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33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. März 1996 i.S. X. Corporation gegen Y. (Berufung) | |
Regeste |
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit; Klagerecht des Gesellschaftsgläubigers beim Vorliegen eines Nachlassvertrags mit teilweiser Vermögensabtretung. |
Die Ansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit gehören beim gerichtlichen Nachlassvertrag mit teilweiser Vermögensabtretung nicht zwingend zu den Vermögenswerten, welche den Gläubigern zur Liquidation überlassen werden. Massgebend sind vielmehr die entsprechenden Anordnungen im Nachlassvertrag (E. 3c). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Klage vom 14. September 1987 beim Amtsgericht Luzern-Stadt belangte die X. Corporation Y. aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit für Fr. 500'000.-- nebst Zins und unter Vorbehalt des Nachklagerechts. Mit Urteil vom 4. Oktober 1993 wies das Amtsgericht die Klage ab. Dieses Urteil bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern am 6. Juni 1995 unter Abweisung der Berufung der Klägerin.
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Die Klägerin hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen wird.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Mit BGE 117 II 432 ff. hat das Bundesgericht bei der Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen durch die Gläubiger im Konkurs die Unterscheidung zwischen einem Anspruch aus dem Schaden der Gesellschaft und einem solchen aus dem mittelbaren Schaden der Gläubiger aufgegeben. Der der Gesellschaft direkt zugefügte Schaden ist deckungsgleich mit dem Schaden, welcher den Aktionären und Gläubigern insgesamt indirekt entsteht (E. 1a/cc, S. 438). Ein Anspruch von Aktionären ist nach der Konkurseröffnung, ![]() | 6 |
b) Die Konkurseröffnung bewirkt somit gemäss Art. 758 aOR, dass der bis dahin bestehende Anspruch aus dem Recht der Gesellschaft abgelöst wird durch einen einheitlichen Anspruch der Gläubigergesamtheit. Betragsmässig sind die beiden Ansprüche deckungsgleich. Sie stimmen auch hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen überein, unterscheiden sich aber hinsichtlich der Einreden, die ihnen entgegengehalten werden können. Damit stellt sich die Frage, ob diese Ablösung des Anspruchs aus dem Recht der Gesellschaft durch den Anspruch der Gläubigergesamtheit allein im Falle des Konkurses eintritt oder auch in anderen Fällen, wo die Verantwortlichkeitsansprüche wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger herangezogen werden müssen.
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aa) Bereits in BGE 49 II 241 E. 2 S. 244 f. hat das Bundesgericht unter der Herrschaft des Obligationenrechts von 1881/1911 die Bestimmungen über das Klagerecht der Gesellschaftsgläubiger auf einen Zwangsnachlassvertrag angewandt, bei dem sämtliche Vermögenswerte den Gläubigern zur Liquidation abgetreten worden waren. In späteren Urteilen wurde diese Rechtsprechung bestätigt, wobei auch die Legitimation der Liquidationsmasse anerkannt ![]() | 8 |
bb) Die Klägerin vertritt demgegenüber die Auffassung, die Bestimmungen über die Geltendmachung der Verantwortlichkeitsansprüche durch die Gesellschaftsgläubiger im Konkurs seien auch in allen anderen Fällen der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft anzuwenden. Zur Begründung führt sie an, der Ausschluss des Klagerechts der Gläubiger sei nur gerechtfertigt, solange die Gesellschaft aufrechtstehend sei. Falle diese Voraussetzung dahin, so müsse das Klagerecht der Gläubiger aktualisiert werden, ohne dass dafür eine Konkurseröffnung oder der Abschluss eines Nachlassvertrags erforderlich wäre.
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Für ihre Auffassung beruft sich die Klägerin zu Unrecht auf verschiedene Literatur- und Judikaturstellen. Diese befassen sich einzig mit der Darlegung der Gründe, welche den Gesetzgeber dazu bewogen haben, bei aufrechtstehender Gesellschaft ein Klagerecht der Gläubiger auszuschliessen und ihnen ein solches dann im Konkurs zuzugestehen. Wenn dort von der aufrechtstehenden Gesellschaft die Rede ist, bedeutet dies einfach das Gegenteil zur Gesellschaft im Konkurs ohne nähere Ausführungen darüber, welche anderen Sachverhalte einem Konkurs gleichzustellen sind. An keiner Stelle wird hingegen die These der Klägerin vertreten, dass ein Klagerecht der Gläubiger auch ohne Konkurseröffnung oder Abschluss eines ![]() | 10 |
Die für den Konkursfall geltende Regelung lässt sich sodann auch nicht auf den Stundungs- oder Prozentvergleich übertragen. Bei diesem verbleibt die schuldnerische Gesellschaft (unter Vorbehalt der Sicherstellung für den Vollzug des Nachlassvertrags) im vollen Verfügungsrecht über ihre gesamte Vermögenssubstanz. Für eine Ablösung des Anspruchs aus dem Recht der Gesellschaft durch einen Anspruch der Gläubigergesamtheit bleibt damit kein Raum. Der Gläubigergesamtheit würde auch die erforderliche Organisation fehlen, um einen solchen Anspruch geltend machen zu können. Zudem würde die zusätzliche Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegenüber den Organen gegen den Grundsatz verstossen, dass die Gläubiger beim Prozentvergleich auf ihre ganzen Forderungen verzichten, soweit diese die im Nachlassvertrag festgelegten Leistungen des Nachlassschuldners übersteigen.
