BGE 125 III 286 | |||
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49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Juni 1999 i.S. Gordon & Breach Science Publishers SA und Gordon & Breach Science Publishers Ltd. gegen American Institute of Physics und American Physical Society (Berufung) | |
Regeste |
Art. 3 lit. e UWG. Vergleichende Werbung. | |
Sachverhalt | |
A.- Die Gordon & Breach Science Publishers Inc. in New York, die Gordon & Breach Science Publishers S.A. in Montreux und die Gordon & Breach Science Publishers Ltd. in London bilden eine internationale Verlagsgruppe, die wissenschaftliche Zeitschriften verlegt. Zum Verlagsprogramm gehören 24 Physikzeitschriften. Nach den Angaben der Verlagsgruppe werden diese Zeitschriften auch an Abonnenten in der Schweiz versandt, und auch schweizerische Wissenschafter veröffentlichen darin Beiträge.
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Die vom American Institute of Physics verlegte Zeitschrift «Physics Today» veröffentlichte in der Dezember-Ausgabe 1986 einen Beitrag von Henry Barschall mit der Überschrift «The cost of physics journals», in welchem eine Reihe von Physikzeitschriften - worunter auch einige Zeitschriften von Gordon & Breach - hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Preis und Leistung miteinander verglichen wurden. Obschon das Verlagshaus Gordon & Breach in einem Schreiben an Barschall vom 6. Januar 1987 dessen Beitrag als unlauter beanstandete und sich gegen zukünftige gleichartige Gegenüberstellungen rechtliche Schritte vorbehielt, liess Barschall im Juli 1988 im Bulletin der American Physical Society einen Artikel unter dem Titel «Cost of Physical Journals: A Survey» und in der Zeitschrift «Physics Today» einen Beitrag zum Thema «The Cost-Effectiveness of Physics Journals» erscheinen, worin er wiederum die Ergebnisse vergleichender Studien zum Physikzeitschriftenmarkt vorlegte. Daraufhin eingeleitete Vergleichsbemühungen scheiterten, nachdem die Zeitschrift «Physics Today» in der Ausgabe von März 1989 einen Leserbrief Barschalls mit der Überschrift «Cost-Effectiveness of Physics Journals» sowie ein «Statement» der Redaktion veröffentlicht hatte.
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B.- Am 22. Juni 1989 reichten die in New York, in London und in Montreux domizilierten Gordon & Breach Verlagsgesellschaften beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage gegen das American Institute of Physics und gegen die American Physical Society ein, mit der sie im Wesentlichen Folgendes beantragten:
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- die gerichtliche Feststellung, dass die Beiträge Barschalls in den Ausgaben von Juli 1988 der Zeitschriften «Physics Today» und «Bulletin of the American Physical Society» unlautere Werbung darstellten;
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- ein an die Beklagten gerichtetes Verbot, in irgendwelchen Zeitschriften irgendwelche Gegenüberstellungen der Abonnementspreise und Zitierhäufigkeiten von klägerischen und beklagtischen Zeitschriften zu veröffentlichen;
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- ein an die Beklagten gerichtetes Verbot, die Ausgaben von Juli 1988 und von März 1989 der Zeitschrift «Physics Today» und die Nummer 7 des 33. Bandes (1988) der Zeitschrift «Bulletin of the American Physical Society» direkt oder indirekt an schweizerische Käufer abzugeben, ohne die Artikel und den Leserbrief Barschalls und das «Statement» der «Physics Today»-Redaktion vollständig unleserlich zu machen bzw. zu entfernen;
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- die Verpflichtung der Beklagten, in den Zeitschriften «Physics Today» und «Bulletin of the American Physical Society» das Urteil, eventuell eine Berichtigung zu veröffentlichen;
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- die solidarische Verpflichtung der Beklagten zur Bezahlung eines nach Durchführung des Beweisverfahrens zu beziffernden Betrages als Schadenersatz und Gewinnherausgabe.
