BGE 122 III 20 | |||
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4. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Februar 1996 i.S. Firma T. AG gegen S. und R. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 270a OR. Mietzinsherabsetzung. |
Für die Beurteilung einer Anpassungsforderung ist vom Zeitpunkt auszugehen, in dem sie der Gegenpartei spätestens erklärt werden musste; zu berücksichtigen sind nur Änderungen der Berechnungsgrundlagen, die in diesem Zeitpunkt feststanden und spätestens auf den Kündigungstermin wirksam wurden (E. 4b). |
Treten während der Hängigkeit eines Herabsetzungsverfahrens neue Herabsetzungsgründe ein, kann der Mieter darauf gestützte Herabsetzungsforderungen ohne vorgängiges Parteiverfahren (Art. 270a Abs. 2 OR) in das laufende behördliche Verfahren einbringen (analog Art. 270a Abs. 3 OR; E. 4c). |
Beim Entscheid über den zulässigen Mietzins ist das Gericht an die Parteianträge gebunden (E. 4d). | |
Sachverhalt | |
S. und M. sind seit 1. April 1988 Mieter einer 3 1/2-Zimmer-Wohnung und zweier Autoeinstellplätze in Würenlos. Mit Schreiben vom 28. Juni 1993 ersuchten sie die Vermieterin, die Firma T. AG in Zürich, unter Hinweis auf die gesunkenen Hypothekarzinsen, eine Mietzinssenkung zu prüfen. Die Firma T. AG antwortete am 3. August 1993, sie anerkenne zwar grundsätzlich einen Senkungsanspruch der Mieter von 5,19%, verrechne diesen jedoch mit der in der letzten Erhöhungsanzeige vorbehaltenen Mietzinsreserve, weshalb eine Mietzinssenkung "im heutigen Zeitpunkt nicht möglich" sei.
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Am 20. August 1993 gelangten die Mieter mit dem Antrag auf eine Mietzinssenkung von 5,19% an die Schlichtungsbehörde für Mietsachen des Bezirksamts Baden. Als das Schlichtungsverfahren scheiterte, reichten sie am 17. Dezember 1993 beim Bezirksgerichtspräsidium Baden Klage gegen die Firma T. AG ein. Sie stellten das Begehren, es sei festzustellen, dass die Mietzinsen für ihre Wohnung und für die Autoeinstellhalle missbräuchlich und mit Wirkung auf den 1. Oktober 1993 um 5,19% herabzusetzen seien; die Beklagte sei anzuweisen, diese Mietzinssenkung zu gewähren. Mit Urteil vom 3. Juni 1994 wies die Präsidentin des Bezirksgerichts Baden die Klage ab und stellte fest, dass die Mietzinsen trotz der Senkung des Hypothekarzinssatzes auf 6% nicht missbräuchlich seien.
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Auf Beschwerde der Kläger hob das Obergericht des Kantons Aargau am 29. März 1995 den bezirksgerichtlichen Entscheid auf und setzte die Mietzinse in teilweiser Gutheissung der Klage mit Wirkung ab 1. März 1994 um 4,13% herab.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung der Beklagten gut und weist die Klage ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Beklagte rügt, das Obergericht überdehne die Tragweite der bundesrechtlichen Untersuchungsmaxime (Art. 274d Abs. 3 OR) und wende die Vorschriften über die Mietzinsherabsetzung (Art. 270a OR) falsch an. Die Kläger schliessen sich demgegenüber grundsätzlich der Argumentation der Vorinstanz an, wobei sie allerdings zugestehen, dass die Herabsetzung des Mietzinses um 4,13% erst auf den 1. Juli 1994 in Kraft treten könne, weil es sich beim 1. März 1994 nicht um einen Kündigungstermin handle.
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a) Mietzinsanpassungen können nicht zeitlich unbestimmt verlangt werden (vgl. BGE vom 29. September 1987, publiziert in MP 1988, S. 22 ff., E. 2b und 3a). Nach der Konzeption des Gesetzgebers müssen sich Mitteilungen, Begehren und Verfahren über Mietzinsanpassungen vielmehr stets auf einen bestimmten Kündigungstermin beziehen. Das gilt sowohl für vom Vermieter angekündigte Erhöhungen (Art. 269d Abs. 1 OR) als auch für vom Mieter verlangte Herabsetzungen (Art. 270a Abs. 1 OR).
