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43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juli 1995 i.S. H. gegen Kantons Basel-Stadt (Zivilklage) | |
Regeste |
Art. 429a ZGB; Verhältnis der bundesrechtlichen zum kantonalrechtlichen Staatshaftungsbestimmungen im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. |
Staatshaftungsansprüche wegen widerrechtlicher fürsorgerischer Freiheitsentziehung beruhen ausschliesslich auf Art. 429a ZGB. Für die Anwendung kantonalen Staatshaftungsrechts bleibt damit kein Raum, auch wenn es im Einzelfall für den Ansprecher günstigere Haftungsbedingungen (z.B. eine längere Verjährungsfrist) vorsieht (E. 2). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 12. Dezember 1994 hat H. im Rahmen eines Direktprozesses beim Bundesgericht eine Forderungsklage gegen den Kanton Basel-Stadt eingereicht. Sie beantragt im wesentlichen, der Kanton Basel-Stadt sei zu verpflichten, ihr Fr. 16'095.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 17.12.92 zu bezahlen. Der Kanton Basel-Stadt beantragt, die Klage zufolge Verjährung abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Diese von Amtes wegen zu prüfenden Voraussetzungen (Art. 3 Abs. 1 BZP) sind vorliegend erfüllt. Ungeachtet davon, ob der geltend gemachte Haftungsanspruch auf Bundesrecht (Art. 429a ZGB) oder kantonalem öffentlichem Recht (§§ 37 ff. Beamtengesetz des Kantons Basel-Stadt) beruht, handelt es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinn des Gesetzes (BGE 107 Ib 155 E. 1). Sodann hat die Klägerin das Bundesgericht rechtzeitig im Sinn von Art. 42 OG angerufen, d.h. bevor für den gleichen Streitgegenstand die kantonale Gerichtsbarkeit in Anspruch genommen wurde (POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Band II, N. 2.4 zu Art. 42 OG). Und schliesslich übersteigt der Streitwert den Betrag von Fr. 8'000.--. Aus diesen Gründen ist auf die Klage einzutreten.
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b) Gemäss Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache öffentlich gehört wird. Dies bedeutet, dass mindestens einmal ein Gericht eine öffentliche Verhandlung durchführen muss. Für den Fall, dass das Bundesgericht als einzige Instanz entscheidet, ist daher vor Bundesgericht eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, S. 260). Allerdings können die Parteien durch ausdrückliche Erklärung auf die Durchführung einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung verzichten (VILLIGER, a.a.O., S. 259; MIEHLSER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur EMRK, 1986, N. 333; je mit Hinweisen). Nachdem die Parteien auf Anfrage des Bundesgerichtes ausdrücklich auf die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung verzichtet haben, erweist sich das Verfahren als spruchreif.
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2. Der Beklagte hält der klägerischen Schadenersatz- und Genugtuungsforderung im Gesamtbetrag von Fr. 16'095.-- die Einrede der Verjährung entgegen. Der geltend gemachte Staatshaftungsanspruch beruhe auf Art. 429a ZGB. Bezüglich dieser Staatshaftung gelte nach der ![]() | 7 |
a) Zunächst ist die Frage der massgebenden Haftungsgrundlage zu prüfen. Vor dem Inkrafttreten der Novelle zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung waren die Kantone befugt, den Bereich der sogenannten "administrativen Versorgung" zu regeln (BBl 1977 III, 8). Namentlich im Hinblick auf eine einheitliche Umsetzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK wurde die fürsorgerische Freiheitsentziehung in Art. 397a ff. ZGB bundesrechtlich geregelt (BBl 1977 III, 17). Das Schwergewicht der bundesrechtlichen Regelung besteht in der Vereinheitlichung der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Sowohl in den Materialien als auch in der Literatur wird einhellig die Ansicht vertreten, dass die materiellen Voraussetzungen abschliessend bundesrechtlich geregelt seien und nicht durch kantonales Recht ergänzt werden könnten (BBl 1977 III, 19 m.w.H.; NR Brosi, Berichterstatter, Sten.Bull. NR, 88. Jg., 1978, S. 745 f.; vgl. auch Votum Alder, a.a.O., S. 749; MATTMANN, Die Verantwortlichkeit bei der füsorgerischen Freiheitsentziehung, Diss. Freiburg 1988, S. 52; KOLLER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung und das kantonale Verfahrensrecht, SJZ 78, 1982, S. 53 f.).
