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75. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. November 1997 i.S. Zeller Plastik GmbH gegen Createchnic AG und Alfatechnic AG (Berufung) | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 2 PatG und Art. 67 Ziff. 3 Abs. 2 OG; Patentrecht; erfinderische Tätigkeit; Überprüfung technischer Feststellungen der Vorinstanz durch das Bundesgericht mittels Expertise. |
Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit: Begriffe des Nichtnaheliegens und des Durchschnittsfachmanns (E. 2). | |
Sachverhalt | |
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Die Klägerin hat gegen das Urteil des Handelsgerichts eidgenössische Berufung eingelegt. In der Hauptsache beantragt sie dessen Aufhebung, die Abweisung der Nichtigkeitseinrede der Beklagten und die Rückweisung der Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz.
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Der Instruktionsrichter gab dem Verfahrensantrag der Klägerin statt, den technischen Sachverhalt in einem Beweisverfahren zu überprüfen. Der von ihm beauftragte Sachverständige erstattete sein schriftliches Gutachten am 24. März 1996. Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben, zusätzliche Beweisanträge zu stellen, worauf diese beantragten, dem Experten Erläuterungs- und Ergänzungsfragen zu unterbreiten. Mit Verfügung vom 29. Juli 1996 ordnete der Instruktionsrichter darüber eine mündliche Verhandlung an, wobei er darauf hinwies, dass von den Parteien behauptete neue Tatsachen und neue Beweismittel nur in Betracht fielen, sofern und soweit sie mit neuen Feststellungen des Experten zum technischen Sachverhalt in Zusammenhang ständen.
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Am 12. Dezember 1996 führte der Instruktionsrichter unter Beizug eines weiteren Mitgliedes des Bundesgerichts eine Beweisverhandlung durch, in welcher der Gerichtsgutachter befragt wurde. Einen Antrag der Klägerin auf Einholung einer Expertise zum Begriff des Durchschnittsfachmanns wies der Instruktionsrichter ab.
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An der Hauptverhandlung vom heutigen Tag hielt die Klägerin in ihrem ersten mündlichen Vortrag an den mit der Berufungsschrift gestellten materiellen Anträgen fest. In prozessualer Hinsicht beantragte sie, der Gerichtsexperte sei einzuladen, die von ihr mit Eingabe vom 10. Juli 1996 fristgerecht gestellten Ergänzungs- und Erläuterungsfragen schriftlich zu beantworten; überdies sei Ausbildungsstand, ![]() | 5 |
Das Bundesgericht weist die Beweisanträge und die Berufung der Klägerin ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung von Art. 67 Ziff. 3 Abs. 2 OG zu beachten, wonach die Parteien innerhalb der Frist zur Stellungnahme zu einem vom Bundesgericht eingeholten Gutachten Anträge auf Berücksichtigung neuer Tatsachen oder Beweismittel stellen können. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist diese ![]() | 8 |
2. a) Der Begriff des Erfinderischen beginnt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erst jenseits der Zone, die zwischen dem vorbekannten Stand der Technik und dem liegt, was der durchschnittlich gut ausgebildete Fachmann des einschlägigen Gebiets gestützt darauf mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten weiterentwickeln und finden kann. Entscheidend ist daher, ob ein solcher Fachmann nach all dem, was an Teillösungen und Einzelbeiträgen den Stand der Technik ausmacht, schon mit geringer geistiger Anstrengung auf die Lösung des Streitpatents kommen kann, oder ob es dazu eines zusätzlichen schöpferischen Aufwands bedarf. Diese der Patenterteilung vorausgesetzte erfinderische Tätigkeit, welche das Gesetz mit dem Begriff des Nichtnaheliegens umschreibt ![]() | 9 |
In der Literatur wird - wie in der Berufungsschrift und im mündlichen Vortrag der Klägerin an der Hauptverhandlung - die Auffassung vertreten, die Fortschreibung der Rechtsprechung zum altrechtlichen Begriff der Erfindungshöhe unter demjenigen des Nichtnaheliegens verstosse gegen das Harmonisierungsanliegen, welches eine Milderung der Anforderungen an dieses Patenterfordernis verlange (WERNER STIEGER, Zur erfinderischen Tätigkeit und zum Durchschnittsfachmann - Anmerkungen zu BGE 120 II 71 ff. ("Wegwerfwindeln"), SMI 1995, S. 63 ff., S. 64 ff.; CHRISTOPH GASSER, Momentaufnahme des Patentrechts, recht 1997, S. 24 ff., S. 28 in Fn. 48, je mit Hinweisen). Richtig ist zwar, dass das Bundesgericht im Jahre 1982 in einem obiter dictum festgehalten hat, mit dem Beitritt zum Europäischen