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36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. April 1995 i.S. Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) gegen Verein der Buchbindereien und Druckausrüstungsbetriebe der Schweiz (VBS) sowie Schweizerische Graphische Gewerkschaft (SGG) (Berufung) | |
Regeste |
Gesamtarbeitsvertrag; Aktivlegitimation eines Berufsverbandes (Art. 356 OR; Art. 28 ZGB; Art. 9 und 10 UWG). | |
Sachverhalt | |
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In der Folge schlossen der VBS und die SGG am 11./18. April 1990 den Gesamtarbeitsvertrag für das Buchbindergewerbe (Ausgabe 1989/1995) ab, der rückwirkend auf den 1. Oktober 1989 bzw. 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt wurde. Die GDP hingegen konnte den ausgehandelten Gesamtarbeitsvertrag nicht unterzeichnen; denn mit Urteil vom 26. Februar 1991 erklärte der Appellationshof des Kantons Bern den entsprechenden Urabstimmungsbeschluss der GDP wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig, da im Gesamtarbeitsvertrag ein unterschiedlicher Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vereinbart worden war.
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B.- Am 1. Juli 1992 reichte die GDP beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen den VBS und die SGG ein. Sie beantragte festzustellen, dass der Gesamtarbeitsvertrag insoweit nichtig sei, als der Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmerinnen niedriger als jener für männliche Nichtberufsleute vereinbart worden sei; im weiteren seien die Beklagten unter Strafandrohung zu verpflichten und entsprechend anzuweisen, Nichtberufsleuten für gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn auszurichten. Sie forderte ferner die Zusprechung von Schadenersatz und Genugtuung. Ihre Klagebegehren begründete sie mit der Verletzung von ![]() | 3 |
C.- Gegen das Urteil des Appellationshofes vom 10. Februar 1994 erhebt die Klägerin eidgenössische Berufung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
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Aktiv- bzw. passivlegitimiert sind grundsätzlich die Träger des Rechtsverhältnisses, welches Gegenstand des Urteils bilden soll (GULDENER, a.a.O., S. 139; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts, 3. Aufl., 1992, Kap. 7 N. 91). Einige Bestimmungen des Bundesrechts sehen ein Verbandsklagerecht vor, welches einer Organisation gestattet, ihre Rechtsbegehren in eigenem Namen, jedoch im Interesse ihrer Mitglieder oder gar weiterer betroffener Personen durchzusetzen (BGE 103 II 294 E. 2 S. 299 f.; STAEHELIN/SUTTER, Zivilprozessrecht, § 9 N. 20; VOGEL, a.a.O., Kap. 7 N. 92a f.). Die Klägerin macht die eingeklagten Ansprüche einerseits mit der Behauptung geltend, sie selbst sei in ihren eigenen Rechten durch die beanstandete Regelung im Gesamtarbeitsvertrag der Beklagten verletzt, und es ständen ihr daraus eigene Ansprüche zu. Andererseits beruft sie sich auf ihre Eigenschaft als Berufsverband, dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der graphischen Industrie, in der Druckweiterverarbeitung und im Medienbereich angehören, und der sich nach Artikel 3 der Statuten für die beruflichen, materiellen, sozialen, ökologischen und kulturellen Interessen der Mitglieder einsetzt, und zwar im besonderen durch (a) den Zusammenschluss und die Organisation ![]() | 6 |
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a) Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, den Richter anrufen (Art. 28 Abs. 1 ZGB); widerrechtlich ist eine Persönlichkeitsverletzung, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist (Art. 28 Abs. 2 ZGB). Der Persönlichkeitsschutz steht nach konstanter Rechtsprechung nicht nur natürlichen, sondern auch juristischen Personen insoweit zu, als er nicht auf Eigenschaften beruht, die ihrer Natur nach nur den natürlichen Personen zukommen (BGE 108 II 241 E. 6 S. 244, BGE 95 II 481 E. 4 S. 488 f., vgl. auch BGE 117 II 513 ff.; PEDRAZZINI/OBERHOLZER, Grundriss des Personenrechts, 4. Aufl., 1993, S. 212 Ziff. 8.4.2.1; TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, S. 75 f. N. 520 und 521; TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Aufl., 1995, S. 93). Zu den Persönlichkeitsrechten, die auch den juristischen Personen eignen, gehört unter anderen der Anspruch auf soziale Geltung und namentlich das Recht auf freie wirtschaftliche Entfaltung, das heute weitgehend noch eigens durch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241) und jenes über die Kartelle und ähnlichen Organisationen (KG; SR 251) geschützt ist (TERCIER, a.a.O., S. 71 f. N. 493 bis 495; A. BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, S. 138 f. N. 495 und 496).
