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17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. November 1996 i.S. D. gegen A. (Berufung) | |
Regeste |
Sittenwidriger Vertrag (Art. 20 Abs. 1 OR); Rückforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 62 ff. OR). |
Verneinung eines bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Am 3. April 1995 erhob A. beim Amtsgericht Luzern-Stadt Klage gegen D. mit dem Begehren, den Beklagten zur Zahlung von Fr. 30'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Juni 1994 zu verpflichten. Mit Urteil vom 18. Oktober 1995 hiess das Amtsgericht die Klage gut. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe die Fr. 30'000.-- aufgrund einer sittenwidrigen und damit nichtigen Vereinbarung bezahlt und könne den entsprechenden Betrag aus ungerechtfertigter Bereicherung zurückfordern, weil er die Zahlung nicht freiwillig, sondern in einer Zwangslage erbracht habe.
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Der Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Luzern, das ihn mit Urteil vom 30. April 1996 mit im wesentlichen gleicher Begründung wie die erste Instanz zur Zahlung von Fr. 30'000.-- nebst 5% Zins seit 9. Januar 1995 verpflichtete. Der Beklagte hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Nach Auffassung der Vorinstanz ist der hier zu beurteilende Fall von jenem abzugrenzen, über den das Bundesgericht in BGE 115 II 232 ff. entschieden hat. Dort wurde die Verabredung einer Vergütung für den Rückzug von nicht aussichtslosen Baurekursen nicht als sittenwidrig beurteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die von den Parteien verabredeten Leistungen - Zustimmung zu einem bekämpften Bauprojekt, Verzicht auf Opposition gegen ein ![]() | 6 |
Dieser Entscheid ist von ZUFFEREY-WERRO kritisiert worden (Non-opposition à une autorisation de construire; le contrat est valable, Baurecht 1990, S. 67 ff.; vgl. auch MERZ, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1989, ZBJV 127/1991, S. 237 ff., und SALZMANN, Schweigegeld bei Baueinsprachen geschützt, Der Schweizerische Treuhänder, 1990, S. 401 f.). Der Kritik liegt die Auffassung zugrunde, der entgeltliche Verzicht auf einen Rechtsbehelf in einem baurechtlichen Verfahren sei nur dann nicht sittenwidrig, wenn damit in keiner Weise gegen den Grundsatz des loyalen Geschäftsgebarens ("la loyauté en affaires") verstossen werde. Kein Verstoss liege vor, wenn das vereinbarte Entgelt dazu diene, eine mit dem Bauvorhaben verbundene Beeinträchtigung des Wertes des Nachbargrundstückes auszugleichen, nicht aber dann, wenn die Lage des Bauwilligen vom Nachbarn für andere Zwecke ausgenützt werde. Nicht brauchbar sowie widersprüchlich sei dagegen die Differenzierung nach den Prozesschancen des Rechtsbehelfs (ZUFFEREY-WERRO, Baurecht, S. 68 f.). Diese Betrachtungsweise bildet im wesentlichen auch die Grundlage des angefochtenen Urteils.
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Zur Kritik an BGE 115 II 232 ff. ist im folgenden nur insoweit Stellung zu nehmen, als sie für den Entscheid über den vorliegenden Fall von Bedeutung ist. Dieser unterscheidet sich vom damals beurteilten darin, dass der Beklagte mit der Verwaltungsbeschwerde keine materiellen Einwände erhob, die zu einer Einschränkung des Bauvorhabens mit geldwertem Vorteil zu seinen Gunsten führen konnten. Chancen und Vorteile geldwerter Natur sind nicht ersichtlich, welche der Beklagte als Eigentümer des Nachbargrundstücks ![]() | 8 |
c) Der entgeltliche Verzicht auf eine rechtliche Befugnis wird als sittenwidrig betrachtet, falls er auf einer verpönten Kommerzialisierung der Rechtsposition der verzichtenden Partei beruht (KRAMER, a.a.O., N. 193 zu Art. 19-20 OR). Zu dieser Fallgruppe sittenwidriger Geschäfte gehören die "Schweigegeldverträge" hinsichtlich strafbarer Handlungen, auf die BGE 115 II 232 ff. (E. 4b) Bezug nimmt. Solche Verträge gelten dann als sittenwidrig, wenn mit dem vereinbarten Entgelt das Schweigen erkauft wird, nicht aber dann, wenn es zum Ersatz des durch die Straftat angerichteten Schadens dienen soll (BGE 76 II 346 E. 4 und 5; KRAMER, a.a.O., N. 194 zu Art. 19-20 OR; ZUFFEREY-WERRO, Le contrat contraire aux bonnes moeurs, Diss. Freiburg 1988, S. 279 Rz. 1261 ff.; HUGUENIN JACOBS, a.a.O., N. 39 zu Art. 19/20 OR). Beim entgeltlichen Verzicht auf ein Rechtsmittel im Bauverfahren rechtfertigt sich angesichts der vergleichbaren Interessenlage der beteiligten Parteien eine ähnlich differenzierende Beurteilung nach dem Zweck und den Gründen des Verzichts.
