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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
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33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. März 1999 i.S. H. gegen Fachverband Elektroapparate für Haushalt und Gewerbe in der Schweiz (FEA) (Revision) | |
Regeste |
Art. 139a OG; Art. 10 EMRK. Revision wegen einer von den Organen der EMRK festgestellten Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäusserung. |
Tragweite des Rechts auf freie Meinungsäusserung gegenüber wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen: Gerichtliche Verbote von Äusserungen, welche die Wettbewerbsstellung der Anbieter eines Erzeugnisses beeinträchtigen, sind unter dem Blickwinkel von Art. 10 EMRK im Rahmen des Notwendigen und Verhältnismässigen zulässig (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 7. August 1992 reichte der Fachverband beim Handelsgericht des Kantons Bern gegen H. eine Unterlassungsklage ein. Mit Urteil vom 19. März 1993 hiess das Handelsgericht die Klage gut und erliess die folgenden Verbote:
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2. Es wird dem Beklagten unter Androhung derselben Straffolgen verboten, in Publikationen oder öffentlichen Vorträgen über Mikrowellenherde die Abbildung eines Sensemannes oder eines ähnlichen Todessymboles zu verwenden.»
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Gegen das handelsgerichtliche Urteil legte H. Berufung an das Bundesgericht ein. Dieses wies am 25. Februar 1994 die Berufung ab und bestätigte das angefochtene Urteil (BGE 120 II 76 ff.). H. erhob gegen das Urteil des Bundesgerichts eine Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte, worin er eine Verletzung der Art. 6, 8 und 10 EMRK rügte. Mit Urteil vom 25. August 1998 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Art. 10 EMRK verletzt worden sei; eine Verletzung der Art. 6 und 8 EMRK verwarf er hingegen. Im Weiteren verpflichtete er die Schweizerische Eidgenossenschaft, H. mit Fr. 40'000.-- zu entschädigen.
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Mit Gesuch vom 20. Oktober 1998 verlangt H. die Revision des Urteils des Bundesgerichts vom 25. Februar 1994. Er stellt die Anträge, dieses Urteil sowie jenes des Handelsgerichts aufzuheben, die Klage des Gesuchsgegners abzuweisen und diesen zu verpflichten, ihm Fr. 20'450.-- als Ersatz für Gerichtskosten, Fr. 33'947.50 als Rückerstattung geleisteter Anwaltsentschädigungen, Fr. 32'900.-- als Ersatz für eigene Anwaltskosten, je zuzüglich Zins, zu bezahlen. Das Bundesgericht heisst das Revisionsgesuch teilweise gut, hebt Ziffer 1 seines Urteils vom 25. Februar 1994 auf und entscheidet - unter Abweisung der übrigen Revisionsbegehren - neu wie folgt:
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«1. Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und Ziffer 1 des Urteils des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 19. März 1993 wird wie folgt geändert:
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1. Es wird dem Beklagten unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB und Art. 403 ZPO (Haft oder Busse bis Fr. 5'000.--, Haft oder in schweren Fällen Gefängnis bis zu einem Jahr) verboten, in Verlautbarungen, die an weitere Bevölkerungskreise gerichtet sind, ohne Hinweis auf den herrschenden Meinungsstreit als wissenschaftlich gesichert darzustellen, dass im Mikrowellenherd zubereitete Speisen gesundheitsschädlich ![]() | 8 |
Im Übrigen wird das Urteil des Handelsgerichts bestätigt.»
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Aus den Erwägungen: | |
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In Würdigung dieser Umstände gelangt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass zwischen dem Umfang der Verbote, welche die schweizerischen Gerichte ausgesprochen haben, und dem Verhalten, auf das sie damit hätten antworten wollen, ein Missverhältnis bestehe. Die Verbote würden bewirken, dass die Arbeiten des Gesuchstellers teilweise zensuriert und dessen Möglichkeit, in der Öffentlichkeit eine Meinung zu vertreten, die in der laufenden Auseinandersetzung ihren Platz habe, stark eingeschränkt würden. Dass es sich um eine Minderheitsmeinung handle, die zudem einer vernünftigen Grundlage zu entbehren scheine, könne nicht entscheidend sein. In einem Bereich, in dem es keine sicheren Beweise gebe, wäre es nach der Auffassung des Gerichtshofs besonders stossend, die Meinungsäusserungsfreiheit auf die Wiedergabe allgemein anerkannter Lehren einzuschränken.
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b) Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mag für den Gesuchsteller einerseits eine Genugtuung bedeuten und ihm anderseits mit der zugesprochenen Entschädigung von Fr. 40'000.-- zu einem finanziellen Ausgleich für die durch den Prozess verursachten Kosten verhelfen. Es beseitigt jedoch die vom Handelsgericht ausgesprochenen und vom Bundesgericht in seinem Entscheid vom 25. Februar 1994 bestätigten, an den Gesuchsteller gerichteten Verbote nicht. Diese Verbote dürfen nur insoweit bestehen bleiben, als es den Grenzen der Notwendigkeit entspricht, wie sie der Gerichtshof in seinen Erwägungen gezogen hat. Da aber eine Beseitigung oder Einschränkung der Verbote nur auf dem Weg der Revision erreicht werden kann, ist der Revisionsgrund von Art. 139a OG grundsätzlich gegeben.