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Nachdem das Handelsgericht die Streitsache infolge wiederholter Aufhebung seiner Entscheide durch das Kassationsgericht des Kantons Zürich bereits mehrfach beurteilt hatte, wies es mit Urteil vom 7. Mai 1997 die Klagen der schweizerischen und englischen Gordon & Breach Verlagsgesellschaften ab; auf die Klage der amerikanischen Gordon & Breach Verlagsgesellschaft war es bereits in einem früheren, insoweit rechtskräftig gewordenen Entscheid nicht eingetreten.
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C.- Das Bundesgericht weist die Berufung der Klägerinnen ab, soweit es darauf eintritt, und bestätigt das handelsgerichtliche Urteil vom 7. Mai 1997.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Die Veröffentlichung vergleichender Angaben über verschiedene Angebote ist in der Schweiz seit jeher grundsätzlich zulässig (vgl. BGE 102 II 292 E. 6 S. 293, mit Hinweisen). Die konkrete Auseinandersetzung mit den von verschiedenen Wettbewerbsteilnehmern angebotenen Waren oder Dienstleistungen dient der Information des Publikums (LUCAS DAVID, Schweizerisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 1997, S. 74 Rz. 247). Vergleichende Werbung darf freilich nicht schrankenlos betrieben werden. Unlauter handelt nach Art. 3 lit. e UWG, wer sich, seine Waren, Werke, Leistungen oder deren Preise in unrichtiger, irreführender, unnötig herabsetzender oder anlehnender Weise mit anderen, ihren Waren, Werken, Leistungen oder deren Preisen vergleicht. Unrichtig ist ein Vergleich, der auf unzutreffenden Angaben beruht. Irreführend kann ein Vergleich hingegen auch dann sein, wenn er sich auf wahre Angaben stützt, diese jedoch ungenau, unwesentlich oder unvollständig und deshalb geeignet sind, bei einem nicht unerheblichen Teil des Publikums falsche Vorstellungen hervorzurufen (ROLAND KNAAK/MICHAEL RITSCHER, Das Recht der Werbung in der Schweiz, S. 57 Rz. 131 f.; PEDRAZZINI, Unlauterer Wettbewerb UWG, S. 80 f.; STREULI-YOUSSEF, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Basel, Bd. V/1, S. 129 f.; vgl. auch BGE 104 II 124 E. 3 S. 127). Eine derartige Irreführungsgefahr kann sich insbesondere ergeben, wenn mit unwesentlichen Vergleichsfaktoren operiert, wesentliche Tatsachen dagegen verschwiegen werden (vgl. BGE 104 II 124 E. 5a S. 131 f.). Auf der anderen Seite ist ein Vergleich nicht schon deshalb unlauter, weil er nicht alle denkbaren Vergleichskriterien einbezieht. Beschränkt sich der Vergleich auf einzelne Kriterien, so hat diese Beschränkung aber aus der Publikation hinreichend deutlich hervorzugehen; es darf nicht der Anspruch einer umfassenden vergleichenden Beurteilung der einander gegenübergestellten Angebote erhoben werden (vgl. BGE 55 II 178 E. 2b S. 181 f.). Wer Vergleiche anstellt, hat die Vergleichsgrundlagen offenzulegen; nur so kann das Publikum die Tragweite der Vergleichsergebnisse richtig einschätzen. Zu beachten ist weiter, dass nur wirklich Vergleichbares miteinander in Beziehung gebracht werden darf (BGE 104 II 124 E. 5b S. 133). Das gilt namentlich für Preisvergleiche (THOMAS WYLER, Werbung mit dem Preis als unlauterer Wettbewerb, Diss. Basel 1990, S. 102; SIBYLLE M. WIRTH, Vergleichende Werbung in der Schweiz, den USA und der EG, Diss. Zürich 1993, S. 50). Waren oder Leistungen, deren Preise verglichen werden, müssen mengen- und qualitätsmässig miteinander vergleichbar sein. Unter Umständen ist allfälligen Fehlschlüssen des Publikums auch mit näheren Angaben zu den rechnerischen Grundlagen des Preisvergleichs vorzubeugen (vgl. BGE 79 II 409 E. 2a S. 413 f.; siehe auch BGE 104 II 124 E. 5b S. 133).
