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31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. April 1999 i.S. N. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 397a ff. ZGB; Zwangsbehandlung in einer Anstalt. | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 22. Januar 1999 ordnete der Bezirksarzt-Stellvertreter L. an, N. in der Psychiatrischen Klinik X. zurückzubehalten. Die Depot-Medikation wurde wieder aufgenommen. N. stellte im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren den Antrag, die Verabreichung von Medikamenten einzustellen und ihn auf eine Rehabilitationsabteilung für Allgemeinpatienten zu verlegen.
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N. beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das angefochtene Urteil und die Zurückbehaltungsverfügung vom 22. Januar 1999 betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung aufzuheben sowie der Klinik X. insbesondere zu verbieten, ihn medikamentös zwangszubehandeln. Sein Anwalt sei als notwendiger, unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestätigen. Er stellt den prozessualen Antrag, der Berufung die aufschiebende Wirkung zu erteilen und die Zwangsbehandlung zu verbieten. Das Verwaltungsgericht hat im Voraus auf Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet.
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Das Gesuch um aufschiebende Wirkung und um Erlass eines Behandlungsverbots ist abgewiesen worden (Präsidialverfügung vom 15. April 1999).
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Auf die gegen das nämliche Urteil gleichzeitig erhobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit ist die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom heutigen Tag nicht eingetreten.
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Das Bundesgericht hat die Berufung gutgeheissen, soweit darauf eingetreten werden konnte, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Das Verwaltungsgericht hat festgehalten, die fürsorgerische Freiheitsentziehung sei angeordnet worden, um die Behandlung zu ermöglichen, die nach Ansicht des Bezirksarzt-Stellvertreters und der Klinikärzte unbedingt erforderlich gewesen sei, gegen den Willen des Patienten aber nicht habe erfolgen dürfen. Unter Hinweis auf sein Urteil vom 2. April 1996 (nachzulesen in: ZBl 97/1996 S. 505 ff.), demzufolge eine endgültige Festlegung des Bundesgerichts fehle und in der Lehre verschiedene Ansichten dazu vertreten würden, hat das Verwaltungsgericht die unstreitig erforderliche Gesetzesgrundlage für eine Zwangsbehandlung in Art. 397a ff. ZGB gesehen. Es ist davon ausgegangen, im Vordergrund stehe die Erwägung, dass der Zweck der FFE-Bestimmungen des ZGB zu einem grossen Teil unterlaufen würde, wenn Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen mangels kantonalgesetzlicher Grundlage ![]() | 8 |
In seiner staatsrechtlichen Beschwerde hatte der Berufungskläger unter anderem gerügt, eine Zwangsbehandlung ohne gesetzliche Grundlage stelle einen unzulässigen Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung lasse sich auch aus den Art. 397a ff. ZGB keine Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung ableiten. Das Bundesgericht ist darauf nicht eingetreten mit der Begründung, die Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bilde der Sache nach eine Konkretisierung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (vgl. SCHNYDER, Zehn Jahre «fürsorgerische Freiheitsentziehung» bei Erwachsenen in der Schweiz, FS Lange, Stuttgart 1992, S. 939 ff., S. 941/942); eine Missachtung dieses Verfassungsrechts bedeute deshalb zunächst eine Verletzung der in das Zivilgesetzbuch aufgenommenen Bestimmungen, die vor Bundesgericht mit Berufung gerügt werden müsse (Art. 44 lit. f OG; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 11. September 1997 i.S. F., E. 2a; für die verfassungsmässig gewährleisteten Verfahrensgarantien bereits BGE 118 II 249 E. 2 S. 251 mit Hinweisen).
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Mit eidgenössischer Berufung wendet der Berufungskläger ein, die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung beurteile sich nach kantonalem Recht; die Art. 397a ff. ZGB könnten hiefür nicht als gesetzliche Grundlage herangezogen werden. Dass zu Unrecht Bundesrecht angewendet worden sei, wo kantonales Recht anwendbar gewesen wäre, ist ein zulässiger Berufungsgrund (BGE 123 III 454 E. 3b S. 457). Die Auslegung des kantonalen Rechts, dass dieses keine gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung gibt, ist für das Bundesgericht verbindlich (z.B. BGE 93 II 189 E. a S. 191; POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, I, Bern 1990, N. 1.6.2 zu Art. 43 OG, S. 138 f.; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, N. 74 S. 104 mit Nachweisen in Anm. 13).
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3. Zur Streitfrage hat sich das Bundesgericht erstmals in einem Staatshaftungsfall geäussert und unter Hinweis auf den Wortlaut und die Gesetzesmaterialien festgehalten, dass Art. 429a Abs. 1 ZGB nur ![]() | 11 |
Von dieser Rechtsprechung abzurücken, geben die Ausführungen des Verwaltungsgerichts keinen Anlass, mag in der Lehre auch umstritten sein, ob sich eine stationäre Zwangsbehandlung im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung auf Art. 397a ff. ZGB stützen lässt (STETTLER, Droit civil I: Représentation et protection de l'adulte, 4.A. Fribourg 1997, N. 462 S. 210 f. mit weiteren Nachweisen in Anm. 579 und 580). Freilich könnte der Zweck der ![]() | 12 |
Zusammenfassend ist daran festzuhalten, dass die Zwangsbehandlung im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht durch Bundesrecht geregelt wird und dass die Art. 397a ff. ZGB ![]() | 13 |
4. Fehlt es für die Zwangsbehandlung an einer bundesgesetzlichen und - nach den verbindlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch - an einer kantonalen Rechtsgrundlage, so kann der Betroffene grundsätzlich nicht in der Anstalt behalten werden, wenn die Freiheitsentziehung die Therapierung zum Zweck haben soll (GEISER, a.a.O., S. 312). Indessen steht eine Entlassung des Berufungsklägers ausser Diskussion, zumal er dies auch selbst nicht verlangt. Im kantonalen Verfahren hatte er offenbar Antrag auf Verlegung in eine andere Abteilung der gleichen Klinik gestellt. Darüber ist nicht entschieden worden, und es fehlen die tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung, ob ihm dieser Wechsel durch fürsorgerische Freiheitsentziehung versagt werden muss. Es bleibt daher bei der Regel, dass bei Anwendung von Bundesrecht statt kantonalen Rechts das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen ist (BGE 121 III 246 E. 3d S. 248; POUDRET/SANDOZ-MONOD, N. 1.6.2 zu Art. 43 OG, S. 139; MESSMER/IMBODEN, a.a.O., N. 122 S. 165 mit Nachweisen in Anm. 14). Einer weitergehenden Aufhebung der Zurückbehaltungsverfügung bedarf es allerdings nicht, da diese durch das angefochtene Urteil ersetzt worden ist, und für ein ausdrückliches Verbot der Behandlung fehlt die Rechtsgrundlage, nachdem sich ergeben hat, dass Bundesrecht nicht regelt, worin die persönliche Fürsorge im Einzelnen besteht; es könnte Letzteres höchstens formell im Dispositiv festgestellt werden, doch geben die Erwägungen hierüber genügend klar Aufschluss.
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