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8. Entscheid vom 22. Mai 1968 i.S. Elitaliana S.p.A. | |
Regeste |
Die Zustellung von Betreibungsurkunden nach Italien durch die Post ist unzulässig (Änderung der Rechtsprechung). |
Die Zustellung hat durch Vermittlung des kantonalen Obergerichts und des zuständigen italienischen Appellhofes zu erfolgen. (Art. 66 Abs. 3 SchKG; Art. 6 der Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 1. März 1954; Art. 9 Abs. 1 des Niederlassungs- und Konsularvertrags zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868; Art. III des Protokolls vom 1. Mai 1869 betreffend die Vollziehung der schweizerischitalienischen Abkommen vom 22. Juli 1868). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 18. Januar 1968 führte die Elitaliana S.p.A., deren Sitz sich in Ferno (Provinz Varese, Italien) befindet, durch einen Berner Anwalt Beschwerde mit dem Antrag, die Zustellung des Zahlungsbefehls sei als nichtig zu erklären und das Betreibungsamt sei anzuweisen, die Zustellung auf gesetzliche Weise vorzunehmen. Sie machte geltend, die Postzustellung von Betreibungsurkunden nach Italien sei nicht zulässig.
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Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 3. Februar 1968 ab mit der Begründung, die Richtigkeit der eine solche Zustellung erlaubenden Rechtsprechung (BGE 44 III 75ff., BGE 60 III 15ff.) lasse sich bezweifeln, doch sei es nicht Sache der kantonalen Aufsichtsbehörde, sondern des Bundesgerichts, diese Rechtsprechung nötigenfalls zu ändern.
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C.- Den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde hat die Betriebene an das Bundesgericht weitergezogen.
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Beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement wurde ein Bericht darüber eingeholt, ob und allenfalls in welchem Sinne die Regierungen der Schweiz und Italiens seit der Vereinbarung, die im Bericht des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1911 erwähnt wurde (BBl 1912 I S. 527 f., Feuille Fédérale = FF 1912 II 767, je Nr. 19), zur Frage der Zustellung von Gerichts- (und Betreibungs-) urkunden im andern Land Stellung genommen haben.
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Die Schuldbetreibungs- und konkurskammer zieht in Erwägung: | |
1. Wohnt der Schuldner im Ausland, so erfolgt die Zustellung der Betreibungsurkunden nach Art. 66 Abs. 3 SchKG ![]() | 6 |
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Die Übereinkünfte betreffend Zivilprozessrecht von 1905 und 1954 regeln in Art. 1-7 die Mitteilung gerichtlicher und aussergerichtlicher Urkunden in Zivil- und Handelssachen. Unter diesen Begriff fällt nach ständiger Praxis auch die ZusteLlung von Betreibungsurkunden (Kreisschreiben des Bundesgerichts, Nr. 4 vom 12. Juni 1913 betr. Zustellungen nach Deutschland und Nr. 20 vom 13. Juli 1926 betr. Pfändungsanzeigen nach Deutschland, BGE 54 III 86 bzw. BGE 52 III 102; BGE 43 III 221, BGE 79 III 134, BGE 82 III 75 Abs. 2). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Betreibung eine privatrechtliche Forderung betrifft (vgl. GULDENER, Das internat. und interkant. Zivilprozessrecht der Schweiz, Zürich 1951, S. 24 Anm. 32; betr. Zustellungen in Sozialversicherungsprozessen vgl. EVGE 1966 S. 67 ff.).
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Art. 6, der in beiden Übereinkünften gleich lautet, bestimmt u.a., durch die vorangehenden Artikel werde nicht ausgeschlossen, dass Urkunden den im Ausland befindlichen Beteiligten unmittelbar durch die Post zugestellt werden (Abs. 1 Ziff. 1); diese Zustellungsart sei jedoch nur statthaft, wenn Abkommen zwischen den beteiligten Staaten sie zulassen (l'admettent) oder wenn in Ermangelung von Abkommen der Staat, auf dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll, nicht widerspricht (ne s'y oppose pas; Abs. 2).