Patentharmonisierungsabkommen und mit der Anpassung des Patentgesetzes sei eine Milderung der bisherigen Anforderungen an die Erfindungshöhe beabsichtigt worden (BGE 108 II 325 f. mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien), doch sind der Begriff und seine wertende Konkretisierung nicht zu vermengen. Erfindungshöhe und Nichtnaheliegen fordern qualitativ dasselbe, nämlich einen bestimmten Abstand zwischen der zum Schutz beanspruchten Erfindung und dem Stand der Technik. Die Begriffe sind insoweit synonym, wurden bereits altrechtlich sinnverwandt verstanden (vgl. z.B. BGE 89 II 108 E. 5) und werden es auch andernorts unter der Herrschaft harmonisierten nationalen Rechts (BENKARD/BRUCHHAUSEN, Patentgesetz, 9. Aufl., N. 1 zu § 4 DPatG mit Hinweisen; vgl. auch JOHANNES DAVID MEISSER, Die Erfindungshöhe, Diss. Zürich 1975, S. 44). Einer Harmonisierung bedarf nicht mehr der Begriff, sondern höchstens seine wertende Anwendung im konkreten Fall, die Bestimmung des erforderlichen Abstands. Nicht der Grundsatz, sondern allenfalls das Mass ist rechtsvergleichend einzugrenzen. Dabei ist unverändert davon auszugehen, dass der deutsche Ausdruck "naheliegend" den Kern der erfinderischen Tätigkeit sinnbildlicher umschreibt als die in der französischen und der italienischen Fassung von Art. 1 Abs. 2 PatG ![]() | 10 |
Patentwürdige technische Kreativität setzt, ausgehend vom Wissen und Können eines hypothetischen Durchschnittfachmanns, eine Leistung voraus, die den natürlichen Entwicklungsablauf sprengt, den allmählichen Gang des Fortschritts unterbricht und damit dessen Entwicklung auf dem einschlägigen Gebiet erheblich verkürzt, die Technik sprunghaft bereichert (BENKARD/BRUCHHAUSEN, a.a.O., N. 3 zu § 4 DPatG; MEISSER, a.a.O., S. 60 ff.; "inventive step" in der englischsprachigen Terminologie). Damit ist sie an Kriterien zu messen, welche auf weiten Strecken kasuistisch geprägt sind und dem Sachgericht einen wertenden Beurteilungsspielraum eröffnen. Die gestützt darauf ergangenen Entscheidungen überprüft das Bundesgericht zwar im Berufungsverfahren jedenfalls in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich frei, beachtet aber den Entscheidungsspielraum des kantonalen Gerichts und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz von den in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Umstände beachtet oder überbewertet hat, die für den Entscheid keine oder bloss eine untergeordnete Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt entscheidrelevante Umstände nicht oder nur ungenügend beachtet hat (vgl. BGE 118 II 50 E. 4; BGE 120 II 280 E. 6c). Dies gilt jedenfalls insoweit, als das Bundesgericht nach der allgemeinen Regel von Art. 63 Abs. 2 OG an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden ist, wogegen es nach Art. 67 OG selbst erhobene Beweise frei zu würdigen hat.
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Am Grundsatz, dass die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auf einer wertenden Gewichtung technisch relevanter Sachumstände beruht, hat die Harmonisierung des materiellen Patentrechts nichts geändert. Die abstrakten Beurteilungskriterien sind dieselben geblieben, ![]() | 12 |
b) Angelpunkt der Beurteilung erfinderischer Tätigkeit ist der durchschnittlich gut ausgebildete Fachmann. Dieser ist weder Experte des betreffenden technischen Sachgebiets noch Spezialist mit hervorragenden Kenntnissen. Er muss nicht den gesamten Stand der Technik überblicken, jedoch über fundierte Kenntnisse und Fähigkeiten, über eine solide Ausbildung sowie ausreichende Erfahrung verfügen und so für den in Frage stehenden Fachbereich gut gerüstet sein. Die erfinderische Tätigkeit ist - vereinfacht ausgedrückt - an den Fähigkeiten eines Konstrukteurs und nicht an jenen eines Erfinders zu messen. Bei der Bestimmung der erforderlichen Qualifikation müssen indessen die Besonderheiten des technischen Zweiges berücksichtigt werden. In diesem Sinne ist der gewerblichen Zielsetzung und der in einem bestimmten Bereich üblichen Art, Fachleute einzusetzen, Rechnung zu tragen (BGE 120 II 71 E. 2 mit Hinweisen).
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Aufgrund des dem Durchschnittsfachmann dergestalt zuzurechnenden Fachwissens und -könnens ist alsdann bezogen auf den Anmeldezeitpunkt zu prüfen, ob dieser mit üblichem Aufwand die in Abgrenzung zum vorbekannten Stand der Technik objektiviert gestellte Aufgabe des Streitpatents in dessen Sinne hätte lösen können oder nicht (STIEGER, a.a.O., S. 71).
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