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81. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1996 i.S. M. R. gegen A. SA und D. Establishment sowie Obergericht (Justizkommission) des Kantons Zug (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV; Anerkennung eines in Amerika gegen einen Schweizerbürger gefällten Urteils; Gerichtsstandsvertrag (Art. 80 und Art. 81 SchKG, Art. 26 lit. b und Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG). |
Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG verlangt eine gehörige Vorladung des Beklagten zur ersten Verhandlung vor das urteilende Gericht. Es ist unter dem Gesichtswinkel von Art. 4 BV vertretbar, ein ausländisches Urteil trotz fehlenden Nachweises der Zustellung der Vorladung zur ersten Verhandlung anzuerkennen, wenn der Beklagte anderweitig Kenntnis von dem gegen ihn angehobenen Verfahren erhalten hat und ausserdem an einer weiteren kontradiktorischen Verhandlung hätte erscheinen können, an der jedenfalls der beauftragte Anwalt seine Interessen wahrgenommen hat (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- M. R. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Er beantragt, den Entscheid der Justizkommission vom 22. Dezember 1995 und damit auch den Rechtsöffnungsentscheid vom 16. November 1994 aufzuheben und die definitive Rechtsöffnung in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes X. nicht zu gewähren.
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C.- Die A. SA und die D. Establishment stellen Antrag auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.
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a) Der Beschwerdeführer rügt dies als willkürlich und macht zunächst geltend, der besagte Vertrag könne gar keine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, weil allen Beteiligten beim Abschluss klar gewesen sei, dass die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht durch Gerichtsstandsvereinbarung habe begründet werden können. Dabei beruft er sich auf U.S.C.A. Const. Art. 3, § 2, cl. 1, wonach die Zuständigkeit eines Federal Court nicht Gegenstand einer Parteivereinbarung bilden kann.
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Das Obergericht hat angenommen, ausschliesslich nach schweizerischem Recht sei zu beurteilen, ob der erwähnte Prozessvertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalte. Das Urteil des prorogierten Gerichts sei anzuerkennen, wenn die Prorogation sich aus schweizerischer Sicht als zulässig erweise. Dies müsse vorliegend bejaht werden, zumal die Vereinbarung vom 19. Mai 1986 den Anforderungen von Art. 5 IPRG genüge.
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Diese Auffassung hält vor dem Willkürverbot des Art. 4 BV stand. Gemäss Art. 26 lit. b IPRG ist die Zuständigkeit ausländischer Behörden begründet, wenn die Parteien sich in vermögensrechtlichen Streitigkeiten durch eine "nach diesem Gesetz gültige Vereinbarung" der Zuständigkeit der entscheidenden Behörde unterworfen haben. Ob eine gültige und wirksame Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, beantwortet sich mithin aufgrund des ![]() | 9 |
b) Das Obergericht hat sodann festgehalten, aus Art. 5 IPRG lasse sich nichts über Art und Rechtsnatur einer Gerichtsstandsvereinbarung herleiten. Immerhin könne gesagt werden, dass solche Vereinbarungen auf einem sich aus zwei übereinstimmenden Willensäusserungen ergebenden Konsens beruhten und dass das Zustandekommen des Vertrages und die Frage des Konsenses sich grundsätzlich nach der lex fori (des Anerkennungsstaates), hier also nach schweizerischem Recht, richteten.
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Soweit der Beschwerdeführer den Verweis auf die lex fori als willkürlich beanstandet, kann seiner Beschwerde ebenfalls kein Erfolg beschieden sein. Als Massstab für die Beurteilung der Gültigkeit des Konsenses enthält Art. 5 IPRG nämlich nur Formvorschriften, wogegen die Frage der materiellen Willenseinigung und weiterer Voraussetzungen für das gültige Zustandekommen der Vereinbarung darin nicht geregelt werden. Zu diesem Problemkreis hat sich indessen die Lehre verschiedentlich geäussert. KAUFMANN-KOHLER (La clause d'élection de for dans les contrats internationaux, Basel 1980, S. 90) vertritt die Ansicht, die Vereinbarung unterliege diesbezüglich den Bestimmungen des Obligationenrechts. Nach REISER (a.a.O., S. 119 i.V.m. S. 66 ff., insbes. S. 70) ist das "von den einschlägigen Kollisionsnormen für anwendbar erklärte Recht" anzuwenden, wobei er in Anlehnung an Art. 178 Abs. 2 IPRG wahlweise die lex fori, die lex causae oder das für die Prorogation gewählte Recht (favor validatis) gelten lassen will (vgl. VOLKEN, a.a.O., N. 9 zu Art. 5 IPRG). STOJAN (a.a.O., S. 114) schliesslich hält die allgemeinen Regeln des schweizerischen Vertragsrechts für analog anwendbar.
