BGE 125 III 86 - Anlagevertrag | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
16. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1998 i.S. O.S. gegen B. (Berufung) | |
Regeste |
Haftung des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft für unmittelbaren Gläubigerschaden (Art. 754 aOR). |
Die blosse Unterzeichnung eines Anlagevertrages durch das Organ der mit der Kapitalanlage betrauten, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits überschuldeten Aktiengesellschaft, begründet noch keinen unmittelbaren Gläubigerschaden. Ein solcher liegt nur vor, wenn aktienrechtliche Bestimmungen zum ausschliesslichen Gläubigerschutz verletzt werden, oder ein Tatbestand der culpa in contrahendo vorliegt (E. 3b/3c). | |
Sachverhalt | |
Im September 1984 wurde die Y. AG mit einem Aktienkapital von Fr. 50'000.-- gegründet. Zweck der Gesellschaft bildete die Durchführung von Finanzierungen und Beteiligungen an Finanzgeschäften jeglicher Art. Einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft war Rechtsanwalt B. (Beklagter), an dessen Büroadresse die Y. AG Domizil hatte. Am 2. März 1990 bewilligte das Amtsgericht München die Eintragung einer Zweigniederlassung der Y. in das deutsche Handelsregister, für deren Geschäftsbetrieb C. und D. mit Einzelprokura verantwortlich zeichneten. Die Genannten waren daneben noch Geschäftsführer und Gesellschafter der Z. GmbH, einer Gesellschaft für Vermittlung von Kapitalanlagen mit Sitz in München.
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Am 1. November 1989 schlossen die Eheleute O.S. (Kläger) und B.S. mit der Y. AG einen Anlagevertrag über $ 50'000.--. Darin wurde dem Anleger garantiert, dass die Kapitaleinlage ('«Einschuss'«) nicht angegriffen werde und mit 3,75% pro Quartal rentiere. Eine erste Zahlung von DM 46'775.- hatten die Eheleute S. bereits am 1. August 1989 zu Handen der Z. GmbH überwiesen; die restlichen DM 46'000.-- zahlten sie am 2. November 1989 ein. In der Folge erhielten sie lediglich zweimal Zinsen in Höhe von insgesamt $ 3'125 ausbezahlt, weshalb sie in der Folge gegen C. und D. Strafanzeige einreichten. Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 10. Dezember 1990 seinen sofortigen Rücktritt als Verwaltungsrat der Y. AG.
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Nach Abtretung der Ansprüche seiner Ehefrau belangte der Kläger den Beklagten am 1. Juni 1994 auf Zahlung von Fr. 74'000.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 2. Mai bzw. 5. September 1997 wies das Obergericht des Kantons Glarus die Klage in zweiter Instanz ab. Während des Appellationsverfahrens wurde über die Y. AG der Konkurs eröffnet, welcher dann mangels Aktiven wieder eingestellt wurde.
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Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Massgebliches Kriterium für die Abgrenzung von unmittelbarem und mittelbarem Gläubigerschaden bildet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Rechtsgrundlage der jeweiligen Schadenersatzpflicht, mithin die Art der Pflichtverletzung, die dem ins Recht gefassten Organ vorgeworfen wird, und die Interessen, deren Schutz die missachtete Vorschrift dient (BGE 122 III 176 f.). Ein unmittelbarer Gläubigerschaden liegt danach vor, wenn das Verhalten eines Gesellschaftsorgans gegen aktienrechtliche Bestimmungen verstösst, die ausschliesslich dem Gläubigerschutz dienen, oder die Schadenersatzpflicht auf einem anderen widerrechtlichen Verhalten des Organs i.S. von Art. 41 OR oder einem Tatbestand der culpa in contrahendo gründet. Werden Bestimmungen verletzt, welche sowohl den Interessen der Gesellschaft wie auch dem Schutz der Gläubiger dienen, liegt ein mittelbarer Schaden vor, welcher ausserhalb des Konkurses durch die Gesellschaft, nach Konkurseröffnung jedoch durch die Gläubigergesamtheit, allenfalls durch den an ihrer Stelle klagenden Gläubiger im Sinne von Art. 756 Abs. 2 aOR geltend zu machen ist (BGE 122 III 176 E. 7 S. 189 f.; kritisch: PETER V. KUNZ, in: AJP/PJA 11/98 S. 1267 f., 1273 und 1274; ROLF WATTER in: AJP/PJA 12/96 S. 1573 ff. und 1581 f.). An dieser Abgrenzung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Gläubigerschaden ist festzuhalten, auch wenn sie in der Literatur teilweise auf Kritik gestossen ist.
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b) Der Kläger qualifiziert den zum Ersatz verstellten Schaden als unmittelbar, da die Gesellschaft nach den Feststellungen des Obergerichts bereits Ende 1987 überschuldet gewesen und es somit bei pflichtgemässem Verhalten des Beklagten nicht mehr zum Abschluss des Anlagevertrages am 1. November 1989 gekommen wäre.