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Es ist allgemein bekannt, dass die Verzögerung von Bauvorhaben durch administrative oder gerichtliche Verfahren zu beträchtlichem, volkswirtschaftlich unerwünschtem Schaden führen kann (vgl. dazu CASANOVA, La réparation du préjudice causé par l'opposition injustifiée à un projet de construction, Baurecht 1986, S. 75 ff., S. 77). Dies ist bei der sozialethischen Bewertung eines entgeltlichen Verzichts auf die Opposition gegen ein Bauvorhaben massgebend zu berücksichtigen. Wird der Umstand, dass ein solcher Verzögerungsschaden einzutreten oder sich zu vergrössern droht, vom Prozessgegner zur Erlangung verfahrensfremder Zwecke ausgenutzt, muss dies als sittenwidrig betrachtet werden. Entgegen der an BGE 115 II 232 ff. geübten Kritik (oben E. 2b) ist somit nicht jeder entgeltliche Verzicht sittenwidrig, soweit nicht feststeht, dass das vereinbarte Entgelt dazu dient, eine mit dem Bauvorhaben verbundene Beeinträchtigung des Nachbargrundstückes auszugleichen. Eine verpönte Kommerzialisierung ist vielmehr erst dann gegeben, wenn mit der entgeltlichen Verzichtsvereinbarung allein der drohende Verzögerungsschaden des Bauherrn vermindert werden soll. Soweit sich der wirtschaftliche Wert des Verzichts bloss aus dem möglichen Schaden wegen der Verlängerung des Bewilligungsverfahrens, nicht aber aus schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ![]() | 10 |
d) Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hätte der Beklagte mit der Verwaltungsbeschwerde erreichen können, dass das Umbau- und Renovationsprojekt des Klägers neu hätte veröffentlicht und aufgelegt werden müssen. Nicht festgestellt ist dagegen, dass im Beschwerdeverfahren konkrete Einwände materieller Natur gegen das Umbauvorhaben vorgebracht wurden oder hätten vorgebracht werden können, deren Gutheissung negative Auswirkungen auf das Nachbargrundstück verhindert hätte. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, ist es dem Beklagten auch gar nicht darum gegangen, für irgendwelche nachbarrechtlichen Inkonvenienzen entschädigt zu werden. Ist aber erstellt, dass der Beklagte mit der Verwaltungsbeschwerde keine Verhinderung oder Änderung des Bauvorhabens, sondern höchstens eine Verzögerung hätte erreichen können, hat der Beklagte mit dem Verzicht darauf keine vermögenswerten Chancen und Vorteile aufgegeben. Der Kläger hat dem Beklagten vielmehr eine rein formelle Rechtsposition abgekauft, um seinen Verzögerungsschaden zu vermindern. Dem Schaden, den der Kläger durch die Verzögerung seines Bauvorhabens erlitten hätte, stehen keine schutzwürdigen Interessen des Beklagten gegenüber, welche dieser durch den Rückzug der Beschwerde aufgegeben hätte. Die Vorinstanz hat die Vereinbarung vom 30. Mai 1994 somit zutreffend als sittenwidrig und deshalb nichtig betrachtet.