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Zu prüfen bleibt allerdings, in welcher Hinsicht und wieweit die Verbote einzuschränken sind, um vor Art. 10 EMRK standzuhalten. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass der Gerichtshof die Verbote lediglich insoweit als unverhältnismässig erachtet hat, als sie als Antwort auf den im «JOURNAL Franz Weber» Nr. 19 veröffentlichten Forschungsbericht zu verstehen sind, den der Gerichtshof als hinreichend nuanciert und dessen Auswirkungen auf die Interessen der Mitglieder des Gesuchsgegners er zudem als zuwenig nachgewiesen angesehen hat. Im Weiteren ist der Gerichtshof bei seiner Würdigung der konkreten Umstände davon ausgegangen, dass dem ![]() | 16 |
Demgegenüber ist ausgehend von der Rechtsauffassung des Gerichtshofs anzunehmen, dass ein an den Gesuchsteller gerichtetes Verbot wettbewerbsgeneigter Verlautbarungen, mit denen gesundheitsschädigende Wirkungen von im Mikrowellenherd zubereiteter Nahrung ohne Hinweis auf den herrschenden Meinungsstreit als wissenschaftlich erwiesen hingestellt werden, jedenfalls dann mit Art. 10 EMRK vereinbar ist, wenn konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass es zu solchen Verlautbarungen kommen wird, und wenn diese zudem auch geeignet sind, die Wettbewerbsstellung der Mitglieder des Gesuchsgegners wesentlich zu beeinträchtigen (vgl. BGE 116 II 357 E. 2a S. 359, mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen aber sind gegeben: Das Handelsgericht stellt in seinem Urteil vom 19. März 1993 in tatsächlicher Hinsicht fest, der Gesuchsteller habe sich nie von der Veröffentlichung im «JOURNAL Franz Weber» Nr. 19 distanziert, sondern vor Gericht lediglich ausgeführt, er sei mit der von René d'Ombresson verfassten Einleitung und Zusammenfassung nicht hundertprozentig einverstanden gewesen; zum Bild des Sensemannes habe er erklärt, es gefalle ihm gut; er bleibe nach wie vor bei seinen Schlussfolgerungen und wolle diese in den Massenmedien weiter zur Diskussion stellen; hinter seiner wissenschaftlichen Auffassung stehe offensichtlich eine weltanschauliche; in der Hauptverhandlung habe er an seinen bisherigen Aussagen festgehalten und erklärt: «Diese Mikrowellenerzeugnisse führen zu Krebs, daran gibt es heute nichts mehr zu rütteln» und: «Ich werde den Weg meiner Wissenschaft weiter beschreiten». Dies sind konkrete Anzeichen dafür, dass seitens des Gesuchstellers wettbewerbswidrige Verlautbarungen zu befürchten sind, mit denen angeblich wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Gesundheitsschädigungen durch Mikrowellenherde verbreitet werden; angesichts der Erklärung des Gesuchstellers, wonach ihm das Bild des Sensemannes gut gefalle, besteht auch die Gefahr, dass dabei dieses oder ein ähnliches Todessymbol zur Untermalung der Aussagen verwendet ![]() | 17 |
c) Eine gesamthafte Aufhebung der gegenüber dem Gesuchsteller ausgesprochenen Verbote ist deshalb weder erforderlich noch angezeigt. Klarzustellen ist hingegen, dass dem Gesuchsteller lediglich an weitere Bevölkerungskreise gerichtete Verlautbarungen verboten sind, in welchen gesundheitsschädigende Wirkungen von im Mikrowellenherd zubereiteten Speisen ohne Hinweis auf den herrschenden Meinungsstreit als wissenschaftlich gesichert hingestellt werden. Das Verbot, in Publikationen oder öffentlichen Vorträgen über Mikrowellenherde die Abbildung eines Sensemannes oder eines ähnlichen Todessymboles zu verwenden, ist unverändert aufrechtzuerhalten, wobei zur Begründung im Einzelnen auf das Urteil vom 25. Februar 1994 verwiesen werden kann. Festzuhalten ist schliesslich, dass der Unterlassungsanspruch des Gesuchsgegners seine Grundlage nicht in einer geschehenen Verletzung, sondern in der Gefahr drohender Verletzungen findet (Art. 9 Abs. 1 lit. a UWG). Dass diese Gefahr besteht und ernst zu nehmen ist, unterliegt angesichts des Verhaltens und der Erklärungen des Gesuchstellers keinem Zweifel.
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Die Teilnahme an der laufenden Auseinandersetzung über die gesundheitlichen Auswirkungen der Nahrungsaufbereitung in Mikrowellenherden soll dem Gesuchsteller im Õbrigen nicht verwehrt werden. Er ist frei, seine Auffassungen zu äussern, solange er dies nicht in an weitere Bevölkerungskreise gerichteten Verlautbarungen auf eine Weise tut, die den unzutreffenden Eindruck erweckt, es handle sich um wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Es geht nicht um eine Zensur der Arbeiten des Gesuchstellers, sondern bloss darum, unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende und damit unlautere Äusserungen zu verhindern, die geeignet sind, den Wettbewerb zu beeinflussen und die Wettbewerbsstellung der Mitglieder des Gesuchsgegners zu beeinträchtigen (Art. 2 und Art. 3 lit. a UWG).
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