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aa) Mit einem Gesamtarbeitsvertrag (Art. 356 ff. OR) soll den Verbänden eine reale Einflussmöglichkeit auf die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse in die Hand gegeben werden, um minimale Arbeits- und Sozialbedingungen für die einzelnen Arbeitnehmer festzulegen (BGE 115 II 251 E. 4a S. 253; VISCHER, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, III, S. 247 und 265). Der ![]() | 9 |
bb) Die Klägerin hat die Verhandlungen über den Abschluss des umstrittenen Gesamtarbeitsvertrages geführt, und der Beitritt wird ihr von den Beklagten nicht verwehrt. Die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte sieht sie im Umstand, dass die Beklagten mit dem Gesamtarbeitsvertrag eine Bestimmung über den Minimallohn vereinbart haben, welche die Klägerin nicht unterzeichnen kann oder will, weil sie diese als rechtswidrig betrachtet. Da die Klägerin dem Gesamtarbeitsvertrag der Beklagten nur in der Form beitreten könnte, wie er im April 1990 abgeschlossen wurde (BGE 118 II 431 E. 4a S. 433), sieht sie sich vor die Wahl gestellt, auf die Vorteile der Beteiligung am Gesamtarbeitsvertrag und damit auch auf die Wahrnehmung ihrer eigentlichen statutarischen Aufgabe zu verzichten, oder mit der Zustimmung zur diskriminierenden Minimallohnregelung für Nichtberufsleute im Gesamtarbeitsvertrag an einer rechtswidrigen Handlung mitzuwirken. Wenn ihr der Appellationshof die Aktivlegitimation abspricht aus der Erwägung, dass der Abschluss des Gesamtarbeitsvertrages durch die Beklagten sie nicht berühre, weil sie am Vertrag nicht beteiligt sei, so verkennt er sowohl die absolute Natur der Persönlichkeitsrechte wie die Tatsache, dass Verträge Dritter sich als faktische Angriffe auf die Persönlichkeit im Sinne von ![]() | 10 |
b) Nach Art. 9 Abs. 1 UWG ist klageberechtigt, wer in seiner Kundschaft, seinem Kredit oder beruflichen Ansehen, in seinem Geschäftsbetrieb oder sonst in seinen wirtschaftlichen Interessen bedroht oder verletzt wird. Dem Gericht kann unter dieser Voraussetzung beantragt werden, (a) eine drohende Verletzung zu verbieten, (b) eine bestehende Verletzung zu beseitigen, (c) die Widerrechtlichkeit einer Verletzung festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt. Nach Art. 9 Abs. 2 UWG kann überdies verlangt werden, dass eine Berichtigung oder das Urteil Dritten mitgeteilt oder veröffentlicht wird. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung kann schliesslich nach Massgabe des Obligationenrechts auf Schadenersatz und Genugtuung sowie auf Herausgabe eines Gewinns geklagt werden.