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Im Rahmen der Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wurde in Art. 429a ZGB auch eine bundesrechtliche Haftungsbestimmung ins Gesetz eingefügt. Weder die Botschaft noch die Protokolle der parlamentarischen Beratungen äussern sich indessen dazu, ob Art. 429a ZGB eine abschliessend bundesrechtliche Regelung aufstelle, oder ob daneben Raum für kantonale Haftungsbestimmungen bestehe. Verschiedene Gründe sprechen jedoch dafür, dass es sich bei Art. 429a ZGB um eine abschliessende bundesrechtliche Regelung der Staatshaftung handelt. Einerseits bezweckt Art. 429a ZGB ähnlich wie die bundesrechtliche Umschreibung der Voraussetzungen für die Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung eine gesamtschweizerisch ![]() | 9 |
b) Nach Auffassung der Klägerin sind jedenfalls die Genugtuungsansprüche in Bezug auf die medikamentöse Zwangsbehandlung während der Dauer ihres Klinikaufenthaltes nach kantonalem Recht zu beurteilen, weil das Bundesrecht nur die Anordnung, nicht aber die Durchführung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung regle.
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Das Bundesgericht hat erkannt, dass die Bestimmungen zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung nur festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Person in eine Anstalt eingewiesen werden darf, während sie sich zur Art der Behandlung nicht äussern. Art. 429a ZGB erfasst daher nur den Entzug der Bewegungsfreiheit, nicht aber Eingriffe in die körperliche und psychische Integrität der betroffenen Person (BGE 118 II 254 E. 6). Entgegen der Ansicht der Klägerin schliesst dies indessen nicht aus, dass Art. 429a ZGB im vorliegenden Fall auch für die Genugtuungsforderung massgebend ist, soweit sich diese auf die medikamentöse Behandlung bezieht. Oft drängt sich unmittelbar nach der Anordnung einer freiheitsentziehenden Massnahme eine medikamentöse Behandlung zur Stabilisierung des Zustandes des Betroffenen auf. In diesem Fall stellt die Massnahme nicht eine ![]() | 11 |
c) In bezug auf die Verjährung einer auf Art. 429a ZGB beruhenden Forderung hat das Bundesgericht in Einklang mit der Lehre erkannt, dass der Staatshaftungsanspruch binnen eines Jahres seit dem Hinfall der freiheitsentziehenden Massnahme verjährt (BGE 116 II 407; MATTMANN, a.a.O., S. 223 f.). Der Hinweis der Klägerin auf die längere strafrechtliche Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 2 OR geht fehl. Eine strafbare Handlung im Sinn dieser Bestimmung liegt nur vor, wenn sowohl die objektive als auch die subjektive Seite des Straftatbestandes erfüllt sind (BGE 106 II 213 E. 4; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Band II/1, Zürich 1987, § 16 N. 385). Die Frage, ob allfällige strafbare Handlungen von Beamten dem Kanton überhaupt vorgehalten werden können (verneinend MATTMANN, a.a.O., S. 228), kann vorliegend offen gelassen werden, denn entgegen der Auffassung der Klägerin sind keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der verantwortlichen Beamten zu erkennen. Abgesehen davon, dass sowohl die Freiheitsentziehung als auch die Behandlung der Klägerin durch eine gesetzliche Grundlage gedeckt und damit gerechtfertigt sind, wurde in keiner Art und Weise substantiiert, inwiefern der subjektive Tatbestand der behaupteten Delikte erfüllt sein soll. Die längere strafrechtliche Verjährungsfrist kann daher nicht zur Anwendung gelangen.
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d) Nachdem die Klägerin am 17. Dezember 1992 aus der Psychiatrischen Universitätsklinik entlassen worden war, ist die einjährige Verjährung vor der Klageeinleitung am 14. Dezember 1994 eingetreten. Aufgrund einer entsprechenden Einrede des Beklagten hat das Bundesgericht die Verjährung zu berücksichtigen. Die Klage ist daher abzuweisen.
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