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24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Februar 1999 i.S. Aktiengesellschaft S., B. und C. gegen Bank X. (Staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Doppelaufruf; Schicksal davon erfasster Mietverträge (Art. 261 OR und Art. 142 SchKG). |
Solche Mietverträge fallen mit dem Doppelaufruf nicht dahin, sondern gehen auf den Erwerber über. Dieser kann unbesehen dringenden Eigenbedarfs auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen (E. 1e). | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 28. Mai 1998 forderte das Konkursamt Entlebuch die Beschwerdeführer auf, die Liegenschaft bis Dienstag, 30. Juni 1998 zu räumen. Am 17. Juni 1998 teilte überdies die Beschwerdegegnerin dem damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführer mit, dass mit keiner der bisherigen Mietparteien ein neues Miet- oder Pachtverhältnis eingegangen und der angezeigte Räumungstermin bestätigt werde. Die Mieter verblieben indessen in den Wohn- und Geschäftsräumen.
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Mit Eingabe vom 14. Juli 1998 verlangte die Beschwerdegegnerin beim Amtsgerichtspräsidium Entlebuch im Befehlsverfahren gemäss § 226 ZPO/LU die Ausweisung der Beschwerdeführer. Das Gesuch wurde am 21. August 1998 gutgeheissen. Gleich entschied das Obergericht des Kantons Luzern am 5. November 1998. Zur Begründung führte es an, die vorgemerkten Mietverträge seien, da der Zuschlag auf den zweiten Aufruf erfolgt sei, nicht auf die Beschwerdegegnerin übergegangen. Diese habe vielmehr die Mietsache unbelastet erworben. Sie habe keine Kündigung vornehmen müssen und könne die Mieter ausweisen lassen. Immerhin verstehe sich von selbst, dass die Ausweisung in der Regel nicht unmittelbar nach dem Zuschlag vollzogen werden könne. Um eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren, sei der Rückgriff auf das Mietrecht aber nicht zwingend, vielmehr könnten die berechtigten Interessen der Mieter auch im Ausweisungsverfahren gebührend berücksichtigt werden.
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aus folgenden Erwägungen: | |
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a) Nach § 226 ZPO kann bei nicht streitigen oder sofort feststellbaren tatsächlichen Verhältnissen das Befehlsverfahren eingeleitet werden; der Entscheid ergeht im summarischen Verfahren. Im vorliegenden Fall ist tatsächlich unbestritten, dass die Beschwerdeführer im Februar 1993 je Mietverträge mit einer Dauer von 20 Jahren über Wohn- und Geschäftsräume abgeschlossen und im Grundbuch vorgemerkt hatten, dass die Vermieterin im Jahre 1996 in Konkurs fiel und dass die Beschwerdegegnerin die Liegenschaft im Konkurs der Vermieterin nach Doppelaufruf erworben hat, wobei ihr die Mietverträge nach den Steigerungsbedingungen nicht überbunden wurden. Das Obergericht hat aufgrund dieser Sachlage mit der ersten Instanz die von der Beschwerdegegnerin verlangte Ausweisung geschützt in der Annahme, ein Mietvertrag zwischen dieser als Erwerberin der Mietsache und den Beschwerdeführern bestehe nicht. Sie hat sich dabei insbesondere auf BGE 124 III 37 berufen. In diesem Entscheid hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts die Ansicht vertreten, der Doppelaufruf gemäss Art. 142 SchKG sei auch auf nachträglich eingegangene ![]() | 6 |
