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33. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. März 1997 i.S. Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH gegen Titoni AG (Berufung) | |
Regeste |
Ausschlussautonomie des Vereins im Verhältnis zum Persönlichkeitsrecht des einzelnen Mitglieds auf wirtschaftliche Entfaltung (Art. 72 Abs. 2 ZGB und Art. 28 ZGB). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Urteil vom 17. April 1996 hiess der Appellationshof die Anfechtungsklage gut und hob den angefochtenen Beschluss auf. Das Begehren um Schadenersatz wies er jedoch ab.
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C.- Dagegen hat der Beklagte beim Bundesgericht unter anderem Berufung eingereicht mit dem Antrag, das Urteil des Appellationshofs aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt ihrerseits, die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen Entscheid aus folgenden
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Erwägungen: | |
2. a) Die Vorinstanz hat die Ausschliessung der Klägerin aus dem Beklagten aufgehoben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, bei einer Berufs- oder Standesorganisation verletze die Ausschliessung eines Mitgliedes dessen Persönlichkeitsrecht auf wirtschaftliche Entfaltung und berufliches Ansehen in gravierender Weise; ein Ausschluss könne daher nur dann als zulässig gelten, wenn im Einzelfall das Interesse des Vereins an der Ausschliessung höher zu werten sei als dasjenige des Mitgliedes an der Beibehaltung ![]() ![]() | 5 |
Überdies verletze der gegenüber der Klägerin verfügte Ausschluss das Gebot der Gleichbehandlung der Vereinsmitglieder, da der Beklagte um die Nachahmung von Rolex-Uhren durch andere Mitglieder gewusst habe, den entsprechenden Vorwürfen aber nicht nachgegangen sei.
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b) Der Beklagte erblickt einen Verstoss gegen Art. 72 ZGB, weil die Vorinstanz trotz Art. 72 Abs. 2 ZGB den Ausschliessungsentscheid nicht allein unter dem Gesichtswinkel des Rechtsmissbrauchs geprüft habe, der im konkreten Fall zu verneinen sei; abgesehen davon, dass er keinen Verein mit wirtschaftlicher Zwecksetzung darstelle, sei auch die Auffassung der Vorinstanz unzutreffend, bei atypischen Vereinen, insbesondere solchen mit wirtschaftlicher Zwecksetzung, könnten die Mitglieder nur aus wichtigen Gründen ausgeschlossen werden. Solche würden im übrigen zu Unrecht verneint, und es treffe auch nicht zu, dass er mit seinem Vorgehen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstossen habe.
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c) aa) Gemäss Art. 72 Abs. 1 ZGB können die Vereinsstatuten Gründe bestimmen, aus denen ein Mitglied ausgeschlossen werden darf, oder aber die Ausschliessung ohne Angabe von Gründen gestatten. Gemäss Art. 72 Abs. 2 ZGB ist in diesen Fällen eine Anfechtung der Ausschliessung wegen ihres Grundes nicht statthaft, wobei dies allerdings nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts lediglich unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchsverbots i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ZGB gilt (BGE 51 II 237 E. 2 S. 242; BGE 85 II 525 E. 8 S. 541; BGE 90 II 346 E. 1 S. 347); ausserdem schliesst Art. 72 Abs. 2 ZGB eine Anfechtung der Ausschliessung wegen vereinsinterner Verfahrensmängel nicht aus (BGE 51 II 237 E. 2 S. 242; vgl. auch BGE 114 II 193 ff.). Soweit im Zusammenhang mit Art. 72 ZGB eine Anfechtungsklage erhoben wird, richtet sich diese grundsätzlich - insbesondere auch hinsichtlich der Frist - nach Art. 75 ZGB.
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Vorliegend ist unbestritten, dass diese Ausschliessung unter den ersten Teil von Art. 72 Abs. 1 ZGB fällt und daher aufgrund von Art. 72 Abs. 2 ZGB nicht anfechtbar ist; einig sind sich die Parteien und die Vorinstanz ferner darin, dass kein Fall von Rechtsmissbrauch vorliegt, Verfahrensmängel nicht zur Diskussion stehen und die formellen Anfechtungsvoraussetzungen gemäss Art. 75 ZGB erfüllt sind.
