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6. Entscheid vom 15. Januar 1959 i.S. B. | |
Regeste |
Unpfändbarkeit. |
Ausnahmen von diesem Grundsatze. | |
Sachverhalt | |
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Mit rechtzeitiger Beschwerde beantragte die Gläubigerin, das Betreibungsamt sei anzuweisen, den erwähnten Versicherungsanspruch insoweit zu pfänden, als er den Ersatz der Kosten der versuchten Heilung und der Wiederherstellung des Schuldners zum Gegenstand habe. Die untere Aufsichtsbehörde hiess dieses Begehren mit Entscheid vom 19. November 1958 gut, worauf das Betreibungsamt am 3. Dezember 1958 den Versicherungsanspruch des Schuldners pfändete, "soweit sich dieser Anspruch auf Heilungskosten und Kosten der Wiederherstellung bezieht". Die kantonale Aufsichtsbehörde, an die der Schuldner rekurrierte, hat am 11. Dezember 1958 den erstinstanzlichen Entscheid bestätigt.
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Mit seinem Rekurs an das Bundesgericht beantragt der Schuldner die Aufhebung der vom Betreibungsamt auf Weisung der untern Aufsichtsbehörde vollzogenen Pfändung.
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Das Bundesgericht hat diese Bestimmung in Entscheiden aus den Jahren 1896-1911 dahin ausgelegt, dass sie nur für die Entschädigungsbeträge gelte, die das Äquivalent der verloren gegangenen Arbeitskraft und der eingebüssten körperlichen oder geistigen Integrität bilden, nicht dagegen für den Ersatz der Kosten, die auf die Heilung und die Wiederherstellung der Gesundheit verwendet wurden. Die Entschädigungen für die Kosten der Heilbehandlung und der Verpflegung während der Heilungsperiode wurden demgemäss als pfändbar erachtet (BGE 22 S. 335;BGE 25 I 368undBGE 37 I 352= Sep.ausg. 2 S. 148, 14 S. 181). Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, Art. 92 Ziff. 10 SchKG beziehe sich nach seinem Wortlaut nur auf die zuerst erwähnten Entschädigungsbeträge. Die Entschädigungen für Heilungskosten seien im Gesetz nicht aufgeführt. Sie als Akzessorien der "eigentlichen Entschädigung für die Körperverletzung oder Gesundheitsstörung" gleichzustellen, gehe nicht an, zumal da auch die ratio legis nicht für ihre Unpfändbarkeit angerufen werden könne. Diese Beträge seien nämlich "wirtschaftlich nicht für den Entschädigungsberechtigten selbst zu seinem Genusse bestimmt, sondern sollen zur Deckung von Forderungen Dritter verwendet werden". Sie seien "geradezu dazu bestimmt, aus dem Vermögen des Verletzten wieder auszuscheiden", und es dürfe "gewiss nicht als Wille des Gesetzgebers angesehen werden, dass hierauf von den Gläubigern desselben (d.h. des Verletzten) nicht solle gegriffen werden können".
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Neuere veröffentlichte Entscheidungen des Bundesgerichtes über die Frage der Unpfändbarkeit der Entschädigungen ![]() | 6 |
Die Lehre ist mit Ausnahme von BRÜSTLEIN, der den Entscheid BGE 22 S. 335 im Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs (5 S. 214) in einer redaktionellen Bemerkung kritisiert hat, der veröffentlichten Praxis des Bundesgerichtes diskussionslos gefolgt (BLUMENSTEIN S. 365 Anm.35, JAEGER und JAEGER/DAENIKER N. 20 zu Art. 92 SchKG, ROELLI N. 20 zu Art. 87/88 VVG, OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht I, S. 190 der ersten und S. 223 der zweiten Auflage, REICHLIN, Der vollständige Ausschluss der Pfändbarkeit, S. 108, FAVRE, Cours de droit des poursuites/Schuldbetreibungs- und Konkursrecht S. 167 bzw. 165, und Schweiz. Jur. Kart. Nr. 764 S. 4. - FRITZSCHE I S. 172 behandelt die Frage nicht ausdrücklich, verweist aber für "Näheres" auf JAEGER, JAEGER/DAENIKER und REICHLIN. - Der von OFTINGER nebenBGE 25 I 368undBGE 37 I 351angerufene EntscheidBGE 50 I 99betrifft eine andere Frage).