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aa) Die Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb sind besondere Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes gemäss Art. 28 ZGB, dessen Klagen insoweit subsidiär, neben den spezialgesetzlichen bestehen (BGE 110 II 411 E. 3a S. 417 sowie unveröffentlichtes Urteil vom 31. Oktober 1991 i.S. Sch. c/S., E. 3b; TERCIER, a.a.O., S. 236 N. 1782). Mit dem Erfordernis der Verletzung in eigenen Interessen als Voraussetzung der Aktivlegitimation nach Art. 9 Abs. 1 UWG wird ein gewisses Spannungsverhältnis zur Zwecksetzung des revidierten Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb geschaffen, das in funktionaler Weise die Lauterkeit des Wettbewerbs gewährleisten will und daher das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses für die Annahme unlauteren Wettbewerbs nicht voraussetzt (PEDRAZZINI, Unlauterer Wettbewerb, UWG, S. 223 Ziff. 16.1; BAUDENBACHER, Schwerpunkte der schweizerischen UWG-Reform, in Das UWG auf neuer Grundlage, S. 15 ff., ![]() | 12 |
bb) Die Klägerin steht als Berufsverband im Wettbewerb zu anderen Berufsverbänden, die sich an dieselben Berufstätigen als mögliche Mitglieder wenden, wie namentlich die Beklagte 2, zu der sie sogar in direkter Konkurrenz stehen dürfte. Die Klägerin vertritt nicht nur die Interessen der ihr angeschlossenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen, sondern bietet ihnen auch Dienstleistungen an, namentlich Beratung unterschiedlicher Art. Sie macht geltend, sie sei durch den Abschluss des umstrittenen Gesamtarbeitsvertrages nicht nur in ihrem Kredit und Ansehen, sondern auch in ihren wirtschaftlichen Interessen verletzt. Da sie den Gesamtarbeitsvertrag der Beklagten nicht unterzeichnet habe, habe sie Mitglieder durch Austritte verloren. Hieraus leitet sie Schadenersatzansprüche - wegen entgangener Mitgliederbeiträge - ab. Die Klägerin ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nach Art. 9 Abs. 1 UWG zur Klage legitimiert.
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a) Nach Art. 10 Abs. 2 lit. a UWG sind Berufs- und Wirtschaftsverbände, die nach den Statuten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen ihrer ![]() | 15 |
aa) Die Klägerin vereinigt als Berufsverband Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der graphischen Industrie, in der Druckweiterverarbeitung und im Medienbereich und setzt sich nach Artikel 3 der Statuten für die beruflichen, materiellen, sozialen, ökologischen und kulturellen Interessen der Mitglieder ein. Aufgrund dieser statutarischen Bestimmung ist die Klägerin zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. a UWG befugt. Sie ist daher unabhängig von der Klagebefugnis ihrer Mitglieder berechtigt, Ansprüche wegen unlauterer Wettbewerbshandlungen geltend zu machen, und zwar mindestens soweit, als die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder betroffen sind, zu deren Wahrung sie statutarisch befugt ist. Dies trifft jedenfalls für gesamtarbeitsvertragliche Mindestlohnvorschriften zu, deren Vereinbarung zu den wesentlichen Aufgaben der Klägerin gehört.
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bb) Die Zulässigkeit markt- und wettbewerbsbezogener Vereinbarungen beurteilt sich auch nach deren möglichen Beeinträchtigung des wirksamen Wettbewerbs und nach deren Auswirkungen auf die Freiheit Dritter zu wirtschaftlicher Betätigung (BGE 114 II 91 E. 2 S. 95). Die Vorinstanz stellt die Wettbewerbsrelevanz der umstrittenen gesamtarbeitsvertraglichen Minimallohnbestimmungen zu Unrecht in Abrede. Nach Art. 7 UWG handelt insbesondere unlauter, wer Arbeitsbedingungen nicht einhält, die durch Rechtssatz oder Vertrag auch dem Mitbewerber auferlegt, oder die berufs- bzw. ortsüblich sind. Die Klägerin bringt vor, die umstrittene gesamtarbeitsvertragliche Regelung der Beklagten über den Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmerinnen widerspreche dem Rechtssatz der Verfassung zur Lohngleichheit, zu deren Einhaltung jedermann verpflichtet ist. Diese Mindestlohnregelung verfälsche daher den Wettbewerb zwischen den Unternehmen der Beklagten einerseits und denjenigen, die sich an das Lohngleichheitsgebot halten, andererseits und sei daher unlauter. Die ![]() | 17 |
b) Die Klägerin beruft sich schliesslich auf die Persönlichkeitsrechte ihrer Mitglieder, namentlich der ungelernten Arbeitnehmerinnen, um ihr Verbandsklagerecht zu begründen. Sie ist nach der Rechtsprechung als Berufsverband zur Klage im Interesse der Arbeitnehmerinnen der Branche befugt unter der Voraussetzung, dass sie nach den Statuten die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder wahrt und diese selbst zur Klage legitimiert wären (BGE 114 II 345 E. 3b S. 347 mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Namentlich sind die ungelernten Arbeitnehmerinnen befugt, in eigenem Namen wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte infolge diskriminierender Mindestlohnvorschriften im Gesamtarbeitsvertrag der Beklagten zu klagen (G. AUBERT, a.a.O., S. 573; Botschaft zum Gleichstellungsgesetz, a.a.O., S. 1322).
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