflage, REICHLIN, Der vollständige Ausschluss der Pfändbarkeit, S. 108, FAVRE, Cours de droit des poursuites/Schuldbetreibungs- und Konkursrecht S. 167 bzw. 165, und Schweiz. Jur. Kart. Nr. 764 S. 4. - FRITZSCHE I S. 172 behandelt die Frage nicht ausdrücklich, verweist aber für "Näheres" auf JAEGER, JAEGER/DAENIKER und REICHLIN. - Der von OFTINGER nebenBGE 25 I 368undBGE 37 I 351angerufene EntscheidBGE 50 I 99betrifft eine andere Frage).
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Auf Grund der bisherigen Rechtsprechung und der fast einhelligen Lehre wäre also der angefochtene Entscheid, der den Anspruch des Rekurrenten auf Ersatz der Heilungskosten als pfändbar erklärt, zu bestätigen. Hiebei bliebe es auch bei Berücksichtigung des Vorbehaltes, den der erwähnte Entscheid vom 5. April 1954 i.S. Rohrer gegenüber der veröffentlichten Praxis angebracht hat; denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Rekurrent die ihm bisher erwachsenen Heilungskosten unter Opferung unpfändbarer Mittel bereits bezahlt habe, sondern diese Kosten dürften nach den Ausführungen in der Rekursschrift, wo sich der Rekurrent über die Verunmöglichung der Begleichung der "geschuldeten und künftigen Rechnungen" von Ärzten und Spitälern beklagt, noch nicht bezahlt sein.
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2. Der Wortlaut von Art. 92 Ziff. 10 SchKG, auf den die bisherige Rechtsprechung sich in erster Linie berufen hat, zwingt jedoch keineswegs zur Annahme, dass nach dieser Bestimmung der von einer Körperverletzung oder Gesundheitsstörung Betroffene nur diejenigen Pensionen oder Kapitalbeträge als unpfändbar beanspruchen könne, die ihm einen Ausgleich für die Beeinträchtigung der Arbeitskraft und der körperlichen oder geistigen Integrität bieten sollen, dagegen nicht auch diejenigen, die er als Ersatz der Heilungskosten und der (Mehr-)Kosten der Verpflegung während der Heilungsperiode erhält. Der Ausdruck "Entschädigung für Körperverletzung oder Gesundheitsstörung" umfasst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch alle Leistungen, die dem Betroffenen als Ersatz des durch die Körperverletzung oder Gesundheitsstörung verursachten Schadens zukommen, und zu diesem Schaden gehören zweifellos auch die Kosten der Heilung einschliesslich der Mehrkosten der Verpflegung, die ein Spital- oder Kuraufenthalt mit sich bringt. Der Ersatz dieser Kosten, den das (vor dem SchKG erlassene) OR in der gleichen Bestimmung vorsieht wie die Entschädigung für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit (Art. 53 aoR, Art. 46 OR; vgl. auch Art. 5 Abs. 3 des alten und Art. 3 des geltenden EHG und Art. 6 Abs. 1 lit. b des durch das KUVG von 1911 aufgehobenen Fabrikhaftpflichtgesetzes von 1881 = FHG), lässt sich mindestens so gut unter den Wortlaut von Art. 92 Ziff. 10 SchKG ziehen wie die Genugtuung (Art. 54 aoR, Art. 47 OR, Art. 7 des alten und Art. 8 des geltenden EHG), die schon ein Entscheid aus dem Jahre 1897 (zu Recht) als unpfändbar erklärt hat mit der Begründung, Art. 92 Ziff. 10 SchKG erkläre alle dem Verletzten oder seiner Familie zugesprochenen Entschädigungen als unpfändbar, ohne nach der Natur des Schadens einen Unterschied zu machen (BGE 23 II 1893).
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Entgegen der vom Bundesgericht früher vertretenen Auffassung spricht aber auch die ratio legis für die Unpfändbarkeit der Entschädigung, die der Verletzte als Ersatz der Heilungskosten bezieht. Dem Verletzten die Möglichkeit zu sichern, sich ärztlich behandeln zu lassen, ohne deswegen in Schulden zu geraten oder die öffentliche Unterstützung in Anspruch nehmen zu müssen, rechtfertigt sich ohne Zweifel nicht weniger, als ihn davor zu bewahren, dass die Gläubiger auf Entschädigungen greifen können, die er als Ersatz für Verdienstausfall und Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens oder als Genugtuung erhalten hat. Die in BGE 22 S. 335 und 25 I 368 angestellte Erwägung, dass die Entschädigung für die Heilungskosten dazu bestimmt sei, Forderungen Dritter zu decken und auf diese Weise wieder aus dem Vermögen der Verletzten auszuscheiden, ist zu allgemein gefasst. Diese Entschädigung soll nicht zur Befriedigung beliebiger Gläubiger, sondern zur Deckung der Forderungen derjenigen Dritten dienen, die zur Heilung beigetragen haben (Arzt, Apotheker, Krankenhaus usw.). Würde zugelassen, dass ein anderer Gläubiger die dem Verletzten geschuldete oder ausbezahlte Heilungskostenentschädigung pfänden lassen kann, bevor diese Forderungen beglichen sind, so würde die Entschädigung ihrem Zweck entfremdet.
