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45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Juni 1999 i.S. F.S. c. O.W. (Berufung) | |
Regeste |
Rechtsmissbrauch und Vertragsumgehung (Art. 2 ZGB). | |
Sachverhalt | |
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Die Graubündner Kantonalbank gewährte der Gesellschaft im Oktober 1993 ein grundpfandgesichertes Darlehen über Fr. 800'000.--. Zwecks Kreditamortisation und Tilgung der auflaufenden ![]() | 2 |
B.- In der Folge setzte der Beklagte Fr. 12'280.-- nebst Zins gegen den Kläger in Betreibung. Einen dagegen erhobenen Rechtsvorschlag beseitigte die Bezirksgerichtspräsidentin von Sargans mittels provisorischer Rechtsöffnung am 5. September 1996. Daraufhin klagte der Kläger auf Aberkennung der Forderung. Die Gerichtskommission Sargans schützte die Klage mit Urteil vom 28. Oktober 1997. Eine Berufung des Beklagten wies das Kantonsgericht (III. Zivilkammer) St. Gallen am 30. Dezember 1998 ab.
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C.- Der Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Aberkennungsklage abzuweisen, eventualiter die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung. Die Vorinstanz hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Klage ab.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
2. Das Kantonsgericht versagte dem Beklagten unter Verweis auf das Rechtsmissbrauchsverbot den Rechtsschutz für die gegen den Kläger in Betreibung gesetzte Forderung. Es erwog, die ganze Transaktion habe darauf abgezielt, den Gesellschaftsvertrag zwischen H.S. und dem Kläger mit Bezug auf die streitbetroffene Forderung zu umgehen. Ordentlicherweise hätte die Kantonalbank ihre Forderung gegenüber H.S. als solidarisch haftendem Gesellschafter durchsetzen und dieser seine Regressforderung im Rahmen der Auseinandersetzung über den Gesellschaftsvertrag nach den darin vereinbarten Regeln geltend machen müssen. Indem H.S. diesen gewillkürten Normen ausgewichen sei, habe er gegen den im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gebrachten Willen und damit widersprüchlich gehandelt. Sein Handeln und dasjenige des Beklagten ![]() | 7 |
a) Art. 2 Abs. 2 ZGB sanktioniert Handlungen, die zwar im Einklang mit der entsprechenden gesetzlichen Norm oder einer privatautonomen Vertragsbestimmung stehen, aber ojektiv eine Verletzung des Redlichkeitsstandards von Treu und Glauben darstellen und damit das Vertrauen der Rechtsgenossen auf redliches und sachangemessenes Verhalten enttäuschen (BRUNO HUWILER, Aequitas und bona fides als Faktoren der Rechsverwirklichung, Beiheft 16 zur ZSR 1994, S. 57 f.). Als Fallgruppe des Rechtsmissbrauchs erfasst Art. 2 Abs. 2 ZGB auch das widersprüchliche Verhalten (venire contra factum proprium). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gibt es allerdings keinen Grundsatz der Gebundenheit an das eigene Handeln. Setzt sich jemand zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch, ist darin nur dann ein Verstoss gegen Treu und Glauben zu erblicken, wenn das frühere Verhalten ein schutzwürdiges Vertrauen begründet hat, welches durch die neuen Handlungen enttäuscht würde (BGE 121 III 350 E. 5b; 115 II 331 E. 5a; 106 II 320 E. 3; MERZ, Berner Kommentar, N. 401 f. zu Art. 2 ZGB). Der Vertrauende muss aufgrund des geschaffenen Vertrauens Dispositionen getroffen haben, die sich nun als nachteilig erweisen (BGE 121 III 350 E. 5b). Er lässt etwa rechtserhaltende Fristen verstreichen, unterlässt die Regressnahme auf Dritte, weil er mit der eigenen Inanspruchnahme nicht gerechnet hat oder nimmt andere prozessrelevante oder tatsächliche Handlungen vor, die er ohne den vom Partner geschaffenen Vertrauenstatbestand so nicht vorgenommen hätte (MERZ, a.a.O., N. 407 f. zu Art. 2 ZGB; SOERGEL/TEICHMANN, N. 317 f., 321 zu § 242 BGB).
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b) Der Kläger und H.S. haften als einfache Gesellschafter nach den soweit unangefochtenen Feststellungen des Kantonsgerichts solidarisch für die bei der Kantonalbank aufgenommenen Kredite (Art. 544 Abs. 3 OR). Dieser stand es - wie das Kantonsgericht zutreffend feststellt - auch frei, H.S. für den gesamten Zinsausstand per 31. Dezember 1994 in Höhe von Fr. 24'560.-- in die Pflicht zu nehmen (Art. 144 Abs. 1 OR). Durch die Zession der Restforderung von Fr. 12'280.-- an den Beklagten und dem damit verbundenen Gläubigerwechsel hat sich an der Situation insoweit nichts geändert, als beide Gesellschafter - neu - dem Zessionar, jedoch für den gesamten restanzlichen Betrag solidarisch verpflichtet sind.