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Gehören bei einem Nachlassvertrag mit bloss teilweiser Vermögensabtretung die Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber den Gesellschaftsorganen zu den Vermögenswerten, welche den Gläubigern zur Liquidation überlassen werden, so rechtfertigt es sich, auch in diesem Fall in analoger Anwendung von Art. 758 aOR eine Ablösung des Anspruchs aus dem Recht der Gesellschaft durch einen Anspruch der Gläubigergesamtheit anzunehmen. Hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen und des betragsmässigen Umfangs sind diese beiden Ansprüche ja deckungsgleich. Für die weitere Anwendung der Einredenordnung, welche für den Anspruch der Gesellschaft galt, entfällt mit dem Abschluss eines solchen Nachlassvertrags die sachliche Rechtfertigung. Wie beim Konkurs ist die Gesellschaft zahlungsunfähig, und die Gläubiger müssen auf einen Teil ihrer Forderung verzichten oder sich zumindest die Umwandlung in andere Rechte gefallen lassen. Hinsichtlich der den Gläubigern zur Liquidation überlassenen Vermögenswerte sind dann einzig noch die Interessen der Gesellschaftsgläubiger massgeblich. Die Lebensfähigkeit der mit einem Teil der Vermögenswerte weiterexistierenden Gesellschaft steht auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber den (früheren) Organen bzw. mit den Einreden, welche diesen Ansprüchen entgegengehalten werden können. Wäre ![]() | 13 |
Die Gründe, aus welchen die Vorinstanz eine analoge Anwendung von Art. 758 aOR verneint hat, erweisen sich demgegenüber nicht als stichhaltig. Ob die Gesellschaft aufgelöst und im Handelsregister gelöscht wird, hat keinen erkennbaren Bezug zur Frage, unter welchen Modalitäten die auf die Gläubigergesamtheit übergegangenen Verantwortlichkeitsansprüche geltend zu machen sind. In BGE 49 II 241 E. 2 S. 244 f. hat das Bundesgericht die analoge Anwendung von Art. 675 Abs. 2 aOR (Fassung 1881/1911) auf den Nachlassvertrag mit Abtretung aller Vermögenswerte auch nicht etwa ausschliesslich mit der Auflösung der Gesellschaft begründet, sondern gleichzeitig die einschneidenden Beschränkungen der Gläubigerrechte erwähnt. In BGE 86 II 171 E. 3a S. 185 wurde der Aspekt der Auflösung der Gesellschaft nicht erwähnt, und es wurde statt dessen auf die Liquidation des überlassenen Vermögens nach den Regeln des Konkurses abgestellt. Auch wenn nur ein Teil der schuldnerischen Vermögenswerte den Gläubigern zur Liquidation überlassen werden, gilt dabei das Prinzip der Totalität der Vollstreckungsansprüche (concursus omnium creditorum). Entgegen der bei der Vorinstanz offenbar bestehenden Meinung geht es beim Entscheid über die analoge Anwendbarkeit von Art. 758 aOR nicht etwa um die Frage, ob die Verantwortlichkeitsansprüche zu den Vermögenswerten gehören, welche den Gläubigern zur Liquidation überlassen wurden, sondern einzig darum, welchen Modalitäten die Geltendmachung der überlassenen Verantwortlichkeitsansprüche untersteht, das heisst, ob der Anspruch aus dem Recht der Gesellschaft abgelöst wird durch einen einheitlichen Anspruch der Gläubigergesamtheit mit der entsprechenden Ordnung der Einreden. In diesem Zusammenhang ist zudem unerheblich, dass die mit einem Teil der Vermögenswerte weiterexistierende Gesellschaft nie den Zusatz "in Nachlassliquidation" führt und deshalb die Liquidation der den Gläubigern überlassenen Vermögenswerte mit geringerer Publizität verbunden ist. Der Wert des bei der Gesellschaft verbliebenen Vermögens kann allenfalls ein Element sein, welches zu beachten ist bei der Beantwortung der Frage, ob die Verantwortlichkeitsansprüche den Gläubigern überlassen wurden oder bei der Gesellschaft verblieben. Gleiches gilt für das Argument, dass die Gläubiger auf jenen Teil der Forderung, der aus der Liquidation der überlassenen Vermögenswerte nicht befriedigt werden konnte, nicht etwa ![]() | 14 |
In Abweichung von der Auffassung der Vorinstanz ist deshalb festzuhalten, dass Art. 758 aOR analog anzuwenden ist auf gerichtliche Nachlassverträge, mit welchen den Gläubigern nur ein Teil der Vermögenswerte zur Liquidation überlassen wird, soweit die aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsansprüche zu diesen überlassenen Vermögenswerten gehören.