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c) Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, der Sinngehalt des Prozessvertrages müsse aus der konkreten Prozessituation erschlossen werden. Vorliegend sei es unter diesem Gesichtswinkel darum gegangen, ob er für den Zeitpunkt der Klageeinleitung als New Yorker Bürger zu gelten habe. Die Vereinbarung sei also im Hinblick auf die Frage abgeschlossen worden, welchem Teilstaat der USA er angehöre, falls das angerufene Gericht seine US-Staatsangehörigkeit als gegeben annehme. Aus der Vereinbarung der Zugehörigkeit zu einem bestimmten amerikanischen Gliedstaat dürfe aber nicht gefolgert werden, es sei generell eine Wohnsitzzuständigkeit in New York begründet worden. Er habe nur vereinbart, für den Fall der gerichtlichen Feststellung seiner (nach wie vor bestrittenen) Staatsangehörigkeit zur USA darauf zu verzichten, eine andere Zugehörigkeit als jene zum Gliedstaat New York geltend zu machen. Es sei willkürlich, die Vereinbarung einer Tatsache, die nur eine von mehreren Zuständigkeitsvoraussetzungen bilde, als Prorogationsvertrag auszulegen, zumal die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach wie vor bestritten worden sei.
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Inhaltlichen Kerngehalt einer Prorogationsvereinbarung bildet der Austausch gegenseitiger übereinstimmender Willenserklärungen über den Gerichtsstand (HESS, in: Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, N. 66 zu Art. 5 IPRG). Davon ausgehend hat das Obergericht im vorliegenden Fall in Auslegung nach dem Vertrauensprinzip (BGE 109 Ia 55 E. 3a) wesentlich darauf abgestellt, welcher Sinn und Zweck der hier zur Diskussion stehenden Vereinbarung vernünftigerweise und nach guten Treuen beizumessen sei. Dabei hat es geprüft, ob die Beschwerdegegnerinnen in guten Treuen hätten annehmen dürfen, mit der Annahme der Vereinbarung vom 19. Mai 1986 sei einer darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel zugestimmt worden.
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aa) Das Ergebnis der Auslegung kann alles andere denn als willkürlich bezeichnet werden. Die Schlüsselpassage in der Vereinbarung vom 19. Mai 1986 lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:
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"Für den Fall der Feststellung durch das Gericht, M. R. sei zum Zeitpunkt der Klageeinleitung Bürger der Vereinigten Staaten gewesen, wird vereinbart, dass M. R. zum Zeitpunkt der Klageeinleitung wohnhaft in New York und Bürger des Staates New York gewesen sei..."
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Dieser Kernsatz der Vereinbarung ist vor dem Hintergrund der "Diversity Jurisdiction Rule" (28 USC § 1322) zu betrachten.
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Dass die einvernehmliche Regelung dieser Fragen mit der Zuständigkeitsproblematik eng zusammenhängt, erhellt aus den Erwägungen 2 und 3 der Vereinbarung, wo die gegensätzlichen Parteistandpunkte zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts festgehalten sind. Daraus geht aber auch hervor, dass die Frage nach der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Gliedstaat New York überhaupt erst im Blick auf die erwähnte Zuständigkeitsthematik Bedeutung erlangte.
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Nicht als unhaltbar erweist sich, dass das Obergericht daraus folgerte, in der genannten Vereinbarung habe der Beschwerdeführer bedingt die Zuständigkeit des New Yorker Gerichts anerkannt. Die letzte kantonale Instanz durfte insbesondere aus der Sicht des für die Auslegung der vorliegenden Vereinbarung massgebenden Vertrauensgrundsatzes den Prozessvertrag willkürfrei dahin interpretieren, dass schon bei gerichtlicher Feststellung der US-Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers angenommen werden dürfe, er sei bei ![]() | 20 |
bb) Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist nicht geeignet, die Auffassung des Obergerichts als mit Art. 4 BV unvereinbar erscheinen zu lassen.
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bb/aa) Er hält zum einen dafür, die Interpretation verstosse gegen den Wortlaut des Prozessvertrages. In Erwägung 2 sei nämlich festgehalten, dass er die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestreite, und in Erwägung 7 werde gesagt, dass die Vereinbarung nicht als Verzicht auf diesen Standpunkt ausgelegt werden dürfe. Dies schliesse aus, die Abmachung als Gerichtsstandsvereinbarung zu qualifizieren.