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b) Anpassungen können nach dem Wortlaut des Gesetzes jeweils auf den "nächstfolgenden Kündigungstermin" vorgenommen werden. Daraus lässt sich einerseits ableiten, dass die Erhöhungs- oder Herabsetzungsgründe, welche die Mietzinsanpassung rechtfertigen, spätestens auf diesen Zeitpunkt hin verwirklicht sein müssen (BGE vom 15. Dezember 1992, publiziert in MP 1993, S. 169 ff., E. 2a). Anderseits erhellt aus der gesetzlichen Regelung, dass sowohl bei der Ankündigung einer Mietzinserhöhung als auch beim Begehren um eine Mietzinsherabsetzung die Kündigungsfrist eingehalten werden muss. Das Gesetz geht demnach davon aus, dass die Parteien über ihre Erhöhungs- oder Herabsetzungsforderung vor Beginn der Kündigungsfrist zu entscheiden haben. Daraus ergibt sich, dass für die Beurteilung einer Anpassungsforderung auf denjenigen Zeitpunkt abzustellen ist, in dem sie der Gegenpartei spätestens erklärt werden musste. Zu berücksichtigen sind daher nur Änderungen der Berechnungsgrundlagen, die in diesem Zeitpunkt mit Sicherheit feststanden und spätestens auf den Kündigungstermin hin wirksam wurden.
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Diese Lösung deckt sich denn auch weitgehend mit der neueren Rechtsprechung und Lehre. Nachdem das Bundesgericht in früheren Entscheiden meistens ausschliesslich auf das Datum des Inkrafttretens der Mietzinsanpassung abgestellt hatte (siehe die Nachweise bei ROCHAT, La jurisprudence récente en matière de loyer abusif, JdT 1983, S. 2 ff., insbes. S. 12 f., und bei EGLI, Aperçu de la jurisprudence récente du Tribunal fédéral en application de l'AF sur les mesures contre les abus dans le secteur locatif, ZBJV 1988, S. 57 und 68 f.), hat es in seinen Urteilen vom 29. September 1987 (MP 1988, S. 22 ff., E. 2b) und vom 15. Dezember 1992 (MP 1993, S. 169 ff., E. 2a) zusätzlich vorausgesetzt, dass die geltend gemachte Änderung der Berechnungsgrundlagen im Zeitpunkt der Mitteilung der Mietzinsanpassung hinreichend sicher bekannt war. Auf dem gleichen Boden steht die Praxis in den Kantonen Genf und Waadt (HABERMACHER-DROZ, Die neuere Rechtsprechung zum Thema Mietzins, MP 1992, S. 175 f.). In der Literatur scheint sich heute ebenfalls die Auffassung durchzusetzen, dass nicht der Zeitpunkt des Inkrafttretens, sondern derjenige der kalkulatorischen Fixation der Mietzinsanpassung massgeblich ist (ZIHLMANN, Das Mietrecht, 2. Aufl. 1995, S. 180 f.; HABERMACHER-DROZ, a.a.O.; vgl. ferner auch ROCHAT, a.a.O., S. 13). Die zitierten Entscheide und Literaturmeinungen scheinen allerdings davon auszugehen, dass es darauf ankomme, wann die Mietzinsanpassung tatsächlich mitgeteilt worden ist. Dieser von der erklärenden Partei willkürlich gewählte Zeitpunkt darf indessen für die Beurteilung der Zulässigkeit des Mietzinses nicht entscheidend sein, soll in Zeiten häufiger Änderungen der Berechnungsgrundlagen dem Missbrauch nicht Tür und Tor geöffnet werden. Abzustellen ist vielmehr auf einen objektiv feststehenden Zeitpunkt, nämlich auf den Tag, an dem die Mitteilung spätestens der Post übergeben werden musste, um rechtzeitig bei der Gegenpartei einzutreffen.
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c) Der Grundsatz, dass Veränderungen, die erst nach dem genannten Zeitpunkt bekannt werden, nicht in die Beurteilung einbezogen werden können, gilt uneingeschränkt für Mietzinserhöhungen; bei Mietzinsherabsetzungen wird er hingegen durch Art. 270a Abs. 3 OR relativiert. Die Erhöhungsanzeige hat in jedem Fall den strengen gesetzlichen Formvorschriften zu genügen (Art. 269d Abs. 1 und 2 OR), und der Vermieter bleibt für das spätere Verfahren an seine förmliche Erklärung gebunden (BGE 118 II 130 E. 2a; BGE 117 II 452 E. 5, mit Hinweisen). Für die Mietzinsherabsetzung stellt das Gesetz zwar ebenfalls gewisse Formvorschriften auf. So verlangt es ein an den Vermieter gerichtetes schriftliches Begehren, das Abwarten der Antwort während einer bestimmten Frist und die anschliessende fristgemässe Einleitung des Schlichtungsverfahrens (Art. 270a Abs. 2 OR). Dabei handelt es sich jedoch bloss um Ordnungsvorschriften (SVIT-Kommentar zum Mietrecht, N. 18 zu Art. 270a OR). Das parteiinterne Vorverfahren bezweckt lediglich, die Parteien vor der Einleitung eines behördlichen Verfahrens zu einem Meinungsaustausch über den künftigen Mietzins zu veranlassen (BRUNNER/STOLL, Die Mietzinsherabsetzung, MP 1993, S. 123). Die Parteien müssen sich daher nicht bereits im Vorverfahren endgültig festlegen und sind im nachfolgenden behördlichen Verfahren an ihre Erklärungen im Vorverfahren nicht gebunden (BGE vom 18. Oktober 1995, publiziert in MP 1995, S. 221 f.; a.M. BRUNNER/STOLL, a.a.O., S. 127).