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Bei dieser Sachlage ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beklagten nicht erstellt. Erst durch seine anhaltende Weigerung, trotz ausgewiesener Verpflichtung die Hälfte der in ihrer Höhe unbestrittenen Zinsausstände zu übernehmen, hat der Kläger überhaupt Anlass für die streitige «Transaktion» gegeben. Durch die Zession wurde seine Position als Solidarschuldner in keiner Art und Weise verschlechtert. Einerseits könnte der Beklagte nach wie vor auf H.S. als solidarisch mithaftenden Schuldner der Forderung greifen, womit dieselbe Situation wie vor der Zession bestehen würde. Wenn er nun den Kläger ins Recht gefasst hat, ändert dies nichts daran, dass dieses Recht auch der Kantonalbank offengestanden wäre. Anderseits ist eine «Verschlechterung» der Position des Klägers durch die - unstreitig auf Initiative von H.S. erfolgte - Zession nur hypothetisch unter der Voraussetzung denkbar, dass - ohne Zession - H.S. ![]() | 11 |
c) Art. 2 ZGB ist eine Schutznorm. Ihr Absatz 2 setzt mit dem Verbot des Rechtsmissbrauchs der formalen Rechtsordnung eine ethische materielle Schranke, lässt scheinbares Recht dem wirklichen weichen, wo durch die Betätigung eines behaupteten Rechts offenbares Unrecht geschaffen und dem wirklichen Recht jeder Weg zur Anerkennung verschlossen würde (MERZ, a.a.O., N. 21 zu Art. 2 ZGB; BAUMANN, Zürcher Kommentar, N. 14 zu Art. 2 ZGB). Aus der Schutzfunktion der Ermächtigungsnorm aber folgt auch, dass in die wertende Betrachtung nicht allein das Verhalten des Gläubigers unter dem Blickwinkel des verfolgten Zwecks, des Interesses, des redlichen Rechtserwerbs oder des widersprüchlichen Verhaltens einzubeziehen ist, sondern auch der Schutzbedarf des Schuldners. Im Lichte solcher Abwägung aber ist kein Rechtsmissbrauch und insbesondere kein offensichtlicher auszumachen, wenn ein Gesellschafter auf einem formell zulässigen, für den Vertragspartner einfacheren Weg zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten im Aussenverhältnis angehalten wird, als ihn die interne Regressordnung vorschreiben würde.
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a) Umgehungshandlungen, welche zwar den Wortlaut eingegangener Verpflichtungen beachten, jedoch gegen deren Sinn und Zweck verstossen, stellen ein illoyales Verhalten dar, einen Vertrauensbruch gegenüber dem aus der Verpflichtung Berechtigten (RIEMER, Vertragsumgehungen sowie Umgehungen anderer rechtsgeschäftlicher Rechte und Pflichten, ZSR 1982 S. 357 f., 372; BAUMANN, a.a.O., N. 55 f. zu Art. 2 ZGB). Derartige Verpflichtungen können auch dadurch umgangen werden, dass extern eine andere Person vorgeschoben wird, die intern an die Weisungen der verpflichteten Person gebunden oder sonst mit ihr verbunden ist und an ![]() | 14 |
b) Beim Umgehungsgeschäft wollen die Beteiligten durch die Art der Rechtsgestaltung eine gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Regelung umgehen. Seine Zulässigkeit hängt vom Inhalt der Regelung ab, die umgangen werden soll (FLUME, Das Rechtsgeschäft, in: Allg. Teil des bürgerlichen Rechts, Bd. II, S. 408), von einem teleologischen Verständnis der umgangenen Gesetzes- oder Vertragsnorm (KRAMER, Berner Kommentar, N. 145 zu Art. 18 OR; MERZ, a.a.O., N. 90 und 94 zu Art. 2 ZGB; BAUMANN, a.a.O., N. 53 f. zu Art. 2 ZGB; DESCHENAUX, SPR II, S. 157). Entweder ist die umgangene Gesetzes- oder Vertragsbestimmung nach ihrem Sinn und Zweck auch auf das Umgehungsgeschäft anwendbar, dann untersteht ihr auch dieses. Oder die umgangene Bestimmung ist nach ihrem Sinn und Zweck auf das Umgehungsgeschäft nicht anwendbar, dann bleibt dieses ihr entzogen und wirksam (JÄGGI/GAUCH, Zürcher Kommentar, N. 171 zu Art. 18 OR). Zur Beantwortung der Umgehungsfrage ist dabei stets eine Prüfung und Wertung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich, wobei sich auch als Ermessensfrage stellen kann, ob in concreto eine Umgehung zu bejahen oder zu verneinen ist (RIEMER, a.a.O., S. 363).
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c) Vorliegend entfällt eine verpönte Vertragsumgehung, weil die Verletzung eines Ziel- oder Zweckverbotes nicht auszumachen ist (dazu KRAMER, a.a.O., N. 265 zu Art. 19-20 OR). Wohl hätte H.S., die Zahlung der gesamten Zinssausstände vorausgesetzt, seinen Regressanspruch gegen den Kläger allenfalls erst in der Liquidation der Gesellschaft in einem Schiedsverfahren geltend machen können. Eine Verpflichtung, die Ausstände gegenüber der Kantonalbank vollumfänglich zu tilgen, hatte er aber gegenüber der Gesellschaft nicht, war er im internen Verhältnis doch lediglich gehalten, die Hälfte der nicht mehr mittels Fremdkapital zu deckenden Verbindlichkeiten ![]() | 16 |
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