b) Nach Art. 261 Abs. 1 OR geht das Mietverhältnis mit dem Eigentum an der Sache auf den Erwerber über, wenn der Vermieter die Sache nach Abschluss des Mietvertrages veräussert oder wenn sie ihm in einem Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren entzogen wird. Der neue Eigentümer kann jedoch bei Wohn- oder Geschäftsräumen das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen, wenn er einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht (Art. 261 Abs. 2 lit. a OR). Die Bestimmung geht in dieser Form auf die parlamentarische Beratung zurück. Der Bundesrat hatte zwar im Entwurf ebenfalls vorgeschlagen, dass das Mietverhältnis mit dem Wechsel des Eigentümers - auch in der Zwangsverwertung der Mietsache - auf den Erwerber übergehen sollte. Der bundesrätliche Entwurf hatte jedoch noch vorgesehen, dass der neue Eigentümer das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen könne, wenn der Vertrag keine frühere Kündigung gestatten sollte; dies entsprach insofern dem früheren Recht, als dieses zwar vom Grundsatz «Kauf bricht Miete» ausgegangen war, mangels Kündigung durch den Erwerber auf den nächsten gesetzlichen Termin aber die Übernahme des Mietvertrages fingiert hatte (Botschaft, BBl 1985 I S. 1441 und 1506). Die nationalrätliche Kommission schlug zunächst mehrheitlich vor, Mietverträge über Wohn- oder Geschäftsräume so, wie sie mit dem ursprünglichen Eigentümer abgeschlossen worden waren, auf den Erwerber übergehen zu lassen. Im Laufe der Beratung wurde dann als vermittelnde Lösung die Möglichkeit der Kündigung durch den Erwerber bei dringendem Eigenbedarf angenommen. In der Diskussion im Parlament wurde jedoch allein der Verkauf der Liegenschaft durch den Vermieter angesprochen (vgl. AB 1989 N 503-510 und 548 f.; AB 1989 S 423-425 und 683). Die besondere Problematik der Zwangsvollstreckung wurde nicht erwähnt.
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c) Nach Art. 142 SchKG kann der vorgehende Grundpfandgläubiger den Aufruf sowohl mit als auch ohne die nachrangige Last verlangen, wenn das Grundstück ohne seine Zustimmung mit einer Dienstbarkeit, einer Grundlast oder einem vorgemerkten persönlichen ![]() | 8 |
Die unterschiedlichen Auffassungen spiegeln sich auch in der kantonalen Rechtsprechung wieder. Das Thurgauer Obergericht hat am 17. September 1993 entschieden, dass ein Doppelaufruf auf den von Gesetzes wegen übergehenden Mietvertrag keine Wirkung auszu-üben vermöge (Schweizerische Zeitschrift für Beurkundungs- und Grundbuchrecht 1995 S. 94; in diesem Sinne auch Entscheid der Schlichtungsbehörde für Mietverhältnisse des Kantons Luzern vom 2. November 1991, mp 1991 S. 150). Das Kantonsgericht Freiburg hat demgegenüber in einem Urteil vom 28. November 1994 eine ![]() | 9 |
d) Wie erwähnt wurde in BGE 124 III 37 entschieden, dass der Doppelaufruf im Sinne von Art. 142 SchKG für (nicht vorgemerkte) Pachtverträge zulässig ist, welche gemäss Art. 14 LPG von Gesetzes wegen auf den Erwerber übergehen (zustimmend Lorandi, AJP 1998 S. 843 ff.; derselbe, Mietverträge im Konkurs des Vermieters, mp 1998 S. 123 ff.). Diese Auffassung ist für Mietverträge, welche gemäss Art. 261 OR von Gesetzes wegen auf den Erwerber übergehen, zu übernehmen. Denn auch wenn Art. 142 SchKG bei der Revision im Jahre 1994 in dieser Hinsicht nicht angepasst worden ist, ergibt sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte des Art. 261 OR (oben E. 1b) nichts für eine bewusste Bevorzugung von Mietern mit langfristigen Mietverträgen gegenüber prioritären Grundpfandgläubigern in der Zwangsvollstreckung, so dass von einem zu weiten Wortlaut der massgebenden Bestimmungen