BGE 111 III 1 | |||
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1. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 8. Februar 1985 i.S. R. (Rekurs) | |
Regeste |
Art. 173 ff. ZGB; Zwangsvollstreckungsverbot unter Ehegatten. | |
Sachverhalt | |
Die Rekurrentin wurde von ihrem Ehemann für die Parteientschädigung betrieben, welche ihm in einem Anfechtungsprozess um die Vaterschaft des von der Ehefrau geborenen Kindes zugesprochen worden war. Im Zeitpunkt der Zustellung des Zahlungsbefehls lebten die Ehegatten getrennt und war das Scheidungsverfahren hängig.
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Gegen die Zustellung des Zahlungsbefehls beschwerte sich die Rekurrentin bei der kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Sie zog in der Folge deren abweisenden Entscheid an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weiter, indem sie - wie schon vor der kantonalen Instanz - einen Verstoss gegen das Verbot der Zwangsvollstreckung geltend machte.
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Das Bundesgericht hiess den Rekurs gut mit folgenden
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Erwägungen: | |
1. Es ist unbestritten, dass mit der vom Ehemann gegen die Rekurrentin eingeleiteten Betreibung gegen das grundsätzliche Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten, wie es in Art. 173 ZGB verankert ist, verstossen wurde. Daher stellt sich einzig die Frage, ob die Parteientschädigung, die dem Ehemann der Rekurrentin im Anfechtungsprozess um die Vaterschaft des von ihr geborenen Kindes zugesprochen wurde, ein Beitrag im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB sei, so dass sich der betreibende Ehemann auf diese Ausnahme vom Verbot der Zwangsvollstreckung berufen könnte.
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Art. 176 Abs. 2 ZGB hinwiederum statuiert eine Ausnahme gegenüber Art. 173 ZGB. Die Regel, wonach Ausnahmebestimmungen restriktiv auszulegen seien, führt deshalb so wenig weiter wie eine grammatikalische Auslegung des vom Gesetzgeber nicht definierten Ausdrucks "Beiträge" (französisch "subsides", italienisch "sovvenzioni") (GROSSEN, in JT 1955 II, S. 68; GROSSEN, in BlSchK 1959, S. 104, 168). Auch eine teleologische Auslegung, wonach der Zweck von Art. 176 Abs. 2 ZGB darin beruhe, "dass der forderungsberechtigte Ehegatte auf jeden Fall und sofort in den tatsächlichen Genuss der Leistung gesetzt werden muss, da er augenblicklich und schlechterdings als auf sie angewiesen erachtet wird" (ISLER, a.a.O., S. 86), vermag nicht zu helfen; denn sie wirft nur auf die Frage zurück, ob der betreibende Ehegatte auf die ihm zugesprochene Leistung unter allen Umständen angewiesen sei. Ein solcher Nachweis ist weder im Gesetz vorgesehen, noch wird er von der Rechtsprechung verlangt (BGE 108 III 58).
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Die kantonale Aufsichtsbehörde zieht im angefochtenen Entscheid eine Parallele zwischen den von BGE 108 III 54 angesprochenen Eheprozessen und dem Anfechtungsprozess nach Art. 256 ff. ZGB, indem sie sagt, dass auch der Ausgang des letzteren Verfahrens sich mittelbar auf den Umfang der familienrechtlichen Unterhaltspflichten auswirke. Ebenso wie die Eheprozesse sei der Anfechtungsprozess die Folge einer gestörten ehelichen Beziehung. Diese Gemeinsamkeiten rechtfertigen es nach der Meinung der kantonalen Aufsichtsbehörde, Art. 176 Abs. 2 ZGB auch auf die im Anfechtungsprozess zugesprochene Parteientschädigung anzuwenden, somit diese vom Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten auszunehmen.
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4. Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen. Soweit der Ausgang des Anfechtungsprozesses sich auf die Unterhaltspflicht des Ehemannes auswirkt, handelt es sich nicht um eine Rechtsbeziehung zwischen den Ehegatten, sondern um die Wirkungen des Kindesverhältnisses. Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht ungeachtet dessen, dass er durch Leistungen an den gesetzlichen Vertreter erfüllt wird, dem Kind zu (Art. 289 Abs. 1 ZGB). Wie oben (E. 2) erwähnt, verbietet keine gesetzliche Bestimmung die Zwangsvollstreckung zwischen Eltern und Kindern. Deshalb gibt das Argument, dass im Anfechtungsprozess um die Vaterschaft mittelbar auch über die Unterhaltspflicht des Ehemannes entschieden werde, nichts für das Problem der Zwangsvollstreckung zwischen Ehegatten her.
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Auch der Hinweis darauf, dass der Anfechtungsprozess nicht anders als die Eheprozesse Ausdruck einer gestörten ehelichen Beziehung sei, hilft nicht weiter. Die Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft ist nicht Gegenstand des Anfechtungsprozesses um die Vaterschaft, sondern wird im Scheidungs- oder Trennungsprozess festgestellt. Die Parallele, welche die kantonale Aufsichtsbehörde gezogen hat, trägt deshalb nichts zur Auslegung des von Art. 176 Abs. 2 ZGB verwendeten Ausdrucks "Beiträge" bei.
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Aus der Unterhaltspflicht des Ehemannes leitet sich seine Verpflichtung ab, im Scheidungs- oder Trennungsprozess oder im Verfahren nach Art. 170 ZGB Kostenvorschuss und Prozessentschädigung zu bezahlen, die beide von der Ehefrau durch Betreibung eingefordert werden können (BGE 108 III 59). Weniger weit geht demgegenüber die zum Wohl der ehelichen Gemeinschaft aufgestellte Beitragspflicht der Ehefrau. Insbesondere kann darauf nicht die Verpflichtung der Ehefrau zur Leistung einer Parteientschädigung abgestützt werden, die nicht im Rahmen eines Scheidungs- oder Trennungsprozesses oder von Eheschutzmassnahmen aufgrund von Art. 170 ZGB zugesprochen wurde. Die Leistung einer nicht in den genannten Verfahren der Ehefrau auferlegten Prozessentschädigung lässt sich weder mit der Sorge für die Gemeinschaft (Art. 161 Abs. 2 ZGB) noch mit der Lastentragung aus dem Sondergut (Art. 192 ZGB) noch mit der Tragung der ehelichen Lasten bei Gütertrennung (Art. 246 ZGB) begründen. Daher kann der extensiven Auslegung von Art. 176 Abs. 2 ZGB, wie sie die kantonale Aufsichtsbehörde - über die Rechtsprechung von BGE 105 III 97 und BGE 108 III 54 hinausgehend - vorgenommen hat, nicht beigepflichtet werden.
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