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2. Der Wortlaut von Art. 92 Ziff. 10 SchKG, auf den die bisherige Rechtsprechung sich in erster Linie berufen hat, zwingt jedoch keineswegs zur Annahme, dass nach dieser Bestimmung der von einer Körperverletzung oder Gesundheitsstörung Betroffene nur diejenigen Pensionen oder Kapitalbeträge als unpfändbar beanspruchen könne, die ihm einen Ausgleich für die Beeinträchtigung der Arbeitskraft und der körperlichen oder geistigen Integrität bieten sollen, dagegen nicht auch diejenigen, die er als Ersatz der Heilungskosten und der (Mehr-)Kosten der Verpflegung während der Heilungsperiode erhält. Der Ausdruck "Entschädigung für Körperverletzung oder Gesundheitsstörung" umfasst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch alle Leistungen, die dem Betroffenen als Ersatz des durch die Körperverletzung oder Gesundheitsstörung verursachten Schadens zukommen, und zu diesem Schaden gehören zweifellos auch die Kosten der Heilung einschliesslich der Mehrkosten der Verpflegung, die ein Spital- oder Kuraufenthalt mit sich bringt. Der Ersatz dieser Kosten, den das (vor dem SchKG erlassene) OR in der gleichen Bestimmung vorsieht wie die Entschädigung für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit (Art. 53 aoR, Art. 46 OR; ![]() | 9 |
Entgegen der vom Bundesgericht früher vertretenen Auffassung spricht aber auch die ratio legis für die Unpfändbarkeit der Entschädigung, die der Verletzte als Ersatz der Heilungskosten bezieht. Dem Verletzten die Möglichkeit zu sichern, sich ärztlich behandeln zu lassen, ohne deswegen in Schulden zu geraten oder die öffentliche Unterstützung in Anspruch nehmen zu müssen, rechtfertigt sich ohne Zweifel nicht weniger, als ihn davor zu bewahren, dass die Gläubiger auf Entschädigungen greifen können, die er als Ersatz für Verdienstausfall und Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens oder als Genugtuung erhalten hat. Die in BGE 22 S. 335 und 25 I 368 angestellte Erwägung, dass die Entschädigung für die Heilungskosten dazu bestimmt sei, Forderungen Dritter zu decken und auf diese Weise wieder aus dem Vermögen der Verletzten auszuscheiden, ist zu allgemein gefasst. Diese Entschädigung soll nicht zur Befriedigung beliebiger Gläubiger, sondern zur Deckung der Forderungen derjenigen Dritten dienen, die zur Heilung beigetragen haben (Arzt, Apotheker, Krankenhaus usw.). Würde zugelassen, dass ein anderer Gläubiger die dem Verletzten geschuldete oder ausbezahlte Heilungskostenentschädigung pfänden lassen kann, bevor diese Forderungen beglichen sind, so würde die Entschädigung ihrem Zweck entfremdet.
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Aus diesen Gründen sind die Entschädigungen für Heilungskosten ![]() | 11 |
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a) Insbesondere kann nicht zugelassen werden, dass der Verletzte, wie das im FalleBGE 25 I 367ff. versucht worden war, die Unpfändbarkeit der Heilungskostenentschädigung gegenüber einem der Gläubiger geltend macht, für deren Befriedigung diese Entschädigung bestimmt ist (gleicher Auffassung BRÜSTLEIN a.a.O.). Die Unzulässigkeit eines solchen Vorgehens ergibt sich aus dem Zwecke des Gesetzes und aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, den das ZGB in Art. 2 ausgesprochen hat und der nach heutiger Auffassung auch im Betreibungsverfahren Beachtung verdient (BGE 78 III 101,BGE 79 III 66; vgl. auch die allgemeinen Erörterungen in BGE 83 II 348 ff. Erw. 2).
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Die Unpfändbarkeit des Heilungskostenersatzes in diesem Sinne zu einer "relativen" zu machen (vgl. BRÜSTLEIN a.a.O.), weckt keine Bedenken. Dass es von der Natur der Forderung abhängt, ob ein Vermögensstück gepfändet werden darf oder nicht, kommt auch in andern Fällen vor, wo die Unpfändbarkeit gewisser Vermögenswerte dazu dienen soll, dem Schuldner die Deckung ganz bestimmter Auslagen zu ermöglichen. (So ist bei der Lohnpfändung der zur Bezahlung eines Unterhaltsbeitrags erforderliche Lohnbetrag nur zugunsten des Unterhaltsgläubigers, nicht dagegen zugunsten anderer Gläubiger pfändbar,BGE 72 III 51, und kann der Lohn, soweit er für die Abzahlung ![]() | 14 |
b) Hat der Verletzte die Heilungskosten vor Ausrichtung der vom Ersatzpflichtigen oder von einer Versicherung dafür geschuldeten Entschädigung aus pfändbaren Mitteln bezahlt, so kann es sich rechtfertigen, seinen Gläubigern den Zugriff auf diese Entschädigung zu gestatten, da sie in solchen Fällen wirtschaftlich an die Stelle von Vermögenswerten tritt, die hätten gepfändet werden können; wenn die Heilungskosten aus der dafür bestimmten Entschädigung bezahlt worden wären. Bliebe die Entschädigung unter solchen Umständen der Pfändung entzogen, so würde der Verletzte aus dem Unfall auf Kosten seiner Gläubiger einen Vorteil ziehen, was nicht geschehen darf (ebenso BRÜSTLEIN a.a.O.).
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c) Aus dem eben genannten Grunde müsste im Falle, dass der Verletzte als Ersatz der Heilungskosten einen diese Kosten übersteigenden Betrag erhielte, die Pfändung des Mehrbetrags zugelassen werden. Bei einem solchen Mehrbetrag würde es sich in Wirklichkeit nicht mehr um eine "Entschädigung" im Sinne von Art. 92 Ziff. 10 SchKG handeln. Der für die Heilungskosten ausgerichtete Betrag dürfte jedoch praktisch diese Kosten kaum je überschreiten, da die Vergütung für die Heilungskosten nicht nur im Schadenersatz- und im Sozialversicherungsrecht, sondern auch im privaten Versicherungsrecht auf Grund der wirrklichen Kosten festgesetzt zu werden pflegt. (Dagegen kann sich eine "Überdeckung" des Schadens bei ![]() | 16 |
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Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
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