ausgegangen werden muss und eine Regelungslücke angenommen werden kann. Das Gericht hat somit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 ZGB eine Regel aufzustellen, welche der Einheit der Rechtsordnung und den beteiligten Interessen Rechnung trägt. Da erst der Doppelaufruf im Sinne von Art. 142 SchKG erweist, ob überhaupt vorgängige Grundpfandrechte durch den später abgeschlossenen Mietvertrag in ihrem Wert beeinträchtigt werden (PIOTET, a.a.O., S. 690), ist der doppelte Aufruf in sinngemässer Anwendung der betreibungsrechtlichen Bestimmung ebenfalls für nicht eingetragene, langfristige Mietverträge zuzulassen. Dies hat freilich entgegen der Ansicht im angefochtenen Urteil nicht zur Folge, dass der Mietvertrag unbesehen der ausdrücklichen Anordnung in Art. 261 Abs. 1 OR überhaupt nicht auf den Erwerber übergehen würde. Art. 142 Abs. 3 SchKG regelt den Fall der gesetzlich auf den Erwerber übergehenden Mietverträge wie erwähnt nicht; diese Bestimmung schreibt nur vor, dass der Grundpfandgläubiger die Löschung einer im Grundbuch eingetragenen Last verlangen kann, wenn das Angebot für das Grundstück mit der Last zu seiner Befriedigung nicht ausreicht und er ohne sie bessere Deckung erhält; nicht eingetragene Rechte können aber nicht gelöscht werden. Die sinngemässe Anwendung von Art. 142 SchKG auf Mietverträge, die auch in der Zwangsverwertung von Gesetzes wegen auf den Erwerber übergehen (Art. 261 Abs. 1 OR), rechtfertigt sich nur insoweit, als die Analogie reicht.
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f) Im vorliegenden Fall waren die von den Beschwerdeführern mit der Konkursitin langfristig abgeschlossenen Mietverträge im Grundbuch vorgemerkt worden. Die Vormerkung, welche gemäss Art. 261b Abs. 2 OR die Kündigungsmöglichkeit vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer für den Erwerber überhaupt ausgeschlossen hätte, konnte gemäss Art. 142 SchKG nach Doppelaufruf gelöscht werden. Der doppelte Aufruf in sinngemässer Anwendung von Art. 142 SchKG vermochte dagegen den gesetzlichen Übergang des Mietvertrages auf die Beschwerdegegnerin nach Art. 261 OR nicht vollständig auszuschliessen. Mit dem Doppelaufruf, der sich nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Urteil nach den Steigerungsbedingungen auch auf das Mietverhältnis überhaupt und damit auf dessen gesetzlichen Übergang bezog, konnte nur die vertragliche Dauer des Mietvertrages beseitigt werden; die Beschwerdegegnerin erhielt dadurch die Möglichkeit, die gemäss Art. 261 Abs. 1 OR in der Zwangsverwertung auf sie übergegangenen Mietverträge auf den nächsten gesetzlich zulässigen Termin zu kündigen. Dass sie dies getan hätte, wird im angefochtenen Urteil nicht festgestellt. Insbesondere wird die Bedeutung der Bestätigung der Beschwerdegegnerin vom 17. Juni 1998, dass sie die umstrittenen Mietverträge mit den Beschwerdeführern nicht übernehmen wolle, weder von ihr selbst noch vom Obergericht als Kündigung qualifiziert. Die Ansicht im angefochtenen Urteil, die Mietverträge der Beschwerdeführer seien nach dem doppelten Aufruf in sinngemässer Anwendung von Art. 142 SchKG überhaupt nicht auf die Beschwerdegegnerin übergegangen und die Beschwerdegegnerin könne nach dem Erwerb der Mietsache in der Zwangsverwertung daher die Mietausweisung nach § 226 ZPO verlangen, ohne dass es einer Kündigung bedürfe, ist schlechterdings nicht vertretbar und hält vor Art. 4 BV sowie Art. 2 ÜbBest. BV nicht stand.
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