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c) Eine Aktivlegitimation der Klägerin zur Geltendmachung des mittelbaren Schadens der Gläubigergesamtheit lässt sich aus der auf Art. 260 SchKG gestützten Abtretung vom 20. August 1985 indessen nur ableiten, wenn diese Verantwortlichkeitsansprüche tatsächlich zu den Vermögenswerten gehörten, welche den Gläubigern zur Liquidation überlassen wurden.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dies keineswegs zwingend. Dies belegt schon die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach auch beim Nachlassvertrag mit Abtretung aller Vermögenswerte die Liquidationsorgane nur bei besonderer Bevollmächtigung durch den Nachlassvertrag zur Anhebung der Verantwortlichkeitsklage gegen die Gesellschaftsorgane befugt waren (BGE 48 III 71 ff., BGE 60 III 99 ff.). Mit der Praxisänderung in BGE 64 III 20 ff. hat das Bundesgericht dann den Grundsatz statuiert, dass beim Nachlassvertrag mit Abtretung aller Vermögenswerte das abgetretene Vermögen ohne gegenteilige Abrede auch die der Gesellschaft zustehenden Verantwortlichkeitsansprüche umfasst, selbst wenn diese im Inventar nicht aufgeführt sind (ebenso BGE 67 II 167 E. 1 S. 171; FORSTMOSER, a.a.O., S. 55 Rz. 77). Der Vorbehalt gegenteiliger Abrede schliesst es aus, die Überlassung der Verantwortlichkeitsansprüche an die Gläubiger als zwingend zu betrachten. Ein solcher zwingender Charakter lässt sich entgegen einem Teil der Lehre (ERWIN GERSBACH, Der Nachlassvertrag ausser Konkurs nach dem Schweizerischen Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen und seinen Ausführungserlassen, Diss. Zürich 1937, S. 125; SCHODER, Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, ZBJV 1952, S. 418; PETER LUDWIG, Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, Diss. Bern 1970, S. 70; HANS HURTER, Der Nachlassvertrag mit Gesellschaftsgründung, Diss. Bern 1988, S. 125) auch nicht aus Art. 260 SchKG ableiten. Dieser Bestimmung unterstehen nur jene Ansprüche, welche überhaupt zur Konkursmasse bzw. Liquidationsmasse gehören; über den ![]() | 17 |
Ob die Verantwortlichkeitsansprüche zur Liquidationsmasse gehören, ist damit eine Frage der Auslegung des Nachlassvertrags. Darüber enthält das angefochtene Urteil keine Ausführungen. Es fehlen auch die tatsächlichen Feststellungen, welche es dem Bundesgericht erlauben würden, diese Frage selbst zu beurteilen. Eine Vervollständigung des Sachverhalts durch das Bundesgericht anhand der Akten (Art. 64 Abs. 2 OG) ist ausgeschlossen, da es sich dabei nicht bloss um einen nebensächlichen Punkt handelt. Zudem gibt auch der Wortlaut des Nachlassvertrags keinen klaren Aufschluss, da die Verantwortlichkeitsansprüche dort ausdrücklich weder unter den den Gläubigern überlassenen Vermögenswerten noch unter den davon ausgenommenen Vermögenswerten aufgeführt sind. Die Streitsache ist deshalb zur Vervollständigung des Sachverhalts und zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 OG).
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d) Anzufügen bleibt im übrigen, dass die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung an die Vorinstanz zur Vervollständigung des Sachverhalts im vorstehend genannten Punkt selbst dann erforderlich wäre, wenn eine analoge Anwendbarkeit von Art. 758 aOR verneint würde. Wie ausgeführt regelt diese Bestimmung nur die Modalitäten für die Geltendmachung der Verantwortlichkeitsansprüche. Gehörten diese nach der Auslegung des Nachlassvertrags zu den Vermögenswerten, welche den Gläubigern zur Liquidation überlassen wurden, so würde damit bei verneinter analoger Anwendbarkeit von Art. 758 aOR den Gläubigern einfach das Verfügungsrecht eingeräumt über den unverändert fortbestehenden Anspruch aus dem Recht der Gesellschaft. Auch dieser Anspruch wäre dann von der Liquidatorin zu verwerten gewesen, sei es durch eigene Geltendmachung im Namen der Liquidationsmasse bzw. der Abwicklungsgesellschaft oder durch Abtretung an einzelne Gläubiger gemäss Art. 260 SchKG. Zentrale Frage bliebe damit auch bei dieser Rechtsauffassung, ob die Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber den Organen aufgrund des Nachlassvertrags zu den Vermögenswerten gehören, welche den Gläubigern zur Liquidation überlassen wurden.
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e) Die vom Obergericht ebenfalls aufgeworfene Frage der zivilrechtlichen Abtretung der Verantwortlichkeitsansprüche erweist sich demgegenüber als irrelevant. Falls diese Ansprüche zu den den Gläubigern übertragenen Vermögenswerten gehörten, so hatten die Liquidationsorgane diese im Falle ![]() | 20 |
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