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3. Die Vorinstanz hat einen Anspruch des Klägers aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anwendung von Art. 63 Abs. 1 OR bejaht. Der Beklagte sieht darin eine Verletzung von Art. 2 ZGB, weil der Rückforderungsanspruch vom Kläger rechtsmissbräuchlich erhoben werde. Er macht zudem geltend, der Kläger habe seine ![]() | 12 |
a) Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten. Diese Verbindlichkeit tritt insbesondere dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat (Art. 62 OR). Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat (Art. 63 Abs. 1 OR). Die beiden Gesetzesbestimmungen führen bestimmte Arten von ungerechtfertigten Bereicherungen beispielhaft auf, enthalten aber keine abschliessende Aufzählung (BUCHER, a.a.O., S. 666; KELLER/SCHAUFELBERGER, Das Schweizerische Schuldrecht, Band III, Ungerechtfertigte Bereicherung, 3. Auflage, S. 53). Zu beachten ist sodann, dass zwischen Leistungskondiktionen und den übrigen Kondiktionen (Nichtleistungskondiktionen) zu unterscheiden ist (BUCHER, a.a.O., S. 667; vgl. auch LARENZ/CANARIS, Lehrbuch des Schuldrechts, Band II/2, 13. Auflage, S. 142 ff.). Die Leistungskondiktionen sind als Sondertatbestände zu betrachten, auf welche die allgemeine Regel von Art. 62 Abs. 1 OR nicht anwendbar ist. In diesen Fällen kommt vielmehr Art. 63 Abs. 1 OR zur Anwendung, der eine Rückforderung nur dann zulässt, wenn nachgewiesen ist, dass die Leistung im Irrtum über die Schuldpflicht sowie freiwillig erfolgte. Bei Leistungskondiktionen bilden diese Voraussetzungen in der Regel die Grundlage des Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung (BUCHER, a.a.O., S. 669). Ein Irrtumsnachweis entfällt dagegen bei allen unfreiwilligen Leistungen (von TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band I, S. 485; KELLER/SCHAUFELBERGER, a.a.O., S. 56; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz. 1537). Gleiches gilt für den besonderen, im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnten Kondiktionstyp der Rückforderung von Leistungen, die in sittenwidriger oder allgemein verwerflicher Weise erworben wurden (condictio ob turpem vel iniustam causam; dazu BUCHER, a.a.O., S. 673 ff.; BRUNO VON BÜREN, Bemerkungen zu Art. 66 OR, SJZ 58/1962, S. 225 ff., S. 227 f.). In diesen Fällen, zu denen auch der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt gehört, ist lediglich zu prüfen, ob die Leistung unfreiwillig erfolgt ist.
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c) Aus den Feststellungen der Vorinstanz geht hervor, dass die Parteien bereits während der Hängigkeit der Baueinsprache über einen Rückzug des Rechtsbehelfs gegen Zahlung einer Geldsumme (ca. Fr. 20'000.-- bis Fr. 30'000.--) verhandelt haben. Der Kläger habe sich dann aber entschlossen, die Verhandlungen abzubrechen und den Entscheid der Baubewilligungsbehörde abzuwarten. Nachdem dieser am 20. April 1994 ergangene Entscheid vom Beklagten mit Verwaltungsbeschwerde angefochten worden war, habe sich der Kläger mit Schreiben vom 16. Mai 1994 an den Beklagten gewandt mit dem Vorschlag, die Vergleichsgespräche auf der Grundlage von Fr. 20'000.-- bis Fr. 30'000.-- wieder aufzunehmen. In der Folge habe sich der Beklagte nach wie vor vergleichsbereit gezeigt. Er habe nun auf einer Vergleichssumme von Fr. 30'000.-- beharrt, weil ihm unterdessen weitere erhebliche Kosten, insbesondere Anwaltskosten entstanden seien. Am 25. Mai 1994 habe der Beklagte dem Kläger den von ihm bereits unterzeichneten Vergleich zugesandt, der dann nach einvernehmlicher Streichung einer einzelnen Vertragsklausel am 30. Mai 1994 auch vom Kläger unterschrieben worden sei.
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