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Indessen ist nicht zu übersehen, dass die hier interessierende Vereinbarung zweistufig aufgebaut ist. In einem ersten Abschnitt, welcher die Erwägungen (Whereas clauses) umfasst, werden die Prozesspositionen der Parteien umrissen und die Gründe aufgeführt, welche zum Abkommen geführt haben. Der zweite Teil hingegen enthält die eigentliche Vereinbarung. Die Erwägungen 2 und 7, worauf sich der Beschwerdeführer beruft, stehen im ersten Abschnitt und damit gewissermassen im Vorfeld der Abmachung; es ist deswegen auch nicht unhaltbar anzunehmen, die in Erwägung 2 festgehaltene Bestreitung der Zuständigkeit des amerikanischen Gerichts durch den Beschwerdeführer betreffe dessen Standpunkt vor Abschluss der Prozessvereinbarung und erstrecke sich deshalb nicht auf diese selbst. Ebensowenig willkürlich erscheint die Annahme, der Vorbehalt von Erwägung 7 gelte (nur) für den Fall, dass die nachfolgende eigentliche Vereinbarung aus irgendwelchen Gründen nicht wirksam werde. Unter dieser Voraussetzung erschien es sachgerecht festzuhalten, dass es jeder Partei unbenommen bleiben solle, ihren ursprünglichen Standpunkt aufrecht zu erhalten. Würde indessen der Version des Beschwerdeführers gefolgt, dass Erwägung 7 einen generellen, für die gesamte Vereinbarung gültigen Vorbehalt enthalte, fiele es schwer, den Sinn der Vereinbarung einzusehen. Wäre die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach wie vor und in genereller Weise bestritten geblieben, hätte der Prozessvertrag sein Ziel von Anfang an verfehlen müssen. Insbesondere aus der Sicht der Beschwerdegegnerinnen hätte der Abschluss der Vereinbarung bei fortdauernder Bestreitung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts durch den Beschwerdeführer keinen Sinn gehabt, was unter dem Gesichtswinkel des Vertrauensgrundsatzes berücksichtigt ![]() | 23 |
bb/bb) Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, bei der Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen sei eine gewisse Zurückhaltung geboten und es dürften nicht irgendwelche Prozesserklärungen als "sinngemässe" Gerichtsstandsvereinbarungen konstruiert werden; dies werde namentlich durch Art. 59 BV untersagt.
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Wohl werden an die Bildung des Konsenses bei Gerichtsstandsklauseln, die in Formularverträgen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind, erhöhte Anforderungen gestellt, wenn geschäftsunerfahrene und rechtsunkundige Personen beteiligt sind (vgl. dazu BGE 104 Ia 278). Im vorliegenden Fall waren aber im amerikanischen Gerichtsverfahren beide Parteien durch Anwälte vertreten; zudem wurde der zur Diskussion stehende Prozessvertrag in einem laufenden Verfahren geschlossen. Mit Blick darauf kann nicht argumentiert werden, es sei bei den Parteien oder bei einer von ihnen unbemerkt eine Bindungswirkung eingetreten; vielmehr ist davon auszugehen, dass die rechtskundigen Parteivertreter die Bedeutung und Tragweite des von ihnen geschlossenen Prozessvertrages richtig erkannt haben. Dem Obergericht kann deshalb nicht angelastet werden, es habe gegen das Willkürverbot von Art. 4 BV verstossen, indem es die für die Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen entwickelten Kriterien nicht beachtet habe.
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b) Diese Auffassung erscheint nicht als unhaltbar. Das Erfordernis der gehörigen Ladung ist eine Schutzbestimmung zugunsten des inländischen Beklagten, der im Ausland eingeklagt und verurteilt wird, ohne dass er davon wusste und ohne dass er Gelegenheit hatte, sich dort zu verteidigen (BGE 115 Ib 197 E. 4a/cc S. 201). Die Vorschrift, dass die erste Ladung gehörig erfolgen müsse, bezweckt, dem Beklagten Kenntnis von der Einleitung des gegen ihn im Ausland angestrengten Prozesses zu verschaffen, um ihm dadurch die Verteidigung vor dem Prozessgericht zu ermöglichen (BGE 105 Ib 45 E. 2a S. 46 f.). Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG will denn auch einer ausländischen Entscheidung, die in einem gegenüber dem Beklagten unkorrekt durchgeführten Verfahren ergangen ist, die Anerkennung versagen (vgl. BGE 102 Ia 308 E. 4a; VOLKEN, a.a.O., N. 30 zu Art. 27 IPRG).
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Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer aufgrund der Opinion des New Yorker Gerichts vom 19. Januar 1987 formell Kenntnis von dem gegen ihn angehobenen Verfahren erhalten, und gleichzeitig wurde ihm Gelegenheit zur Wahrnehmung seiner Verteidigung vor jenem Gericht gewährt. In der genannten Opinion wurde nämlich u.a. ausgeführt:
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"Now that jurisdictional question has been decided, if R. wishes to move to vacate the default judgment and to participate in a trial of the action with the other defendant, the court will entertain such a motion".
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Würde unter solchen Umständen dem Urteil des New Yorker Gerichts die Anerkennung in der Schweiz mit dem Argument versagt, der strikte Nachweis für die ordnungsgemässe Zustellung der ersten Vorladung sei nicht erbracht, so liefe dies auf einen überspitzten Formalismus hinaus, der zu einem prozessualen Leerlauf führen müsste. Damit erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde auch insoweit als unbegründet.
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