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In BGE 44 III 78 und BGE 60 III 16 nahm das Bundesgericht ohne ![]() | 12 |
Obwohl die Fassung von Art. 9 Abs. 1 des Staatsvertrags vom 22. Juli 1868 ("Les citations ou notifications des actes... et, en général, tout acte qui doit avoir exécution... d'après commission rogatoire...") die Auffassung nahelegt, die Mitteilung von Gerichtsurkunden gehöre im Sinne des Staatsvertrags zu den auf Ersuchungsschreiben hin zu vollziehenden Prozesshandlungen und habe daher auf dem in Art. III des Protokolls vom 1. Mai 1869 für die Behandlung von Ersuchungsschreiben vorgesehenen Wege zu erfolgen, bestand hierüber Unsicherheit, nachdem die Haager Übereinkunft von 1905 am 27. April 1909 (BS 12 S. 287) für die Schweiz und für Italien in Kraft getreten war. Während ein Bericht des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 28. Mai 1904 die Postzustellung von Gerichtsakten nach Italien als nicht möglich bezeichnet und erklärt hatte, die schweizerischen ![]() | 13 |
In einem Notenwechsel zwischen der Italienischen Gesandtschaft in Bern und dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement vom 27. Januar/7. Februar/30. Dezember 1911, von dem das Departement der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer mit seinem Bericht vom 29. April 1968 Photokopien übermittelt hat, einigten sich dann aber die Behörden der beiden Länder ausdrücklich dahin, Art. III des Protokolls von 1869 sei in dem Sinne auszulegen, dass das dort vorgesehene Verfahren auch für die Zustellung von Gerichtsakten (actes judiciaires) gelte. In einem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen vom 10. Januar 1912 und im Bericht des Bundesrats über seine Geschäftsführung im Jahre 1911 (BBl 1912 I 527 f., FF 1912 II 767, je Nr. 19) wurde dementsprechend erklärt, mit der Italienischen Regierung sei auf Deren Antrag vereinbart worden, "dass vom 1. Januar 1912 hinweg die Gerichtsakten, welche im andern Lande zur Zustellung gelangen sollen, in gleicher Weise wie die Requisitorien in Zivil- und Strafsachen, entsprechend der Bestimmung im Art. III des Protokolls zu den schweizerischitalienischen Verträgen vom 22. Juli 1868, direkt von den Obergerichten der Kantone, beziehungsweise dem Bundesgerichte ![]() | 14 |
Zwischen der Schweiz und Italien besteht also ein Sonderabkommen, das die Zustellung von Gerichtsakten auf dem Wege des unmittelbaren Verkehrs zwischen den schweizerischen Obergerichten (oder gegebenenfalls dem Bundesgericht) und den italienischen Appellhöfen vorsieht, so dass die - nach Art. 6 Abs. 2 der Haager Übereinkunft nur beim Fehlen eines Sonderabkommens zulässige - Postzustellung solcher Urkunden nach Italien ausgeschlossen ist (im gleichen Sinne ein Urteil des bernischen Appellationshofes, I. Zivilkammer, vom 5. Dezember 1950, ZBJV 88/1952 S. 304 ff., zustimmend erwähnt von SCHNITZER, Internat. Privatrecht, 4. Aufl., Band II, Basel 1959, S. 862 Anm. 61; vgl. auch LEUCH, 3. Aufl. 1956, N. 1 zu Art. 17 der bern. ZPO, S. 37 unten).
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Zu den Gerichtsakten im Sinne dieses Abkommens sind jedenfalls dann, wenn die Betreibung eine privatrechtliche Forderung betrifft, auch die Betreibungsurkunden zu rechnen; denn die Schuldbetreibung für solche Forderungen gehört zur Zivilrechtspflege (vgl. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs I, Zürich 1967, S. 2).
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Die Postzustellung von Gerichts- und Betreibungsurkunden von der Schweiz nach Italien kann um so weniger zugelassen werden, als die Schweiz ihrerseits den übrigen Vertragsstaaten der Haager Übereinkunft von 1905 im April 1909 auf Grund von Art. 1 Abs. 3 und 9 Abs. 3 dieser Übereinkunft mitgeteilt hat, sie wünsche, dass ihr - unter Vorbehalt des mit einigen Staaten bestehenden direkten Verkehrs der Gerichtsbehörden - alle Begehren um Zustellung und alle Ersuchungsschreiben auf diplomatischem Weg zugestellt werden (BBl 1910 I 295= FF 1910 II 87; vgl. BS 12 S. 279 Anm. l'VEBB 1956 Nr. 5 S. 26 ff., bes. S. 29/30, BGE 76 III 79 Erw. 3, BGE 82 III 76), welche Erklärung auch für die Haager Übereinkunft von 1954 gilt (EVGE 1966 S. 70 mit Hinweis auf einen dem Eidg. Versicherungsgericht erstatteten Bericht des EJPD vom 7. April 1966).
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Soweit das Sonderabkommen mit Italien die Modalitäten der Zustellung nicht regelt, sind die Art. 1-5 und 7 der Haager Übereinkunft von 1954 anwendbar.
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Sollte die Rekurrentin inzwischen einen Zustellungsbevollmächtigten in der Schweiz bezeichnet haben (Art. 66 Abs. 1 SchKG, vgl. BGE 69 III 36/37), so könnte der Zahlungsbefehl unmittelbar diesem zugestellt werden. Einen solchen Bevollmächtigten zu bezeichnen, ist die Rekurrentin jedoch nicht ![]() | 22 |
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
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Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben, die Zustellung des Zahlungsbefehls in der Betreibung Nr. 3800 des Betreibungsamtes Seftigen ungültig erklärt und das Betreibungsamt Seftigen angewiesen, der Rekurrentin den Zahlungsbefehl auf dem Wege zuzustellen, der in Art. III des Protokolls vom 1. Mai 1869 betreffend die Vollziehung der am 22. Juli 1868 in Bern und Florenz zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossenen und unterzeichneten Verträge und Übereinkünfte (BS 11 S. 680 f.) vorgesehen ist.
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