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Die Ersatzpflicht eines fehlbaren Organs für einen unmittelbaren Gläubigerschaden setzt die Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung voraus. Der Geschädigte muss die Verletzung einer Schutznorm nachweisen, welche nach ihrem Zweck vor (reinen) Vermögensschäden schützen soll (BGE 119 II 127 E. 3). Das Bundesgericht hat in BGE 122 III 176 E. 7c hervorgehoben, dass die Verletzung von aktienrechtlichen Bestimmungen, welche - wie Art. 725 Abs. 3 aOR - nicht nur im Interesse der Gesellschaftsgläubiger, sondern auch in demjenigen der Gesellschaft selbst aufgestellt worden sind, zur Begründung der Widerrechtlichkeit nicht ausreicht. Vielmehr muss sich der geschädigte Gläubiger im Verhältnis zum fehlbaren Organ etwa auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten berufen können oder einen anderen Tatbestand der culpa in contrahendo nachweisen. Das Obergericht hat deshalb zutreffend festgehalten, dass der Kläger aus der Verletzung von Art. 725 aOR, einer Bestimmung mit doppelter Schutzfunktion, keinen unmittelbaren Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten ableiten kann.
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c) Der Kläger macht geltend, der Beklagte habe als Organ der Gesellschaft am 1. November 1989 im Wissen um ihre Überschuldung mit ihm kontrahiert. Das Verheimlichen des schlechten Vermögensstandes der Gesellschaft begründe eine unmittelbare Haftung des Beklagten.
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Der Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet die Parteien bei Aufnahme von Vertragsverhandlungen zur gegenseitigen richtigen Aufklärung mit Bezug auf erhebliche Tatsachen, welche die Gegenpartei nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist, die aber ihren Entscheid über den Vertragsabschluss oder dessen Bedingungen beeinflussen können (BGE 121 III 350 E. 6c; BGE 108 II 305 E. 2d; BGE 105 II 75 E. 2a; BGE 102 II 81 E. 2; BREHM, Berner Kommentar, 2. Aufl., N. 45 zu Art. 41 OR). Insbesondere bei vorbestehendem oder vom Vertrag vorausgesetztem Vertrauensverhältnis kann eine - unaufgeforderte - Aufklärung über Tatsachen, welche für den Vertragsabschluss bedeutsam erscheinen, zumutbar sein. Unzumutbar ist demgegenüber in aller Regel die spontane Aufklärung über die eigene Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit (GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweiz. Obligationenrecht, Allg. Teil, 7. Aufl., Zürich 1998, Rz. 863 mit Hinweisen; VON TUHR/PETER, Schweiz. Obligationenrecht, Band I, Zürich 1979, S. 322; ANDRÉ WAHRENBERGER, Vorvertragliche Aufklärungspflichten im Schuldrecht, Diss. Zürich 1992, S. 81 f.). Deutsche Lehre und Rechtsprechung bejahen grundsätzlich eine Offenbarungspflicht des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft hinsichtlich des Bestehens einer Überschuldung (SOERGEL/HUBER, Kommentar BGB, 12. Aufl., Anh. I § 433, Rz. 136).
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Voraussetzung einer Haftpflicht des ins Recht gefassten Organs bildet - auch nach den vom Kläger zitierten Entscheiden - dessen persönliches Handeln gegenüber dem betroffenen Gläubiger. Beim Anlagevertrag vom 1. November 1989 bestand das eigene Handeln des Beklagten jedoch einzig in dessen Unterzeichnung. Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts wurden ihm die Anlageverträge jeweils aus München zugesandt, worauf er diese prüfte und unterzeichnet retournierte. Im Rahmen der Vertragsausfertigung und -abwicklung kam es indes zu keinen Kontakten zwischen den Prozessparteien. Die Verhandlungen zum Abschluss des Anlagevertrages führte der Kläger einzig mit den Herren C. oder D., welche am 29. September 1989 zu Prokuristen für den Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung in München bestellt worden waren. Weiter ist auch erstellt, dass der Kläger eine erste (Teil-)Zahlung von DM 46'775.- am 1. August 1989, drei Monate vor Vertragsunterzeichnung, der Z. GmbH - welcher die beiden Prokuristen als Geschäftsführer vorstanden - überwies und in der Folge auch gegen die beiden Prokuristen Strafanzeige erstattete. Deren Verhalten kann dem Beklagten jedoch nicht persönlich angerechnet werden. Im Übrigen finden sich im angefochtenen Urteil keine Feststellungen, wonach sich der Kläger nach der finanziellen Situation der Gesellschaft erkundigt hätte oder ihm deren Vertreter darüber falsche Angaben gemacht hätten. Die blosse Unterzeichnung eines Vertrages durch das Organ einer überschuldeten Gesellschaft ohne vorangehenden persönlichen Kontakt in den Vertragsverhandlungen vermag dessen Haftpflicht für Gläubigerschäden noch nicht zu begründen. Weder sind damit aktienrechtliche Bestimmungen zum ausschliesslichen Gläubigerschutz verletzt, noch liegt darin ein Tatbestand der culpa in contrahendo. Das Obergericht hat deshalb bundesrechtskonform eine persönliche Haftung des Beklagten für den in Streit gesetzten Schadenersatzanspruch verneint.
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