BGE 97 III 107 | |||
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23. Auszug aus dem Entscheid vom 20. Oktober 1971 i.S. V. | |
Regeste |
Zustellung von Zahlungsbefehlen durch einen Gemeinde- oder Polizeibeamten (Art. 64 Abs. 2 SchKG). |
Die Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs haben nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Übergabe des Zahlungsbefehls an einen Gemeinde- oder Polizeibeamten erfüllt waren und ob die Zustellung auf Grund der Vorkehren dieses Beamten als vollzogen gelten kann. |
Mit der vom SchKG nicht geregelten Frage, wie dieser Beamte die Zustellung erreicht, namentlich ob die Polizei den Schuldner zu diesem Zweck auf den Polizeiposten führen lassen darf, haben sie sich nicht zu befassen. |
Hierüber haben gegebenenfalls die Behörden zu entscheiden, welche die Aufsicht über die in Frage stehenden Beamten ausüben. | |
Sachverhalt | |
A.- Am 15. Februar 1971 stellte das Betreibungsamt Biel in den Betreibungen Nrn. 291 14 und 291 15 gegen V. die Zahlungsbefehle aus. Da zwei vom Betreibungsweibel am gleichen Tag unternommene Zustellungsversuche erfolglos blieben, ersuchte das Betreibungsamt den Betriebenen am 16. Februar 1971 schriftlich, die Zahlungsbefehle beim Amt abzuholen. Da V. nicht erschien, übergab das Amt die beiden Zahlungsbefehle am 1. März 1971 zwecks Zustellung der Stadtpolizei. Am 12. Mai 1971 übergab es dieser nach sieben vergeblichen Zustellungsversuchen auch den am 3. Mai 1971 ausgestellten Zahlungsbefehl Nr. 31247. Vier weitere Zahlungsbefehle übergab es mit Rücksicht auf Art. 71 SchKG gleich nach der Ausstellung der Polizei, da die früher erlassenen Zahlungsbefehle noch nicht hatten zugestellt werden können. Zwanzig Zustellungsversuche der Polizei blieben erfolglos, ebenso Versuche, V. telephonisch zu erreichen, sowie eine in den Briefkasten V.s gelegte und eine durch Postkarte vom 18. August 1971 übermittelte Einladung, die Zahlungsbefehle auf dem Polizeiposten abzuholen. Die eben erwähnte Postkarte beantwortete V. am 22. August 1971 mit der Mitteilung, er werde sich "infolge stetiger Abwesenheit in zirka drei Wochen wieder melden". Hierauf wurde am 31. August 1971 auf Weisung des Polizeikommandanten gegen ihn ein Vorführbefehl erlassen. Auf Grund dieses Befehls wurde V. am 1. September 1971 um 11 Uhr in Biel von einem Polizisten angehalten und auf die städtische Polizeihauptwache geführt. Dort wurden ihm ausser dem Vorführbefehl die sieben Zahlungsbefehle übergeben, doch weigerte er sich, sie mitzunehmen. Mit einem am 10. September 1971 der Post übergebenen Schreiben an das Betreibungsamt erhob er "sicherheitshalber" Rechtsvorschlag.
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B. - Am 10. September 1971 führte V. Beschwerde mit den Begehren, die versuchte Zustellung der Zahlungsbefehle und der Vorführbefehl seien als ungesetzlich zu erklären.
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Mit Entscheid vom 24. September 1971 wies die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab.
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C.- Gegen diesen Entscheid hat V. an das Bundesgericht rekurriert.
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Erwägungen: | |
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Nach Art. 64 Abs. 1 SchKG werden die Betreibungsurkunden dem Schuldner in seiner Wohnung oder an dem Orte, wo er seinen Beruf auszuüben pflegt, zugestellt. Wird er daselbst nicht angetroffen, so kann die Zustellung nach dem zweiten Satze der eben genannten Bestimmung an eine zu seiner Haushaltung gehörende erwachsene Person oder an einen Angestellten geschehen. Wird keine der erwähnten Personen angetroffen, so ist die Betreibungsurkunde nach Art. 64 Abs. 2 SchKG zu Handen des Schuldners einem Gemeinde- oder Polizeibeamten zu übergeben. Die Wahl zwischen einem Gemeindebeamten (z.B. Gemeindeweibel) und einem Polizeibeamten steht im Ermessen des Amtes.