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Vor diesem Hintergrund ist die Bestimmung von Art. 270a Abs. 3 OR zu sehen, wonach der Mieter gleichzeitig mit der Anfechtung einer Mietzinserhöhung ein Herabsetzungsbegehren stellen kann, ohne vorgängig das Vorverfahren gemäss Art. 270a Abs. 2 OR in Gang setzen zu müssen. Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass ein Vorverfahren, das eine gütliche Einigung ermöglichen soll, nicht mehr sinnvoll ist, wenn die Parteien bereits in einem Anfechtungsverfahren über den Mietzins streiten (vgl. Amtl.Bull. NR 1989, S. 531; Amtl.Bull. SR 1989, S. 428). Dieser Gedanke trifft aber auch dann zu, wenn - wie im vorliegenden Fall - neue Herabsetzungsgründe eintreten, während bei den Behörden bereits ein Herabsetzungsverfahren hängig ist. Es rechtfertigt sich daher, dem Mieter in analoger Anwendung von Art. 270a Abs. 3 OR auch in solchen Fällen die Möglichkeit einzuräumen, neue Herabsetzungsforderungen ohne vorgängiges Parteiverfahren im Sinne von Art. 270a Abs. 2 OR in das laufende behördliche Verfahren einzubringen, solange das kantonale Prozessrecht dies zulässt.
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d) Unerlässlich ist es aber, dass das Begehren im Verfahren überhaupt gestellt wird. Ohne entsprechenden Antrag des Mieters darf das Gericht eine Herabsetzung des Mietzinses nicht anordnen. Eine derartige Befugnis lässt sich entgegen der Auffassung des Obergerichts auch nicht aus Art. 274d Abs. 3 OR ableiten. Diese Bestimmung verpflichtet das Gericht zwar, den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären, erlaubt es ihm aber nicht, unabhängig von den Parteianträgen über den zulässigen Mietzins zu befinden. Der Anstoss zu einer Mietzinsanpassung auf einen bestimmten Termin hin muss nach der gesetzlichen Regelung (Art. 269d Abs. 1 und Art. 270a Abs. 1 OR) stets von den Vertragsparteien ausgehen. Eigenmächtige Eingriffe des Gerichts in das Vertragsverhältnis sieht das Gesetz nicht vor.
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e) Im Lichte dieser Erwägungen erweist sich der angefochtene Entscheid in doppelter Hinsicht als bundesrechtswidrig. Zunächst geht es nicht an, eine Herabsetzung des Mietzinses ohne Rücksicht auf Kündigungstermine und Kündigungsfrist anzuordnen. Sodann verkennt das Obergericht, dass sich das Herabsetzungsbegehren der Kläger einzig auf den 1. Oktober 1993 bezog, eine Mietzinsanpassung auf einen späteren Termin mithin ein separates Begehren vorausgesetzt hätte (E. a hievor). Ein solches Begehren hätten die Kläger zwar im laufenden Herabsetzungsverfahren grundsätzlich noch stellen können (E. c hievor). Sie haben dies jedoch nicht getan. Das Obergericht durfte daher nur den von den Klägern geltend gemachten Herabsetzungsanspruch auf den 1. Oktober 1993 beurteilen (E. d hievor). Dabei aber durfte es nur diejenigen Berechnungsfaktoren berücksichtigen, die vor der Kündigungsfrist feststanden und spätestens auf den Kündigungstermin vom 1. Oktober 1993 hin wirksam wurden (E. b hievor). Die Vorinstanz hat demnach die Hypothekarzinssenkung auf 5,5%, die erst im 1. Quartal 1994 erfolgt ist, zu Unrecht ihrem Urteil zugrundegelegt.
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