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bb) In der neueren Lehre wird indessen überwiegend die Ansicht vertreten, bei Berufs- und Standesorganisationen bzw. Wirtschaftsverbänden würden der Ausschliessungsbefugnis des Vereins auch durch den Schutz der Persönlichkeit des Mitgliedes (Art. 28 ZGB) Grenzen gesetzt: Angesichts der wirtschaftlichen bzw. beruflichen Bedeutung einer derartigen Vereinsmitgliedschaft für das einzelne Mitglied, insbesondere auch im Hinblick auf seinen geschäftlichen Ruf, könne die Ausschlussautonomie des Vereins nicht so (weitgehend) schrankenlos sein wie bei einem "gewöhnlichen" Verein; vielmehr sei in solchen Fällen eine Abwägung zwischen den Interessen an der Ausschliessung des Mitgliedes und dessen Interessen an der Mitgliedschaft vorzunehmen; ein Ausschluss könne nur bei überwiegenden Interessen des Vereins - und damit im Ergebnis nur aus wichtigen Gründen - erfolgen (vgl. RIEMER, BERNER KOMMENTAR, N. 44 ff. zu Art. 72 ZGB; HEINI, Das Schweizerische Vereinsrecht, Basel 1988, S. 65; derselbe, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, Basel 1996, N. 11/12 zu Art. 72 ZGB; ANDREAS KELLER, Die Ausschliessung aus dem Verein, Diss. Freiburg i.Ue. 1979, S. 120/121; THOMAS BÜTLER, Der Persönlichkeitsschutz des Vereinsmitglieds, Diss. Basel 1986, S. 72 ff.; HANS BODMER, Vereinsstrafe und Verbandsgerichtsbarkeit, Diss. St. Gallen 1989, S. 191 ff.; in Erwägung gezogen auch von MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des Schweizerischen Gesellschaftsrechts, 7. Aufl., Bern 1993, § 16 N. 43, und VON TUOR/ SCHNYDER/SCHMID, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Aufl., Zürich 1995, S. 142 Anm. 31). Die gegenteilige Meinung wird von Beat Badertscher (Der Ausschluss aus dem Verein nach Schweizerischem Zivilgesetzbuch, Diss. Zürich 1980, S. 216/217, 218/ ![]() | 11 |
Das Bundesgericht hat sich zu dieser Frage nicht abschliessend geäussert. In einem nicht publizierten Entscheid vom 22. November 1996 i.S. C./GST hat es die Anwendbarkeit von Art. 28 ZGB gegenüber Art. 72 ZGB eher bejaht (E. 4b), in einem weiteren, ebenfalls nicht publizierten Urteil vom 28. Februar 1997 i.S. B./SVMD hingegen eher verneint (E. 3), wobei es allerdings in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Prüfung nach Art. 28 ZGB als nicht gegeben erachtet hat.
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cc) Der herrschenden Lehrmeinung, welche auch dem vorinstanzlichen Urteil zugrunde liegt und in der Sache überzeugt, ist zu folgen. Tritt ein Verein in der Öffentlichkeit wie auch gegenüber Behörden, potentiellen Kunden seiner Mitglieder usw. als massgebende Organisation des betreffenden Berufsstandes oder Wirtschaftszweigs auf, so kann er für sich nicht dieselbe umfassende Ausschlussautonomie gemäss Art. 72 Abs. 2 ZGB beanspruchen, wie sie etwa einem Geselligkeitsverein oder dergleichen zugestanden wird; vielmehr verlangt hier das Persönlichkeitsrecht der Mitglieder auf wirtschaftliche Entfaltung (Art. 28 ZGB) nach einer Beschränkung des Rechts auf Ausschliessung; andernfalls lägen der geschäftliche bzw. berufliche Ruf der betreffenden Mitglieder (und ihrer Unternehmen) und weitere für sie wichtige wirtschaftliche Rahmenbedingungen, wie Marktzutritt mittels Ausstellungen, Marktinformationen usw., zu einem beträchtlichen Teil in der Macht des Vereins.
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Beim Beklagten handelt es sich offensichtlich um einen Verein im vorgenannten Sinn; dabei erweist sich allerdings die Umschreibung mit "wirtschaftlicher Zweck" als ungenau, da es sich in Wirklichkeit um einen wirtschaftspolitischen Zweck handelt. Das ergibt sich ohne weiteres aus Art. 2 der Statuten, wonach der Verband die repräsentative Organisation der gesamten schweizerischen Uhrenindustrie darstellt, und wird vom Beklagten auch eingeräumt. Die Vorinstanz hat mithin zu Recht die Ausschliessung nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs überprüft, sondern ![]() | 14 |
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