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Angesichts der nach Art. 81 und 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz über die vergeblichen Zustellungsversuche des Betreibungsamtes war im vorliegenden Falle die Voraussetzung, von welcher das SchKG die Übergabe einer Betreibungsurkunde an einen Gemeinde- oder Polizeibeamten abhängig macht, für die drei ersten Zahlungsbefehle (Nrn. 29114, 29115, 31247) zweifellos erfüllt. Bei der gegebenen Sachlage war es aber auch gerechtfertigt, dass das Betreibungsamt die vier zuletzt ausgefertigten Zahlungsbefehle ohne eigenen Zustellungsversuch der Polizei übergab; denn es durfte einen solchen Versuch auf Grund der von ihm kurz zuvor gemachten Erfahrungen als aussichtslos betrachten und hatte zudem Art. 71 Abs. 3 SchKG zu beachten, wonach in keinem Falle einem später eingegangenen Betreibungsbegehren vor einem frühern Folge gegeben werden darf.
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Wenn Art. 64 Abs. 2 SchKG vorschreibt, die Betreibungsurkunde sei in dem dort vorgesehenen Falle zuhanden des Schuldners einem Gemeinde- oder Polizeibeamten zu übergeben, so bedeutet das nicht etwa, die Zustellung habe mit der Übergabe an diesen Beamten als vollzogen zu gelten. Ebensowenig kann als Sinn dieser Bestimmung gelten, der Gemeinde- oder Polizeibeamte habe die ihm zuhanden des Schuldners übergebene Urkunde einfach bei sich zu behalten, bis der Schuldner sie allenfalls bei ihm abholt, wie der Rekurrent anzunehmen scheint. Vielmehr sieht das Gesetz die Übergabe an einen Gemeinde- oder Polizeibeamten offensichtlich zu dem Zwecke vor, dass dieser die Zustellung an den Schuldner (oder eine der andern in Art. 64 Abs. 1 SchKG genannten Personen) besorgt (vgl.BGE 27 I 268,BGE 30 I 466= Sep. ausg. 4 S. 98, 7 S. 206;BGE 41 III 205; JAEGER, N. 9 zu Art. 64 SchKG; FRITZSCHE, a.a.O. S. 105/106). Das Betreibungsamt hat also die streitigen Zahlungsbefehle der Polizei zu Recht mit dem Ersuchen übergeben, sie dem Rekurrenten zuzustellen.
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Übergibt das Betreibungsamt eine Betreibungsurkunde zwecks Zustellung einem Gemeinde- oder Polizeibeamten, so handelt auch dieser im Auftrag des Amtes. Bei der Ausführung eines solchen Auftrags befindet sich jedoch der Gemeinde- oder Polizeibeamte nicht in der gleichen Stellung wie die Post. Während das SchKG die Postzustellung von Zahlungsbefehlen und Konkursandrohungen durch den Hinweis auf die einschlägigen Bestimmungen der Postordnung, die ihrerseits ergänzend auf das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht verweisen, geregelt hat (Art. 72 Abs. 1 SchKG), enthält es keine Vorschriften darüber, wie der Gemeinde- oder Polizeibeamte bei der Zustellung der ihm gemäss Art. 64 Abs. 2 SchKG übergebenen Betreibungsurkunden vorzugehen hat. Das Gesetz überlässt ihm diese Handlung vielmehr zur selbständigen Ausführung (so auch SCHÜTZ, Die Mitwirkung der Polizei im Betreibungsverfahren, BlSchK 1962 S. 1 ff., 3), und zwar nach Massgabe allfälliger kantonaler Vorschriften über die Zustellung amtlicher Aktenstücke durch solche Beamte und der sonstigen Regeln für die Tätigkeit dieser Beamten. Das SchKG sieht den Beizug eines Gemeinde- oder Polizeibeamten in Art. 64 Abs. 2 nicht bloss deswegen vor, weil ein solcher Beamter unter Umständen besser als das Betreibungsamt oder die Post über den Verbleib des Schuldners orientiert ist. Um ein solches Wissen der Gemeinde- oder Polizeibeamten für die Zustellung nutzbar zu machen, würde eine Erkundigung bei einem solchen Beamten genügen. Wenn das Gesetz für den Fall, dass der Versuch einer Zustellung durch das Amt oder die Post nach den hiefür geltenden Vorschriften scheitert, nicht bloss eine solche Erkundigung, sondern die Übergabe der Urkunde an einen Gemeinde- oder Polizeibeamten zwecks Zustellung an den Schuldner