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Wettbewerbsrechtlich erheblich sind vergleichende Äusserungen allerdings, auch wenn sie unrichtig oder irreführend sind, nur, sofern und soweit sie das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern in der Tat beeinflussen können (vgl. Art. 2 UWG), was voraussetzt, dass sie geeignet sind, sich auf das Marktverhalten der massgebenden Verkehrskreise auszuwirken (vgl. BAUMBACH/HEFERMEHL, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl., München 1998, N. 87 zu § 3 des deutschen UWG). Denn die wettbewerbsrechtlichen Verbote bestehen nicht einfach um ihrer selbst willen; sie sind vielmehr darauf ausgerichtet zu verhindern, dass der Wettbewerb mit unlauteren Mitteln verfälscht wird (vgl. Art. 1 UWG). Diese Zielsetzung begrenzt zugleich den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts.
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b) Verlagshäuser und Organisationen, die - wie die Klägerinnen und die Beklagten - Physikzeitschriften herausgeben, stehen im Wesentlichen auf zwei Ebenen in gegenseitigem Wettbewerb. Sie bemühen sich einerseits um die Gunst der Abonnenten, namentlich der Fachbibliotheken, anderseits um die Gunst der publizierenden Wissenschafter. Das Handelsgericht vertritt den Standpunkt, die von den Beklagten veröffentlichten Kostenvergleiche zwischen verschiedenen Physikzeitschriften seien weder auf der einen noch auf der anderen Ebene geeignet, die massgebenden Verkehrskreise in die Irre zu führen. Denn die von Barschall verwendeten Vergleichskriterien des Preises je Buchstaben und des Verhältnisses zwischen Preis und Zitierhäufigkeit seien vollkommen irrelevant. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Physiker oder wissenschaftliche Bibliotheken im Bereich der Physik Publikationen unter dem sachfremden Gesichtspunkt bestellen würden, möglichst viele Buchstaben zu einem geringen Preis geliefert zu bekommen. Ebensowenig rechtfertige sich die sachfremde Annahme, dass im Bereich der Physik die Qualität einer wissenschaftlichen Publikation statt nach ihrem Inhalt danach beurteilt würde, wie häufig sie zitiert werde. Auch käme kein Forscher auf die Idee, lieber in einer billigen als in einer teuren Zeitschrift zu publizieren. Sein Entscheid für oder gegen eine Zeitschrift werde vielmehr in erster Linie von deren Ruf und Qualität bestimmt.
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Diese Erwägungen vermögen nicht ohne weiteres zu überzeugen. Ob sich dem auf den genannten Kriterien beruhenden Vergleich zum Vornherein jegliche wettbewerbsrechtliche Relevanz absprechen lässt, erscheint zumindest fraglich. Wieviel eine Physikzeitschrift je Buchstabe kostet, vermag zwar in der Tat nichts über ihren wissenschaftlichen Wert und ihre Bedeutung für Forschung und Lehre auszusagen. Richtig ist auch, dass dies für die massgebenden Verkehrskreise - Fachbibliothekare und Wissenschafter - auf der Hand liegt. Auf der anderen Seite darf jedoch auch nicht einfach davon ausgegangen werden, dass der Preis, der für einen bestimmten Textumfang bezahlt werden muss, für den Entscheid der Kundschaft, eine Zeitschrift zu abonnieren oder ein bestehendes Abonnement aufrecht zu erhalten, zum Vornherein keine Rolle spielen würde. Wohl wird das Verhältnis zwischen Abonnementspreis und Textumfang einer Zeitschrift für die Kundschaft kaum je das allein ausschlaggebende Kriterium sein. Als eines unter anderen Kriterien kann sich das so definierte Preis-Leistungs-Verhältnis aber durchaus auf das Marktverhalten von Fachbibliothekaren und Wissenschaftern auswirken, auch wenn damit einzig ein quantitativer Massstab angelegt und die Qualität ausgeklammert wird. Ähnliches gilt auch für das in den Studien Barschalls ebenfalls verwendete Kriterium des Verhältnisses zwischen Abonnementspreis und Zitierhäufigkeit. Die Häufigkeit, mit der eine Zeitschrift zitiert wird, erlaubt zwar wiederum keine direkten Rückschlüsse auf ihre Qualität. Sie liefert aber doch immerhin einen - wenn auch rein quantitativen und daher mit entsprechender Vorsicht zu geniessenden - Anhaltspunkt dafür, wie stark die dort publizierten Beiträge in der Wissenschaft beachtet werden. Ein daran anknüpfender Preisvergleich kann deshalb für den Wettbewerb zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften durchaus von einer gewissen Bedeutung sein.
