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44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Juni 1997 i.S. B. gegen X. Versicherung (Berufung) | |
Regeste |
Art. 61 Abs. 1 SVG; Schadenersatz zwischen Motorfahrzeughaltern. |
Die falsche Einstellung von Bremsen durch einen Garagisten ist dem Halter nicht als Verschulden anzulasten. Die fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeuges ist als besonderer Umstand im Sinne von Art. 61 Abs. 1 SVG zu gewichten (E. 1a/bb). |
Kognition des Bundesgerichts bei der Gewichtung der Umstände (E. 1a/cc). | |
Sachverhalt | |
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Am 29. Juni 1992 klagten R.B., die Ehefrau des W.B., und dessen Söhne, N.B. und M.B., beim Kantonsgericht Obwalden gegen die X. Versicherung als Haftpflichtversicherung des Halters des Lastwagens und verlangten gestützt auf Art. 65 SVG Schadenersatz und Genugtuung in der Höhe von insgesamt Fr. 2'108'080.55 zuzüglich Zins zu 8% seit 10. Dezember 1990.
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Das Kantonsgericht (als Zivilgericht) hiess die Klage am 24. Oktober 1994 im Umfang von Fr. 188'299.80 nebst 5% Zins seit 10. Dezember 1990 gut.
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Auf Appellation der Kläger und Anschlussappellation der Beklagten hin reduzierte das Obergericht des Kantons Obwalden mit Urteil vom 26. Oktober 1995 den von der Beklagten zu bezahlenden Betrag auf Fr. 178'663.70 zuzüglich Zins zu 5% seit 10. Dezember 1990.
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Die Kläger haben dieses Urteil mit Berufung angefochten, welche das Bundesgericht abwies.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Obergericht nahm an, die Beklagte habe eine Haftungsquote von 90% zu übernehmen. Dem Lenker des Lastwagens könne am Unfall kein Verschulden angelastet werden, da er im Strafverfahren vom Verschuldensvorwurf freigesprochen worden sei und kein Grund bestehe, von dieser strafrechtlichen Beurteilung abzuweichen. Ein eventuelles Verschulden der Garagenmitarbeiter, welche die Bremsen falsch eingestellt hätten, könne dem Halter nicht angerechnet werden, weil diese Mechaniker keine Hilfspersonen des Halters seien. Dem korrekt fahrenden W.B. könne ebenfalls kein Verschulden vorgeworfen werden. Es seien somit die Fahrzeuge zweier schuldloser Halter zusammengestossen, weshalb sich die Haftung der Beklagten nach Massgabe der Betriebsgefahren der beiden beteiligten Unfallfahrzeuge bemesse. Dabei sei zu berücksichtigen, dass beide Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h gefahren seien und das Gewicht des leeren Lastwagens ![]() | 8 |
Die Kläger gehen demgegenüber davon aus, die Beklagte habe für den ganzen Schaden einzustehen. Das Obergericht habe missachtet, dass die fehlerhafte Einstellung der Bremsanlage des Lastwagens durch Garagisten dem Halter als Verschulden anzulasten sei. Die Beklagte hafte aber auch ohne Mitberücksichtigung dieses Verschuldens voll für den Schaden, weil sie aufgrund des falsch eingestellten Bremskraftreglers und des erheblichen Gewichts des Lastwagens die grössere Betriebsgefahr zu vertreten habe.
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a) aa) Gemäss Art. 58 Abs. 1 SVG haftet der Halter für den durch den Betrieb eines Motorfahrzeugs verursachten Schaden. Wird ein Schaden durch mehrere Motorfahrzeuge hervorgerufen, so stellt sich die Fragen nach der Haftungskollision. Diese wird bezüglich der Schäden der Halter in Art. 61 SVG geregelt. Bei der körperlichen Schädigung eines Halters sieht Art. 61 Abs. 1 SVG vor, dass der Schaden den Haltern aller beteiligter Fahrzeuge nach Massgabe des von ihnen zu vertretenden Verschuldens auferlegt wird, wenn nicht besondere Umstände, namentlich die Betriebsgefahren, eine andere Verteilung rechtfertigen. Diese Regelung gilt auch für den durch die Körperschädigung bzw. Tötung eines Halters hervorgerufenen Versorgerschaden (Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 4. Aufl. 1989, S. 280 Fn. 1065; ANDRÉ BUSSY, Durch einen Motorfahrzeughalter verursachter Personenschaden eines anderen Halters, SJK 916 Ersatzkarte, S. 2 Rz. 2; vgl. auch BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, commentaire, 3. Aufl. 1996, N 1.1.1 zu Art. 61 SVG).