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Aus diesen Gründen sind die Entschädigungen für Heilungskosten in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich als unpfändbar zu betrachten, wie das bei Erlass des SchKG bereits für den Heilungskostenersatz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b des FHG galt, dessen Art. 7 Abs. 2 "Entschädigungsforderungen und Entschädigungsgelder" allgemein von der Pfändung ausschloss, und wie es nach den entsprechenden Vorschriften von Art. 96 Abs. 1 KUVG und Art. 47 Abs. 1 des Militärversicherungsgesetzes von 1949 auch für alle Versicherungsleistungen im Sinne dieser Gesetze gilt.
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a) Insbesondere kann nicht zugelassen werden, dass der Verletzte, wie das im FalleBGE 25 I 367ff. versucht worden war, die Unpfändbarkeit der Heilungskostenentschädigung gegenüber einem der Gläubiger geltend macht, für deren Befriedigung diese Entschädigung bestimmt ist (gleicher Auffassung BRÜSTLEIN a.a.O.). Die Unzulässigkeit eines solchen Vorgehens ergibt sich aus dem Zwecke des Gesetzes und aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, den das ZGB in Art. 2 ausgesprochen hat und der nach heutiger Auffassung auch im Betreibungsverfahren Beachtung verdient (BGE 78 III 101,BGE 79 III 66; vgl. auch die allgemeinen Erörterungen in BGE 83 II 348 ff. Erw. 2).
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Die Unpfändbarkeit des Heilungskostenersatzes in diesem Sinne zu einer "relativen" zu machen (vgl. BRÜSTLEIN a.a.O.), weckt keine Bedenken. Dass es von der Natur der Forderung abhängt, ob ein Vermögensstück gepfändet werden darf oder nicht, kommt auch in andern Fällen vor, wo die Unpfändbarkeit gewisser Vermögenswerte dazu dienen soll, dem Schuldner die Deckung ganz bestimmter Auslagen zu ermöglichen. (So ist bei der Lohnpfändung der zur Bezahlung eines Unterhaltsbeitrags erforderliche Lohnbetrag nur zugunsten des Unterhaltsgläubigers, nicht dagegen zugunsten anderer Gläubiger pfändbar,BGE 72 III 51, und kann der Lohn, soweit er für die Abzahlung von unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Kompetenzstücken nötig ist, gemässBGE 60 III 176"nicht für andere Forderungen gepfändet werden"). Im übrigen wird der Fall, dass der Arzt oder die Heilanstalt die Heilungskosten beim Verletzten eintreiben muss, nur selten vorkommen, wenn eine Versicherung da ist, die für diese Kosten aufzukommen hat; denn die Versicherungen pflegen mit den Ärzten und Heilanstalten direkt abzurechnen. Bei diesem Verfahren kommt der Verletzte gar nicht in die Lage, sich in missbräuchlicher Weise auf die Unpfändbarkeit des Heilungskostenersatzes zu berufen.
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b) Hat der Verletzte die Heilungskosten vor Ausrichtung der vom Ersatzpflichtigen oder von einer Versicherung dafür geschuldeten Entschädigung aus pfändbaren Mitteln bezahlt, so kann es sich rechtfertigen, seinen Gläubigern den Zugriff auf diese Entschädigung zu gestatten, da sie in solchen Fällen wirtschaftlich an die Stelle von Vermögenswerten tritt, die hätten gepfändet werden können; wenn die Heilungskosten aus der dafür bestimmten Entschädigung bezahlt worden wären. Bliebe die Entschädigung unter solchen Umständen der Pfändung entzogen, so würde der Verletzte aus dem Unfall auf Kosten seiner Gläubiger einen Vorteil ziehen, was nicht geschehen darf (ebenso BRÜSTLEIN a.a.O.).
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c) Aus dem eben genannten Grunde müsste im Falle, dass der Verletzte als Ersatz der Heilungskosten einen diese Kosten übersteigenden Betrag erhielte, die Pfändung des Mehrbetrags zugelassen werden. Bei einem solchen Mehrbetrag würde es sich in Wirklichkeit nicht mehr um eine "Entschädigung" im Sinne von Art. 92 Ziff. 10 SchKG handeln. Der für die Heilungskosten ausgerichtete Betrag dürfte jedoch praktisch diese Kosten kaum je überschreiten, da die Vergütung für die Heilungskosten nicht nur im Schadenersatz- und im Sozialversicherungsrecht, sondern auch im privaten Versicherungsrecht auf Grund der wirrklichen Kosten festgesetzt zu werden pflegt. (Dagegen kann sich eine "Überdeckung" des Schadens bei andern Schadensposten ergeben, wenn der Verletzte eine private Unfallversicherung mit hohen Taggeldern und Kapitalsummen abgeschlossen hat.)
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Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
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