vorsieht, so deswegen, weil es die für den geordneten Gang des Betreibungsverfahrens wichtige Zustellung wenn immer möglich erreichen und hiezu die Möglichkeiten ausnützen will, welche die Besorgung dieser Aufgabe durch die in Art. 64 Abs. 2 SchKG genannten Organe nach den für das Vorgehen dieser Organe massgebenden besondern Regeln bieten kann. Zu prüfen, ob diese Organe richtig vorgegangen sind, ist daher grundsätzlich nicht Sache der Aufsichtsbehörden für Schuldbetreibung und Konkurs, sondern der kantonalen Behörden, welche die Tätigkeit der Gemeinde- und Polizeibeamten zu überwachen haben. Die Aufsichtsbehörden für Schuldbetreibung und Konkurs haben in derartigen Fällen nur festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Übergabe der zuzustellenden Betreibungsurkunde an einen solchen Beamten erfüllt waren und ob die Zustellung auf Grund der Vorkehren des Gemeinde- oder Polizeibeamten als vollzogen betrachtet werden darf. Die im vorliegenden Falle streitige Frage, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen die Polizei gegen den Schuldner zwecks Zustellung von Zahlungsbefehlen einen Vorführbefehl erlassen darf, ist demnach nicht von den Aufsichtsbehörden für Schuldbetreibung und Konkurs, sondern von den mit der Aufsicht über die Polizei betrauten Behörden zu entscheiden.
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Diese Schlussfolgerung steht nicht etwa damit im Widerspruch, dass die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer in einem Bescheid vom 6. Dezember 1961 (BGE 87 III 87 ff.) zur Frage Stellung genommen hat, ob und unter welchen Voraussetzungen das Betreibungsamt einen Schuldner, der entgegen Art. 91 Abs. 1 SchKG der Pfändung fernbleibt und sich dabei auch nicht vertreten lässt, polizeilich vorführen lassen darf. Dieser Bescheid behandelt die Frage der Rechtmässigkeit einer Anordnung des Betreibungsamtes (nämlich des der Polizei erteilten Auftrags), nicht die im vorliegenden Falle streitige Frage, wie die Polizei den ihr erteilten Auftrag auszuführen habe. Zu dieser letzten Frage bemerkt der Bescheid vom 6. Dezember 1961 (a.a.O., S. 96/97), die Art und Weise, wie sich die Polizei ihrer Aufgabe entledige, richte sich nach den die polizeiliche Tätigkeit überhaupt beherrschenden Regeln; die Betreibungsbehörden hätten in dieser Hinsicht nichts zu bestimmen, sondern die Polizei handle insoweit auf eigene Verantwortung. Auf den vorliegenden Fall übertragen, bedeutet diese Bemerkung, dass sich die Aufsichtsbehörden für Schuldbetreibung und Konkurs mit der Art und Weise, wie die Polizei die ihr in richtiger Anwendung von Art. 64 Abs. 2 SchKG übertragene Zustellung einer Betreibungsurkunde besorgt, nicht zu befassen haben.
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Dem Rekurrenten bleibt vorbehalten, die ihm nach dem kantonalen Recht zustehenden Rechtsbehelfe gegen das Vorgehen der Polizei zu ergreifen, wenn er glaubt, diese habe in unzulässiger Weise in seine persönliche Freiheit eingegriffen. Mit einem solchen Rechtsbehelf kann er aber die Gültigkeit der erfolgten Zustellung nicht in Frage stellen. Im übrigen mag zu der im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheidenden Frage, ob das Vorgehen der Polizei rechtmässig war, immerhin bemerkt werden, dass in Art. 64 Abs. 2 SchKG wohl eine genügende gesetzliche Grundlage dafür erblickt werden kann, dass sich die Polizei einen Schuldner zwecks Zustellung einer ihr vom Betreibungsamt zu diesem Zweck übergebenen Betreibungsurkunde zuführen lässt. Wenn das SchKG schon vorsieht, dass für die Zustellung von Betreibungsurkunden die Polizei herangezogen werden kann, so ist kaum anzunehmen, dass es den Einsatz polizeilicher Zwangsgewalt bei dieser Verrichtung in jeder Hinsicht ausschliessen wollte (anderer Meinung offenbar SCHÜTZ, a.a.O. S. 2/3).
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