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bb) Art. 61 Abs. 1 SVG ist bei einer Änderung des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 20. März 1975 neu formuliert worden, wobei in Anlehnung an eine Vereinbarung unter den Haftpflichtversicherungen und die Entwicklung der bundesgerichtlichen ![]() ![]() | 11 |
Liegt kein Verschulden vor, so ist bei der Aufteilung der Haftung gemäss Art. 61 Abs. 1 SVG namentlich auf die Betriebsgefahren der am Unfall beteiligten Fahrzeuge abzustellen (BGE 105 II 209 E. 4b S. 213; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., S. 180 Rz. 1342; GIGER/SIMMEN, a.a.O., N. 2b zu Art. 60 SVG; OFTINGER/STARK, a.a.O., Bd. II/2, S. 286 Rz. 661; KELLER, a.a.O., Bd. II, S. 169; GEISSELER, a.a.O., S. 94). Es gilt dann das Prinzip der Selbsttragung des Schadens, soweit dieser durch die Betriebsgefahr des eigenen Fahrzeugs verursacht wurde (THEODOR GSCHWEND, Die Haftpflicht zwischen Motorfahrzeughaltern im schweizerischen und im deutschen Recht, Diss. Zürich 1977, S. 101 f.; vgl. auch OFTINGER/STARK, a.a.O., Bd. II/2, S. 283 Rz. 650). Neben den Betriebsgefahren sind aber auch andere an der Entstehung des Schadens beteiligte Umstände, wie der Verlust der Urteilsfähigkeit eines Fahrzeuglenkers oder die vom Halter nicht verschuldete fehlerhafte Beschaffenheit seines Fahrzeuges, zu berücksichtigen (GEISSELER, a.a.O., S. 98). Diese Umstände sind neben den Betriebsgefahren zu gewichten. Sie können jedoch höchstens in Ausnahmefällen zu einer ausschliesslichen Haftung des dafür verantwortlichen Halters führen (GEISSELER, a.a.O., S. 98; vgl. auch BGE 105 II 209 E. 3 und 4; a.M. KELLER, a.a.O., Bd. I, S. 296; derselbe, a.a.O., Bd. II, S. 169 f. und ihm folgend Bauer, a.a.O., S. 82, welche annehmen, es solle voll haften, wer auf die linke Strassenseite gerät, weil ihm das Bewusstsein oder die Lenkung versagt).
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cc) Die Beurteilung der Umstände im Sinne von Art. 61 Abs. 1 SVG beruht weitgehend auf richterlichem Ermessen (GEISSELER, a.a.O., S. 97; OFTINGER/STARK, a.a.O., Bd. II/2, S. 284 Rz. 655; GSCHWEND, a.a.O., S. 102). Solche Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an sich frei. Es übt dabei aber Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen.
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b) Im vorliegenden Fall ist die Vorinstanz richtigerweise davon ausgegangen, den Haltern der Unfallfahrzeuge sei kein Verschulden anzulasten, weil den Fahrzeugführern kein solches vorzuwerfen ist und entgegen der Auffassung der Kläger der Halter des Lastwagens ein Verschulden des Garagisten nicht zu vertreten hat, da dieser keine betriebsbezogene Hilfsperson ist. Die Vorinstanz hat deshalb in Übereinstimmung mit den genannten Grundsätzen auf die weitere Umstände abgestellt, wobei sie die höhere Betriebsgefahr des Lastwagens und dessen fehlerhafte Beschaffenheit in einem Haftungsanteil von 90% gewichtete. Damit hat die Vorinstanz das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten. Eine Bundesrechtsverletzung ist somit zu verneinen.
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