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Entscheidend ist jedoch, dass die von den Beklagten veröffentlichten vergleichenden Studien weder als unrichtig noch als irreführend bezeichnet werden können. Die verwendeten Vergleichskriterien erlauben zwar keine umfassende Beurteilung des Preis-Leistungs-Verhältnisses der verschiedenen miteinander verglichenen Zeitschriften. Diesen Anspruch erheben die Studien Barschalls aber auch nicht. Vielmehr geht aus ihnen klar hervor, auf welchen Grundlagen die Zeitschriftenvergleiche beruhen. Die bloss beschränkte Tragweite der Vergleichsergebnisse ist daher für die Leserschaft ohne weiteres ersichtlich. Das gilt umso mehr, als sich die Veröffentlichungen an Personen mit wissenschaftlicher Bildung richten. Denn solche Personen sind sich gewohnt, statistische Untersuchungen in ihrer Relativität zu sehen. Die beschränkte Aussagekraft der Studien Barschalls kann ihnen deshalb kaum entgehen. Unter diesen Umständen kann ausgeschlossen werden, dass die Studien bei einem nicht unerheblichen Teil des Publikums Fehlvorstellungen über die Tragweite der darin angestellten Vergleiche hervorrufen könnten.
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6. Die Klägerinnen beanstanden die von den Beklagten veröffentlichten vergleichenden Studien nicht nur als irreführend, sondern auch als unnötig herabsetzend. Unnötig herabsetzend ist ein Vergleich insbesondere dann, wenn er unsachlich oder unverhältnismässig ist, weil wettbewerbsfremde Vergleichsparameter verwendet oder bestimmte Wettbewerbsteilnehmer durch unnötig aggressive, gehässige Angriffe verunglimpft werden (SIBYLLE M. WIRTH, a.a.O., S. 75 ff.; THOMAS WYLER, a.a.O., S. 79; vgl. auch PEDRAZZINI, a.a.O., S. 81, sowie BERNARD ABRECHT, La licéité des tests comparatifs, Genf 1995, S. 187 ff., THOMAS R. HÜGI, Die Veröffentlichung vergleichender Warentests unter lauterkeitsrechtlichen Aspekten, Diss. Bern 1997, S. 53 f., und JOHANN GÜNTHER SCHMID, Die vergleichende Reklame, Diss. Zürich 1955, S. 88 f.). Die von Barschall verwendeten Vergleichsmassstäbe erlauben zwar bloss eine auf quantitative Gesichtspunkte beschränkte Beurteilung der verglichenen Zeitschriften. Auf der anderen Seite können sie jedoch entgegen der Meinung der Klägerinnen auch nicht als «vollkommen irrelevant» und damit als wettbewerbsfremd bezeichnet werden. Barschalls in Tabellenform präsentierte Vergleiche sind zwar von beschränkter Tragweite, doch beruhen sie durchaus auf sachlicher Grundlage. Auch die zugehörigen Erläuterungen bleiben sachbezogen; sie enthalten keine unnötig aggressiven oder gehässigen Verunglimpfungen. Der Vorwurf der unnötigen Herabsetzung erweist sich daher ebenfalls als unbegründet.
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